Prominente und Stars

Aufmerksamkeitskonglomerate und Werbeknotenpunkte

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Achtung Aufmerksamkeit! Die wissenschaftlichen Trendseismographen schlagen beim noch lange nicht geklärten Begriff der Aufmerksamkeit seit einiger Zeit heftig aus. Die Aufregung um die Aufmerksamkeit dreht sich meist um das oberflächliche Erregen von Aufmerksamkeiten für den eigenen Diskurs. Denn zum einen wird dieses uralte Thema in den einzelnen Disziplinen bereits seit Jahrzehnten (und länger) diskutiert, und zum anderen werden gleichzeitig vielversprechende Teilbereiche der Aufmerksamkeitsökonomie in dieser Diskussion immer wieder nur angerissen, statt sie einmal intensiver zu analysieren.

Dass und vor allem wie sich in den Massenmedien alles um individuelle Aufmerksamkeiten als Vorstufe der Kommunikation als auch kollektive Aufmerksamkeiten in Form von Öffentlichkeiten dreht bzw. bemüht, wird beispielsweise in der publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Nachrichtenforschung (Gatekeeper-Studien, News-Bias-Ansätze, Nachrichtenwert-Theorien etc.) seit spätestens Mitte des letzten Jahrhunderts professionell beobachtet.

Ein Faktor, der sich im Speziellen mit dem medialen Auffallen und der medialen Attraktion – also der kommunikatorgebundenen Bedingung für Aufmerksamkeit seitens der Rezipienten – beschäftigt, ist die Personalisierung als Andockmöglichkeit von Themen an Akteure. Dieser Aspekt und insbesondere seine mögliche Auswirkung auf die Akteure in Form von Zuschreibung von Prominenz und Star-Status erscheinen in der Aufmerksamkeitsdebatte leider immer lediglich peripher. Und das, obwohl die Chancen für den Einzelnen, in den Massenmedien wahrgenommen zu werden, seit Mediensystemausdifferenzierung und erst Recht seit diversen Alltagsbeobachtungs- und Exhibitionismus-Manien stark gestiegen sind. Ganze Gruppen von anprofessionalisierten Aufmerksamkeitsspezialisten wie Talk-Show-Gast-Touristen, Quiz-Show-Beantwortern und Container-Testern ziehen mittlerweile von Studio zu Studio und von Container zu Container; sicherlich auch immer in der Hoffnung, sowohl mediale als auch persönliche Aufmerksamkeiten zu erhaschen.

Manchmal, wie im Falle von Sybille Kleinschmitt bei Wer wird Millionär? oder vom Container-Arschloch Christian aus Big Brother, werden diese, trotz (oder wegen) ihrer offensichtlichen Aufmerksamkeitsabsicht dann über den sendungsspezifischen Horizont hinaus bekannt und sogar zu den neuen Wegwerf-Stars (E. Corinth) gezählt. Aber Wegwerf-Stars sind auch Stars. Was unterscheidet diese Einweg-Stars von den wirklich großen Namen? Warum widerstrebt es einem (noch), Shakespeare-Ignoranten wie den dümmlich-gewitzten Zlatko in einen Container mit so genannten Superstars wie Peter Ustinov oder Bruce Willis zu stecken?

Hinter den vermeintlich erleichterten Zugangsvoraussetzungen auf die massenmediale Agenda bleibt für die Akteure die schwierige Aufgabe, dort und beim Publikum (und dazu zählen zweifelsohne insbesondere die Aufmerksamkeitsprofis der Werbeindustrie) anzukommen und dort und beim Publikum auf Dauer anzukommen. Bei den Medien und beim Publikum, um nicht zum reinen Kritikerliebling – dies erhöht lediglich die Rezeptionswahrscheinlichkeit – zu werden. Auf Dauer, um eine möglichst lange Prominenten- oder Star-Karriere (und dies bedeutet heute nichts anderes als eine Aufmerksamkeits- bzw. Themen-Karriere in den Medien) einzuschlagen: das der Popmusikindustrie schon lange bekannte Problem, über das One-Hit-Wonder hinauszugelangen.

Die gegenwärtigen und zukünftigen Prominenten und Stars wollen Aufmerksamkeiten erregen und binden. Wobei beachtet werden sollte, dass Prominente die Vorstufe der Stars sind: wer ein Star ist, gilt auch als prominent. Wer hingegen prominent ist, hat noch längst keinen Star-Status inne. Die Protagonisten des White Trash – ob nun Prominente oder Stars – binden zumindest große Mengen von Publikum an sich, tun dies aber eher über Nacht und mit nicht besonders großer Haltbarkeit, weshalb sie auch in eher seltenen Fällen zu Stars werden.

Neben der Verweildauer in den Medien gibt es einen zweiten, qualitativen Unterschied zwischen Einweg- und Super-Stars: die Zlatkos und Christians binden andere Arten von Aufmerksamkeiten bei anderen Arten von Publika als zum Beispiel ein Literaturpapst wie Marcel Reich-Ranicki oder ein Schauspieler wie Bruno Ganz. Der White Trash ist die Prollkultur des Starkults: kurz, exzessiv und ohne stabilen Erinnerungswert. Die Art der Aufmerksamkeit hängt mit der Entstehungsgeschichte der einzelnen Prominenten und Stars zusammen. Diese können zunächst in gesellschaftlichen Teilsystemen entstehen: jedem System seine eigenen Stars. In diesen Fällen sind die Stars nicht zwingend auch in anderen Systemen prominent oder Stars.

Der frühe Boris Becker war sicherlich ein guter Tennisspieler, Einfluss auf das politische System hatte er deswegen noch nicht. Nun operieren die meisten Stars als System-Crossroads, die medial immer erfolgreicher und kommerziell nutzbarer werden, je mehr gesellschaftliche Systeme sie kreuzen. Die meisten Stars benötigen dafür nicht nur die oben erwähnte Dauer, sondern viele kleine Schritte, die letztlich zu einer Ausbreitung über gesellschaftliche Teilbereiche und damit verbundenen weiter gestreuten Aufmerksamkeiten seitens der Publika führen. Erst so konnte z. B. der Schauspieler Peter Ustinov über Jahrzehnte zum als Drehbuchautor, Filmregisseur, Schauspieler, Schriftsteller, Fernsehunterhalter und Goodwill-Botschafter bekannten Superstar werden. Peter Ustinov ist mittlerweile bekannt, weil er bekannt ist, denn Aufmerksamkeit und Beachtung generieren bekanntlich weitere Prominenz; sowohl innerhalb eines Bereichs als auch gesamtgesellschaftlich. Baumwuchsartig breitet sich der Star-Status langsam immer weiter aus.

Die Wurzel der einzelnen Star-Geschichte sitzt hier tief im Boden der Mediengeschichte, weshalb diese Stars auch nicht so schnell wieder von der Mattscheibe verschwinden. Diese Mechanismen hat sich beispielsweise der französische Schriftsteller Michel Houellebecq offensichtlich genauer angeschaut, da er in kürzester Zeit mit möglichst vielen Schritten (als Schriftsteller, Sänger, Künstler, Talkshow-Gast) versucht, sich eine haltbare Geschichte zu erstellen und so mit Fundament ein breites Publikum zu erreichen.

Die so genannten neuen Medienstars wie Zlatko erfreuen sich hingegen zumeist binnen kürzester Zeit einer breiten Aufmerksamkeitserregung und oft auch –bindung. Dabei muss allerdings noch einmal unterschieden werden zwischen genuinen Medienpersonen (wie z. B. Zlatko) und aus außermedialen Bereichen stammenden, zumeist anonymen Personen: ein Flugzeugentführer etwa ist, trotz breiter medialer Beachtung, in seiner Verwertbarkeit noch lange kein Medienprominenter oder –star, wobei auch diese moralische Grenze zunehmend überschritten wird: der Massenmörder eignet sich bestens als Quotenbringer, als Werbeträger noch nicht ganz.

Die den neuen Medienstars entgegengebrachten Aufmerksamkeiten und Beachtungen gründen sich auf einschrittigen, oft starbiograhielosen Entstehungen, reichen dafür aber tellerwurzelartig in die Breite und schnell über mehrere Systeme hinaus: breite statt tiefe Aufmerksamkeiten, und dies ist durchaus nicht kritisch gemeint. In ihrer Attraktion für das Mediensystem erscheint die breite Aufmerksamkeit zwar wesentlich lukrativer. Die durch sie konstituierten Stars haben aber um so weniger starbiographischen Halt und fallen im Kampf um die neue Aufmerksamkeit deswegen auch schneller als die saturierteren Superstars. Für den jeweiligen Moment (am Puls der Zeit) eignen sich aber die aufmerksamkeitsflächendeckenderen One-Hit-Wonder insbesondere als Werbeträger systemübergreifend und scheinen den spezialisierten Stars für den Zeitgeist-Zeitpunkt zumindest gleichwertig. Auf Dauer allerdings können sie mit den gewachsenen und später systemübergreifenden Stars nicht konkurrieren.

Generell bleibt festzustellen, dass es sowohl in der Star- als auch in der Aufmerksamkeitsforschung noch einige blinde Flecken zu beleuchten gilt. Wenn, wie S. J. Schmidt erläutert1, folgenreiche Aufmerksamkeit z. B. in der Werbung bei Personen in Zustimmungsbereitschaft, bei Botschaften in aktiver Unterstützung bzw. Entwicklung von Wertpräferenzen und bei Produkten in Kaufbereitschaft besteht, so können Stars – ob nun White Trash oder Old School – als diese drei Bereiche vereinende Aufmerksamkeitskonglomerate in Form von Werbeknotenpunkten bezeichnet werden. Deshalb wird in der Werbung die generelle Aufmerksamkeitswahrscheinlichkeit folglich erhöht, wenn Stars (als bereits beworbene Produkte) Produkte bewerben; auch hier wird Aufmerksamkeit durch Aufmerksamkeit generiert.

Prominente und Stars eignen sich besonders gut als konkreter Untersuchungsgegenstand für die Bereiche der Aufmerksamkeitsökonomie und Werbung und sollten zukünftig – nicht nur in diesem Zusammenhang – wesentlich intensiver analysiert werden. Damit Zlatko auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. Oder auch nicht.

Christoph Jacke arbeitet am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster