Sollen Gesetzestexte kostenlos vom Staat ins Internet gestellt werden?

Auf dem EDV-Gerichtstag wurde darüber mit seltsamen Argumenten gestritten

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Es ist ja schon eigenartig und vielleicht auch erhellend zu sehen, wie manchmal neue Möglichkeiten, auch wenn sie nur positiv erscheinen, eine seltsame Unruhe und Abwehr stiften können. Gesetze etwa, so sollte man meinen, die für jeden gelten, müssten auch in einem demokratischen Staat jedem unentgeltlich einsichtig sein, wenn dies zu bewerkstelligen ist. Dazu könnte das Internet geradezu ein ideales Mittel sein.

Doch auf dem VIII. EDV-Gerichtstag, der am 16. und 17. September 1999 an der Universität Saarbrücken unter dem Motto "Freies Recht für freie Bürger?" stattgefunden hatte, kam es dabei, wie der Patentanwalt Axel Horns in einem lesenswerten Artikel "Freies Recht für freie Bürger? für Freedom for Links berichtet, zu erheblichen Auseinandersetzungen.

Immerhin kündigte zunächst Prof. Dr. Herberger an, dass das Bundesverfassungsgericht in Zusammenarbeit mit der Universität Saarbrücken seine Entscheidungen demnächst unentgeltlich ins Web stellen werde. Aber das, was eigentlich selbstverständlicher Dienst am Bürger sein sollte, gefällt nicht allen, vor allem nicht jenen, die mit der Veröffentlichung von Gesetzen und Gerichtsentscheidungen (noch) gutes Geld verdienen. Auf einer Podiumsdiskussion kam dabei vornehmlich Volker Schwarz, Verlagsleiter NOMOS Verlagsgesellschaft, zur Geltung, der die Pfründe seines Geschäfts mit eigenartigen Gründen zu sichern suchte.

Die Sachlage allerdings ist nicht unkompliziert. Normalerweise werden die Änderungen geltender Gesetze, sobald sie verabschiedet wurden, im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Daraus wird dann, wie Horns schreibt, eine sogenannte konsolidierte, also "lesbare" Version im Auftrag des Justizministeriums von der JURIS GmbH erstellt, die dafür mit öffentlichen Mitteln bezahlt wird. Die Bürger allerdings müssen, wenn sie Einsicht in die Version nehmen wollen, wiederum JURIS dafür eine Gebühr bezahlen. Eine eigene "Konsolidierung" führen Verlage durch, die dann die Gesetze in verschiedenen Medien veröffentlichen, für deren Erwerb man bekanntermaßen ebenfalls bezahlen muss.

Gegen die kostenlose Veröffentlichung der "Urform" haben die Verlage laut Schwarz zwar nichts, aber die Konsolidierung rechtfertige eine Bezahlung, wobei sich doch der Staat eigentlich aus diesem Konsolidierungsgeschäft am besten ganz heraushalten solle.

Den Rest der Argumentation sei in der Wiedergabe durch Horn zitiert: "Im übrigen führte Dr. Schwarz aus, er sehe nicht, was eine unentgeltliche Veröffentlichung der konsolidierten Gesetze im Internet bringen solle: Die Gesetzessprache sei eine Fachsprache, die vom Normalbürger ohnehin nicht verstanden werde. In der Diskussion verschärften einzelne Beiträge aus dem Auditorium diesen Standpunkt noch bis zur These, eine unentgeltliche Veröffentlichung von konsolidierten Gesetztestexten im Internet sei geradezu gefährlich, da der Bürger nur verwirrt werden würde. Gleiches gelte für Gerichtsentscheidungen. Prof. Dr. Herberger und die Universität Saarbrücken mussten sich für das oben genannte Projekt, die BVerfG-Rechtsprechung unentgeltlich ins Web zu stellen, heftig beschimpfen lassen: Sinngemäß wurde vorgebracht, dies sei nur ein Ausfluss der Profilierungssucht von Hochschulprofessoren."

Auch Justizministerin Herta Däubler-Gmelin scheint nicht zu glauben, dass die Bürger eines demokratischen Staates, die die von ihren gewählten Repräsentanten beschlossenen Gesetze zu befolgen haben, überhaupt als Leser in Frage kommen: "Bei Leistungen, die nur einem Teil aller Bürger, insbesondere professionellen Nutzern, zugute kommen, ist der Staat gehalten, zumindest kostendeckende Gebühren zu erheben. Gilt dies auch für unser Problem? Was bedarf danach der besonderen Rechtfertigung: die entgeltliche oder die unentgeltliche Bereitstellung aller Gesetze im Internet?"

Als Bürger sollte man meinen, dass eine Rechtfertigung zunächst und vor allem für eine entgeltliche Bereitstellung aller Gesetze zu leisten sein sollte, wenn es die Möglichkeit gibt, dies wie jetzt durch das Internet mit relativ wenig Aufwand und Kosten zu realisieren. Die "Neue Mitte" scheint jedenfalls vom Recht auf Information nicht viel zu halten.