Deutschland und Vereinigtes Königreich verstoßen mit NSA-Spionageverbindungen gegen Menschenrechte

Echelon erweist sich als "gesetzesfreie Zone"

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Ein umfangreicher Bericht des Echelon-Ausschusses des Europaparlaments, der diese Woche veröffentlicht werden soll, kommt zu dem Ergebnis, dass elektronische Überwachungsmaßnahmen von US-Geheimdiensten gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen, auch wenn sie, so wie behauptet wird, zu Strafverfolgungszwecken erfolgen. Daraus folgert, dass die britische und deutsche Regierung es verabsäumen, die unerlaubte Nutzung von auf ihrem Territorium befindlichen Abhörstationen zur Überwachung privater und wirtschaftlicher Kommunikation zu verhindern, womit sie nicht nur gegen EU-Gemeinschaftsrecht verstoßen, sondern auch gegen internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte.

Abhör-Station Morwenstow, betrieben vom britischen GCHQ, war die erste Station die speziell zum Abhören ziviler Satellitenkommunikation als Teild es Echelon-Systems gebaut wurde.

Zwei Entwurfsfassungen des vorgeschlagenen EP-Berichts, die vom Berichterstatter und Mitglied des Europäischen Parlaments, Gerhard Schmid, erstellt wurden, sind kürzlich an die Öffentlichkeit durchgesickert. Form und Wortlaut des endgültigen Ausschussberichts sollen bei einem Treffen aller Ausschussmitglieder am Dienstag dem 29.Mai in Brüssel beschlossen werden.

Ein Vergleich der beiden Berichte zeigt, dass der Ausschuss ein Treffen mit amerikanischen Regierungs- und Handelsvertretern abwarten wollte, bevor die Schlussfassung des Berichts verfasst werden hätte sollen. Allerdings entschied sich die amerikanische Regierung vor ca. zwei Wochen, die europäische Delegation zu brüskieren, indem eine Folge geplanter Meetings abrupt abgesagt wurde, nachdem die Delegationsmitglieder bereits in Washington eingetroffen waren.

Die erklärte Politik des US-Regierung, wie sie im Vorjahr von Ex-CIA-Direktor James Woolsey erläutert worden war, besteht darin, die Geheimdienste zur Spionage gegen europäische Unternehmen zu benutzen, um Beweise über Bestechungen und andere unfaire Handelspraktiken zu gewinnen. Woolsey sagte, "ja, meine kontinentaleuropäischen Freunde, wir haben euch ausspioniert. Und es stimmt auch, dass wir Computer benutzen, um Datenmaterial nach Stichworten zu durchsuchen". "Wir haben euch ausspioniert, weil ihr mit Bestechung arbeitet", schrieb er im Wall Street Journal

Die US-Politik bezüglich Wirtschaftsspionage zur Unterstützung von Industrie und Handel war der Inhalt eines detaillierten neuen Berichts, der vor vier Monaten dem Echelon-Ausschuss vorgelegt worden war. Dieser Bericht mit dem Titel "COMINT impact on international trade" (Kommunikationsspionage und deren Auswirkungen auf den internationalen Handel) wird hier exklusiv zum ersten Mal publiziert. Der Bericht verfolgt im Detail, wie sich die Prioritäten der US-Auslandsaufklärung nach dem Ende des Kalten Krieges dramatisch veränderten, mit dem Ergebnis, dass heute "ungefähr 40% der Anforderungen" zur geheimdienstlichen Aufklärung der USA, "wirtschaftlicher Natur sind, teilweise oder zur Gänze".

Der Vizevorsitzende des Echelon-Ausschusses, Neil MacCormick (Schottland) möchte gesetzgeberische Initiativen zum Schutz der privaten Kommunikation sehen. In der Zwischenzeit sollte man "seine E-Mails wie Postkarten verstehen", da alles mitgelesen werden könne.

Die neuen Prioritäten für wirtschaftlich begründete Geheimdienstaktivitäten waren vom ersten Präsidenten Bush eingeführt worden - mit einem Dokument mit der Bezeichnung NSD-67 (Nationale Sicherheitsdirektive 67), herausgegeben vom Weißen Haus am 20.März 1992. Indem die CIA und NSA zur Spionage gegen ausländische Konkurrenz amerikanischer Firmen eingesetzt werden, sollte ein "eingeebnetes Spielfeld" im Außenhandel geschaffen werden, so das erklärte Ziel.

Nach dem Inkrafttreten der neuen politischen Richtlinien installierte die damals neue Clinton-Administration ein neues Gremium zur Förderung des Außenhandels, das Trade Promotion Coordination Commitee (TPCC) als eine ihrer ersten Amtshandlungen - mit direktem Input geheimdienstlicher Information vom CIA und direkten Verbindungen zur US-Wirtschaft durch ein sogenanntes "Advocacy Center". Nachrichtendienstliche Informationen von NSA und CIA wurden dem US Department of Commerce (Wirtschaftsministerium) durch ein "Office of Intelligence Liasion" übermittelt, das über die nötigen Voraussetzungen für die Verwertung abgehörter Information - wie sie zum Beispiel das Echelon-Netzwerk liefert - verfügt. (siehe hierzu Annexe 2-1 und Annexe 2-2)

Laut den Dokumenten, die dem Echelon-Ausschuss übergeben wurden, und die nun hier veröffentlicht werden, schlug das CIA-Team im US-Wirtschaftsministerium vor, Informationen über die "wichtigsten Konkurrrenten" amerikanischer Firmen in einem bedeutendem asiatischem Markt zu sammeln. Ein Dokument zeigt, dass von 16 US-Regierungsbeamten, die an einem Meeting über Auftragsbeschaffung in Indonesien teilnahmen, fünf der Beamten vom CIA waren (siehe hierzu Annexe 2-3).

Zwei der größten elektronischen Abhörstationen der USA befinden sich in Bad Aibling, Bayern, sowie Menwith Hill, England. Beide Stationen hören Satellitenkommunikation ab und benutzen Überwachungssatelliten, um Kommunikationsverbindungen am Boden auf der gesamten westlichen Hemisphäre aufzufangen.

Dem US-Kongress wurde kürzlich mitgeteilt, dass als Ergebnis der "Einebnung des Spielfeldes" amerikanische Firmen Verträge im Wert von 145 Milliarden US$ im Laufe der neunziger Jahre erhielten, nachdem es US-Geheimdiensten gelungen sei, wie sie behaupten, Bestechung und andere unfaire Geschäftspraktiken aufgedeckt und erfolgreich bekämpft zu haben. Viele solcher Verträge finden sich aufgelistet in Dossiers mit Fallstudien aus den neunziger Jahren.

Laut solcher vom Advocacy Center veröffentlicher Berichte über "Erfolgs-Stories" haben europäische Firmen dramatische Einbußen hinnehmen müssen. Frankreich entgingen Exporte im Wert von nahezu US$ 17 Milliarden, Deutschland US$ 4 Milliarden, von insgesamt US$ 40 Milliarden. Schweden entgingen US$ 386 Millionen, den Niederlanden US$184 Millionen. Nicht bei allen dieser "Erfolge" werden notwendigerweise Vorwürfe von Bestechung erhoben, doch in vielen Fällen schon.

Die US-Regierung hat allerdings, trotz der hohen Zahl von Fällen, bei denen sie Bestechung festgestellt haben will, niemals irgendwelche Beweise als Beleg für ihre Behauptungen publiziert. Auch hat sie niemals Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet. Ebenso schwierig ist es, stichhaltige Beweise dafür vorzulegen, wo geheime Abhörmaßnahmen in spezifischen Fällen einen wichtigen Vertragsabschluss beeinflusst haben. Alle Berichte über spezifische Fälle, bei denen europäischen Firmen Geschäfte entgingen, so wie z.B. der Verlust eines Auftrags in Höhe von US$ 8 Milliarden durch Airbus, stammen aus der amerikanischen Presse, und zwar aus einer Zeit, als der Regierung Clinton daran gelegen war, möglichst publik zu machen, dass sie alles in ihren Fähigkeiten stehende zum Wohle der Wirtschaft unternimmt.

Das eindeutige Motiv war, der amerikanischen Bevölkerung zu zeigen, dass ihre Regierung und ihre Geheimdienste nun der Wirtschaft unter die Arme greifen. Als man sich in Europa über das Echelon-System Gedanken zu machen begann, hörten solche Berichte plötzlich auf in US-Medien zu erscheinen und der Informationsfluss vertrocknete.

Viele Europaparlamentarier vermuten, dass die amerikanischen Behauptungen, ihre geheimen Abhörkapazitäten einschließlich Echelons nur zur Verhinderung von Bestechung einzusetzen, ein Verschleierungs-Manöver sind, um von zielgerichteter Konkurrenzspionage für Industrie und Handel abzulenken.

Der Bericht "Wirtschaftsspionage und deren Auswirkungen auf den internationalen Handel" (COMINT impact on international trade) setzt mit vielen detaillierten Quellenangaben auseinander, dass es höchstwahrscheinlich der Fall ist, dass Europa seit 1992 bis heute signifikante Verluste an Arbeitsplätzen und finanzieller Natur erlitten hat, als Ergebnis der US-Politik der "Einebnung des Spielfeldes". Der Bericht versucht nicht die Frage zu beantworten, ob die Position der USA, dass solche Interventionen wegen korrupten und unfairen Verhaltens ausländischer Konkurrenz gerechtfertigt waren und sind, eine Grundlage haben oder tatsächlich der Wahrheit entsprechen.

Aber es ist auch gar nicht nötig zu zeigen, dass geheimdienstliches Material direkt an US-Firmen weitergegeben worden ist, mit weitreichenden wirtschaftlichen Schäden für die Konkurrenz. Der Spielraum solcher Schätzungen kann zwischen US$ 13 Milliarden und US$ 145 Milliarden liegen. Die einzig sichere Feststellung ist, dass die exakte Zahl nie genau bekannt werden wird.

Obwohl über die Berichte in amerikanischen Medien von 1994 bis 96 hinaus keine neuen Fälle von Verlusten europäischer Firmen belegt werden konnten, kommt der Echelon-Ausschuss zu dem Ergebnis, dass NSA-Aktivitäten dieser Form in Europa auch dann nicht legal sind, wenn es wirklich bewiesen ist, dass Bestechung im Spiel war. Der Entwurf des Berichts betont:

"Von amerikanischer Seite wurde wiederholt versucht, das Abhören von Telekommunikation mit dem Vorwurf der Korruption und Bestechung von europäischer Seite zu rechtfertigen.

Die USA seien darauf verwiesen, dass alle EU-Staaten über funktionierende Strafrechtssysteme verfügen.

Liegen Verdachtsmomente vor, so hat die USA die Strafverfolgung den Gastländern zu überlassen. Liegen keine Verdachtsmomente vor, so ist eine Überwachung als unverhältnismäßig einzustufen, folglich menschenrechtswidrig und daher unzulässig."

Erst vor einer Woche hat der ehemalige CIA-Direktor Woolsey seine Vorwürfe über die korrupten Europäer bei einem Treffen in New York wiederholt. Im Kontext der Abhörmaßnahmen, die in den britischen und deutschen Stationen der NSA erfolgen, erscheint das als ein Zugeben ungesetzlichen Handelns.

Laut dem Bericht in seiner vorliegenden Entwurfsfassung dürfen, "nach der Europäischen Menschenrechtskonvention Eingriffe nicht unverhältnismäßig sein, zudem muss das gelindeste Mittel gewählt werden. Für den europäischen Bürger ist ein Eingriff, der von europäischer Seite vorgenommen wird, als weniger tiefgreifend zu werten als einer von amerikanischer Seite". Das ist nicht zuletzt deshalb so, "da ihm nur im ersten Fall der Rechtszug an nationale Instanzen offen steht.":

"Eingriffe müssen daher so weit wie möglich von deutscher bzw. englischer Seite vorgenommen werden, folgerichtig jedenfalls die im Dienste der Strafverfolgung."

Der Berichtsentwurf des Ausschusses schlussfolgert, "dass es guten Grund zu geben scheint ... an Deutschland und das Vereinigte Königreich zu appellieren, ihre Verpflichtungen unter der Europäischen Menschenrechtskonvention ernstzunehmen und die Genehmigung weiterer Geheimdienstaktivitäten der NSA auf ihrem Staatsgebiet davon abhängig zu machen, ob diese mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen sind."

Anhang: Die IC2001-Dokumente

Vier neue Studien über "Abhörkapazitäten - Auswirkungen und Ausnutzung" wurden vom nichtständigen Untersuchungsausschuss über das Echelon-Abhörsystem des Europaparlaments im Dezember 2000 in Auftrag gegeben. Die neuen Studien brachten brachten den bisherigen Bericht "Interception Capabilities 2000" (1999) auf den aktuellsten Stand und erweiterten das Untersuchungsgebiet. Insbesondere betreffen sie die sogenannte "communications intelligence" (COMINT) und deren Nutzung für wirtschaftliche Zwecke, auch unter Berücksichtigung von gesetzlichen und Menschenrechtsfragen, sowie jüngerer politischer und technologischer Entwicklungen.

Diese Studien wurden dem Echelon-Ausschuss bei einem Treffen in Brüssel am 22. und 23. Januar 2001 vorgelegt. Die vierte Studie über technologische Entwicklungen wurde in Form einer Dia-Show vorgeführt. Die Studien eins bis drei werden hier mit Erlaubnis des Ausschusses veröffentlicht.

ECHELON and its role in COMINT

IC2001, paper 1

Dieser Berichte fasst die Beweislage über Echelon als globales Abhörsystem zusammen.

COMINT impact on international trade

IC2001, paper 2

Der zweite Bericht beschreibt anhand detaillierter Quellen, welche Verluste an Arbeitsplätzen und in finanzieller Hinsicht durch die US-Politik der "Einebnung des Spielfeldes" seit 1992 hat hinnehmen müssen. Der Bericht bezieht sich auf mehrere Anhänge

Annexe 2-1 Hintergrundpapier zum U.S. Trade Promotion Co-ordinating Committee (TPCC) und dem Advocacy Center, einschließlich dessen Mission Statement.

Annexe 2-2 Ein Fragebogen für US-Unternehmen, die sich für Unterstützung durch das Advocacy Center qualifizieren wollen. Diesen gibt es auch im Internet.

Annexe 2-3 Arbeitsdokumente, welche die Beteiligung des CIA an der Förderung des US-Außenhandels belegen, die unter dem "Freedom of Information Act" in den öffentlichen Raum gelangten.

Annexe 2-4 U.S. trade "Success stories" affecting Europe - financial and geographical analysis (Anm. d. Red: Eine Online-Version wird sobald wie möglich zugänglich gemacht. Viele der Erfolgsberichte gibt es bereits online, zum Beispiel den Bericht über das umstrittene Kraftwerk in Dabhol in Indien.

COMINT, privacy and human rights

IC2001, paper 3

Dieses Papier enthüllt, dass Großbritannien den Schutz der Rechte amerikanischer, kanadischer und australischer Bürger vor Abhörmaßnahmen in einem Ausmaß unterstützt, der über den Schutz eigener Bürger hinausgeht, während überhaupt kein Schutz für kontinentaleuropäische Bürger besteht.

Weitere Berichte

Dem Ausschuss wurden auch einige Kopien wichtiger Zeitungsartikel über die Tötigkeit von US-Geheimdiensten und Wirtschaftsspionage vorgelegt.:

  1. "Why We Spy on Our Allies", by James Woolsey, former director of the CIA, Wall Street Journal, 17 March 2000.
  2. "U.S. spying pays off for business" by Bob Windrem, NBC News Online, 15 April 2000 Originally published at MSNBC This link is broken, but an alternative copy is here and on other sites.
  3. "U.S. steps up commercial spying - Washington gives companies an advantage in information", by Bob Windrem, NBC News Online, 7 May 2000. Again, the link has recently been broken, but an alternative copy is at www.gn.apc.org/cndyorks/caab/articles/spying.htm.

Übersetzung aus dem Englischen von Armin Medosch