Wie demokratisch ist das Internet?

Technologie als Spiegel kommerzieller Interessen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Unsere Werkzeuge sind nicht mit der Demokratie synchronisiert, sie stehen nicht unter ihrer Kontrolle. In einer Zeit der Antipathie gegenüber Regierungen und Regularien werden sich die neuen Technologien immer stärker in diese Richtung entwickeln, weil sie in die Hände von Konzernen gelangen, die einzig und allein auf die Sicherstellung maximalen Profits ausgerichtet sind.

Überall feiert man die neuen Telekommunikationstechniken: als Schlüssel zu einer neuen globalen Ökonomie (so beispielsweise Bill Gates beim World Economic Forum 1997 in Davos), als das Geheimnis hinter dem neuen, weltweiten Wiedererstarken der amerikanischen Wirtschaft (so Präsident Clinton und sein Widerpart Gingrich, der Sprecher des Abgeordnetenhauses) oder als Beginn einer »neuen Ära der amerikanischen Politik«. Und so gelten sie auch als Ausdruck eines neuen Entwicklungsstadiums der globalen Demokratie

Treffen die ersten beiden Argumente vielleicht zu, kann man hinsichtlich des letzten, das zwischen der Demokratie und den neuen Technologien eine direkte Verbindung herstellt, geteilter Meinung sein. Daß das Argument gefährlich ist, liegt auf der Hand, und möglicherweise ist es sogar vollkommen falsch. Technik und Demokratie standen schon immer in einem besonderen, ja, zutiefst ambivalenten Verhältnis zueinander. -Jacques Rousseau war davon überzeugt, daß der Fortschritt in Kunst und Wissenschaft die Moral untergrabe; die kritischen Theoretiker der Frankfurter Schule von Adorno und Horkheimer bis zu Marcuse und Habermas warnten, das Vertrauen der Aufklärung in den Fortschritt habe einen Preis, der besonders gefährlich sei, weil es sich dabei um versteckte Kosten handle.

Das Problem scheint mir weniger zu sein, daß Technologie und bürgerliche Ideale unvereinbar wären - in Wahrheit ist die Technologie vielmehr der Politik und Moral entglitten, denn sie hat sich so rapide entwickelt, daß ihre Auswirkungen auf die Demokratie wie auch ihre Anfälligkeit gegenüber undemokratischen Kräften größtenteils unbemerkt geblieben sind.

Technologie: Spiegel der Demokratie oder Spiegel des Marktes?

Das Problem reicht tief - bis zur Kernfrage, was denn Demokratie bedeutet. Demokratie baut auf Besonnenheit, Umsicht, Interaktionen im Schrittempo und zeitraubende (folglich »ineffiziente«) Formen multilateraler Konversationen, die nach postmodernen Maßstäben schwerfällig sind, einem viel Zeit abverlangen, einige Anforderungen stellen, die nicht terminierbar sind und so gut wie nie unterhaltsam genannt werden können.

Mit Computerterminals hingegen ist der Fortschritt zu terminieren, denn Geschwindigkeit ist das oberste Gebot der elektronisch-digitalen Technologie. Schnell wie das Licht sind Computer, das ist ganz wörtlich zu nehmen. Demokratie ist so langsam wie das abwägende Urteilen, das sich in der Tat nicht gerade schnell vollzieht; sie verlangt ebenso nach Stillschweigen wie nach dem kommunikativen Austausch und macht es gelegentlich erforderlich, daß Tage oder Monate vergehen müssen, ehe weitere Überlegungen angestellt oder weitere Schritte eingefordert werden können. Im Gegensatz zu Computern verrennen wir Menschen uns oft. Dann müssen wir uns abkühlen, in uns gehen, etwas überdenken und uns die Folgen vorangegangener Entscheidungen klar machen, bis wir ausgewogene neue Urteile fällen können. Das »Parallelcomputing« menschlicher Intelligenz baut auf Geselligkeit und überlegten Interaktionen; es verlangsamt das rationale Schlußfolgern und die Entscheidungsfindung statt sie zu beschleunigen.

Digitales Denken vollzieht sich binär, es privilegiert die einfache Wahl zwischen an und aus, A und B, ja und nein. Es »liebt« die Gegensätze und Dualismen. Politisches Denken dagegen ist komplex und nuanciert, es vollzieht sich eher dialektisch als in digitaler Opposition. Es zielt darauf ab, den dezisionistischen Spielchen zu entkommen, die Computermodellen von Entscheidungsprozessen zu eigen sind. Auf die Frage »A oder B?« will der Bürger vielleicht antworten: »Beides!« oder »Keines von beiden!« oder »Das ist nicht die richtige Alternative« oder sogar »Was kümmert's mich?« Man stelle sich einen Computer vor, der auf eine Frage antwortet: »Je m'en fou!« (»Ist mir egal!«).

Wie lange wird der vielgepriesene »Wilde Westen« des Internet den Kolonialmächten des Kommerzes und des Konzerndenkens standhalten? Kommunikationsnetzwerke wie das Telefon und das Internet sind, so ist wiederholt argumentiert worden, laterale Systeme und daher inhärent demokratischer als vertikale Systeme wie Radio und Fernsehen. Das ist völlig richtig - und hierin sehen Demokraten das ganz reale Versprechen technologisch erweiterter Formen bürgerlicher Interaktionen. Diejenigen jedoch, denen die Leitungen und die Softwareplattformen gehören, die die Programme schreiben und über die Zugangsberechtigung zu den Systemen wachen, üben außerordentlich große Macht aus. Da könnte der Wunsch aufkommen, diese Art von Überwachung einfach abzuschaffen.

Ich denke jedoch, daß bestimmte Formen der Kontrolle und Intervention wie beispielsweise Redigieren und Erleichtern der Informationsflüsse und ein gewisses Maß an Ausbildung nötig sind, wenn man vom Netz einen demokratischen Gebrauch machen will, und sie kommen positiven oder legitimen Formen der Überwachung gleich. In jedem Fall besteht die Alternative zu einer Regelung durch den Staat nicht, wie häufig behauptet wird, im freien Markt, sondern in der Regulation durch den Markt. Die Wahlmöglichkeiten, die dieser zuläßt, und die Grenzen, die er setzt, sind von großer, prägender Wirkung, doch als Teil der »unsichtbaren Hand« des Markts können wir sie größtenteils nicht erkennen.

Diese düsteren Aussichten lassen den Schluß zu, daß die Technologie oft weniger eine Determinante als vielmehr ein Spiegel der umfassenderen Gesellschaft ist. Wer die Technologie besitzt, wie sie eingesetzt wird und von wem und zu welchen Zwecken: das sind die entscheidenden Fragen, und ihre Beantwortung ist für die Rolle, die die Technologie tatsächlich im kommenden Jahrhundert spielen wird, von entscheidender Bedeutung. Sicherlich, die Technologie als solche zeigt mal diese, mal jene Tendenz, hat Charakteristika und Implikationen, die menschliches Verhalten und menschliche Institutionen offensichtlich umgestalten können. Letzten Endes aber reflektiert sie die Welt, in der sie am Werk ist.

Was auch immer eine Technologie abstrakt an zwingenden Implikationen mit sich führt, sie wird dennoch auf der konkreten Ebene die Prämissen und Ziele derjenigen Gesellschaft reflektieren, die sie zur Anwendung bringt. Das ist exakt die Bedeutung des politischen Schlüsselbegriffs der Souveränität: daß die Politik die Technik beherrscht, daß Gesellschaft und Kultur immer die Technologie übertrumpfen. Der Zweck bestimmt die Mittel, und »Technologie« ist bloß ein eleganterer Ausdruck für »Mittel«. Die neuen Telekommunikationsformen werden unsere gegenwärtigen sozioökonomischen Institutionen und politischen Einstellungen wahrscheinlich eher nicht verändern und verbessern, sie werden sie vielmehr reflektieren und verstärken. Eine kommerzielle Kultur wird notwendigerweise eine kommerzialisierte Technologie ausbilden.

Gibt es folglich irgendeinen Grund zu der Annahme, daß eine von Profitgier und Privatinteressen geprägte Gesellschaft die neuen Telekommunikationstechniken aus der allgemeinen Jagd nach dem Profit ausklammern oder sie stärker auf das Allgemeinwohl ausrichten wird als die Gesellschaft im großen und ganzen? Bill Gates vermeidet es in seiner Vision The Road Ahead (1995), irgendeinen Bezug auf bürgerliche Werte zu nehmen; statt dessen prophezeit er ein »Shopping-Paradies«, in dem »alle Waren dieser Welt zur Prüfung, zum Vergleich und oft auch zur Anfertigung nach Maß zur Verfügung stehen« und in dem man sich mit dem »Brieftaschen-PC in den Computer eines Geschäfts einklinkt und digitales Geld transferiert.« Doch selbst wenn nachgewiesen werden kann, daß der Technologie das Versprechen eines bürgerlichen und demokratischen Potentials inhärent ist, wird sie dann aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die dünne, repräsentative, entfremdete Version von Demokratie reflektieren, die gegenwärtig das politische Denken dominiert?

Die neuen Medien: Vielfalt oder Monopol?

Um die scheinbare Diversifizierung der Medien und die Vervielfachung im Spektrum der Kommunikation auf der Basis fortgeschrittener Telekommunikationstechniken ist viel Aufhebens gemacht worden. Statt der einstigen drei Fernsehnetze in den USA oder den zwei oder drei staatlichen Sendern in vielen anderen Ländern haben wir heute Kabel- und Satellitensysteme, die bis zu 500 oder mehr Kanäle anbieten können. Selbst dem traditionellen Medium Radio wird bald eine Digitalisierung widerfahren, die für jede der heute genutzten Sendefrequenzen fünf oder sechs Kanäle ermöglichen wird. Kurz, die Technologie ist eindeutig in der Lage, auf die Kommunikationsformen einen pluralisierenden Einfluß auszuüben.

Doch auch wenn die Computer-Technik an sich das Potential zur Deregulation oder zur Dezentralisierung bietet, führt das Eigentum an der Hard- und Software eben dieser Technologie zu Zentralisierung und Monopolisierung. Während die Verbreitungssysteme sich diversifizieren und multiplizieren, werden die Programminhalte immer homogener. In das stetig expandierende Internet dringen kommerzielle Glücksritter ein und versuchen, seine horizontalen und interaktiven Kommunikationsnetzwerke nach dem Motto »Wir verkaufen, ihr kauft« vertikal kommerzieller Kontrolle zu unterwerfen und auszunutzen (man könnte von virtuellen Drückerkolonnen sprechen). Und so loggen sich Kinder in Spielzimmer-Seiten ein, die Unternehmen wie Toys'R'Us gehören und angeblich von erzieherischem Wert sind und Spaß machen; in Wirklichkeit aber werden die Ahnungslosen, wenn sie ihr Paßwort zum Spielen eingeben, zu Opfern von Cyber-Marktanalysen.

Mehr Leitungen, mehr Hardware und mehr Anschlüsse müssen nicht mehr Diversität bedeuten. Man stelle sich ein Kabelsystem mit 100 Kanälen im Nazi-Deutschland vor. »Jawohl, die nationalsozialistische Bewegung fördert die Vielfalt!« hätte Goebbels sagen können. Doch wenn man sich dann in das System einklinkt, findet man auf Kanal 1 Himmler, auf Kanal 2 die Hitlerjugend, auf Kanal 3 das Oberkommando der Wehrmacht, Göring auf Kanal 4, das Parteiprogramm als Hypertext auf Kanal 5, die Ausstellung »Entartete Kunst« auf Kanal 6 und so weiter. Schöne neue Vielfalt!

Die Verfechter der freien Marktwirtschaft verteidigen die Vermarktung des Cyberspace, indem sie sich auf das berufen, was sie die »Synergie« von Märkten und neuen Technologien nennen, welche angeblich Märkte in Hochleistungsmaschinen verwandeln, die öffentlichen Interessen dienen, weil sie Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten maximieren. Doch der Spätkapitalismus ist nicht gerade von unternehmerischem Pioniergeist und von Wettbewerbsdenken geprägt. Er floriert, indem wenige, massenhaft produzierte Artikel wie beispielsweise Sportschuhe, Cola-Getränke und elektronische Hardware an jedermann auf dem gesamten Planeten verkauft werden - derselbe Film, dasselbe Buch, derselbe Hamburger und dieselbe Softwareplattform, dasselbe Programm für so viele Milliarden von Bürgern, die in Konsumenten verwandelt werden können. Und wenn die Waren nicht länger in den Markt gedrückt werden können, fängt man an, Bedürfnisse zu produzieren, damit es eine Nachfrage gibt für die endlose Folge von Produkten, die auf den Markt gebracht werden müssen, wenn es dem Spätkapitalismus gutgehen soll. Während Regierungen vor der Aufgabe zurückschrecken, die Kommunikation zu regulieren, und die neuen Technologien sich in einer Weise globalisieren, die sie gegenüber Regulierungen resistent machen, entwickeln sich die entsprechenden Eigentumsverhältnisse eher mehr denn weniger in Richtung Monopol.

Software, umfassend verstanden als Computerprogramme, Informations- und Datenbanken, Filme und Videos, Spiele und Unterhaltung, Musik und Bilder: das ist es, was das Herz des technologischen Wandels in der postindustriellen Ära ausmacht. Und in dem Sektor, der die neuen Technologien mit dieser Art Software versorgt, wird die Produktion von einer Handvoll mächtiger Konzerne kontrolliert, die - das ist wörtlich zu nehmen - von Monat zu Monat immer weniger werden, deren Bandbreiten und Ambitionen aber immer umfassendere Ausmaße annehmen.

Das Konzept, das die Fusionsbesessenheit der neuen Medien antreibt, hört auf den schicken Namen »Synergie«. Dahinter steckt die Vorstellung , die produzierenden Firmen, die die Software herausbringen, die Telefon-, Kabel- und Satellitenunternehmen, die sie verbreiten, und die Fernseh-, Computer- und Multiplexsysteme, mit denen sie der Öffentlichkeit präsentiert werden, alle in denselben Händen zu bündeln. »Synergie« erweist sich so als höfliche Umschreibung für Monopol. Und auf dem Gebiet der Information ist »Monopol« eine höfliche Umschreibung für Uniformität, was wiederum eine höfliche Umschreibung für virtuelle Zensur ist - Zensur nicht als Folge politischer Entscheidungen, sondern als eine Konsequenz von unelastischen Märkten, unzureichendem Wettbewerb und Geschäften in ganz großem Stil. Gesucht wird nach dem einen Produkt, an dem nur ein einziger die Rechte hat und das jeder armen Seele auf diesem Planeten verkauft werden kann. Zugleich sucht man nach dem »ungefährlichen« Inhalt, der im Interesse einer breiten Konsumentenakzeptanz allem Streit aus dem Weg geht.

In dieser Suche manifestiert sich die nur allzu weit verbreitete Angst der Unternehmen vor der Kontroverse sowie die Tendenz, unverbindliche Plastikkünstlichkeit eher zu unterstützen als Diskussions- und Risikobereitschaft. Der postmoderne Kapitalismus stellt sich außerhalb aller Natur und scheut das Risiko: er ist ganz und gar nicht unternehmerisch. Das bedeutet, daß Hollywood einem Megahit den Nachfolger mit demselben Strickmuster hinterherschickt, statt mit neuen künstlerischen Filmformen zu experimentieren; daß Verleger nach Supersellern von Berühmtheiten suchen, statt seriöse Sachbücher und neue Romane zu veröffentlichen; und daß das Fernsehen alles ablehnt, was ihm zu abwegig erscheint: politisch zu radikal oder zu reaktionär, zu religiös oder zu atheistisch, zu exzentrisch und abseitig und daher zu weit vom Mittelmaß entfernt, zu (ganz wörtlich zu nehmen) unpopulär.

Die von Ben Bagdikian und anderen für die Zeit von 1945 bis Ende der 80er Jahre gut dokumentierte Konzentration der Besitzverhältnisse im Infotainment-Telesektor hat sich in der Tat weiter beschleunigt, als sich die Technologien vervielfachten und die Möglichkeiten zur Informationsübertragung diversifizierten. Diese Zusammenballung hat die Zahl der großen Telekommunikationsanbieter von 46 im Jahr 1981 auf 23 im Jahr 1991 reduziert. Und von diesen dominiert nur eine Handvoll den Markt, beispielsweise Time-Warner/Turner, Disney/ABC, Bertelsmann und Murdochs News Corporation - wahre Intermediakonzerne, die in jedem Geschäftszweig dieses Sektors ihre Finger haben.

Daß in jüngster Zeit die Grenzen zwischen Telefon, Kabel- und Funkübertragung erodierten, hat den Konzentrationsprozeß noch radikaler beschleunigt. Das neue Telekommunikationsgesetz erlaubt es jedem Unternehmen, auf mehr oder weniger jedem Gebiet der Kommunikation tätig zu werden: So kann AT&T (»Ma Bell«) Kabel- oder Satellitenfernsehen betreiben, lokale Telefongesellschaften können ins Geschäft mit Fernverbindungen oder mit dem Mobilfunk einsteigen, und so kann jeder so gut wie jeden und alles kaufen - so lange man sich handelseinig wird und man den Preis bezahlen kann.

Im Februar 1997 einigten sich 68 Nationen durch Vermittlung der World Trade Organization darauf, die Barrieren zu beseitigen, die Privatunternehmen bislang daran hinderten, mit den staatlichen Telekommunikationsmonopolen in Wettbewerb zu treten - kurzfristig betrachtet eine gute Nachricht für die Konsumenten, doch eine noch viel bessere Nachricht für die mächtigen, technologisch am weitesten fortgeschrittenen amerikanischen Telekommunikationskartelle, die in den Startlöchern stehen, um ein Gutteil des weltweiten Geschäfts mit den Fernverbindungen zu übernehmen und sich den Zugriff auf die globale Kommunikation zu sichern.

Einmal mehr wird im Namen der freien Marktwirtschaft privaten Profitinteressen gestattet, das öffentliche Gemeinwohl auszuhöhlen (oder sie werden sogar für identisch mit letzterem gehalten). Die Ideologie vom freien Markt dient so in der Version aus dem 18.Jahrhundert dazu, antiunternehmerische Monopolpraktiken zu legitimieren, die den globalen Kapitalismus des 21.Jahrhunderts charakterisieren, der jegliches Interesse an echtem Wettbewerb verloren hat.

Der sanfte neue Totalitarismus der Konsumgesellschaft

Folglich signalisiert der neue Trend zum Monopol keine Synergie, sondern eine Anfälligkeit für kommerziellen Totalitarismus - ein einziger Wert (Profit) und ein einziger Eigentümer (der Monopolist) verwischen sämtliche Unterschiede, dünnen die Wahlmöglichkeiten aus, täuschen Vielfalt nur vor. Vermittler wollen das, was sie vermitteln, kontrollieren und Profit daraus ziehen; Kulturschaffende wollen die Einrichtungen (Sender und Netzwerke), die übertragen, was sie geschaffen haben, kontrollieren und Profit aus ihnen ziehen; Softwarelieferanten wollen die Hardware, die sie mit ihren Produkten bedienen, kontrollieren und Profit aus ihr ziehen. Und jeder will ein Stück von dem kreativen Kern, in dem der »Inhalt«, der alles andere in Bewegung setzt, hergestellt wird. Das Ergebnis lautet: Zunehmend wird von Vielfalt geredet - und zunehmend hält Uniformität bei Produkten und Inhalten Einzug. Warum soll man die Musik eines anderen verbreiten, wenn man von der Komposition wie vom Komponisten Besitz ergreifen kann?

Die Männer, die diese außerordentliche neue Welt der technologisierten Kultur dominieren, sind größtenteils Amerikaner. In den achtziger Jahren lag Amerika noch am Boden, doch seit in der Politik, im Informationswesen und in der Unterhaltung immaterielle Produkte (Software im weitesten Sinn) die dauerhaften industriellen Güter ersetzt haben, ist die Nation weltweit zur ökonomischen Supermacht aufgestiegen. Amerikanische Medienmogule wie Ted Turner, Sumner Redstone, Martin S. Davis, George Lucas, Michael Ovitz, Bill Gates, H. Wayne Huizenga, John C. Malone und Steven Spielberg sind heutzutage mit Sicherheit so mächtig, wie es Vanderbilt, Carnegie, Rockefeller und ihre im Gold schwimmenden Mitstreiter Ende des 19.Jahrhunderts waren. Allerdings besitzen die neuen Titanen der Telekommunikation nicht das Monopol auf materielle Güter wie Öl, Kohle, Stahl oder Eisenbahnen, sondern das Monopol auf die entscheidenden Machtinstrumente einer auf Informationen basierenden Zivilisation: Ideen, Bilder, Worte, Filme und Fotos.

Solche Monopole zerstören nicht nur den kapitalistischen Wettbewerb, sie untergraben auch die Vielfalt und den Pluralismus von Informationen, auf die sich Demokratie gründet. Hinter der augenzwinkernden Diversität ihrer Medienimperien lauert eine neue Form des Totalitarismus, die um so gefährlicher ist, da sie sich ihrer »Angebotsbreite« rühmt und im Namen der Freiheit verkauft wird. Wenn sich die Regierung nicht einmischt, sind wir auf dem Marktplatz alle gleich, so wird behauptet. Was ist eine virtuelle Gemeinschaft?

In der solipsistischen virtuellen Realität des Cyberspace scheint die Öffentlichkeit an sich gefährdet zu sein. Der Kommerz tendiert nicht allein zum Monopol, er setzt auch einzig und allein auf Privatisierung, und die Privatisierung ist der Tod der Demokratie. Denn Demokratie hat immer mit dem öffentlichen Wollen und dem öffentlichen Nutzen sowie dem Gemeinwohl zu tun. Dezentralisierung kann die Demokratie stärken, Privatisierung untergräbt sie nur. Ob klein oder groß macht keinen Unterschied, wenn etwas privat und um des Profits willen geschieht und nicht öffentlich (wenn auch vielleicht lokal) und um des Gemeinwohl willens. Man kann bei lebendigem Leib sowohl von einem kleinen Piranha wie von einem großen weißen Hai gefressen werden: Ersteres dauert nur ein bißchen länger.

Der Kommerz wird von bestimmten technischen Merkmalen der Telekommunikation gestärkt, und er verstärkt wiederum diese. Wie kann es einen »gemeinsamen Boden« (common ground) für etwas geben, wenn der Boden an sich verschwunden ist, und Frauen und Männer Abstraktionen bevölkern?

Gewisse neue Formen von Gemeinsamkeit könnten sich unter den Myriaden Vereinzelter entwickeln, die vor ihren Bildschirmen hocken und nur über ihre Fingerspitzen mit dem neuen Beziehungsgeflecht verbunden sind, welches das Internet liefert. Doch die Politik jener »Gemeinschaft« muß erst noch erfunden werden, und es ist kaum wahrscheinlich, daß sie demokratisch sein wird, weil die Gesetze des Marktes herrschen. Es muß sich erst noch erweisen, daß anonyme Interaktionen von Schirm zu Schirm für uns dasselbe leisten, was einst Interaktionen von Angesicht zu Angesicht erreichten. Die körperlose Natur der virtuellen Kommunikation ist sowohl Segen als auch Fluch. Die Körper werden bedeutungslos, wenn beispielsweise die Kommilitonen eines College im selben Raum sitzen und über ihre Bildschirme miteinander kommunizieren, während an verkabelten Universitäten soziale Begegnungsstätten und Freizeiteinrichtungen sich zunehmend entvölkern, weil die Studenten an ihren Computern kleben.

Schließlich: Die ökonomische Entwicklung auf dieser Welt tendiert zu einer radikalen Kommerzialisierung der Werte und des Verhaltens - und zwar in einer Weise, daß nicht nur die bürgerliche Politik, sondern auch Familie, Erziehung und das Geistesleben in Mitleidenschaft gezogen werden. Die Technologie ist nicht per se kommerziell oder kommerzialisierend, aber wenn man sie kommerzialisiert, wird sie zu einer weiteren Waffe im Arsenal der Konzerne, für die der Konsum das einzige relevante menschliche Verhalten ist.

Die frontier, die offene Grenze, jenseits derer das Neuland lockt, ist in der amerikanischen politischen Ikonographie von überragender Bedeutung, und es überrascht nicht, daß radikale Individualisten und dezentralistische Demokraten sie gern einsetzen, wenn sie ans Internet denken; so gibt es beispielsweise eine Electronic Frontier Foundation. In Wirklichkeit öffnete sich die Grenze des Wilden Westens nach dem Bürgerkrieg genau in dem Moment, als die Konzentration und Konglomeration des Kapitals in der Öl-, Kohle-, Stahl- und Eisenbahnindustrie in Gang kam und das sogenannte Goldene Zeitalter einleitete. Und schon gegen Ende des 19.Jahrhunderts war nicht mehr die frontier, sondern das Kartell für Amerika typisch, und die Produkte der Kartelle - Eisenbahnen, Großindustrie, Urbanisierung - waren zu genau den Dingen geworden, die die Durchlässigkeit der frontier verstopften.

Es gibt kaum Grund zu der Annahme, daß ohne ein politisches Wollen die metaphorische electronic frontier angesichts des Monopolkapitalismus ein günstigeres Schicksal haben wird als ihr historischer Vorläufer. Sind die neuen Monopolisten wie Gates, Eisner und Malone denn in irgendeiner Weise weniger ehrgeizig oder talentiert als Carnegie und Rockefeller? Ist der Kapitalismus denn heute in irgendeiner Weise weniger an den Kontrollmechanismen interessiert, die dicke Profite sichern, als vor 100 Jahren? Die electronic frontier ist keine Metapher, sie ist ein Traum, ein Mythos, und ein zutiefst irreführender obendrein: ein perfekter Nebelschleier für jene, die sich das Neuland unter den Nagel reißen.

Bedeutet dieser Entwurf der globalen Kommerzialisierung und der zunehmenden Monopolisierung also, daß alle technologischen Innovationen sich gegen die Demokratie richten? Nicht notwendigerweise. Es bedeutet nur, daß ohne Direktiven, die darauf abzielen, ihre demokratischen Potentiale auszunutzen, die globalen sozioökonomischen Kräfte, die heute die Welt prägen, auch die Art und Weise prägen, wie die Technologie eingesetzt wird. Wir müssen also nicht bei der Technologie anfangen, sondern bei der Politik. Bei der Gestaltung der Wissenschafts- und Technologiepolitik die Stimme zu erheben und das Recht auf diese Stimme einzufordern, ist der erste Schritt, den Bürger tun können, um eine demokratische Technologie sicherzustellen. Dies legt nahe, die Wissenschafts- und Technologiepolitik selbst demokratischer Kontrolle zu unterstellen. Die Technologie sollte nicht versuchen, eine ihr angemessene Form von Demokratie zu produzieren, vielmehr sollte die Demokratie eine ihr angemessene Technologie hervorbringen. Experten für Technologie sind keine Experten für den angemessenen öffentlichen Gebrauch dieser Technologie. Die neue Technologie ist noch immer nichts anderes als ein Kommunikationsmittel, und sie kann nicht bestimmen, was wir sagen werden und wem.

Über den Funkpionier Marconi erzählt man sich die Geschichte, daß ihm seine Mitarbeiter eines Tages erklärten, seine neue drahtlose Technologie bedeute, er könne jetzt »mit Florida sprechen«; und Marconi soll darauf in weiser Voraussicht geantwortet haben: »Und? Haben wir Florida denn etwas zu sagen?« Enthusiasten begeistern sich an der Tatsache, daß man über das Internet mit Fremden auf der ganzen Welt kommunizieren kann. Doch viele der heutigen Probleme rühren daher, daß wir nicht mehr wissen, wie wir mit unseren Gatten und Ehefrauen, mit unseren Nachbarn und Mitbürgern sprechen sollen, von Fremden ganz zu schweigen. Werden unsere Blockaden und Unhöflichkeiten vor Ort von den Wundern der computerisierten Telekommunikation geheilt? Wird die virtuelle Gemeinschaft die Brüche und Risse in den realen Gemeinden reparieren? Wird uns mit unseren Keyboards gelingen, was wir von Angesicht zu Angesicht so eklatant nicht geschafft haben?

Wenn wir dem nächsten Jahrtausend - in dem höchstwahrscheinlich unser Leben von Technologie beherrscht werden wird wie nie zuvor - die Demokratie bewahren wollen, dann müssen die bittersüßen Früchte der Wissenschaft unseren demokratischen Zielen untergeordnet und dazu gebracht werden, die kostbaren demokratischen Prozesse zu erleichtern und nicht zu unterminieren. Und ob dies gelingt, wird nicht von der Qualität und dem Charakter unserer Technologie abhängen, sondern von der Qualität unser politischen Institutionen und dem Charakter unserer Bürger.

Benjamin Barber ist Professor für Politikwissenschaft an der Rutgers University in New Brunswick, N.J, wo er das Walt Whitman Center for the Culture and Politics of Democracy leitet. Sein Beitrag ist, leicht gekürzt, dem Buch Internet & Politik. Von der Zuschauer- zur Beteiligungsdemokratie?, hrsg. von C. Leggewie und Ch. Maar, entnommen, das demnächst im Bollmann Verlag erscheint.