Rote Karte für die Pink-Slip-Party

Das groß angekündigte Networking-Event für die Geschassten der New Economy entpuppte sich als Mega-Flop

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1000 Gäste sollten nach Erwartungen des Veranstalters zur ersten deutschen Pink-Slip-Party in Berlin erscheinen und in den Mai tanzen - in Wien fand schon Ende März die vermutlich erste in Europa statt (Let's Party!). Doch die Halle und der Dance-Floor, auf dem sich die Entlassenen den Frust von der Seele tanzen sollten, blieben leer. Nebenan in der "VIP-Lounge" drängelten sich die Reporter, die den Großteil der Besucher ausmachten, um die Handvoll Ex-Mitarbeiter von Startups, die sich nach Berlin-Oberschöneweide verirrt hatten.

Mariele Weber, für die Personalbeschaffung bei eBay zuständig, wirkt etwas säuerlich: Eigentlich wollte sie auf der Pink-Slip-Party in Berlin die 25 offenen Stellen bei dem Potsdamer Online-Auktionshaus füllen. Doch kurz vor Mitternacht hat die Recruiterin erst drei "Interviews" mit Arbeitssuchenden geführt. Fast alle Partygänger, die sie bisher aufgrund ihres Logo-verzierten T-Shirts und des roten, eigentlich für Headhunter reservierten Buttons angesprochen haben, outeten sich gleich nach der ersten Frage als Journalisten oder Fotografen. "Hier sind mehr Presseleute als Bewerber", zieht die enttäuschte Stellenanbieterin ihr Resümee für den Abend.

Tatsächlich erwies sich die "VIP-Lounge" als gute Gelegenheit, Medienvertreter untereinander ins Gespräch zu bringen. "Von wo bist du? Ach, von der Welt. Und Sie? Klar, von Net-Business, also extra aus Hamburg angereist." Derartiger Smalltalk hätte sich in der ersten lauen Sommernacht des Jahres allerdings in einem Biergarten besser gemacht als in einer ehemaligen Transformatorenfabrik.

Wenn die Vertreter der Öffentlichkeit nicht gerade miteinander schnackten, stürzten sie sich auf die Handvoll "Geslippter", wie die Entlassenen der New Economy inzwischen neudeutsch heißen, die tatsächlich den Weg nach Berlin-Oberschöneweide in die Reinbeckhallen gefunden hatten. Star des Abends und immer für ein Zitat gut war Alexander Wiederhold, der sich schon durch sein Tux-Logo am Revers, seinen Zopf und das pinkfarbene "Tuch" in der oberen Jackentasche als einer der wenigen anwesenden und entlassenen Informationstechniker präsentierte.

Der Freak zog nicht nur über seinen Ex-Arbeitgeber, den Hamburger Application Service Provider Ision, her. Der habe ihn als "Projektleiter" im Herbst nach Berlin gelockt, nur um ihm wenige Wochen später zu offenbaren, dass es keine Projekte zu leiten gebe. Wenig freundliche Worte fand Wiederhold auch für das "Event" und seinen Organisator: Es sei ein Skandal, dass für den Abend allein die Presse rekrutiert worden sei und sich niemand um das Erscheinen der (ehemaligen) Durchstarter und Headhunter gekümmert habe.

Profilierungsshow für den Organisator

"Das ist eine reine Profilierungsplattform für den Veranstalter", diktierte der selbstgelernte Informatikexperte den Reportern in den Notizblock. Der werde ihm zwar vermutlich "die Killer" nach Hause schicken aufgrund seiner Einschätzungen. Aber die "Party" sei nun einmal "der Flop des Jahrtausends", da sie von der Startup-Szene überhaupt nicht angenommen worden sei. Der gähnend leere Dance-Floor neben dem VIP-Bereich, den selbst die angeheuerten Vortänzerinnen im Cowgirl-Look nicht mit Leben füllen konnten, bestätigte die Worte des Enttäuschten.

Organisator Frank Lichtenberg, der die erste deutsche Pink-Slip-Party zusammen mit seiner PR-Agentur Dripke. Wolf. Weissenbach ausgeheckt hatte, gefiel sich dagegen in der Rolle, den ganzen Abend über seine Sicht der Dinge den Medienvertretern im Zwiegespräch zu erläutern. Dass die New Economy so spärlich vertreten war, schob er auf das "schöne Wetter" sowie die Lage der Veranstaltungshalle in einem Randbezirk Berlins. Die Einsicht, dass sich nicht jedes Format aus den USA beliebig kopieren und nach Deutschland importieren lässt, kam dem Chef des Online-Lieferdienstes Snacker.de dagegen nicht.

In New York, San Francisco und Washington feiert die Pink-Slip-Party zwar große Erfolge. Doch in den USA erhielten der Jobvermittlungsfirma Challenger, Gray & Christmas zufolge auch allein im April 17 554 Mitarbeiter von Dotcoms ihren rosafarbenen Entlassungsschein, der dem Networking-Treff seinen Namen gab. In Deutschland schätzt Christopher Schering, Sprecher der Startup-Initiative Silicon City Club die Zahl der Geschassten dagegen auf insgesamt "nur" 6000 während der vergangenen Krisenmonate. Als Vorstandsvorsitzender der KinderCampus AG hat Schering selbst zehn seiner ehemals 60 Angestellten den Laufpass geben müssen.

Fehlplanungen und abrupte Entlassungen auch bei Vorzeige-Startups

Den wenigen Geslippten, die sich über den für sie ausgelegten roten Teppich in die Reinbeckhallen wagten, blieb während des Abends nur die Hoffnung, sich mit Hilfe der reichlich vertretenen Journalisten ins Gespräch zu bringen und ihr Schicksal einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ihre Geschichten hören sich nicht erfreulich an und zeichnen ein wenig vertrauenserweckendes Bild der deutschen New Economy. Die Börsenkrise, machten sie klar, trifft inzwischen auch Startups, deren Businessmodelle lange als erfolgsversprechend gehandelt wurden (siehe auch: Mitarbeiter werden behandelt wie Kriminelle ...).

So musste der B2B-Marktplatz für Gebrauchtwaren Surplex.com in den letzten Wochen über die Hälfte seiner 130 Mitarbeiter vor die Tür setzen. Darunter befindet sich auch der Netzwerkadministrator, der bisher für die Sicherheit der Firmenkommunikation sorgte, sowie der Human-Relations-Experte, der sich leicht melancholisch an die Hochzeiten des Berliner Startups zurückerinnerte, als die Mannschaft noch im Büro zwischen Abfalleimern und Schreibtischen Fußball spielte. Für Schlagzeilen in den Medien sorgte Surplex aber im vergangenen Jahr auch als "Reiche Söhne AG", da der Vorstandsvorsitzende und Unternehmersohn Bruno Schick als Investoren seine fast gleichaltrigen Ex-Tennispartner Lars Schlecker von der gleichnamigen Drogeriekette sowie Marc Schrempp, den Sohn des DaimlerChrysler-Chefs, an Bord hatte holen können. Bis Mitte des Jahres soll die Mitarbeiterzahl nun weiter bis auf 40 heruntergefahren werden.

Über Fehlplanungen im großen Stil wusste ein anderer Entlassener auch am Beispiel des Schweizer E-Learning-Anbieter Viviance zu berichten. Noch bis zum Januar habe die Firma für ihre Niederlassung in Potsdam kräftig Mitarbeiter eingestellt, so der Insider. Von einem Tag auf den anderen hagelte es dann Kündigungen. Von 60 Angestellten seien 40 rausgeflogen. An das Geschäft mit dem Online-Training glaubt der Geschasste trotzdem noch: Er hat sich mit einem "New Education Service" selbständig gemacht.