Der Kosovo, die UCK und Psychedelia à la Rudolf Scharping

Zwei Jahre nach dem Ende der militärischen Intervention der NATO am 10. Juni im Kosovo zeigt sich, dass der Westen - falls er jemals an einer Befriedung des Balkans interessiert war - seine humanitären und politischen Ziele gründlich verfehlt hat.

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An der Lage in der Region hat sich wenig geändert: Noch immer leidet der Kosovo unter Unfrieden und Kriegsschäden, seine Zukunft ist auch weiterhin ungewiss. Das Verhältnis von Kosovo-Albanern und Serben ist angespannter und ihre Probleme sind schwerer lösbarer als je zuvor. Anstelle der Kosovo-Albaner haben nun fast alle Serben und Roma (insgesamt etwa 300.000) aus Angst um ihr Leben die Region verlassen. Und die Stärkung der Position der Kosovaren und ihrer radikalsten Vertreter, der UCK, durch die NATO-Staaten ließ zwar ein geschwächtes Serbien zurück, leistete jedoch einem großalbanischen Nationalismus oder auch einfach nur der Ausbreitung von organisierten Kriminellen Vorschub. Die Folgen werden nun in den Übergriffen der UCK auf Mazedonien deutlich sichtbar. Doch nicht nur die unheilvollen Auswirkungen des kriegerischen NATO-Einsatzes, der sowohl gegen das Völkerrecht und die UN-Charta, als auch gegen NATO-Statuten und das deutsche Grundgesetz verstieß, sondern auch die Lügen, mit denen dieser Angriff vor allem in Deutschland gerechtfertigt wurde, kamen in den vergangenen zwei Jahren Stück für Stück ans Licht.

Vor allem die bundesdeutsche Regierung hat sich hier - gelinde gesagt - nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Angefangen beim Verschweigen des Zusatzes im Rambouillet-Vertrag (der erst als die Kriegshandlungen bereits in vollem Gange war, am 6.4.1999 den Bundestagsabgeordneten zugänglich gemacht wurde), in dem Serbien den NATO-Truppen Bewegungsfreiheit und Immunität in ganz Jugoslawien zugestehen sollte - was dem Verlust der nationalstaatlichen Souveränität also de facto einer Kapitulationsurkunde gleichgekommen wäre und was somit kein Staat der Welt unterschrieben hätte - über die widerwärtigen Aussagen von gegrillten Föten bis zur Erfindung eines serbischen Planes zur Ausrottung der Kosovo-Albaner ("Hufeisenplan") waren die deutsche Regierung und allen voran Verteidigungsminister Rudolf Scharping sich für keine noch so absurde Behauptung zu schade. Dabei konnte Scharping bei seinen Tiraden auf vor allem in Deutschland seit zwei Weltkriegen und dem Nationalsozialismus altbewährte anti-serbische Feindbilder zurückgreifen.

Zu den wohlfeilen Allgemeinplätzen für den Smalltalk gehört: Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Der Satz ist aber falsch: Die Wahrheit stirbt lange vor dem Krieg, sonst gelänge es gar nicht, ihn zu entfesseln

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schreibt Jürgen Elsässer in seinem Buch Kriegsverbrechen, in dem er "die tödlichen Lügen der Bundesregierung", wie es im Untertitel heißt, im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg detailliert darstellt. Der Autor stützt sich hierbei auf proserbischer Parteilichkeit durchaus unverdächtiger Quellen wie bisher unveröffentlichte Berichte des auswärtigen Amtes (!) und Tagesberichte des US-State Departments sowie auf eigene Recherchen bei der OSZE in Wien, dem UN-Tribunal in Den Haag und in Belgrad. Elsässer zeigt in seinem Buch, wie das noch unter Bundeskanzler Helmut Kohl geltende Credo, niemals dort Bundeswehrsoldaten einzusetzen, wo früher die Wehrmacht gewütet habe, Stufe für Stufe aufgeweicht wurde, wie seit dem vorgeblichen "Massaker" von Srebenica von 1995 durch Übertreibungen, Verschweigen von Tatsachen oder glatte Lügen die Serben konsequent zu Völkermördern hochstilisiert wurden, deren Treiben dringend Einhalt geboten werden müsse. So wurde aus einem Bürgerkriegsgefecht in Srebrenica ein Massenmord, und aus 1.900 getöteten Bosniern wurden dank der Rechenkünste von Verteidigungsminister Scharping 30.000. Dass auch die serbische Seite hier 1.500 Tote zu beklagen hatte, wurde dabei vollkommen außer Betracht gelassen.

Sehr viel deutlicher zeigt sich die Umdeutungs-Taktik in Bezug auf die Serben allerdings noch bei einem Ereignis, das später als moralische Legitimation für die Bombardierung Jugoslawiens herhalten mußte: beim "Massaker" von Racak am 15. Januar 1999.

Es gab keine Hinrichtungen, es gab keine Verstümmelungen, es gab keine Schüsse aus extremer Nahdistanz. Als unbewiesen muß ab sofort auch gelten, daß die Toten Zivilisten waren und daß sie alle in Racak getötet wurden. Damit ist der Behauptung eines "Massakers" die Grundlage entzogen,

fasst Elsässer die Ergebnisse der damals von der EU-Kommission und der OSZE in Auftrag gegebenen gerichtsmedizinischen Untersuchung zusammen. Dennoch klang es in dem fünfseitigen Auszug, der nur wenige Tage vor Beginn der Bombardierung Jugoslawiens veröffentlicht wurde so, als sei ein Massaker an unbewaffneten Zivilisten nicht auszuschließen. Der Rest des mehrere Kilogramm schweren Berichtes wurde vom damaligen EU-Ratspräsidenten Joschka Fischer unter Verschluss genommen. Racak konnte somit als Rechtfertigung des Angriffskrieges dienen. Derweil waren auch in Rambouillet (wo im gleichnamigen Vertragswerk interessanterweise auch einen Punkt zur Einführung der "freien" Marktwirtschaft in Jugoslawien enthalten war) dank des bereits oben erwähnten "Appendix B: Status einer multinationalen militärischen Implementierungsgruppe" die Würfel schon gefallen. Nachdem die Vertreter der UCK (die übrigens die US-Verteidigungsministerin Madeleine Albright erst einmal für eine Putzfrau hielten) von den NATO-Staaten mit Mühe und Not zur Unterzeichnung des Vertrages überredet worden waren, konnte man nun die Serben als uneinsichtige und verhandlungsunwillige Bösewichte brandmarken.

Gleichzeitig wurden vor Beginn des Krieges sämtliche Opfer ausschließlich serbischen Aggressionen angelastet, die Verantwortung für die Verschärfung der Krise allein den Serben zugeschoben, die provokateurischen und terroristischen Akte der UCK mitsamt ihren Opfern vollständig ausgeblendet, diese selbst zu Freiheitskämpfern glorifiziert: Die Zahl der Flüchtlinge (von denen übrigens in Deutschland gerade einmal 2,5 Prozent den Status eines politischen Flüchtlings erhielten!) wurde chronisch übertrieben (aus den vom UN-Flüchltlingswerk gezählten 30.000 wurden hier später dank dem scharpingschen Wahrnehmungsplus 600.000) und die Zahl der Toten durchweg viel zu hoch angesetzt (der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag kommt auf eine Gesamtanzahl von ca. 4000 tote Kosovo-Albaner). Außerdem wurden sämtliche serbischen Aktionen trotz Maßnahmen wie dem Rückzug von Polizeieinheiten aus dem Krisengebiet, der Mäßigung von Armee und Polizei und sogar der Warnung von Zivilisten vor einem militärischen Angriff (wobei sich die jugoslawische Armee anders als die albanischen Freischärler größtenteils an die Festlegungen der OSZE hielt) zu "Vertreibung und Völkermord" (Scharping) erklärt.

Doch mit der Anfangsbegründung des Krieges war die Schlacht noch nicht gewonnen, und zwar nicht nur die in Jugoslawien, sondern auch die mit den heimischen Medien. Denn hatten die Medien den Beginn der Bombardierung Jugoslawiens überwiegend als völlig gerechtfertigt betrachtet, so kamen nach einigen Kriegstagen, die noch nicht die erstrebte Niederlage der Serben erbracht hatten, auch in den deutschen Medien leise Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Krieges auf. Wie Elsässer schreibt:

Die ,mediale Heimatfront' wankte nach den ersten Bombennächten.

Um alle aufkommenden Zweifel zu zerstreuen, fuhr die deutsche Bundesregierung daher ein wirklich hartes Kaliber auf: Sie erfand die "Operation Hufeisen". Wie Elsässer zeigt, bastelte die deutsche Regierung aus unstrukturiertem, analytischem Material eines Wissenschaftlers des bulgarischen Geheimdienstes und Abhörmaterial aus dem Funkverkehr der Serben einen "Beweis dafür, daß schon im Dezember 1998 eine systematische Säuberung und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant" war (Scharping, Kriegstagebuch, 7. April 1999, S. 72), dass also die Vertreibung der Kosovo-Albaner durch die Serben nicht erst unmittelbar vor oder nach der Bombardierung Jugoslawiens begonnen hätte, sondern von langer Hand geplant worden sei.

Als dann noch Nachrichten über die Rücksichtslosigkeit der NATO gegen die Zivilbevölkerung und Bilder von so genannten "Kollateralschäden" der Bombardierungen Jugoslawiens die deutschen Fernsehzuschauer schockten, scheute man sich nicht, noch weitere abscheulich-absurde Greuelgeschichten über die Serben in die Welt zu setzen.

Wenn beispielsweise erzählt wird, dass man einer getöteten Schwangeren den Fötus aus dem Leib schneidet, um ihn zu grillen und dann wieder in den aufgeschnittenen Bauch zu legen; wenn man hört, dass systematisch Gliedmaßen und Köpfe abgeschnitten werden; wenn man hört, dass manchmal mit Köpfen Fußball gespielt wird, dann können Sie sich vorstellen, dass sich da einem der Magen umdreht,

tönte Scharping am 16. April 1999 auf einer Pressekonferenz. Es folgten ähnliche Behauptungen über besonders bestialische Vergewaltigungen albanischer Frauen und die Malträtierung albanischer Leichen mit Baseballschlägern. Stichfeste Beweise legte Scharping in sämtlichen Fällen nicht vor, wie Elsässer nachweist.

Weit aus dem Fenster lehnte der Verteidigungsminister sich auch bei einem Vergleich serbischer Taten mit Verbrechen der Nationalsozialisten. Bereits drei Tage nach Beginn der Bombardierung war er überzeugt, dass im Kosovo "Völkermord nicht nur vorbereitet" werde, sondern "eigentlich schon im Gange" sei. Scharping war es auch, der als erster von einem Konzentrationslager im Stadion von Pristina sprach. 1 (Das wurde auch von unseren freien Presse aufgegriffen. Am 1.April wartete "Bild" mit der Riesenschlagzeile "... sie treiben sie ins KZ" auf. Darunter war ein Foto mit Flüchtlingen auf dem Weg zur mazedonischen Grenze zu sehen.)

Wie Elsässer zeigt, sind beide Behauptungen völlig haltlos. Augenzeugen widersprachen der Behauptung eines Konzentrationslagers. Spuren von Massenmorden der Serben an den Albanern fanden sich nach dem Krieg nicht, obwohl doch gerade Morde des von Scharping unterstellten Ausmaßes leicht zu entdecken sein müssten.

Somit gab es zwar keinen "Hufeisenplan", den Willen der Bundesregierung, im Kosovo militärisch einzugreifen, allerdings schon. Die akribische Studie Elsässers liefert unter anderem den Beweis, dass es offensichtlich die Strategie der Bundesregierung im Kosovo-Konflikt war, die Situation im Kosovo nicht zu Befrieden, sondern zur Eskalation zu bringen. Denn zu meinen, mit einer im Nazi-Jargon gehaltenen Dämonisierung der Serben, die den Gebrüdern Grimm, wahrscheinlich sogar Bret Easton Ellis als Schreiber der Marvel-Comics auf LSD alle Ehre gemacht hätte, der Ernennung der UCK zu Freiheitskämpfern (deren ehemaligen Kombattanten sich heute oftmals ein erkleckliches Auskommen mit der Erpressung von Schutzgeldern, Menschenhandel und Zuhälterei erwirtschaften), der kompletten Nichtbeachtung serbischer Opfer und dem Hochspielen bosnischer Toter in absurde Dimensionen, einer völkerrechtswidrigen Bombardierung Serbiens und einer weder durch das NATO-Statut (wonach ein militärischer Einsatz nur im Falle des Angriffs auf eine alliierte Nation gerechtfertigt ist) noch durch die UN-Charta ( die eine gewaltsame Verletzung staatlicher Soveränität verbietet) oder das Grundgesetz (das einen Angriffskrieg untersagt und dass Jugoslawien Deutschland überfallen hätte, behauptet wohl niemand) gedeckten und gegen die UNO durchgesetzten Intervention auf fremden Boden, die Lage in einem ethnisch aufgeladenen Konflikt zu deeskalieren, so blöd ist vermutlich nicht einmal Rudolf Scharping.

Die Gründe dafür, warum die NATO sich im Kosovo militärisch engagierte und die Bombardierung Jugoslawiens der deutschen Regierung eine solche Vielzahl von Lügen inklusive einer pathologisch anmutenden Serben-Hetze wert war, bleiben bei Elsässer allerdings ziemlich im Dunkeln. Der Versuch dies dem Wahnsinnspotential der augenscheinlich zur Amtsübernahme gerade noch rechtzeitig vollends verblödeten 68ern in den Reihen der momentan regierenden Sozialdemokraten und Grünen - deren bester Job es seit je war, die Herrschaft subjektloser Vergesellschaftungsstrukturen mit dem Tun von bösen Menschen zu identifizieren, gleichzeitig das Denken durch einen weiteren bürgerlichen Moraltypus zu ersetzen, der auch weiterhin mit dem bedingungslosen Gehorsam vor von Außen auferlegten Geboten und Verboten operiert (da war selbst die RAF näher am Räuber Hotzenplotz und an Immanuel Kant als an Mao) und dessen Prinzipien so abstrakt sind, dass sie niemand in einer konkreten Situation für fünf Minuten einhalten kann, um abschließend einem ungenierten Pragmatismus Folge zu leisten - in die Schuhe zu schieben, ist zwar verständlich und sympathisch, bleibt aber erkenntnismäßig äußerst dünn. Natürlich hat die deutsche Politik - seit dem 2. Weltkrieg mit einem gravierenden Imageverlust belastet und in Sachen militärischer Interventionen auf besonders originelle und exorbitant moralische Motive angewiesen - mit ihrem vorgeschobenen Kriegsmotiv unter Rückgriff auf übelste Nazi-Demagogie ein Musterbeispiel an Verdrängung der eigenen dunklen Vergangenheit durch die Projektion nach außen abgeliefert. Dies betrifft die Legitimierung des deutschen Waffeneinsatzes, nicht aber den Krieg selbst. Schließlich hat nicht nur Deutschland Jugoslawien bombardiert und andere Länder haben auch anders argumentiert.

Fürderhin wird vermutlich noch mehrfach in der Welt die selektive Wahrnehmung und Instrumentalisierung der universalen Menschenrechte und kosmopolitischer Positionen zur Legitimation militärischer Aktionen des Westens zu beobachten sein. Da aber bei den Deutschen dieses humanistische Deckmäntelchen (noch?) nicht reicht, wird ausgerechnet die Bundeswehr bei der Bombardierung von unliebsamen Völkern und Nationen auch weiter auf das alte Motto der Friedensbewegung "Nie mehr Auschwitz" zurückgreifen. Da kann es einem schon mal tatsächlich den Magen umdrehen, dennoch wird dies, ebenso wie im Kosovo-Krieg noch nichts über den realen Sachverhalt aussagen.

Schlüssigere Antworten auf die Frage nach den Gründen geben einige Autoren des Sammelbandes Der Kosovo-Krieg. Fakten/Hintergründe/Analysen, den Ulrich Albrecht und Paul Schäfer herausgegeben haben. Anhaltspunkte finden sich zum einen im Beitrag des früheren Jugoslawien-Botschafters der DDR Ralph Hartmann, der die "schwere Mitschuld" der bundesdeutschen Politik an der Zerstörung Jugoslawiens aufzeigt, zum anderen bei Elmar Altvater, der in seinem Beitrag die intellektuelle Rechtfertigung des Krieges durch den Philosophen Jürgen Habermas kritisiert. So nennt Hartmann als Grund für die deutsche Kriegsbeteiligung, dass sich hier der deutschen Regierung die einmalige Chance geboten habe,

die letzten aus der Niederlage Hitlerdeutschlands im Zweiten Weltkrieg herrührenden militärischen Beschränkungen zu überwinden und die Bundesrepublik in eine "normale" militärische Großmacht zu verwandeln.

Altvater nennt als Ziele der US-amerikanischen Kriegsbeteiligung die via Entmachtung von UNO und OSZE mögliche Ausschaltung Russlands und Chinas aus der Regulierung globaler Konflikte, außerdem geostrategische Interessen sowie die Absicht, Jugoslawien zu "streamlinen".

Weitere Erklärungszusammenhänge über den Kosovo-Krieg sind auch im Special der "Marxistischen Blätter" Nato-Krieg und Kosovo-Konflikt. Hintergründe, Zusammenhänge, Perspektiven. zu erfahren. Danach sind die ethnischen und religiösen Gegensätze zwar real, jedoch für die Handlungsweise der NATO nicht von zentraler Bedeutung gewesen, sondern waren wie die Menschenrechts- und Humanitätsfragen nur Mittel zum Zweck: Der Konflikt wurde ausgenutzt, um an Politikern wie Milosevic, die nach altrealsozialistischer Gutsherrenart nicht den Markt bestimmen lassen, sondern selbst darüber verfügen wollten, wer was in seinem Land investieren darf und wer nicht, ein Exempel zu statuieren und die widerborstigen Serben zurechtzustutzen. Es ging also nie um das Vorhandensein von Vernichtungslagern in Pristina, sondern eher um das Nichtvorhandensein von konkreten Investitionsmöglichkeiten in der Region für die westliche Wirtschaft:

Denn das Gebiet Serbien und Montenegro bietet mannigfaltige Investitionsmöglichkeiten und blockiert zugleich den freien Zugang des Westens zum Nahen Osten und zu den gewaltigen Ölreserven im Raum des Kaspischen Meers. Um also für die Wirtschaft günstige Verwertungsbedingungen realisieren zu können, sollten erst einmal politisch stabile, kapitalismuskonforme Verhältnisse geschaffen werden, was wiederum vermutlich nicht ganz zufällig der neuen NATO-Strategie der "Out-of-Area"-Einsätze auch ohne UN-Mandat entspricht:

Besonders unter dem Kaspischen Meer lagern strategisch wichtige, riesige Ölvorkommen. Man spricht in Fachkreisen von einem zweiten persischen Golf. Konsequent hat denn auch die Regierung in Washington diesen Teil der ehemaligen Sowjetunion als "Gebiet von vitalem Interesse" für sich reklamiert. US-Energie-Konzerne haben Investitionen in zig Milliarden Dollar Höhe geplant. Aber große politische Probleme in der Region verhindern seit Jahren deren Realisierung. (...) Voraussetzung für die Realisierung dieses Potentials ist politische Stabilität, die die NATO im Rahmen ihrer "neuen Rolle" schaffen soll.

Rainer Rupp

Fazit: Um den "vitalen Interessen" der NATO am Kosovo Ausdruck zu verleihen wurden 3000 Jugoslawen (davon 2000 Zivilisten) umgebracht, 7000 Menschen verwundet, 82 Brücken, 422 Schulen, 48 Einrichtungen des Gesundheitswesens, 74 TV-Stationen, sprich: ein Großteil der jugoslawischen Wirtschaft und Infrastruktur zerstört. Zivile Ziele wurden angegriffen, 23614 Bomben (davon 1000 Clusterbomben) abgeworfen und überall fleißig mit uranhaltiger Munition herumgeballert, die ja völlig ungefährlich sein soll, wie man an den betreffenden NATO-Soldaten sieht.

Dass man heutzutage mit sowenig Gründen und so blöder Propaganda so ungestört und so aufwendig Kriege führen kann, wird besonders auch die Chinesen freuen, auf deren Territorium sich nicht wie in Ex-Jugoslawien ein paar Ethnien, sondern über fünfzig Minderheiten tummeln. Diese haben seit dem Kosovo-Krieg auch tüchtig atomar aufgerüstet und wer kann es ihnen, auch wenn es pervers ist, verdenken. Denn wer so bedenkenlos das Völkerrecht bricht, die UNO ignoriert, gegen seine eigenen Statuten verstößt und ganz ungeniert seiner eigenen Bevölkerung ins Gesicht lügt, wie die NATO-Staaten im Kosovo-Krieg, der sucht sich auch andere Gegner aus, wenn es in seinem Interesse liegt.

Somit wären wir knapp zehn Jahre nach dem Fall des Ostblocks wieder in einer Kalten-Kriegs-Situation und bei einem wirklich schönen Satz von F. Scott Fitzgerald angelangt:

So regen wir die Ruder, stemmen uns gegen den Strom - und treiben doch stetig zurück, dem Vergangenen zu.

Im Juni erscheint die vierte Ausgabe von Jürgen Elsässers Buch "Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Nato und ihre Opfer im Kosovo-Konflikt". Der Inhalt wurde überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Unter anderem enthält die aktualisierte Ausgabe zwei neue Kapitel über die Folgen der von der Nato eingesetzten Uran-Munition und über die Reaktion der Bundesregierung auf die im Jahr 2001 bekannt gewordenen Fakten zum sogenannten Racak Massaker und dem angeblich serbischen Hufeisenplan. Der Autor liest am 13. Juni in Oberhausen, am 15. in Lübeck und am 7.Juli in Berlin. Weitere Lesungen sind in Dortmund, Bad Nauheim Amsterdam, Bottrop, Paris, Karlsruhe geplant.