Flippers Selbstbewusstsein

Delfine erkennen sich selbst im Spiegel

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Delfine haben nicht erst seitdem Flipper 1964 bei NBC als oberkluger Serienheld auftauchte, einen menschenfreundlichen Ruf. In der griechischen Antike war der Delfin das heilige Tier der drei Götter Apollon, Dionysos und Aphrodite. Nicht nur Aphrodite half der Delfin nach ihrer Geburt ins richtige Medium zu gelangen: Immer wieder retteten Delfine zeitgenössischen Berichten zufolge Menschen in Seenot vor den tödlichen Tiefen. Der Film-Flipper gar avancierte zum familiären trouble-shooter, dessen "geckendes Lachen" dann auch zum gleichsam anthropozentrischen Beweis seiner Kommunikationsfähigkeit und Intelligenz herhalten musste.

Nun hat der neueste Intelligenztest bei den beiden Tümmlern Presley und Tab (sog. bottlenose dolphins), Bewohnern des Aquariums von New York ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt, sich selbst im Spiegel zu erkennen. Diana Reiss von den "Osborn Laboratories of Marine Sciences" sowie Lori Marino von der "Emory University" in Atlanta veröffentlichten in den Proceedings of the National Academy of Sciences University ihren Forschungsbericht über kognitive Konvergenz.

Foto von Earthtrust

"Mirror self-recognition" (MSR) galt bisher als eine Eigenschaft, die neben dem Menschen nur die Menschenaffen Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans besitzen. Demgemäß nahmen Biologen bisher an, dass enge genetische Beziehungen für diese kognitive Eigenschaft ursächlich seien. Die beiden männlichen Delfine, die von den Forschern beobachtet wurden, bewohnen in ihrem Aquarium in Brooklyn einem Pool mit reflektierenden Glasswänden. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Tiere auf ihre eigenen Reflexionen anders reagierten als mit dem typischen Sozialverhalten, das sie üblicherweise Artgenossen entgegenbringen. Die beiden in Gefangenschaft geborenen männlichen, 17 und 13 Jahre alten Tiere wurden zunächst mit einem Stift, der lediglich mit Wasser gefüllt war, zum Schein markiert. Wenn der farblose Stift eingesetzt wurde, suchten die Delfine zwar im Spiegel auch nach Markierungen, aber bewegten sich schnell wieder fort, wenn sie keine fanden.

Nach verschiedenen Wiederholungen dieser Phase zeichneten die Forscher dann mit ungiftiger Tinte Dreiecke und Kreise auf solche Körperpartien ihrer Probanden, die diese nur im Spiegel sehen konnten. Daraufhin schwammen die Delfine zu den Spiegelwänden und wendeten die markierten Stellen den Spiegeln zu. Später wurden die Delfine wieder nur scheinbar markiert, um herauszufinden, ob sie nicht etwa nur auf den taktilen Reiz der Markierung, sondern auch tatsächlich auf die Zeichen selbst reagierten. Offensichtlich verharrten die Tiere aber immer dann aufmerksamer und "prüfender" vor den Spiegeln, wenn sie sichtbar markiert worden waren. Wurden die Spiegel entfernt, versuchten die Delfine die Markierungen auch in anderen, weniger reflektierenden Oberflächen zu finden. Bemerkenswert war, dass sie dann fast immer die beste Reflektionsfläche suchten, um die Veränderungen zu überprüfen. Die Tiere wurden auf der Suche nach ihrem "Spiegelselbst" weder trainiert noch erhielten sie eine Belohnung, sodass der Schluss nahe liegt, dass sie spontan reagierten. Auch wurden während der einzelnen Sitzungen verschiedene Körperteile markiert, um Gewöhnungs- oder Lerneffekte auszuschließen. Gegenüber den Zeichen auf dem Körper des anderen Tiers verhielten sich die Delfine indifferent.

Diana Reiss sieht den Anspruch des Projekts darin, die Intelligenz von Tieren über die Arten hinweg zu charakterisieren, zu messen und zu vergleichen. Die nun konstatierte "Selbstwahrnehmung" bedeute, dass die Eigenschaft, das eigene Spiegelbild zu erkennen, nicht mehr allein Primaten vorbehalten ist, sondern auch bei Tieren mit einem anderen Körpertypus auftritt, die einer anderen Umgebung und Umweltgeschichte entstammen.

Die vorliegende Versuchsanordnung führt sich auf den in den 70er-Jahren von Gallup und Amsterdam eingeführten "Spiegel-Test" zurück (Vgl. dazu Das Ich im limbischen System und im Frontallappen), der als Beleg für reflexives Selbst-Bewusstsein gilt. Bei Menschen tritt die Fähigkeit, das eigene Spiegelbild zu erkennen, zwischen dem 18. und 24 Lebensmonat auf. Hier beginnt ein Entwicklungsprozess, der schließlich auf abstraktere psychologische Ebenen der Selbstwahrnehmung - einschließlich der Introspektion - führt.

Für die Experten erhebt sich jetzt die spannende Frage, ob Menschenaffen und Delfine auch fähig sind, solche abstrakteren Grade von Selbstbewusstheit zu erlangen - bis hin zu der Eigenschaft, die eigene Identität zu erfassen. Delfine begleitet schon lange der Ruf, zu den intelligentesten Tieren zu gehören, da sie über ein differenziertes Sozialverhalten verfügen und in Gefangenschaft leicht zu dressieren sind. Eine Reihe von kognitiven Eigenschaften haben sie mit Schimpansen gemeinsam. Sie besitzen ein ausgezeichnetes Gedächtnis, sind lernfähig und verstehen künstliche Codes. Zwischen dem Nachwuchs und den Müttern beobachtet man zahlreiche Formen sozialen Lernens.

Der vorliegenden Studie korrespondiert auch die Untersuchung eines internationales Forscherteams, die Ende 1999 im Journal of Comparative Psychology vorgelegt wurde: Danach waren in Gefangenschaft lebende Delfine in der Lage, die auf ein Ziel gerichtete Aufmerksamkeit von Menschen zu beobachten. Alle sechs getesteten Tiere konnten den gerichteten Blick eines Menschen auch dann folgen, wenn das Ziel so fokussiert wurde, dass nur Kopf und Augen in diese Richtung bewegt wurden. Die Forscher stellten fest, dass die Delfine auch ohne Training in der Lage waren, kommunikative Zeichen erfolgreich zu interpretieren.

Lässt sich mithin behaupten, dass Delfine und andere Tiere Geist und Bewusstsein haben (Vgl. dazu James L. Gould und Carol Grant Gould: Bewusstsein bei Tieren. Ursprünge von Denken, Lernen und Sprechen. Heidelberg / Berlin / Oxford: Spektrum 1997)? Oft wird für die überragende Intelligenz der Delfine darauf verwiesen, dass sie über ein 40 Prozent größeres Gehirn als der Mensch mit weitgehend gleicher Organisation verfügen. Der Meeresforscher und Philosoph Ulrich Jürgen Heinz hat darüber hinaus auf die "revolutionäre vierte Furche im Gehirn" des Tieres verwiesen, die dann für die Spekulation verantwortlich wird, dass es sich um die intelligentesten Lebewesen überhaupt handelt. Allerdings halten Forscher der Uni Bochum die Meeressäuger für weniger schlau. Zwar sei ihr Gehirn überdurchschnittlich groß, aber sie hätten dort nur rund ein Drittel so viele Nervenzellen wie andere Säugetiere. Der größte Teil des Gehirns sei allein für die Unterwassernavigation zuständig.

Vor allem aber bleibt offen, inwieweit es möglich ist, von einem Selbstbewusstsein zu sprechen, das Selbst- und Fremdreferenz bei der Handlungsplanung besitzt. Bei Schimpansen ist es umstritten, ob sie gegenüber Artgenossen und Menschen Verhaltenserwartungen hegen, mithin Absichten und geplante Handlungen unterstellen (Vgl. Gerhard Roth, Das Gehirn und seine Wirklichkeit, Frankfurt/M. 1997, S. 311 ff.). Auch im vorliegenden Versuch wird nicht entschieden, ob Aufmerksamkeitsbewusstsein und Bewusstsein der Körperidentität schon zu einem Bewusstsein permanenter Identität aufschließen. Gerhard Roth hat darauf hingewiesen, dass sich dieses kontinuierliche Bewusstsein auch bei Menschen erst unter bestimmten sozialen Bedingungen einstellt. Die Gefahr der "Vermenschlichung" von tierischen Bewusstseinszuständen - im guten wie im bösen Sinne - durch menschliche Projektion bleibt bestehen (dazu Richard David Precht, Noahs Erbe, Hamburg 2000, S. 126 ff.).

Immerhin mögen solche Spekulationen über einen erweiterten Begriff von Mitgeschöpflichkeit noch einen anderen Sinn haben: Die Forscherin Reiss hofft, dass auch der Schutz der Meeressäuger von dieser Studie profitieren könnte. Viele Delfine enden in Treibnetzen, in denen sie jämmerlich sterben, obwohl die Fischer zumeist andere Beute suchen. Aber selbst die Direktjagd auf Delfine findet immer noch statt, um sie entweder als unliebsame Nahrungskonkurrenten zu eliminieren oder Delfinfleisch zum kulinarischen Konsum zu liefern. Bekannt ist auch die Ausbildung der Tümmler zu "Rekruten", weil die besondere Lernfähigkeit der Tiere geeignet ist, sie als lebende Torpedos gegen feindliche Schiffe einzusetzen oder als Spione mit auf dem Körper montierten Kameras, um Unterwasseranlagen auszukundschaften. Nicht zuletzt sind auch in den Delfinarien, die zusammen mit Flipper, "dem Freund aller Kinder, Erwachsene nicht minder", in Amerika und Europa auftauchten, Hunderte von Delfinen eingegangen, denen kleine Becken, gechlortes Wasser und Breitbandantibiotika nicht bekamen.

Noch gilt der Delfin den Verhaltensbiologen als ein Wesen mit vielen Rätseln. Dabei gilt es zumindest aber sich vom Mythos des feucht-fröhlichen Menschenfreundes zu verabschieden, der sowohl für die nicht artgerechte Haltung als auch die schwärmerischen Prospekte der sog. Delfintherapie verantwortlich zeichnet. Fachleute weisen darauf hin, dass Delfine die Nähe des Menschen nicht gezielt suchen. Letztlich dürften die Tiere an Menschen allenfalls geringes Interesse haben, weil sie in verschiedenen Lebensräumen existieren. Gregory Bossart, Direktor des Marine Mammal Research and Conversation zweifelt indes das Selbstbewusstsein der Meeressäuger nicht an. Der Forscher, der mehr als zwanzig Jahre mit ihnen gearbeitet hat, attestiert ihnen gar eine "Seele". Selbst wenn diese - menschlicher Selbsteinschätzung entlehnte - Kategorie nicht adäquat sein sollte, spricht aber wenig dagegen, die Lebewesen mit dieser Hypothese gegen menschliche Übergriffe in ihren Lebensraum zu schützen.