Warum der drahtlose Raum zerstört werden wird

Noch erinnert die WAP-Welt an das Web im Jahr 1994, bevor es Banneranzeigen, animierte Gifs und Cookie-Angriffe gab

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Also gut, ich gebe Ihnen einen Einblick in ein Geheimnis. Gegenwärtig gibt es eine Möglichkeit, auf das Internet so schnell, bequem und ungestört wie früher zuzugreifen, bevor es Banneranzeigen, animierte Gifs und Cookie-Angriffe gab. Es ist die geradlinige, nur aus Text bestehende WAP-Welt, ein vereinfachtes World Wide Web, auf das man eigentlich nur mit Handys oder PDAs zugegreifen sollte.

Doch dank einiger Sicherheitslücken kann man, wenn man die nicht veröffentlichten URLs dieser Sites kennt, diese mit einem gewöhnlichen Browser aufrufen. Danach werden Sie nicht mehr der Gleiche sein.

Probieren Sie einmal die New York Times im Web ohne Werbung und Grafik aus, indem Sie zu dieser URL gehen. Haben Sie das schon einmal gemacht? So hat das Web 1994 ausgesehen, bevor das unglückselige Konzept der Werbeagenturen, das Internet in einem Plattform der Direktvermarktung zu verwandeln, überhaupt entstanden ist.

Das ist die New York Times, frei von verwirrenden Layouts, Zeit kostenden grafischen Downloads und sinnloser Navigation. Auf dieser Version der Site, die für Handys mit geringer Bandbreite gedacht ist, wird jeder Artikel mit dem Titel und einer Beschreibung in einer Zeile aufgelistet. Der Titel ist unterstrichen, was bedeutet, dass er mit dem Text des Artikels verlinkt ist. Wenn man auf den Titel klickt, kommt man auf eine neue Seite, die den Artikel selbst enthält – wieder ohne Grafik, Werbung oder nutzlosen Ablenkungen.

Ich weiß schon, dass diese Beschreibung ein wenig sarkastisch klingt, aber nur deswegen, weil diese auf der Hand liegende und logische Methode, eine Website einzurichten, aus dem Web heute ganz verschwunden ist. WAP-Sites wie die der New York Times oder von CNN sind gegenüber dem Medium leichter, schneller und organischer und auch leichter für den Leser und den Verleger.

Man muss nur einmal mitkriegen, wie schnell diese Seiten selbst mit einem normalen alten Modem laden. Probieren Sie einmal aus, wie Sie ohne Anstrengung von einem Artikel zum nächsten gehen, Textpassagen ausschneiden und kopieren, Links Freunden emailen oder die Daten so verwenden können, wie man dies haben will. Keine Frames, kein JavaScript, keine speziellen Applikationen, die man herunterladen muss. Das Surfen im Web lässt sich nicht verfolgen, es gibt keine Spionageprogramme, die sich auf der eigenen Hardware einnisten, und kein Interface, das zwingend vorgeschrieben wird, um den Finger in Richtung des "Kaufen"-Buttons zu lenken.

Probieren Sie diese blitzschnelle und benutzerfreundliche Welt selbst einmal aus. Dann werden Sie verstehen, worüber Menschen wie ich seit den letzten 5 Jahren geklagt haben. Mit dieser einfachen, offenen und zugänglichen Informationsarchitektur kommt man heute so nah wie möglich an das Internet heran, über das wir, die wir zu Beginn der 90er Jahre online waren, noch immer sprechen. Jetzt wissen Sie, warum wir uns so stark beklagen. Wir sind nicht nostalgisch wegen der Unschuld unserer interaktiven Jugend. Wir haben nur eine ziemlich klare Erinnerung daran, wie viel besser die ersten Web-Interfaces den Bedürfnissen der Studenten, der Lehrer und allen anderen dienten, die nach Information suchten.

Natürlich haben visuelle Interfaces, Streaming Media und interaktives Gebimmel eine Bedeutung, aber sie sollten auf Sites eingesetzt werden, die mit Kunst, Spielen oder Technik zu tun haben. Für die Darstellung von Texten und eine schnelle Navigation übertrifft nichts die Einfachheit. Genießen Sie diese Sites, solange Sie dies können. Selbst wenn sie für die Browser zugänglich bleiben, werden sie so nicht lange aussehen. Die "mobile Revolution" pumpt neue Luft in die Spekulationsblase, die durch den Dot.com-Zusammenbruch zerplatzt ist. Venture-Kapitalisten, die noch letztes Jahr ihre E-Commerce-Inkubatoren als heiße Tipps gehandelt haben, haben sich jetzt von ihrer Bindung an das Internet losgesagt und stecken ihre ganzen Claims im drahtlosen Raum ab.

Ihre neuen Geschäftspläne werden sich genau so wie ihre unvermeidlichen Ausstiegsstrategien als ebenso fruchtlos wie ihre vorangegangenen erweisen – aber erst, nachdem sie den ganzen drahtlosen Raum mit neuen Werbekonzepten, Methoden zum Eindringen in die Privatsphäre und Grafiken, die die Bandbreite belasten, zugestopft und verdorben haben. Man kann darauf warten. Wenn sich genügend Menschen Handys mit farbigen Displays, die es schon gibt, und drahtlosen schnellen Palm-Geräten gekauft haben, dann werden Funktionen, die wir heute als gegeben betrachten wie SMS-Botschaften oder Nur-Text-Surfen, frustrierend komplex und unzugänglich werden.

Wir verstehen alle, dass für die Dienste, die wir gerne in Anspruch nehmen, irgendwie gezahlt werden muss. Aber Online-Vermarktung hörte nicht damit auf, das man etwas bezahlt. Als Mittel zur Finanzierung von Web-Inhalten ist die Werbung gescheitert. Sie war erfolgreich beim Fernsehen und Radio, weil diese passive Medienerlebnisse bieten. Hier macht Sponsorenschaft Sinn, aber nicht in einer interaktiven Medienlandschaft, wo Werbung dem Leser nur bei allem, was er gerade zu machen versucht, in die Quere kommt.

Wir würden die Belästigung nicht akzeptieren, jedes Mal, wenn wir den Telefonhörer ergreifen, einer Werbung zuhören zu müssen. Wir zahlen für Wähltöne. Ganz ähnlich zahlen wir für den Zugang zum Internet und zum drahtlosen Inhalt und sollten nicht die bequeme Bedienung den Wünschen von Vermarktern oder NASDAQ-Investoren unterwerfen.

All den Geschäftsleuten da draußen sei gesagt: Bevor ihr wieder denselben Fehler begeht, schaut euch erst einmal die Websites an, die ich angegeben habe. Denkt bitte einen Augenblick darüber nach, ob ihr euch eher Möglichkeiten ausdenken wollt, Geld damit zu verdienen, den Menschen nützliche, störungsfreie Dienste anzubieten, als sie einfach zu zerstören.

Copyright by Douglas Rushkoff
Distributed by New York Times Special Features
Übersetzt von Florian Rötzer