Das globale Abhör-Puzzle

Gerhard Schmid über Arbeitsweise und Erkenntnisse des Echelon-Ausschusses des Europaparlaments

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im Mai will Gerhard Schmid, Berichterstatter des nichtständigen Echelon-Untersuchungsausschusses des Europaparlaments, den abschließenden Bericht vorstellen. Im Telepolis-Interview berichtet er Christiane Schulzki-Haddouti vom Stand der Erkenntnisse.

Abhörstation Menwith Hill in England. Foto: Duncan Campbell

Hat der Ausschuss wirklich neue Erkenntnisse gebracht?

Gerhard Schmid: Wenig, was sich nicht bei gezielter und methodischer Suche auch so finden lässt. Ich habe aber nie die Erwartung gehegt, dass die Dienste von sich aus freiwillig Details erzählen. So berichtete Ernst Uhrlau im Ausschuss auch nur in dem Umfang über die Tätigkeiten der Abteilung 2 des Bundesnachrichtendienstes (BND), wie es der BND bereits vor dem Bundesverfassungsgericht getan hat. Wir könnten auch mit einem Untersuchungsausschuss die Nachrichtendienste nicht zwingen, ihre Geheimnisse preiszugeben, und die amerikanischen Dienste schon gar nicht.

Also war der Ausschuss bislang eher eine Alibiveranstaltung?

Gerhard Schmid: Nein. Das systematische Sammeln, Auswerten und Bewerten von öffentlich zugänglichen Informationen bringt schon was. Der Vorteil eines Ausschusses ist auch, dass die Abgeordneten nachfragen können und dass simultane Verdolmetschung in alle elf in der EU verwendeten Sprachen stattfindet.. Was die technischen Möglichkeiten der Dienste anbelangt, haben wir darüber keine detaillierten Aussagen erhalten. Aber man muss es nicht von den Diensten wissen. Einige Kenntnisse der Nachrichten- und Kommunikationstechniken, abgefragt bei Experten, genügen, um Schlussfolgerungen ziehen zu können

Was haben Sie über die Möglichkeiten des Abhörens per Satellit erfahren?

Gerhard Schmid: Das Abhören von Satellitenkommunikation ist nur in einem bestimmten Ausleuchtradius möglich. Man kann sich also nicht an eine x-beliebige Stelle auf der Erde stellen, um die Satelliten abzuhören, sondern man muss sich im Bereich der so genannten footprints, also der Ausleuchtungen, bewegen. Wenn man sich dort aber mit einer Schüssel von entsprechender Größe hinstellt, kann man alles mitbekommen, was über Intelsat abläuft. Intelsat sind aber nicht die einzigen für die Nachrichtendienste interessanten Satelliten, sondern es gibt auch einige regionale wie zum Beispiel Arabsat.

Interessant ist hier, dass ein Teil der Wirtschaftskommunikation nicht über das offizielle Postnetz läuft, sondern über direkt geschaltete Satellitenverbindungen. Dies findet beispielsweise bei Videokonferenzen großer multinationaler Unternehmen statt. Wenn sie bei diesen V-Sat-Verbindungen nicht vorher selbst verschlüsseln und später wieder entschlüsseln, haben die Dienste voll die Möglichkeit mitzuhören. Das ist technisch mit Schüsseln von einem Durchmesser von weniger als zwei Metern zu bewerkstelligen. Diejenigen, die solche Satellitenverbindungen anbieten, verschlüsseln in der Regel nicht. Das muss man selbst machen. Alles was über Satellit geht, ist so offen wie eine Postkarte.

Wie sieht es mit der leitungsgebundenen Kommunikation aus?

Gerhard Schmid: Kabelgebundene Kommunikation lässt sich nur dann abhören, wenn man physischen Zugang zum Kabel hat. Beim Echelon-Staat USA reduziert sich dies auf die Verbindungen, die in die USA hinein- und wieder herauskommen, da hier die NSA ran darf. Es reduziert sich auf das, was bei Großbritannien rein- und rausgeht, weil das General Communications Headquarter an diese Leitungen ran darf.

Und es reduziert sich auf das, was alles in Neuseeland und Australien ankommt. Früher war dies bei den Telegraphenleitungen wichtig, weil man sofort wegen der Zwischenverstärker aus dem Wasser gegangen ist, sobald man die Möglichkeit dazu hatte. Deshalb hat man im pazifisch-asiatischen Raum alle Kabel über Neuseeland und Australien gelegt.

Da man zur Zeit der Kupferaxialkabel möglichst kurze Kabelverbindungen wollte, gingen diese Telefonkabel von Europa nach Amerika über Neufundland, das ist kanadisches Territorium. Heute kann man die optischen Glasfaserkabel so legen wie man will, und das tut man auch. Hier muss man nicht mehr bei irgendwelchen Zwischenstationen aus dem Wasser gehen. Damit reduziert sich das Auflanden auf die Endpunkte mit der Kommunikation. Ein abhörwilliger Staat kann also örtlich nur dort zugreifen und er braucht die gesetzliche Möglichkeit, den heute meist privaten Besitzer der Kabel zur Duldung des Abhörens zu zwingen. Denn die Zeiten, als die Post noch dem Staat gehört hat, sind vorbei.

Bei Telefon und Fax gab es bis vor kurzem eine Hierarchisierung der Kommunikationsvermittlung: Das Ortsgespräch blieb in der Ortsvermittlungsstelle, das Regionalgespräch in der Regionalvermittlungsstelle und zwischen den großen Städten gab es Direktverbindungen. Die Kommunikationsverbindung spielte sich also im näheren Umfeld ab und war nur für das Abhören durch den eigenen Staat zugänglich. Seit der Privatisierung der Kommunikationsnetze hat sich das etwas geändert. Bei den Privaten geht ein Teil je nach Netzverfügbarkeit über das Ausland, aber nicht unbedingt über England oder Amerika. Es kann schon mal passieren, dass ein deutsches Inlandsgespräch über Italien läuft.

Beim Internet ging fast jede Kommunikation von einem Provider in Deutschland zu einem anderen Provider in Deutschland über Switches, die in Amerika saßen. Das war vor fünf bis sechs Jahren noch so. Der Austausch von einem Netz in ein anderes Netz wurde über Amerika organisiert. Das Ganze lief über die beiden großen Leitungen des Wissenschaftsnetzes. Wenn man sich dort an die zwei Switches gesetzt hat, hatte man einen Großteil der europäischen beziehungsweise deutschen Internetkommunikation soweit sie zwischen zwei unterschiedlichen Providern stattfand.

Inzwischen hat sich jedoch beim Internet-Routing vieles geändert.

Gerhard Schmid: Mit der Kommerzialisierung des Netzes versuchten die Provider alles in ihrem eigenen Netz zu halten. Wenn Sie aber als Kunde von T-Online einem anderen Kunden von AOL gemailt haben, waren die Übergabepunkte vor fünf bis sechs Jahren noch überwiegend in Amerika oder beim zweiten großen Switch in London. Damals konnten ECHELON-Staaten auf erhebliche Teile des E-Mail-Verkehrs zugreifen. Heute regionalisiert sich auch das. Der Switch für die deutsche Kommunikation sitzt in Frankfurt, das ist der De-CIX, über den mehr als 95 Prozent der E-Mails laufen.

Wir haben aus verschiedenen Mitgliedstaaten mit Traceroute Versuche gemacht, um die Wege der Internetkommunikation herauszufinden. Es zeichnete sich dabei eines ab. Überall dort, wo sie nicht in kleinen Ländern wie Griechenland oder Luxemburg stattfand, wo noch viel über das Wissenschaftsbackbone und damit über Amerika geht, dort also, wo es schon stärker ausgebaute Netze gibt wie in Frankreich, Deutschland oder Italien, geht fast nichts mehr über den Atlantik. Das ist eins von den Beispielen, wie Sie herausfinden können, was die Dienste bekommen können, auch wenn sie einem nichts direkt sagen. Von außen läßt sich deduktiv schon einiges erschließen. Das gilt auch für die Abhörbarkeit von Handys.

Lassen sich Handys per Satellit abhören?

Gerhard Schmid: Das geht technisch nicht. Satelliten im Weltraum versuchen ja über ein möglichst großes Gebiet Funksignale einzusammeln. In Europa ist der Mobilfunk über Funkzellen, die jeweils 30 Kilometer weit reichen, organisiert. Das Ganze ist ungefähr in Gitternetze aufgeteilt. Die verschiedenen Gesprächskanäle werden über verschiedene Frequenzen abgewickelt.

Wenn Sie sich an einem Ort einwählen, benutzt die Funkzelle eine bestimmte Frequenz. Die benachbarten Funkzellen benutzen jedoch andere Frequenzen. Nach einer gewissen Entfernung wiederholen sich jedoch wieder die benutzten Frequenzen. Bei einer Abstrahlung in den Weltraum mischen sich diese Frequenzen und Sie können sie nicht mehr einzeln auseinander halten.

Die Sendestärken sind ein zweites Argument dagegen, dass man Handy-Kommunikation aus dem Weltraum abhören kann. Aus der Nähe können Sie natürlich ein Handy abhören, aber wir reden ja über die Möglichkeiten eines global organisierten Systems. Wenn ich in der Nähe eines Gebäudes bin und zum Rechtsbruch entschlossen bin, kann ich alles. Davon reden wir aber nicht, da dies Präsenz vor Ort voraussetzt. Global arbeiten heißt jedoch exterritorial arbeiten. Das geht aber mit Handys nicht. Anders ist dies natürlich bei den Koffersatellitentelefonen, die über Inmarsat laufen. Das sind die Satelliten, über die auch der gesamte Schiffsverkehr abgewickelt wird. Davon werden drei Zonen der Erde abgedeckt. Alles was Inmarsat ist, kann man natürlich abhören. Technisch ist dies sogar mit am einfachsten.

Wie steht es mit der Abhörbarkeit einer Richtfunkstrecke?

Gerhard Schmid: Seit der Entwicklung der Glasfasertechnik nimmt die Bedeutung der Richtfunkstrecken dramatisch ab. Sie erlaubten ohne größeren Aufwand größere Entfernungen zu überbrücken. Eine zeitlang waren die Richtfunkstrecken eine Backup-Struktur für das Kabel. Aber mit den Glasfaserkabeln ist die Bedeutung der Richtfunkstrecken dramatisch zurückgegangen. Abhören lassen sich die Richtfunkstrecken dann, wenn man sich direkt in die Achse der Strecke zwischen oder hinter der Empfangsantenne hineinstellt, denn der Funk wird gebündelt. Wenn man sich aber parallel zur Achse der Strecke stellt, muss man schon sehr nah daran sein, um abhören zu können. Da die Stasi dies eine zeitlang gemacht hat, konnte ich diese Aussage der Techniker auch gegenprüfen lassen.

Demnach könnte man mit Hilfe eines geostationären Satelliten im Weltraum nur dann eine Richtfunkstrecke abhören, wenn er auf der Verlängerung der Strecke ins All sitzt. So ein Aufwand ist jedoch nur für militärische Richtfunkstrecken denkbar, über die zum Beispiel wesentliche Befehle für U-Boote oder Raketen übermittelt werden. Angeblich wurde dies aus diesen Gründen einmal mit einer Richtfunkstrecke in Sibirien gemacht, aber dies ist nicht sauber belegt. Für ein systematisches Abgreifen der normalen Kommunikation ist dies jedoch im Moment jenseits der technischen und finanziellen Möglichkeiten.

In den Hauptstädten ist diese Technik jedoch immer noch sehr interessant?

Gerhard Schmid: In den Hauptstädten habe ich Nahverkehr. Natürlich muss ich davon ausgehen, dass in den Konsulaten und Botschaften Abhöreinrichtungen für den lokalen Nahverkehr vorhanden sind. Für das Abhören von Richtfunk genügen hier normale Stabantennen. Richtfunkstrecken werden in Städten aber normalerweise nicht verwendet, höchstens in Städten, die in einem Tal liegen, wo sie auf beiden Talseiten Gebäude haben, um den Kessel zu überbrücken.

Das war in Bonn ja der Fall, das dürfte in Berlin jetzt etwas schwerer sein.

Wie sieht das mit den Unterwasserkabeln aus?

Gerhard Schmid: Das Anzapfen von Unterwasserkabeln spielt kaum eine Rolle. Es wurde von den USA mit Kupferkoaxialkabeln gemacht, über die unverschlüsselte Kommunikation zu den U-Boothäfen im russischen Eismeer gelaufen ist. Mit Hilfe einer Spule, die man mit einem U-Boot neben das Kabel legt, kann man bei der Kupferaxialtechnik auf elektromagnetischem Wege das Kabel nach dem Transformatorprinzip anzapfen.

Und mit neuer Glasfaser-Technik?

Gerhard Schmid: Bei Glasfasern funktioniert das nicht. Bei den alten Glasfaserkabeln musste in bestimmten Abständen in das Kabel ein Verstärker eingebaut werden, der die Lichtwellen in Strom und dann wieder in Lichtwellen umwandelte. Das kann man theoretisch induktiv anzapfen. Das Problem ist dann aber folgendes. Die riesige angezapfte Informationsmenge können Sie auch nur wieder über ein Glasfaserkabel weiterleiten. Das können sie nicht auf ein anderes Medium umsetzen. Sie müssten deshalb von der Anzapfstelle direkt ein Kabel weiterziehen. Das macht nur Sinn, wenn Sie sich direkt mit einem U-Boot daneben setzen und dort auch auswerten. Das ist ein Riesenaufwand.

Es gibt das Gerücht, dass es für solche Zwecke ein Abhör-U-Boot gebaut wird. Aber auch das würde nur für militärische Zwecke genutzt werden, aber nicht für einen Einsatz im globalen Überwachungssystem. Bei den modernen Glasfaserkabeln funktioniert auch das nicht, weil die Verstärker mit Erbiumlasertechnik funktionieren.

In manchen Gebieten hat ja der Satellit angeblich nur noch einen Anteil von 10 Prozent.

Gerhard Schmid: Wenn Sie der Ökonomie der Telekommunikation folgen, ist der Satellit dort das Mittel der Wahl, wo sie ein Gebiet mit wenigen Anschlüssen versorgen müssen. Das ist in Afrika oder in Teilen von Lateinamerika der Fall. Wenn Sie eine Weltkarte mit Seekabeln betrachten, werden Satelliten in der Regel dort eingesetzt, wo wenig Seekabel anlanden. Es hat für mich einen tieferen Sinn, wenn der Bundesnachrichtendienst jetzt an die Leitungen will, weil die mengenmäßige Bedeutung der satellitengestützten Kommunikation, die nach Deutschland aus dem Ausland kommt, dramatisch abnimmt.

Wenn ich die ganzen Erkenntnisse zusammenfasse, komme ich zu dem Schluss, dass die im ersten STOA-Bericht von Steve Wright aufgestellte Behauptung, dass mit einem globalen Abhörsystem jegliche Kommunikation abgehört werden kann, Unfug ist. Dieses Szenario war paranoid. Das übersteigt die technischen Möglichkeiten. Aber es bleibt noch genügend übrig. Zu sagen, es würde nicht gemacht, stimmt natürlich auch nicht.

Was halten Sie von dem Bericht von Duncan Campbell?

Gerhard Schmid: Ich werde mir ein Endurteil bilden, wenn wir mit den Ermittlungen fertig sind. Dass es ein global arbeitendes Abhörsystem gibt, steht für mich inzwischen außer Zweifel. Ob es nun gerade den Codenamen ECHELON trägt oder anders heißt, ist für seine Existenz und seine Auswirkungen unerheblich. Wir sind dabei, Details zu überprüfen, zum Beispiel was die Lage der Abhörstationen betrifft.

Wie werden Sie das überprüfen? Werden Sie hinfahren?

Gerhard Schmid: Wenn ich Zeit hätte, würde ich das gerne tun, ja. Aber es gibt glücklicherweise für viele davon veröffentlichte Bilder Es müssen einige Voraussetzungen gegeben sein, um festzustellen, ob es sich um eine Abhörstation für internationale Kommunikation handelt. Die Station muss innerhalb des Ausleuchtgebietes liegen. Die Satelliten haben alle eine Antenne mit einem sehr großen Ausleuchtbereich, daneben aber sogenannte hemibeams, zone beams oder auch zwei oder drei so genannte Spots. Wenn ich alles mitkriegen will, muss ich mich in den Spot hineinbegeben. Wir analysieren das gerade.

Sie haben die Karten mit den Ausleuchtzonen?

Gerhard Schmid: Wir haben sie alle und legen sie im Moment übereinander. Dies ist das erste Kriterium.

Das zweite Kriterium ist folgendes. Wenn man die niedrigen Frequenzen im C-Band abhören will, - das ist der Bereich, mit dem man große Räume ausleuchten kann -, braucht man für ein vernünftiges Signal-Rauschverhältnis eine entsprechend große Emfangsantenne. Für diesen bestimmten Teil der Satelliten-Kommunikation braucht man Schüsseln mit einem Umfang von 20 bis 30 Metern. Wenn Sie nur über eine kleinere Schüssel verfügen, bekommen Sie einen Teil der Kommunikation nicht mit.

Wenn Sie zum Beispiel nach Bad Aibling gehen, werden Sie feststellen, dass dort keine 30 Meter große Empfangsschüssel steht. Ich weiß noch nicht genau, was die dort machen, aber das C-Band von Intelsat hören sie dort nicht ab. Für die Satellitensteuerung oder für militärische Anwendungen genügen dagegen kleinere Schüsseln. Wenn Sie einen Sigint-Satelliten betreiben, der beispielsweise Signale von einem Jeep irgendwo im Irak aufgreift, brauchen Sie am Satelliten einen sehr großen Empfangsschirm, um das schwache Signal vernünftig empfangen zu können. Wenn Sie das Signal dann an die Bodenstelle weiterleiten, tun Sie das aber sehr gebündelt, da Sie ja nicht wollen, dass alle anderen dies mitbekommen. Also reicht eine kleine Empfangsantenne.

Das dritte Kriterium ist, es darf sich nicht um Post-Schüsseln handeln, sondern die Schüssel muss vom Militär oder vom Geheimdienst betrieben werden. Das ist zum Beispiel in Cornwall der Fall. Nach dieser Logik kann man also ermitteln, wo die Stationen stehen müssen.

Wir können also nur mit der Methode des Indizienbeweises arbeiten, denn kein Geheimdienst wird von sich aus erzählen, was tatsächlich abläuft. Auch vor keinem Untersuchungsausschuss. Außer Sie hätten natürlich einen Überläufer.

Wie haben sich Frankreich und Großbritannien gegenüber dem Ausschuss verhalten?

Gerhard Schmid: Wir sind selbst nach Paris und London gegangen, mit gutem Grund. Der Berichterstatter des Echelon-Ausschusses im Französischen Parlament, Herr Paecht, war bei uns und hat erzählt was in seinem Bericht steht. Wir waren dann in Paris bei Herrn Malet, dem Directeur General pour la Securité. Er ist zuständig für die Geheimdienste, aber auch generell für die Sicherheit.. Wir haben zwei Stunden mit ihm geredet, aber er hat uns natürlich nicht erzählt, was die französischen Dienste im Detail tun. Aber er war nicht unkooperativ. Mit einem Kontrollausschuss für Geheimdienste konnten wir nicht reden, weil es in Frankreich nämlich kein parlamentarisches Kontrollgremium für die Geheimdienste gibt, was Herr Paecht in seinem Bericht auch beklagt. Das Interessante beim Gespräch mit Herrn Malet war, dass er sich gar nicht so darüber beschwert hat, was die Amerikaner machen.

Das bedeutet für Sie was?

Gerhard Schmid: Es gibt Gerüchte, dass die Amerikaner den Franzosen beim Aufbau des eigenen Abhörsystems technisch geholfen haben. Es ist trotz des politischen Theaterdonners nicht so, dass auf der Ebene der Nachrichtendienste nicht etwas entspannter zusammen gearbeitet werden würde. Die Hilfe wird wohl im Bereich der Computer, der keywords gewesen sein. Dazu hat er sich aber nicht geäußert. Aber das dürfte einfach nachzurecherchieren sein, wenn man sieht, welche Schüsseln die Franzosen aufgestellt haben. Aber für mich ist das eine Nebenbaustelle. Was bringt uns das für unsere Zielsetzung? Die Kernfrage ist: Was kann ein solches System? Wie bedrohlich ist es?

Gab es eine offizielle Bestätigung für Echelon?

Gerhard Schmid: Er hat zumindest indirekt bestätigt, dass es so etwas wie Echelon gibt. Das sagt auch Herr Paecht, das sagt auch die niederländische Regierung.

Was konnten Sie in Großbritannien herausfinden?

Gerhard Schmid: Wir haben dort mit Tom King geredet, dem Vorsitzenden des Parlamentarischen Kontrollausschusses. Von ihm wissen ebenfalls indirekt, dass es das UKUSA-Agreement gibt. In London haben wir durch die Art der Antworten eine Menge Dinge bestätigt bekommen, die wir schon zu wissen geglaubt haben. Das gilt auch für das Gespräch mit dem britischen Innenminister Jack Straw, der in diesem Fall die gesamte Regierung vertreten hat. Um ein Bespiel zu geben, die Dichte der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zwischen den USA und England ist offenbar schon sehr hoch.

Einen Termin mit Außenminister Robin Cook haben wir nicht bekommen, obwohl er eigentlich für das General Communications Headquarter (GCHQ) zuständig ist. Für die Briten ist das nämlich eine sehr heikle, hochideologische Angelegenheit, wenn ein europäischer Parlamentsausschuss sich mit ihren inneren Angelegenheiten befasst - und so haben sie das Problem etwas umschifft.

Aber auch hier kann ich nicht sagen, sie seien unkooperativ gewesen. Wir haben viel erfahren, auch eine Menge über die britische Rechtslage. Mich hat interessiert, ob es dort eine entsprechende Regelung wie in Deutschland gibt, die das Abhören durch den Bundesnachrichtendienst technisch auf die hereinkommende Kommunikation begrenzt. Diese Frage spielt eine wichtige Rolle, da in London ein großer Switch sitzt und die meisten Seekabel in Großbritannien anlanden.

Was darf der britische Geheimdienst?

Gerhard Schmid: Der britische Geheimdienst darf technisch an alles, was rein und raus kommt. Rechtlich darf der Dienst aber nur im Rahmen der politischen Weisungen handeln. Bei Hinweisen, dass Teile einer Giftgasfabrik ausgeliefert werden sollen, entscheidet der Außenminister, dass damit in Verbindung stehende Kommunikation ausgewertet werden darf. Er entscheidet über die Einstellung des Filters. Der Dienst darf also nicht von sich aus tun, was er will. Es geht immer auf politische Weisungen zurück. Darüberhinaus gibt es ein Oversight Committee, wobei die Prüfung im Detail durch Stichprobenprüfungen durch einen hohen Richter vorgenommen wird. Er publiziert dann im nachhinein einen Bericht darüber, ob die Sachen verhältnismäßig gehandhabt werden. Bei uns muß hingegen der G-10-Ausschuss vor einer Abhöroperation die Genehmigung erteilen. In Großbritannien entscheiden je nach Lage der Innenminister oder der Außenminister, wobei sie sich auch gegenseitig vertreten können.

Wie sieht das mit der Wirtschaftsspionage aus? Sind die Dienste dazu befugt?

Gerhard Schmid: Meine Antwort ist "Ja" und "Nein". Beginnen wir mit dem "Ja". Alle Nachrichtendienste interessieren sich für wirtschaftliche Tatbestände. Die Frage, um die es geht, ist, "sind es Tatbestände allgemeiner Art?" Also Branchenentwicklungen, Entwicklung der Situation auf Rohstoffmärkten, Einhaltung von Wirtschaftsembargos, Einhaltung der Lieferregeln für Dual-use-Güter. Im Fall von Wirtschaftsembargos werden Firmen dann überwacht, wenn es einen Anfangsverdacht gibt, dass sie sich nicht an das Embargo halten. Da Spionage für mich das Stehlen von Informationen gegen den Willen desjenigen ist, der die Informationen hat, nenne ich das Wirtschaftsspionage, selbst wenn es in einem solchen Falle sinnvoll sein kann, abzuhören.

Kommen wir zum "Nein". Wenn gezielt Informationen beschafft und eigenen Unternehmen zuspielt werden, damit sie einen Wettbewerbsvorteil haben, dann wird die Geschichte empfindlich. Wenn ein Unternehmen das gegen ein anderes Unternehmen macht, nennt man das Konkurrenzspionage. Wenn der Staat sich für Konkurrenzspionage instrumentalisieren lässt, ist die Grenze erreicht. Hier sagen die Briten, dass sie dies nicht tun und dass dies nicht unter die Definition des "Economic Well-being" fällt.

Dieselbe Formulierung mit dem "Economic Well-being" finden Sie in der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Es untersuchte die Vereinbarkeit des Abhörens mit den Menschenrechten in etlichen Prozessen. Eine der Voraussetzungen für legales Abhören ist, dass es einem bestimmten legalen Zweck dienen muss. Darunter zählen die Innere Sicherheit, die Militärische Sicherheit, aber auch das wirtschaftliche Wohl eines Landes - nicht jedoch das wirtschaftliche Wohl eines Unternehmens.

Herr Schmid, vielen Dank für das Gespräch.