Faszination Astrobiologie

Die Suche nach Leben im Weltall und die Erforschung seiner Ursprünge und möglichen Zukunft vereinigt immer mehr Wissenschaftler aus den verschiedensten Disziplinen

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Der Raumfahrt fehlt ein Ziel. Zwar mangelt es nicht an Aufgaben für Raumsonden oder Fragen für die Forschung auf Raumstationen. Aber es ist keine Vision zu erkennen, die eine ähnliche Begeisterung und Konzentration von Kräften bewirken könnte, wie das Mondlandeprogramm der 60er Jahre. Raumfahrt ist eine Hightech-Branche unter vielen geworden - was vielleicht nicht weiter schlimm wäre, würde ihr das schwindende Interesse nicht allmählich an die Substanz gehen.

Noel Hinners, hochrangiger Manager beim amerikanischen Raumfahrtkonzern Lockheed Martin, verweist auf das Scheitern zweier Mars-Sonden der Nasa. Die Pannen hätten gezeigt, wie wichtig Software-Entwicklung für den Erfolg von Weltraummissionen geworden sei. Da die Raumfahrtindustrie nicht so viel Geld bieten könne wie Computer- und Internetfirmen, könne sie im Konkurrenzkampf um die größten Software-Talente jedoch nur bestehen, wenn sie ein aufregender Arbeitsplatz bleibe. "Wenn wir das verlieren", sagt Hinners, "sind wir in Schwierigkeiten."

Nasa-Chef Dan Goldin hat das Problem offenbar auch erkannt. Bereits vor fünf Jahren startete er eine Initiative, um die Aktivitäten der amerikanischen Raumfahrtbehörde auf ein neues Ziel auszurichten: die Suche nach Leben jenseits der Erde. Über 150 Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen erarbeiteten darauf hin zunächst eine "Landkarte" dieses neuen, "Astrobiologie" genannten Forschungsgebiets, das 1998 mit dem vom Medizin-Nobelpreisträger Baruch Blumberg geleiteten "Astrobiology Institute" auch eine institutionelle Heimat bei der Nasa bekam. Anfang April fand jetzt im Ames Research Center der Nasa in Moffett Field, Kalifornien, die erste "Astrobiology Science Conference" statt.

Wie es scheint, hat Goldin auf das richtige Pferd gesetzt: Obwohl die Konferenz sehr kurzfristig angekündigt wurde, wurde die Organisatorin, die Evolutionsbiologin Lynn Rothschild, mit Vortragsangeboten überhäuft. Und zu dem Treffen selbst kamen mit etwa 600 Forschern aus 30 Ländern mehr als doppelt so viele Teilnehmer wie ursprünglich erwartet.

Auch die Stimmung war prächtig. "Ich spürte eine große Erregung", sagt der Geologe Peter Ward. "Ich glaube, das ging fast allen so." Ein Grund für die Begeisterung war der interdisziplinäre Charakter der Veranstaltung, die Wissenschaftler aus den verschiedensten Fachgebieten miteinander in Kontakt brachte. Bruce Jakosky, Experte für planetare Geologie, schwärmt: "Ich spreche jetzt regelmäßig mit Mikrobiologen. Das ist etwas völlig Neues."

Zwar gab es gelegentliche Schwierigkeiten bei der Verständigung über die Disziplingrenzen hinweg. So erhob sich während eines detaillierten Vortrags über evolutionäre Verwandtschaftsbeziehungen bei Archaea, einer der primitivsten, irdischen Lebensformen, ein verwirrter Astronom von seinem Platz und fragte: "Warum sollte ich mich dafür interessieren?" Doch bei vielen anderen Präsentationen sprang der Funke schneller über.

Die Meeres-Mikrobiologin Jody Deming und der Geophysiker Hajo Eicken etwa haben gemeinsam mit ihren Mitarbeitern eine Methode entwickelt, um Bakterien im arktischen Eis zu untersuchen, ohne es zu schmelzen. Sie konnten zeigen, dass die Bakterien bei Temperaturen bis -20 Grad Celsius überleben. Ihre Ernährung wird durch ein Netzwerk feiner Adern im Eis ermöglicht, die sogar bei -30 Grad Celsius noch flüssiges Wasser transportierten. "Selbst sehr kaltes, hartes Eis enthält kleine, nasse Bereiche, die Leben ermöglichen", sagt Deming.

Die Forschungen von Deming und Eicken schüren Hoffnungen, auch in Regionen des Sonnensystems Leben zu finden, die dafür bislang als zu kalt angesehen wurden. Als eins der aussichtsreichsten Ziele gilt mittlerweile der Jupitermond Europa, der von einer mehrere Kilometer dicken Eiskruste umhüllt ist. Daten der Jupitersonde Galileo deuten darauf hin, dass unterhalb dieser Schicht flüssiges Wasser existiert. Durch die Schwerkraft des Jupiter, vermutet der Planetenforscher Richard Greenberg, könnte das Eis immer wieder aufgebrochen werden, so dass Verbindungen entstehen zwischen dem unterirdischen Ozean und der frostigen Oberfläche.

Zur Zeit gibt es noch keine konkreten Pläne, eine Raumsonde zu Europa zu schicken. Dafür wird ein anderer, für Astrobiologen ebenfalls hochinteressanter Himmelskörper demnächst Besuch von der Erde kriegen: Im November 2004 soll die europäische Sonde "Huygens" an einem Fallschirm auf die Oberfläche des Saturnmondes Titan herab sinken. Zwar rechnet Jean-Pierre Lebreton, wissenschaftlicher Leiter der Huygens-Mission, nicht damit, dort Leben zu finden. Entdeckungen, die die Entstehung des Lebens verständlicher machen, sind gleichwohl wahrscheinlich. Denn nach dem derzeitigen Kenntnisstand ähnelt die Zusammensetzung der Titan-Atmosphäre derjenigen der Erde zu der Zeit, bevor hier das Leben entstand.

Eine zentrale Frage ist die nach der Herkunft wichtiger Bausteine des Lebens. Aminosäuren zum Beispiel, die sich auf vielfältige Weise zu komplexen Eiweißmolekülen zusammenfügen können, könnten in der Ur-Atmosphäre der Erde durch die Einwirkung ultravioletter Sonnenstrahlung oder bei Blitzentladungen entstanden sein. Als reichhaltigere Quelle gilt inzwischen jedoch der Weltraum selbst. Insbesondere in den Geburtsstätten neuer Sterne scheinen Aminosäuren im Überfluss zu entstehen.

Aber könnten diese Stoffe in ausreichender Menge auf die Erde gelangt sein? Eigentlich wäre zu erwarten, dass sie sich beim Eintritt in die Atmosphäre durch die hohen Temperaturen und Drücke rasch zersetzen. Gleichwohl wurden in Bruchstücken von Meteoriten Aminosäuren gefunden, darunter auch welche, die es auf der Erde nicht gibt. Sie waren im Innern des Gesteins vor der Hitze offenbar ausreichend geschützt.

Bei der Astrobiologie-Konferenz wurden nun Simulationen präsentiert, die darauf hin deuten, dass Aminosäuren und andere organische Moleküle auch auf weniger massiven Himmelskörpern, wie Kometen und kleinen Staubteilchen, die Erdoberfläche erreichen können. So feuerten die Geophysiker Jen Blank und Greg Miller mit einer zwölf Meter langen Kanone auf Stahlbehälter mit wässrigen Aminosäure-Lösungen. Dabei entstanden Drücke von bis zu 200000 Atmosphären und dieTemperaturen erreichten 600 Grad Celsius - Bedingungen, die denen eines Kometeneinschlags in sehr flachem Winkel nahe kommen. Erstaunlicherweise blieben 40 bis 70 Prozent der Aminosäuren intakt, möglicherweise gerade durch den hohen Druck stabilisiert und vor der Hitze geschützt. Einige verbanden sich sogar zu Dipeptiden, der ersten Stufe hin zu Proteinen.

Die Geochemiker Daniel Glavin und Jeffrey Bada widmeten sich kosmischen Staubpartikeln, von denen etwa 40000 Tonnen pro Jahr auf die Erde treffen. Als sie kleine Körner eines Meteoriten im Labor erhitzten, zeigte sich, dass Glyzin, die einfachste Aminosäure, bereits bei 150 Grad Celsius verdampfte. Beim Eintritt eines Mikrometeoriten in die Atmosphäre, könnte sie sich daher lösen, bevor zerstörerische Temperaturen erreicht werden, um dann wieder zu kondensieren und auf die Erde herab zu regnen.

Die britischen Astronomen Fred Hoyle und Chandra Wickramasinghe gehen noch weiter: Sie vertreten schon seit langem die Ansicht, dass nicht nur molekulare Lebensbausteine, sondern Lebewesen selbst ständig aus dem All auf die Erde gelangen. Anders, so ihre Argumentation, seien zum Beispiel die Ausbreitungsmuster von Grippeepidemien nicht zu erklären.

Die meisten Wissenschaftler wollen so weit nicht gehen. Dennoch ist die Begeisterung, die mit der Suche nach Leben verbunden ist, deutlich zu spüren. Hier könnte sich tatsächlich ein Forschungsziel entwickeln, das die Kräfte in der Weltraumforschung und darüber hinaus in ähnlicher Weise bündelt wie in den sechziger Jahren das Apollo-Programm.

Außerhalb der Forschergemeinde hat die Idee allerdings noch nicht so recht gezündet. Die wissenschaftliche Suche nach Leben im All und die Erforschung seines Ursprungs ist halt nicht so spektakulär wie die Landung eines Menschen auf dem Mond. Hinzu kommt, dass die Wahrnehmung vieler Menschen durch Science-Fiction-Filme wie "Star Trek" und "Star Wars" geprägt ist. Der Filmemacher und Raumfahrt-Enthusiast James Cameron ("Titanic", "Terminator") sieht darin ein großes Problem. "Durch die Selbstverständlichkeit", sagte er vergangenen August auf der Jahresversammlung der "Mars Society", "mit der diese Filme intelligente, humanoide Lebewesen aus der gesamten Galaxis versammeln und interstellare Reisen als eine Angelegenheit von Tagen oder Stunden präsentieren, haben sie die Erwartungen des jugendlichen Publikums in absurde Höhen getrieben, die von der wirklichen Raumfahrt nie erfüllt werden können."

Cameron arbeitet derzeit an einer fünfstündigen TV-Serie und einem Imax-3-D-Film, die beide vom ersten bemannten Flug zum Mars handeln und ihn so realistisch wie möglich zeigen sollen. Es werde keine intelligenten, menschenähnlichen Außerirdische geben, verspricht Cameron, auch keine Überreste vergangener Zivilisationen. Stattdessen will er den Zuschauern die Faszination nahe bringen, die kluge Menschen bei vollem Verstand dazu bringt, sich auf eine zweieinhalbjährige gefährliche Reise ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Rückkehr einzulassen. "Wir müssen das Publikum herunterholen von den letzten Jahrzehnten mit Klingonen und 'Star Wars'-Kreaturen und dann langsam die Spannung aufbauen - bis hin zu dem Höhepunkt, wenn eine einzelne Mikrobe die Leinwand füllt."

Beide Produktionen sollen im kommenden Frühjahr ihre Premiere erleben. Gut möglich, dass die Welle der Begeisterung, die bisher nur einige Wissenschaftler erfasst hat, dann auch auf eine breitere Öffentlichkeit überschwappt.