"Kolumbien könnte zum neuen Vietnam werden"

Interview mit Oscargewinner Steven Soderbergh

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"Traffic" (Der Handel geht weiter) handelt von der Unmöglichkeit, den sogenannten "Krieg gegen die Drogen" gewinnen zu können. Das Leben aller vorkommenden Personen wird direkt oder indirekt von Drogen bestimmt. Was war Ihre Hauptintention?

Soderbergh: Ich wollte die Absurdität dieses Krieges darstellen, der in vielen Ländern mit sehr unterschiedlichem Erfolg gefochten wird. "Traffic" versucht, einen Eindruck von diesem Wahnsinn und dem damit verbundenen menschlichen Drama zu vermitteln. Millionen Amerikaner aller Schichten nehmen Drogen und bevor wir nicht damit anfangen, die psychologischen Hintergründe dieses Bedürfnisses zu erforschen, wird sich nichts an dieser Situation ändern. Die Idee war es, ein größeres Bild zu suggerieren, indem wir einen kleinen Aspekt dieses Bildes so detailliert wie möglich schildern. Ich hoffe, dass die polarisierten Parteien sauer sind. Die Dekriminalisierer, weil wir deren Punkt nicht klarmachen. Und die Gefängnisapostel, weil wir ihnen zu schlapp waren. Es wäre toll, wenn alle denken, wir hätten den Standpunkt der Gegenseite angenommen. Dabei zeigen wir nur einen Schnappschuss und sagen "Schaut her. Das hier passiert gerade".

Wie stehen Sie zur heutigen Drogendiskussion?

Soderbergh: Eines steht fest: Gras und Crack haben unterschiedliche Auswirkungen auf den Menschen. Ich denke, man darf diese Unterscheidungen treffen, obwohl ich nicht verstehe, warum Drogen ein moralisches Thema sind. Meiner Meinung nach trägt die Dämonisierung und Tabuisierung von Drogen zur größeren Attraktivität bei Jugendlichen bei. Tatsächlich sind sie aber nur eine von vielen möglichen Dingen im Leben, die einen von der rechten Bahn abkommen lassen. Die jährlichen Statistiken der Drogentoten rechtfertigen für mich nicht die enorme emotionale Resonanz der Bevölkerung und die Verdammung der "unvorstellbar bösen" Drogendealer und Drogenabhängigen. Jährlich sterben 90.000 Menschen im Krankenhaus an Fahrlässigkeit. 300.000 sterben an Zigarettenkonsum. 30 - 40.000 an Alkoholmissbrauch. Weniger als 8000 erleiden den Drogentod. Wenn man mitbekommt, wie die Leute in den USA über Drogen reden, könnte man annehmen, dass das ganze Land abhängig ist. Und wir sprechen nicht über die ganzen legitimen Drogen. Viagra bringt auf jeden Fall mehr Leute um als Marihuana.

Denken Sie, dass Präsident Bush den "Krieg gegen die Drogen" intensivieren wird?

Soderbergh: Kolumbien könnte für mich zum neuen Vietnam werden. Was die USA dort anstellen wollen ist schlichtweg erschreckend. Drei Milliarden Dollar sollen unter dem Vorsatz Drogenkrieg investiert werden. Das ist ein Rezept für ein Desaster.

Vielleicht denkt Amerika an einen Krieg.

Soderbergh: So dass man offiziell in den Krieg ziehen könnte. Mich würde nichts überraschen.

War es der Erfolg von "Erin Brokovitch", der Ihnen diesen Film ermöglichte?

Soderbergh: "Erin Brokovitch" half, trotzdem sah es in den Hauptphasen der Planung oft so aus, als wenn unser Projekt jeden zweiten Tag auseinanderfallen würde. Wir testeten den Film im November und da es in Hollywood keine Geheimnisse gibt, gratulierten all die Studios zu "Traffic", die das Drehbuch ein Jahr vorher geschlossen abgelehnt hatten. Alle wollten den Film sehen und niemand wollte dafür zahlen. Deswegen wurde es ein ziemlich teurer Independent Film.

Warum machten Sie die netten reichen weißen Jugendlichen zu Junkies? Der Krieg gegen die Drogen ist doch gegen die wirklich desperaten Abhängigen gerichtet, die andere Menschen wegen einem halbstündigen Trip umbringen.

Soderbergh: Das ist ja gerade der Punkt. Der gängige Junkie lebt nicht wie Caroline, die Tochter des reichen Drogenzaren. ich wollte jemanden zeigen, der weiß, intelligent und wohlhabend ist. Caroline stehen alle Türen offen und trotzdem ist sie ein Crackhead.

Das Robert Downey Jr. Syndrom.

Soderbergh: Richtig.

Glauben Sie, dass die in Kalifornien kürzlich gesetzlich beschlossene Therapie für Drogenabhängige helfen wird?

Soderbergh: Das ist zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung. Als nächstes sollten spezielle Drogengerichte etabliert werden, die gewaltlose Abhängige aus der Kriminalität herausholen und in den Krankenpflegebereich integrieren.

Der Film hat in den USA über 100 Millionen Dollar eingespielt. Hatten Sie damit gerechnet?

Soderbergh: Ich denke nie in den Rastern der Profitabilität. Ich wusste aber, dass der Film so authentisch wie möglich sein musste, um kommerziellen Erfolg zu haben. Jeglicher Hauch von Hollywood hätte sich auf unsere Geschichte kontraproduktiv ausgewirkt. Deswegen erfand ich eine frische filmische Ästhetik, die bewusst den Eindruck vermittelt, dass wir einfach aufgetaucht sind und gefilmt haben, was uns vor die Linse kam. Wir verfolgten quasi die Geschichte, wie sie sich vor uns abspielte.

Sie schneiden teilweise sehr schnell zwischen drei verschiedenen Handlungsstrengen und Drehorten hin und her. Wie fanden sie heraus, ob diese Schnitttechnik funktioniert?

Soderbergh: Vieles davon stand bereits im Drehbuch von Stephen Gaghan. Ich verließ mich auf meinen Instinkt und fand heraus, dass man kurz nach dem Anfang einer Szene eine parallele Handlung integrieren, und auf ihrem dramatischen Höhepunkt wieder rausgehen konnte, so dass ihr "Echo" noch in der nächsten Szene spürbar war. Es dauerte eine Weile, bis ich diese Ein-und Austiegspunkte fand. Die drei Handlungsstrenge haben aber auch den positiven Effekt, daß die Geschichte an Momentum gewinnt und sich schneller anfühlt, weil man vorwärts und rückwärts schneidet.

Stimmt es, dass Harrison Ford für die Rolle des von Michael Douglas verkörperten Drogenzaren vorgesehen war?

Soderbergh: Wir hatten einige gute Gespräche und er entschied sich gegen die Rolle. Ich mag Ford sehr als Schauspieler, doch der fertige Film zeigte mir klar, dass Michael Douglas die bestmögliche Besetzung war. Ich stimme da dem Autoren William Goldman bei, der einmal schrieb, dass niemand den kontemporären, mit Fehlern belasteten Mann so gut darstellen kann wie Douglas.

: Worum geht es in Ihrem nächsten Film"Ocean 11"?

Soderbergh: "Ocean 11" ist die Adaption eines Ratpack-Films mit Frank Sinatra. George Clooney, Brad Pitt und Julia Roberts sind mit von der Partie. Es geht um einen Überfall auf ein Casino in Las Vegas. Wir haben alles so vorausgeplant, daß der Film vor dem möglichen Streik der Schauspielergewerkschaft (SAG) fertiggedreht ist.

Nach Ihrem Oscar für "Traffic" gelten Sie als bester Regisseur Hollywoods. Was muss ein guter Film für Sie haben?

Soderbergh: Eine ästhetische Vision, Konsistenz und viel Leidenschaft. Ich muss das Gefühl haben, dass die Leute wirklich hinter etwas standen, als sie den Film drehten. Es gibt Filmemacher, zu denen ich ein heiß-kaltes Verhältnis habe, die ich aber wegen ihrer kontinuierlichen Leidenschaft schätze.

Der Handel geht weiter