Journalistischer Filmriss

Der baskische Konflikt droht im politischen Geplänkel deutscher Tageszeitungen instrumentalisiert zu werden

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Wenige Wochen vor den Regionalwahlen im nordspanischen Baskenland am 13. Mai nehmen die Angriffe der Zentralregierung gegen oppositionelle Medien in der Region zu. Im Zentrum der Ermittlungen der Madrider Staatsanwaltschaft steht die baskische Zeitschrift Ardi Beltza, das "Schwarze Schaf". Doch auch ein deutscher Journalist rückt ins Visier des spanischen Staatsschutzes: Ralf Streck, Deutschlandkorrespondent der Monatszeitschrift, wird neben einer Nähe zur Separatistenorganisation ETA auch unlauteres Vorgehen bei seiner Recherchearbeit für Ardi Beltza vorgeworfen. Streck hatte Interviews mit mehreren spanischen Kollegen geführt, die im nachhinein darauf bestehen, von dem Verwendungszweck nicht gewusst zu haben. Sie werfen dem Deutschen vorsätzliche Täuschung durch die Angabe anderer Auftraggeber vor. Der Beschuldigte bestreitet den Vorwurf. Er sei freiberuflich tätig und könne nicht jedes Mal mit Bestimmtheit sagen, wohin eine Arbeit verkauft würde. Besonders harte Kritik aber kommt nicht von der spanischen Seite, sondern von deutschen Kollegen.

Das baskische Magazin Ardi Beltza soll, so der Vorwurf, im Herbst vergangenen Jahres ein Video in Umlauf gebracht haben, das der ETA Ziele für Mordanschläge benennt. Die Dokumentation "Journalisten, das Geschäft der Lüge" greift einen Misstand auf, der dabei auch in der Berichterstattung etablierter Medien Niederschlag fand. Nachgewiesen ist inzwischen nicht nur durch den Filmbeitrag, dass es in Spanien Treffen zwischen einigen einflussreichen Journalisten und dem Innenministerium gibt, in deren Rahmen Absprachen getroffen und von politischer Ebene so einseitig Schwerpunkte in der Berichterstattung über Politik im Baskenland gesetzt werden.

Durch die Dominanz von wenigen Verlagen, respektive Besitzern von Medienkonzernen, gewinnt der Fall in einer Presslandschaft mit äußerst überschaubaren Besitz- und damit Kontrollverhältnissen an Brisanz. "Praktisch kontrollieren zwei Herren zwei Drittel aller Dinge, die wir hören, sehen und lesen", sagt Pepe Rei, Redaktionschef von Ardi Beltza, der die informellen Treffen aufdeckte. In Interviews mit beteiligten Journalisten und der Präsentation interner Dokumente, belegten der Enthüllungsjournalist und sein Team die schweren Vorwürfe in dem Video.

Madrid reagierte prompt und hart. Anfang April wurde Rei auf Initiative des als Pinochet-Jäger bekannt gewordenen Untersuchungsrichters Baltasar Gazón festgenommen. Nach drei erfolglosen Anklagen wegen Unterstützung der ETA seit 1982 wird dem 53jährigen gebürtigen Galizier dabei nun gar Mitgliedschaft in der Organisation vorgeworfen. Belege gibt es nicht, der Richter sieht sich aber durch die Bedrohung der von Rei kritisierten Journalisten durch die ETA bestätigt. Nach einem Anschlag auf eine auch in dem inzwischen verbotenen Video genannte Journalistin brach eine Hatz auf baskische oppositionelle Journalisten los, die an die Kommunistenjagd in den USA der 50er Jahre erinnert. Dabei war nicht erst ein Video nötig, um die genannten Journalisten ins Visier der ETA zu rücken, die sich der Gruppe klar positioniert haben.

Chefredakteur Rei bei der Festnahme

Ein Zusammenhang zwischen der Veröffentlichung der Dokumentation und dem ETA-Anschlag wird von Rei und seiner Redaktion daher vehement bestritten. Igor Eguren, Redakteur der Zeitschrift, bestätigt, "in den letzten 15 Monaten vorrangig Korruption und anderes auf Basis von Fakten angeklagt" zu haben. Natürlich seien dabei auch Namen genannt worden. Dass dies nun dazu verwandt werde, die Zeitschrift zu schließen, bestätigt Eguren darin, dass sich "am repressiven Charakter der spanischen Innenpolitik" nur wenig geändert habe. Seit dem Tod Francos wurden insgesamt fünf Medien geschlossen, der Ardi Beltza droht nun als Nummer sechs in die Geschichte des Konfliktes einzugehen.

Rei erhebt noch schwerere Vorwürfe. Der durch die Aufdeckung von zwei Korruptionsfällen kurz nach Ende der Franco-Diktatur berühmt gewordene und nun inhaftierte Journalist bezeichnet sich als Streiter für "ein freies Baskenland". Dies sei die einzige Gemeinsamkeit mit der ETA. Die Lage sei inzwischen aber so angespannt, dass jeder Arbeiter, der entlassen wird und sich gegen seine Kündigung öffentlich wehrt, beschuldigt werden könne, auf den Chef zu zielen. "Das ist ein frontaler Angriff auf die Redefreiheit. Sie wollen dir noch das Recht auf Verteidigung nehmen. Das geht für mich in Richtung Faschismus", beklagt Rei, der sich "gegen jede Gewalt gegen Kommunikationsmedien" ausspricht.

Nach der Festnahme von Reis trotz schwerer Krankheit und der drohenden Schließung von Ardi Beltza stellen selbst gemäßigte baskischen Aktivisten zunehmend unangenehme Vergleiche mit dem Vorgehen gegen kritische Medien während der Franco-Diktatur, eine Polemik, die im politischen Diskurs des Baskenlandes ohnehin schon einen festen Platz hat. Inzwischen fühlen sich sowohl Madrid als auch die baskische Seite in ihrer Haltung bestätigt, während sich die Fronten zunehmend verhärten und der Spielraum für Journalisten (beider Seiten) immer enger wird. Lachender Dritter ist der unter Kollegen wegen seinem selbstherrlichen Auftretens umstrittene Baltasar Gazón, der einmal mehr Publicity erfährt. Beachtenswert ist die zeitliche Übereinstimmung der dritten und von Garzón veranlassten Festnahme Pepe Reis, als der 1998 gerade an einem Buch über den Untersuchungsrichter arbeitet.

Garzón hatte Pepe Rei am 2. April vorgeladen, konnte die angekündigte Schließung aber nicht durchsetzen, weil dieser nur Redaktionschef ist und nicht der Herausgeber, von dem eine solche Entscheidung nach spanischem Recht entgegengenommen werden muß. Der Herausgeber Ahoztar Zelaieta ist für den 27. April vorgeladen, dann wird die Schließung wohl bekanntgegeben.

Doch auch deutsche Medien spielen in dem Konflikt zwischen dem Baskenland und Madrid eine unrühmliche Rolle. Die Intention tendenziöser Berichterstattung bleibt dabei im Halbdunkel politischer Differenz und journalistischer Konkurrenz verborgen.

Politisch erklärbar sind Artikel in der konservativen Tageszeitung Die Welt. Deren Redakteure Kerstin Wenk und Nikolaus Nowak hatten unter anderem berichtet, dass dem Kollegen Ralf Streck "noch nicht nachgewiesen" werden konnte, mit der ETA zusammenzuarbeiten, nachdem der Deutsche bereits vor zwei Jahren unter diesem Verdacht gestanden hätte. Die beiden Springer-Journalisten bekamen diese Aussagen inzwischen mit einer Anzeige des Beschuldigten quittiert.

Schwerer nachvollziehbar als solch durchschaubare Polemiken sind aber die Berichte der in Berlin erscheinenden alternativen "Tageszeitung" (taz, die mit der Übernahme der Position Garzóns sowohl Ardi Beltza als auch Streck hart attackiert. Der Spanienkorrespondent der taz, Reiner Wandler, sah die Zeitschrift schon Anfang April geschlossen und Streck unter Anklage. Beides hat sich bislang als ebenso unwahr herausgestellt wie Aspekte der Berichterstattung in der Zeitschrift M der deutschen Journalistengewerkschaft IG-Medien. Ein besonderes Paradoxon findet sich in letzterem Medium in dem Umstand, dass Korrespondent Hans-Günter Kellner dem kritisierten Kollegen Streck Stellungnahmen ebenso abgerungen hat, wie er es seinem Gesprächspartner im Fall der spanischen Journalisten vorwirft. Während der in Madrid lebende deutsche Journalist in der Berichterstattung für Schweizer Medien durchaus anerkennt, dass im Fall des Videos "Hintergrundgespräche " stattgefunden haben, sieht er im später erschienenen Bericht für die IG-Medien Zeitung "keine Hinweise" mehr. Kritische Stimmen aus spanischen Juristenkreise zum Vorgehen Garzóns fallen der Kürzung ebenso zum Opfer wie die Kritik der Organisation "Reporter ohne Grenzen", die gegen die drohende (und nach letzten Informationen am 27. April bevorstehende) Schließung von Ardi Beltza als "schweren Eingriff in die Pressefreiheit" protestiert. Straftaten könnten schließlich nur von Personen, nicht von Medien begangen werden.

Zu der bedenklichen Berichterstattung in Deutschland mag ein schwelender Konflikt zwischen der alternativen taz und linken Medien, unter ihnen der in Berlin erscheinenden Tageszeitung Junge Welt beitragen, für die Streck tätig ist. Wandler und Kellner stehen durch ihre Tätigkeit in Verbindung und arbeiteten unter anderem an einem unter Wandlers Namen erschienenen Buch über die Geschichte des Baskenlandes zusammen. Dass bei der aktuellen Berichterstattung politische Ressentiments offenbar zu Lasten der journalistischen Qualität gehen, lässt nicht nur ein schlechtes Licht auf die verantwortlichen Publikationen fallen, sondern trägt auch zur Eskalation der Lage im Baskenland bei.