Der Sound der Transcodierung

Ein Interview mit Achim Szepanski, dem Betreiber des Frankfurter Elektronik-Labels Mille Plateaux

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Anfang letzten Jahres erschien "Clicks & Cuts 1"; seit wenigen Tagen steht nun "Clicks & Cuts 2" in den Plattenläden. Die opulente, aus 3 CDs und einem fetten Booklet bestehende Compilation präsentiert den des Frankfurter Electronic Listening-Labels Mille Plateaux. Diesen markieren so unterschiedliche Künstler wie snd, Vladislav Delay und Farben (Vgl. Das Auge hört mit!). Die auf "Clicks & Cuts 2" vertretenen Stilrichtungen reichen von experimenteller Geräuschästhetik bis hin zu mild-melodiösem Minimal House. Die gemeinsame Klammer bilden dabei die 'Clicks & Cuts' - also jene knisternden und knarzenden Nebengeräusche, die beim digitalen Produktionsprozess anfallen. Während die 'Cuts' Brüche, Verknappungen und Verschiebungen hörbar machen, stellen die 'Clicks' den musikalischen Informationsfluss her. Im Zusammenspiel erzeugen beide einen dynamischen Klangstrom, ein diskontinuierliches Sound-Streaming. In diesem scheint man die Bewegung des digitalen 'Materials' selbst zu hören. Das klingt minimalistisch und verdichtet, ruhig und hektisch zugleich. Aus dem eigentümlichen 'Clicks & Cuts'-Sound und dessen technologischen Möglichkeitsbedingungen hat Mille Plateaux-Betreiber Achim Szepanski einen irrwitzigen Theoriediskurs entwickelt, der sich insbesondere an der Philosophie von Gilles Deleuze (Vgl.Den Discman in der Hosentasche, den Deleuze-Wälzer in der Hand) orientiert. Telepolis hat Achim Szepanski anlässlich des Erscheinens von "Clicks & Cuts 2" zum theoretischen Überbau der 'Clicks & Cuts', aber auch zu seinem Selbstverständnis als Label-Macher befragt.

Kannst du das 'Clicks & Cuts'-Konzept kurz erklären? Was unterscheidet die Clicks von den Cuts?

Szepanski: Cutten ist ein Sequenzer-Standard; insofern als Mixen, Cutten, Kopieren, Löschen etc. Features von Softwaresamplern und - sequenzern sind, macht es auch Sinn, von 'Cut-Copy-Paste-Funk' zu sprechen. Damit ist die programmgesteuerte Verarbeitung des musikalischen Materials als selbsttätig ablaufende Transformation angesprochen. Die Vielfalt von Optionen zieht nonlineares 'Komponieren' und Echtzeit-Multitasking nach sich. Dabei führt die optische Bildschirmdarstellung des Processings dazu, dass Cuts nicht nur gehört, sondern auch gesehen werden. Die Montage wird dadurch rein virtuell.

Und was sind dann die Clicks?

Szepanski: Sie repräsentieren das metastatische Wuchern von elektronischen Musiken. Sie liegen in einem Dazwischen, sind zugleich referenzlos und omnipräsent. Die Clicks wie auch die Cuts verweigern sich einer Vereinheitlichung. Mit dem Begriff 'Clicks & Cuts' sucht man letztlich nach einem Genre, das eigentlich keines ist. Es geht um Differenzproduktion: Verschachtelungen und Verschiebungen werden dynamisiert und verzeitlicht. Ähnlich wie Gilles Deleuze dem Rhythmus die Funktion zuschreibt, heterogene Blöcke und Fragmente zu verknüpfen, kommt den Clicks die Funktion zu, musikalische Elemente zu verknüpfen und Übergänge möglich zu machen. Clicks verweisen immer auf anderes, ihr Mediales besteht in der Möglichkeit zum permanenten Anschluss und ihr Potential kann sich nur als Kontext eines Ereignisses entfalten. Wie bei Heinz von Foerster (siehe "Wir sehen nicht, daß wir nicht sehen"), der die Clicks als das Vokabular von Neuronen versteht, geht es hier immer um Transfers, um Übergänge, also um etwas, das Verkettungen hörbar macht.

Welche Rolle spielen Kontingenz, Zufall und Fehlerhaftigkeit für die Musik auf Mille Plateaux? Ist der (freiwillige) Verlust künstlerischer Souveränität wichtig für die Klangsignatur?

Szepanski: Nicht jeder dieser Begriffe schließt das souveräne Subjekt aus - im Gegenteil: Die These des Konstruktivismus, dass über Fremdreferenz selbstreferentiell entschieden wird, zeigt, dass jeder Zugriff auf Welt ein möglicher ist, der mit anderen Möglichkeiten verglichen werden kann. Damit wird die Position des Subjekts eher gestärkt - auch wenn dieses Subjekt in einem Spiel von Unterscheidungen situiert ist. Es gibt aber immer mehr als bloß binär verzeichnete Unterscheidungen (A und non A), nämlich eine Vielzahl von in Handlungen gewonnenen Differenzen und Konstellationen. Kontingenz ist eine konstruktive Macht, allerdings eine, die innerhalb einer Konstellation von rivalisierenden Kräften wirkt. Den Zufall bejahen, heißt Konstellationen aufzumachen, die kontingent sind, aber eben auch gemacht sind und nicht einfach vorgefunden werden. Wenn nun aber 'Random Processing' zu einem selbstverständlichen Feature von Software Tools wird, dann stellt sich die Frage, ob Zufall noch lenkbar ist oder ob er nicht längst an die Maschine delegiert wurde.

Diedrich Diederichsen hat kürzlich an der Uni Köln einen Vortrag gehalten, in dem er Mille Plateaux wegen der überbordenden Theorie- und Diskursproduktion (in Manifesten, Booklets etc.) als die 'große Ausnahme von der Schweigsamkeit' im Feld der elektronischen Musik bezeichnete. Warum produzierst so viel Text und Theorie?

Szepanski: Debug-Herausgeber Sascha Kösch hat vor kurzem im Anschluß an Kodwo Eshun (Vgl."Alles war noch zu tun. Alle Abenteuer warten weiter") darauf hingewiesen, dass elektronische Musik immer eine Vielfalt textueller Fragmente, Sub- und Randtexte, Reviews und Konzeptualisierungen mit sich führt und sich Musik- und Textproduktion somit gegenseitig Impulse zusenden. Diese führen zu einer Maximierung von Effekten. Und auch Labels sind durchzogen von politischen Semantiken, maschinellen Gefügen - diese sind abhängig von ökonomischen Bedingungen sowie textuellen und musikalischen Ästhetiken. Begriffe werden intensiv an das digitale Processing heran getragen. Jedoch nicht in dem Sinne, dass nach einer Essenz von elektronischer Musik gesucht wird. Es geht darum, die Umstände, Parameter und Koeffizienten zu problematisieren, unter denen hier und jetzt elektronische Musik entsteht.

Es fällt auch auf, dass du mit einer Vielzahl von Genrebegriffen (Clicktechno, Glitschfunk...) operierst. Fast könnte man vermuten, dass dahinter ein quasi-universalistischer Anspruch steckt - so als sollten tendenziell alle elektronischen Musiken unter einem Masterkonzept ('Clicks & Cuts') vereint werden...

Szepanski: Die diversen Zuschreibungen drücken gerade die Möglichkeiten einer antiessentialistischen Produktion in virtuellen Studioenvironments aus. Also jene Möglichkeiten der epidemischen Verschaltung von Soundfiles, Rhythmen, Skizzen, Apparaturen und Ästhetiken. Das ist kein universalistischer Anspruch, im Gegenteil: Das Wuchern der Begriffe verweist auf Transcodierungen und Transpolitiken. Und deren Symptome sind die 'Clicks & Cuts'.