FBI forderte von Indymedia alle Logfiles

Während der Proteste gegen den "Amerikagipfel" erschienen FBI-Beamte im IMC in Seattle mit einer gerichtlichen Anordnung, die nicht nur verfassungsrechtlich bedenklich ist, sondern auch wegen des Schweigeverbots für Unruhe sorgte

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Vom 20. bis 22. April fand der "Summit of the America" in Quebec statt, auf dem sich alle Staatschefs der amerikanischen Länder - bis auf den nicht-eingeladenen Castro aus Kuba - trafen, um eine gesamtamerikanische Freihandelszone (FTAA) zu beschließen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren angesichts der befürchteten Demonstrationen enorm - und auch Quebec war wieder einmal die Stunde der unabhängigen Medienberichterstattung, wie sie Indymedia.org seit dem ersten großen Anti-Globalisierungsprotest gegen das WTO-Treffen in Seattle im Jahr 1999 liefert.

Quebec hatte den Tagungsort in eine Festung verwandelt. Errichtet wurde ein 4 Kilometer langer und drei Meter hoher Stahlzaun um den Tagungsort, der sich auch durch die Stadt zog. Über 6000 Sicherheitskräfte sicherten die Staatsoberhäupter und diese Festung, die schnell den Namen "Wall of Shame" erhielt. Zwischen 25.000 und 60. 000 Globalisierungsgegner nahmen an verschiedenen Demonstrationen gegen das geplante Abkommen teil. Es kam aber auch zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. So konnte etwa eine Gruppe von 2000 Demonstranten in der Nacht vom 21. auf den 22. April einen Teil des Stahlzauns demontieren, woraufhin die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas vorging. Auf beiden Seiten gab es Verletzte, in Kanada kam es zu einer Diskussion über das harte Eingreifen der Polizei (Im und am Wall of Shame). Demonstriert wurde aber nicht nur in Quebec, sondern in vielen anderen Städten.

Indymedia.org, gegründet 1999 in Seattle, hat sich seit dieser Zeit sprunghaft vermehrt. An vielen Orten wurden unabhängige Zentren gegründet, die alle nach demselben Prinzip arbeiten, nämlich dass jeder, der einen Internetzugang besitzt, zum Reporter werden und Berichte einliefern kann: Journalismus von unten also, ohne jede redaktionelle Zensur, um die angeblichen Scheuklappen der Mainstream-Medien zu überwinden.

Um über die vielen Aktionen gegen die FTAA an verschiedenen Orten umfassend berichten zu können, kooperierten einige der ansonsten autonomen Zentren. Am Abend des 21. April erschienen zwei FBI-Beamte und ein Geheimdienstmitarbeiter beim Indymedia-Zentrum in Seattle mit einer gerichtlichen Anordnung. Bestandteil der Anordnung war eine "gag order" (Maulkorb), also anderen nichts über die Anordnung und ihren Inhalt mitzuteilen. Erst am Freitag wurde die Verpflichtung zur Geheimhaltung von einem Richter wieder aufgehoben.

Schnell hatten aber schon zuvor Gerüchte über den Besuch der Sicherheitskräfte die Runde gemacht, auch wenn die anwesenden Mitarbeiter angeblich erst einmal versuchten, sich juristischen Rat zu beschaffen und alle, die bereits Bescheid wussten, zu bitten, sicherheitshalber die Anordnung zu beachten. Aber genau das ist bei dem Konzept von Indymedia nur schwer in den Griff zu kriegen, da es ja keine zentrale Redaktion gibt und jeder ohne Einschränkung posten kann. Ein nicht ganz korrekter Audio-Beitrag vom Indymedia Zentrum Vermont scheint der Auslöser gewesen zu sein - und in der Stimmung mitten in Protesten gedeihen natürlich Vermutungen. Neuen Wind in der Gerüchteküche brachte dann vor allem eine Lokalzeitung mit einem Bericht, in dem es hieß, das Zentrum sei durchsucht und Computer beschlagnahmt worden. Grund dafür sei, dass Sicherheitspläne gestohlen und im Internet veröffentlicht worden seien.

Angeblich wäre darunter auch der Reiseplan des amerikanischen Präsidenten George W. Bush gewesen. Doch enthielt die gerichtliche Anordnung keine URLs - vielleicht wohlweislich, um sich alles einmal anschauen zu können. Mitarbeiter von des Zentrums fanden dann die vermutlich gemeinten Artikel, die aber nur Informationen über die Strategien der Polizei enthielten, die aus einem Polizeiauto entwendet wurden, aber nichts von Bush (Revealed! Secret Tactics of the Quebec Police sowie Spies in our midst!).

Die jetzt nach der Aufhebung des Maulkorberlasses vom IMC veröffentlichte Anordnung forderte die Mitarbeiter auf, "alle Accountaufzeichnungen und System-/Account-Logfiles zu sammeln" und dem FBI zu übergeben. Die Behörde wollte die IP-Adressen aller derjenigen, die am 20. Und 21. April sich mit dem Server verbunden haben, und zwar zu welcher Zeit und wie lange, mit welcher Methode, wieviel Daten transferiert wurden etc. Grund sei eine noch andauernde Untersuchung, die mit dem Diebstahl und dem Missbrauch von Informationen nach dem kanadischen Gesetz zu tun hätte, wobei die Täter aber noch unbekannt seien. Der Staatsanwalt habe ausreichend Belege dafür vorlegen können, dass die Aufzeichnungen beim IMC wichtig seien.

Nach dem Bericht des IMC bleibt zwar unklar, ob man dem FBI alle verlangten Daten übergeben hat, versichert wird jedoch, dass bislang aufgrund der Verbindungsdaten noch niemand festgenommen worden sei. Geräte oder Logfiles seien nicht beschlagnahmt worden. IMC wurde offenbar auch niemals einer möglichen Straftat beschuldigt, sondern nur derjenige, der die angeblich sicherheitsgefährdenden Informationen weitergegeben hatte.

Die Forderung, alle Logfiles der Benutzer mit genauen Angaben einsehen zu können, um den Urheber eines Postings zu identifizieren, weil das FBI nicht einmal die URLs der Artikel wusste, ist ein starker Einschnitt in die Anonymität und gefährdet solche Informationsstrukturen, wie sie Indymedia aufgebaut hat. David Sobel von der Bürgerrechtsorganisation EPIC sieht darin einen Verfassungsbruch: "Wie der US Supreme Court anerkannt hat, schützt der Erste Verfassungszusatz das Recht, anonym mit der Presse und aus politischen Zwecken kommunizieren zu können." Sobel fordert, dass es notwendig sei, um den Online-Medien denselben Schutz wie der Presse zu gewähren, dass den Behörden enge Grenzen auferlegt werden müssten, wenn sie die "Internetidentität" von Bürgern, also ihre IP-Adressen, erfahren wollen.

Interessant ist dabei natürlich auch, wie sich Informationen in einem freien Medium verbreiten können, das gerade darauf angelegt ist, die Eingabe neuer Informationen nicht zu kontrollieren. Obgleich das IMC nicht selbst für die beanstandeten Meldungen verantwortlich gemacht wurde, standen die Mitarbeiter doch wegen der Verpflichtung zur Geheimhaltung der Anordnung unter Druck. Sie versuchten, so gut es ging, zunächst diejenigen, die Kenntnis von der Anordnung erlangt hatten, von der Verbreitung der Information abzuhalten. Doch dann kam der Audio-Bericht "FBI- Durchsuchung" machte schnell die Runde auf mehreren IMCs. Um nicht belangt zu werden, versuchten daraufhin die Mitarbeiter des Seattle IMC Postings auf dem eigenen Server oder dem von anderen IMCs, die sich auf die Anordnung bezogen, möglichst schnell wieder zu entfernen: "Dies hatte unglücklicherweise zur Folge, dass dadurch anscheinend die schlimmsten Befürchtungen der unabhängigen Journalisten bestätigt wurden, die kurze Artikel gepostet hatten, um geheimnisvolle und schreckliche Dinge zu verkünden, die im Seattle IMC vor sich gehen, oder über diese zu spekulieren, und dann feststellen mussten, dass ihre Postings schon einige Minuten später wieder verschwunden waren."

Nach ein paar Stunden stellten die Mitarbeiter die Versuche ein, die Gerüchte zu kontrollieren, nachdem ihnen deutlich wurde, dass eben dies die Gerüchteküche nur weiter anheizte. In der Stellungnahme des Seattle IMC entschuldigt man sich jetzt dafür, bei den Benutzern Verwirrung ausgelöst zu haben, und bedauert die allgemeine Frustration, die durch die Schweigeverpflichtung ausgelöst wurde .... Ob oder welche Konsequenzen man aus dem Vorfall ziehen will, wurde nicht bekannt gegeben. Vorschläge gehen in die Richtung, schnell alle Logfiles zu löschen oder sie zu verschlüsseln. Kritik wurde auch laut, warum IMC überhaupt Logfiles speichert.