5 Jahre Telepolis

5 Internetjahre zwischen Hype und Einbruch

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Als wir vor fünf Jahren mit Telepolis begonnen haben, stand das Web als kommerzielle Plattform gerade erst in den Anfängen. Dazwischen kam es zu dem damals in seinen Ausmaßen nicht recht vorhersehbaren Hype. Es war, als hätte man einen neuen Kontinent entdeckt, der schon aufgrund seiner Neuheit und seiner Globalität ein El Dorado zu werden versprach. Viel Geld wurde in Geschäftsideen gesteckt, die demnächst große Gewinne versprachen. Schnell musste man sein, um den Zug nicht zu verpassen.

Anfangs war der Aufbruch noch vielfach eine seltsame Mischung aus utopischen Hoffnungen und dem Versprechen auf Reichtum, dann aber wurde meist in der öffentlichen Meinung nur noch ein Wachstum ohne Ende und das gigantische Kaufhaus im Web gesehen, selbst wenn die Menschen sich weiterhin als E-Commerce- Kunden zurück halten und von den neuen, noch immer attraktiven Möglichkeiten der Kommunikation und des Informationsaustausches angezogen werden.

Auch die Politik wurde angesteckt und versuchte mit allen Mitteln, ihren jeweiligen Standort den Erfordernissen des virtuellen Kaufhauses anzupassen, dessen Einkaufszonen man ähnlich sichern und von störenden Elementen reinhalten wollte wie die Stadtzentren, während jeder Bürger möglichst schnell einen Internetzugang haben musste, um als Konsument auftreten zu können. Die Kämpfe um das geistige Eigentum begannen, wozu nicht nur der Schutz der Urheberrechte, sondern auch die Fragen der Überwachung und der Sammlung persönlicher Daten gehören, die Verrechtlichung des Cyberspace schritt voran, entdeckt wurde der virtuelle Raum auch als Schauplatz von Verbrechen, Terrorismus und Krieg.

Vieles hat sich verändert auf der einstigen Spielwiese, die einst weder die Wirtschaft noch die Politik richtig interessierte. Auch nach fünf Jahren des explosiven Wachstums ist das Internet keineswegs zu Ende, haben wir gerade erst damit angefangen, die durch die Netzwerke erschlossenen Aussichten zu realisieren. Gleichwohl scheint es erst einmal mit den hohen Gewinnerwartungen vorbei zu sein, schließlich hat man nicht mehr länger übersehen können, dass die Gewinne nur an der Börse, nicht auf dem Markt gemacht wurden. Wenn jetzt wieder eine gewisse Nüchternheit einzieht und die Goldgräber ihre schnell erbauten Orte verlassen, kann das eigentlich nicht schaden, um wieder stärker die wirklichen Vorteile des Mediums entdecken zu können und sie nicht vorschnell aus kurzsichtigen wirtschaftlichen und politischen Überlegungen heraus lahm zu legen. Zumindest haben wir in Telepolis immer versucht, einen nüchternen Blick auf die Aufgeregtheiten aller Art zu werfen, die mit den neuen Techniken und insbesondere dem Internet einher gehen.

Krise der Webzines?

Schlecht geht es freilich zumindest auch den amerikanischen Online- Medien, was natürlich auch uns zu denken gibt. Telepolis wurde schließlich ein Jahr nach dem Start von einigen amerikanischen "Webzines" gegründet, die wiederum dem Erfolg von Wired (1993) nachfolgen wollten. Feed, Slate, Inside, Word oder Salon entstanden alle 1995. Die Zukunft schien darauf ausgerichtet zu sein, dass die Webzines welcher Art auch immer die Leser und das Geld zu sich holen und allmählich die alten Printmedien austrocknen lassen würden. Mittlerweile haben freilich die Medien der alten Zeit sich dem Internetzeitalter geöffnet und auch das Web besetzt, was in Deutschland allerdings länger brauchte und oft immer noch bedeutet, dass letztlich die Inhalte der Printausgabe auch zentral für die Online-Ausgabe sind.

Doch zu Beginn dieses Jahres scheint auch der Saft aus den Online- Ausgaben heraus zu sein, deren Aktien, wenn sie an die Börse wie etwa Salon gegangen sind, freundlich ausgedrückt erheblich an Wert verloren haben. Schon zuvor ist der Versuch etwa der New York Times oder von Slate gescheitert, Leser ähnlich bezahlen zu lassen wie Abonennten von gedruckten Zeitungen. Weil aber alles kostenlos woanders zu holen war, ging der Kreis der Leser sprunghaft zurück und musste man die Pforten wieder für alle öffnen. Doch die Hoffnung auf die künftigen Einnahmen durch Online-Werbung haben sich zumindest bislang auch nicht eingelöst. Die oft in Erwartung künftiger Gewinne hoch aufgestockten Redaktionen mussten mit dem Niedergang der Dot.coms kräftig reduziert werden, wenn nicht schon zuvor das Aus kam. Die New York Times entließ 17 Prozent der Mitarbeiter, CNN strich 130 Stellen, TheStreet.com feuerte ebenso wie Salon oder NBC 20 Prozent der Online-Belegschaft, Murdochs News Corp strich 200 Stellen.

Die Online-Medien reduzieren nicht nur die Stellen, sie versuchen auch in der Printwelt Fuß zu fassen, gehen also wieder zurück in die "alte Welt", aus der sie eigentlich aufgebrochen sind. Nachdem beispielsweise Inside.com nicht die anvisierten 30000 zahlenden Internetabonnenten gewinnen konnte, hat man sich entschlossen, ein Printmedium zu starten. Ganz ähnlich versucht auch Slate Geld zu verdienen. Manche versuchen mit Radio- oder Fernsehprogrammen ein Standbein in der "alten Welt" zu finden. All das heißt nicht, dass Online-Medien keine Zukunft haben, das Erreichen der Zukunft dauert nur länger, was bedeutet, dass man einen längeren Atem haben muss - und dass Online-Ausgaben zunächst einmal, wenn sie im kommerziellen Bereich angesiedelt sind, Zusatzangebote darstellen.

Als Telepolis 1996 gegründet wurde, gingen weder wir noch der Verlag davon aus, damit schnell in eine Gewinnzone zu kommen. Das hat sich schlicht als realistisch erwiesen. Den Schwierigkeiten auf der finanziellen Ebene, die alle Online-Medien kennen, stehen auf der anderen Seite aber durchaus Erfolge entgegen, denn die Online-Angebote - natürlich auch Telepolis - werden zunehmend angenommen. Und nun ist die große Frage vielleicht auch, die nicht über eine unmittelbare Refinanzierung hinausgeht, ob nicht die Internetwelt insgesamt einer anderen Ökonomie folgt.

Kommunikation und Tauschen: eine neue Ökonomie?

Die Annahme, dass sich das Web vor allem als elektronische Plattform für Versandhandel eignet und dass sich die User begeistert auf welche Form von E-Business auch immer stürzen werden, war wohl mehr vom Wunsch nach schnell wachsenden E-Commerce-Imperien geprägt als von tatsächlichen Recherchen an der Basis.

Die Folgerung, die so mancher enttäuschte E-Commerce-Guru zieht, dass das "Web versagt hat" (Das Bandbreiten-Dilemma), ist ebenso falsch. Nicht das Web hat versagt, sondern die darauf gesetzten Erwartungen und die Art des Umgangs und der Nutzung. Dazu genügt es, einige einfache Relationen herzustellen, etwa z.B. zwischen der Zahl der Konferenzen und Publikationen zum Thema "Konvergenz", wobei es meist um die Verschmelzung von Telekommunikation und Fernsehen ging, und dem Umstand, dass die meisten User bei Umfragen als die ihnen wichtigste und meistgenutzte Internet-Anwendung beharrlich "Email" angeben. Mit Modem und 56k im Netz unterwegs, ist Email eindeutig die smartere Technologie im Vergleich zu bandbreitenverschlingenden, fernsehähnlichen Experimenten. Diese Art von Fehlkonzeptionen zieht sich quer durch die ganze Rezeptionsgeschichte des Internet. Allzuoft wurde übersehen, wie populär die Internetdienste sind, die es bereits vor dem WWW gab: Chat (IRC), Newsgroups und Mailinglists kosten praktisch nichts und erfreuen sich beständiger Beliebtheit.

Das Internet, oft als der größte Marktplatz der Geschichte gepriesen, hält dieses Versprechen möglicherweise ein, allerdings ohne Beteiligung der Marketingleute und ohne den Austausch von Geldbeträgen. Was man die "Geschenksökonomie" nennt, dürfte sich als einer der größten Erfolgsfaktoren für das Internet erwiesen haben, ist aber nur schwer in bare Münze umwandelbar. Viele Menschen lieben es scheinbar, ohne Bezahlung oder andere direkte Formen der Belohnung viel Zeit und Mühe in diverse Formen von Kommunikation und den Austausch von Ideen zu stecken. Ob es bei diesem Austausch nun um hochwissenschaftliche Themen oder höchst Triviales geht, das Internet ist tatsächlich eine Art Marktplatz, wo jedoch hauptsächlich bargeldlos Ideen gehandelt werden und eine Form von Rentabilität wenn überhaupt nur über Umwege auftritt.

Wenn nun versucht wird, aus dieser Begeisterung für Tratsch und Tausch Kapital zu schlagen, so sieht das meist so aus, als wolle man der freien Kommunikation Ketten anlegen und die User sind ebenso schnell weg wie sie gekommen sind. Beispiele dafür bieten etwa aktuell die Versuche an, aus Napster eine kostenpflichtige Tauschbörse zu machen, wodurch sich schon in dieser frühen Phase Abwanderungen zu anderen, ähnlichen Peer-to-Peer-Systemen abzeichnen und das Umsatzvolumen an getauschten Files bei Napster bereits um die Hälfte gesunken ist.

Da schließlich auch wir darauf angewiesen sind, mit unserer Tätigkeit Geld zu verdienen, ist über derartige Entwicklungen keine hämische Schadenfreude angebracht. Klar ist aber, dass der Stein der Weisen, wie mit der florierenden Geschenksökonomie Geld zu machen ist, noch nicht gefunden ist und wahrscheinlich nie als ein sogenanntes Business- Modell, das allen Aktivitäten übergestülpt werden kann, überhaupt zu finden sein wird. Und klar sollte auch langsam werden, dass es nicht mit der Brechstange geht, sondern, wenn überhaupt, dann nur im Fluss der Entwicklungen, die das Internet ermöglicht und begünstigt, also nicht gegen die Eigenschaften des Netzes denkend, sondern mit ihnen. Das ersetzt so manche Usability-Studie und Enttäuschung über geringe Zugriffszahlen oder Umsätze.

Damit verbunden ist eine weitere Misskonzeption, nämlich die immer wieder geäußerte, dass die Geschenkökonomie im Netz den Kreativen den Hahn abdrehen würde. Dieser Mythos wird vor allem von jenen fabriziert und genährt, die mit dem alten System am besten von der Kreativität anderer gelebt haben, nämlich die Musik- und Buchverleger und andere als Großkonzerne konsolidierte Rechteinhaber. Sie sehen sich bedroht, weil sie den Paradigmenwechsel noch nicht mitvollzogen haben - und solange das der Fall ist, sollen sie sich auch zurecht bedroht fühlen.

Dabei ist diese simple Polarität, dass also die Musik im Netz die Musikproduktion außerhalb des Netzes killen würde - oder dieselbe Idee bezogen auf Literatur oder andere Kulturformen - ein gedanklicher Kurzschluss. Wie in einem Artikel über den Philosophen Michel Serres vor kurzem zu lesen war (Der Pirat des Wissens ist ein guter Pirat), ist es wesentlich sinnvoller anzunehmen, dass das Schreiben im Netz den Buchdruck nicht einfach ersetzt, sondern der Schreibproduktion einfach eine weitere Dimension hinzufügt, die des elektronischen geschriebenen Wortes. Nicht etwa, dass das Buch nun darunter leiden würde, es könnte sogar sein, dass elektronischer Text das Buch langfristig rettet, eine These die Telepolis auch ganz praktisch unterstützt, indem wir seit einiger Zeit nun auch wieder Bücher herausgeben.

Statt eine Konvergenz der Medien entsteht Divergenz

Nicht die Konvergenz müsste man heute feiern, sondern eher die Divergenz, neue, oftmals überraschende Verbindungen zwischen Medien und dem Nutzen, der daraus gefunden wird, den Anwendungen, die tatsächlich von einem Publikum angenommen werden. Wer etwa hätte vor 5 Jahren prophezeit, dass es die Lieblingsbeschäftigung von Mobiltelefonnutzern sein würde, auf einer minimalen Tastatur, bei der jede Taste mit drei Buchstaben belegt ist, Stunden damit zu verbringen, Textmessages einzugeben und sich diese zuzusenden, oft mit erstaunlicher Kreativität bei der Nutzung von Abkürzungen und Satzzeichen als emotionalen Ausdrucksträgern, so dass eine neue Sprache unter den TEXTERN im Entstehen ist.

Worauf damit auch verwiesen werden soll, ist der Umstand, dass es mit dem Internet nicht so weitergehen wird, wie es in den letzten 5 Jahren war. Internetfunktionen werden in immer mehr Geräte Eingang finden. Manche beziehen ihr Netz vielleicht hauptsächlich über ihre Game- Konsolen, während anderen die Interaktionsmöglichkeiten einer Settop- Box genügen und andere wiederum bei der Wireless-Revolution voll dabei sind und Internet am liebsten mobil erleben. Möglicherweise wird es gar nicht all zu lange dauern, bis die grauen Bürokistencomputer mit ihren Desktop-Metaphern und Schreibmaschinentatstaturen und "Mäusen" wie die Dinosaurier aus dem letzten Jahrtausend aussehen.

Doch wollen wir nicht den Fehler machen, die komplette Ablösung einer Art von Nutzung durch die andere zu prophezeien. Viel wahrscheinlicher ist, dass, ganz im Sinne der Divergenz, all diese Nutzungen nebeneinander bestehen, ihre Fans und Gegner haben, aber auch ihre Probleme und Vorteile. Themen etwa, die uns seit Anbeginn beschäftigt haben, wie z.B. der Schutz der informationellen Privatsphäre, das Recht der anonymen Kommunikation, die Verpflichtung der Machthabenden, zu mehr Transparenz und Partizipation, werden damit ganz sicher nicht verschwinden, sondern in immer neuen Variationen auftauchen und neue Relevanz gewinnen.

Fast eine digitale Revolution

Wir haben schon am Beginn unser Augenmerk auf die Aufmerksamkeit geworfen und versucht, die Überlegungen zur Aufmerksamkeitsökonomie ebenso wie die zur Kultur des Schenkens einzubeziehen und vor allem den Themen des geistigen Eigentums große Aufmerksamkeit zu schenken. Gerade eben hat beispielsweise Jörg Albrecht einen Artikel in der Zeit geschrieben, dessen Titel sich anheischig macht, die gegenwärtige Misere zu erklären: "Wie der Geist zur Beute wird. Das Internet zerstört den Kulturmarkt. Es verschenkt, was andere erschaffen: Musik, Literatur, Wissen. Die Urheber zahlen für die große Freiheit."

Schuld wäre also, dass die Kultur, die irgendwie das Internet ausgemacht hat und in Form der Tauschbörsen, Newsgroups oder Chaträume noch immer gedeiht, nicht - ohne weiteres zumindest - mit dem gewohnten Geschäftsmodell vereinbar zu sein scheint. Überzeugende Lösungen, die nicht letztlich zum Aufsprengen des Internet führen, sind noch nicht gefunden worden. Das aber wird nicht bedeuten, dass nun das andere Extrem zu den Anfängen des Internet eintreten wird. Hatten damals manche der Internetpropheten gemeint, dass allein schon die technischen Möglichkeiten auch die Strukturen der realen Welt verändern werden, so scheint derzeit eher die Haltung zu gedeihen, dass es darauf ankommt, das Internet politisch, rechtlich, kulturell und wirtschaftlich den herkömmlichen Strukturen zu unterwerfen. Technologien haben die Geschichte der Menschheit immer (mit)geprägt, vermutlich aber kaum so, wie es die Menschen sich dachten oder sie dies wollten.

Konflikte wie die zwischen Sicherung des geistigen Eigentums und der freien Zirkulation der Informationen werden freilich in dem neuen Medium oft nur wieder neu und schärfer kenntlich, und sie werden uns noch eine ganze Weile begleiten. Sie könnten auch dazu führen, neue Modelle zu entwickeln, was immer auch mit der Zerstörung alter einher geht. Just das hat das Internet - lange Zeit als Grundlage der etwa von Wired beschworenen "digitalen Revolution" - auf allen Ebenen von der Politik bis zur privaten Kommunikation interessant gemacht. Schon allein aus diesem Grund ist es wunderbar, die Veränderungen, die das Internet bewirkt und ermöglicht, immerhin schon seit fünf Jahren in Form eines Webzines kritisch und neugierig verfolgt zu haben und dies auch weiterhin, ohne enge Scheuklappen anzulegen, tun zu dürfen. Wir haben dabei immer schon auch Bereiche einbezogen, die zwar nicht direkt zur Netzkultur gehören, aber diese beeinflussen. Schließlich ist in den fünf Jahren seit 1996 unübersehbar deutlich geworden, dass das Internet keine neue Wirklichkeit außerhalb der alten Wirklichkeit ist, sondern dass es in diese eindringt, sie umstülpt und sich zusammen mit der Vernetzung der Wirklichkeit auch selbst verändert.