Bertelsmanns geheime Gnutella-Experimente

Die Gütersloher entwickeln einen eigenen Filesharing-Client

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bertelsmann hat neben Napster offenbar noch andere Kohlen im Filesharing-Feuer: Die Bertelsmann eCommerce Group entwickelt einen eigenen Filesharing-Client, mit dem sich auch das Gnutella-Tauschnetz benutzen läßt.

Der New-Economy-Zeitung Net Business war es am gestrigen Montag eine Titelseite wert: Bertelsmann entwickelt neben Napster still und heimlich noch ein weiteres Filesharing-Programm unter dem Namen Snoopstar. Die gleichnamige Firma mit Sitz in Hamburger Bertelsmann-Gebäuden führte Anfang Februar mit rund 1000 Usern einen ersten Beta-Test ihrer Filesharing-Software durch.

Geleitet wird die Firma von Matthias Runte, der für die Bertelsmann eCommerce-Group (BeCG) tätig ist. CEO soll laut Net Business Andreas Schmidt sein, der als BeCCG-Chef als eigentlicher Fädenzieher beim Napster-Deal gilt. Bertelsmann hält sich jedoch offiziell zu dem Projekt bedeckt. So nannte BeCG-Sprecher Adler Snoopstar "ein Testobjekt von vielen".

Hamburgs neuer Shawn Fanning?

Wo etwas wie Napster entwickelt wird, braucht es auch immer einen Shawn Fanning. In diesem Fall heißt er Mark Essien, studiert in Hamburg Informatik und ist wie Fanning zu Beginn seiner Karriere 19 Jahre alt. Essien entwickelte den Gnutella-Klon Gnumm, mit dem sich mehrere Filesharing-Netzwerke gleichzeitig nutzen ließen. Ins Gnutella-Netz einloggen, nebenbei ein bisschen Napstern und mal bei Scour vorbeischauen - Gnumm wollte dies alles unter einer Oberfläche vereinen.

Bis August veröffentlichte Essien regelmäßige Updates des Programms, dann wurde er offenbar samt seiner Software von Snoopstar aufgekauft. Seitdem sind die meisten Spuren von Gnumm aus dem Netz verschwunden. Auf der offiziellen Site gibt es nur noch zwei Screenshots (1, 2) und eine Liste mit Release-Notes. Nur wer lange sucht, findet im Netz noch vereinzelt veraltete Binaries des Programms. Essiens Site hält außerdem noch einen Text über Ansätze zur Verbesserung des Gnutella-Netzes) bereit. Darin beschreibt Essien, wie man Gnutella durch das Einführen Passwort-geschützter Subnetze effektiver machen könnte:

"Was wäre, wenn wir Gnutella in Napster verwandeln, aber Anonymität und dezentrale Arbeitsweise beibehalten könnten?"

Erste Spuren im Heise-Forum

Die Spuren der Firma Snoopstar lassen sich bis Juli letzten Jahres zurückverfolgen. Zu diesem Zeitpunkt meldet Matthias Runte die Domains Snoopstar.com und Snoopster.com an. Kurze Zeit später wird offenbar Essien engagiert, man arbeitet unbemerkt am Snoopstar-Client.

Am fünften Februar diesen Jahres meldet dann der Heise-Newsticker den Start des Snoopstar-Betatests. Dort wird die Software als "Power-Napster für Dauer-Sauger" bezeichnet. In der Betaversion erlaubt sie zwar den Zugriff auf zahlreiche Filesharing-Netze, die User können aber selbst keine Dateien zum Tausch anbieten. Schon am sechsten Februar ist das Programm nicht mehr verfügbar, der Betatest offenbar beendet. Noch bevor die Website ganz dicht gemacht wird, entdeckt ein aufmerksamer Leser im Job-Bereich der Site den Hinweis "Snoopstar is a Bertelsmann spin-off located in Hamburg (Germany) and soon New York (USA)."

Nachdem dies am 12.02. auch offiziell zur Meldung wird, macht man bei Snoopstar lieber die Schotten dicht. Offenbar ahnt man, dass ein unvorsichtiges Vorgehen solche Titelbilder wie das der gestrigen Net Business provozieren können. Offizielle Stellungnahmen sind nicht zu haben. Ganz vorsichtig Matthias Runte: Auf seiner Site verschwindet der Hinweis "Gesellschafter und Mitglied der Geschäftsleitung der Snoopstar.com GmbH, Hamburg" aus der Vita. Eine Änderung vom 06.02. verschweigt plötzlich den Firmennamen und macht daraus ein unverfängliches "New-Ecconomy-Unternehmen".

Bleibt nur noch die Frage: Warum?

Genützt hat dies alles nichts. Die Katze ist aus dem Sack, die Meldung mittlerweile auch schon bei CNet und dem Industry Standard angekommen. Gespannt darf man darauf sein, wie die anderen großen Labels auf die Neuigkeiten aus Hamburg reagieren werden. Bertelsmann versucht seit Monaten vergeblich, sie an Napster zu beteiligen. Der Snoopstar-Coup dürfte dies nicht gerade leichter machen.

Dementsprechend hat man sich bei den Güterslohern jetzt auf Dementis verlegt. Gegenüber CNet erklärte ein Bertelsmann-Sprecher, der Snoopstar-Betatest sei wegen der Zusammenarbeit mit Napster beendet worden, das Projekt praktisch abgeschrieben und sowieso nur ein Testlauf unter vielen. Doch auch solche Statements erklären nicht, warum Bertelsmann überhaupt mit freien, unkontrollierbaren Netzen wie Gnutella experimentiert hat.

Ein ganz gewagter Erklärungsversuch machte gestern bereits die Runde: Bertelsmann wollte mit Snoopstar die anderen Labels unter Druck setzen und sie so zu einer Kooperation mit Napster zwingen. Weitaus wahrscheinlicher ist allerdings, dass Bertelsmann sich einfach noch eine zweite Option sichern wollte. Als Snoopstar gestartet wurde, war der Napster-Deal zwar schon halbwegs eingefädelt, aber noch nicht völlig unter Dach und Fach. Und auch später machte Snoopstar als weitere Option Sinn. Was, wenn Napster vor Gericht plötzlich frei gesprochen worden wäre? In kürzester Zeit hätte sich die Filesharing-Börse mit etlichen offensiv auftretenden Konkurrenten herumschlagen müssen. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft, doch sicher ist sicher. Um so besser also, wenn man die Konkurrenz selbst gegründet hat.

Möglich auch, dass Bertelsmann sich mit Snoopstar auf eine User-Abwanderungswelle nach dem Einführen der Abogebühren für Napster einstellen wollte. Wenn diese sich scharenweise auf Gnutella, iMesh & Co. stürzen sollten, könnte Snoopstar sie abfangen und vielleicht sogar wieder zurück auf den Napster-Pfad bringen. Immer wenn die Snoopstar-Betasoftware etwas nicht fand, steuerte sie die Bestellseiten der Bertelsmann-Firmen BOL oder CDNow an. Solch ein Mechanismus würde sicher auch für exklusive Napster-Inhalte Sinn machen.

Agent Snoopstar ist verbrannt

Vielleicht ist das jetzige Schweigen Bertelsmanns aber auch nur Strategie. Möglich, dass man dadurch verdecken will, mit Snoopstar noch ganz andere Ziele zu haben. Die getestete Filesharing-Funktion könnte nur ein Teilaspekt des eigentlichen Ziels gewesen sein. Klickt man sich durch die Publikationen Michael Runtes, fällt auf, dass sich viele der Papiere mit gemeinschaftlichen Filtersystemen und intelligenten Agenten beschäftigen.

Coautor ist in den meisten Fällen Michael Clement, seit November 1999 Consultant der Bertelsmann Media Systems. Auch Clement ist bei Snoopstar mit von der Partie: Als er Ende 2000 einen Vortrag an der Uni Frankfurt (Main) hielt, zierte das Firmenlogo seine Powerpoint-Folien. Und siehe da, auch Mark Essien hat sich mit Software-Agenten beschäftigt. Als Teil des "Projekts Frankenstein" entwickelt er einen Client, der netterweise "Harry, das Internet-Monster" heißt. Das besondere daran: Monster Harry baut auf einer Peer-to-Peer-Struktur auf.

Möglich aber, dass wir es nach der Aufregung der letzten Tage nie so genau erfahren werden. Agent Snoopstar ist jetzt verbrannt, wie es in der Sprache der Geheimdienstfilme heißt. Der Name ist verbraucht, zu eindeutig in den Zusammenhang des unkontrollierten Filesharings gekommen. Da Bertelsmann endlich mit dem Napster-Deal weiterkommen will, wird man sich wohl vom Snoopstar-Logo trennen. Aber wir sollten uns nicht darüber wundern, wenn eines Tages doch ein Multimedia-Suchagent mit kollaborativen Filterfunktionen und Peer-to-Peer-Struktur von Bertelsmann auf den Markt kommt - entwickelt von Esser, vermarktet von Runte und Clement, finanziert von Bertelsmann.