ENFOPOL legalisiert ECHELON

Die Ausweitung der länderübergreifenden polizeilichen Zusammenarbeit bringt auch eine nachträgliche Legalisierung des bereits bestehenden Überwachungssystems ECHELON mit sich

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Zwar wird es noch eine Weile bis zur endgültigen rechtlichen Implementierung der EU-weiten Überwachung dauern, doch die einzelnen nationalen Bausteine sind schon seit langem bekannt. Mit dem ENFOPOL-Papier wird nun auch der Gebäudeplan skizziert.

Europäische Strafverfolgungsbehörden, Inlands- und Auslandsaufklärer sowie militärische Abschirmdienste koordinieren über die in den ENFOPOL-Papieren festgehaltenen Vorgaben die grenzüberschreitende Überwachung des Telekommunikations- und Datenverkehrs. Setzten sich die Behörden mit ihrem Entwurf durch, gäbe es diese Regelungen nicht nur in Deutschland, sondern in allen Mitgliedstaaten. Eine weltweite Standardisierung ist ebenfalls geplant. In den Papieren heißt es dazu:

"Die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Kanadas und Australiens haben formell zugestimmt, die Anforderungen bei nationalen Verfahrensweisen zu berücksichtigen und zu empfehlen, daß sie als Basis für Diskussionen mit der Telekommunikationsbranche, Standardisierungsstellen und anderen verwendet werden."

Seit dem Statewatch-Report von 1997 ist bekannt, daß schon seit 1993 an einer Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden der EU-Mitgliedstaaten sowie dem US-amerikanischen FBI in Sachen Telekommunikationsüberwachung gearbeitet wird. Interessanterweise sehen die "Anforderungen" eine Menge Verpflichtungen von Netzwerkprovidern, Satellitenkommunikationsnetzwerken, Serviceprovidern, Firmen und einzelnen Personen vor. Zudem enthält der EU-Ratsbeschluß einen deutlichen Hinweis auf Echelon:

"Der Rat befürwortet aus praktischen Gründen eine Erweiterung nach Hong Kong, Australien und Neuseeland". Neben Großbritannien, Kanada und den USA befinden sich genau in diesen Ländern die Hauptpunkte des Abhörsystems - bekannt unter dem Kodenamen "ECHELON".

Involviert in das Echelon-System sind die NSA, das Government Communications Headquarters (GCHQ) in Großbritannien, das Communications Security Establishment (CSE) in Kanada, das Defence Signals Directorate (DSD) in Australien und das Government Communications Security Bureau in Neuseeland. Die Abhörzentren befinden sich in den USA in Sugar Grove und Yakima, in Waihopai/Neuseeland, Geraldton/Australien, in Hong Kong und in Morwenstow/England. Die Abhörzentrale in Hong Kong ist seit der Übergabe im letzten Jahr nicht mehr aktiv.

Ob Telefonanrufe, E-Mails, Faxe, oder Telex, Echelon hört den gesamten über Satelliten geleiteten Kommunikationsverkehr ab. Gefiltert werden die riesigen Informationsmengen mit Hilfe des intelligenten Rastersystems "Memex". Memex ist ein KI-Analyseprogramm, das Daten auf Schlüsselwörter hin untersuchen kann. Dazu greift das System auf nationale Wörterbücher zurück, die mit länderrelevanten Informationen versehen sind. Ein spezielles Spracherkennungssystem namens "Oratory" soll jahrelang Gespräche zwischen Diplomaten abgefangen haben.

Im wesentlichen besteht das Abhörsystem aus drei Komponenten: Zum einen werden internationale Telekommunikationssatelliten (Intelsats), die von den Telefongesellschaften in den meisten Ländern benutzt werden, überwacht. Eine der Echelon-Schlüsselstationen steht in Morwenstow in Cornwall, um Europa, den Atlantik und den Indischen Ozean abzuhören. Desweiteren werden regionale Kommunikationssatelliten von Schlüsselstationen wie Menwith Hill in Yorkshire oder Bad Aibling in Bayern abgehört. Schließlich werden Land- und Unterwasser-Systeme überwacht, die aus Netzwerken von Kabeln und Mikrowellen-Türmen bestehen.

In den ENFOPOL-Papieren geht es prinzipiell nur noch darum, das bereits existierende Echelon-Überwachungssystem nun schrittweise der Legalisierung zuzuführen. Unwahrscheinlich ist, daß für die fallweise Überwachung eine völlig neue technische Infrastruktur implementiert wird. Damit wird das bislang allein von den Geheimdiensten der UKUSA-Staaten genutzte System auch den Polizeibehörden zugänglich gemacht.

Schnittstellen

Standardisierte Schnittstellen und die Entwicklung von gemeinsamen Technologistandards spielen bei der länderübergreifenden Überwachung eine entscheidende Rolle. Es ist daher nur konsequent, wenn die Ähnlichkeit zwischen den Entwürfen der deutschen Telekommunikationsüberwachungsverordnung, beziehungsweise der dazugehörigen Technischen Richtlinien, und den österreichischen Gesetzesentwürfen frappant ist. Je nach Land werden die Regularien juristechnisch etwas anders ausfallen. Auf der untersten Ebene der technischen Realisierung müssen jedoch alle mit kompatiblen Schnittstellen arbeiten.

Aber auch die juristischen Gefälle lassen sich überwinden: Wird in Deutschland beispielsweise die Überwachung etwas restriktiver gehandhabt als in Österreich, können den auskunftsersuchenden Behörden die gegenseitigen Rechtshilfeabkommen weiterhelfen. Obwohl es ein derartiges Abkommen zwischen den USA und Deutschland noch nicht gibt (siehe Interview mit David Aaron) und auch die personelle Ausstattung mehr als mangelhaft ist, werden die zur praktischen Umsetzung nötigen Bausteine schon heute vorbereitet.

Die Konvergenz zwischen geheimdienstlichen und polizeidienstlichen Befugnissen wächst zunehmend. Nicht nur, daß in der nationalen Gesetzgebung der Polizei immer mehr, vormals nur der Inlandsaufklärung vorbehaltene Rechte eingeräumt werden, auch auf Organisationsebene gibt es Angleichungen: So geht das im Frühjahr teilweise bekannt gewordene Schengen-Handbuch zur Polizeizusammenarbeit "SIRENE" (Supplementary Information Request for National Entry) nicht nur von einer länderübergreifenden Zusammenarbeit der Polizei, sondern auch der Geheimdienste aus.