Türkischer Staatspräsident legte Veto gegen ein neues Mediengesetz ein

Das vom Parlament bereits gebilligte Gesetz unterwirft das Internet dem verschärften Medienrecht

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Erst einmal wurde das neue, sehr umstrittene und von vielen Parteien, Medien und Organisationen bekämpfte Mediengesetz in der Türkei, das bereits vor zwei Wochen durch das Parlament gegangen ist, noch einmal suspendiert, nachdem der türkische Staatspräsident Necdet Sezer sein Vetorecht benutzte und es vor allem als undemokratisch ablehnte. Jetzt geht das Gesetz wieder zurück ins Parlament, bevor möglicherweise, falls Sezer es nach der erneuten Vorlage wieder ablehnen sollte, das Verfassungsgericht darüber entscheiden muss. Das Mediengesetz hätte die Zensurmöglichkeiten der Regierung verschärft und auch auf das Internet übertragen.

Begründet hatte Sezer seine Ablehnung auch dadurch, dass die Türkei Mitglied der EU werden will. Derart undemokratischen Gesetze, die wie das geplante Mediengesetz die Meinungsfreiheit einschränken, sind da nicht dienlich, weil damit das Versprechen gegenüber der EU, demokratische Reformen auszuführen, gebrochen werde. Die Argumentation macht auch deutlich, dass sich durchaus über politischen Druck Demokratisierungsprozesse verstärken lassen. Das Gesetz, so Sezer, enthalte Artikel, die "mit den demokratischen Traditionen, den fundamentalen Rechten und Freiheiten und den Verfassungsprinzipien nicht zu vereinbaren sind".

Mit der Pressefreiheit steht es auch jetzt schon nicht gut in der Türkei. Von der EU wurde die Türkei schon einige Male wegen Verletzungen der Pressefreiheit gerügt. Auch das alte Mediengesetz aus dem Jahr 1994 räumte der Medienaufsichtsbehörde RTÜK (Hohe Rundfunk- und Fernsehrat) große Rechte ein, die auch gerne genutzt werden. Aufgrund der alten Gesetzgebung aus dem Jahr hat die RTÜK im letzten Jahr Strafen für Rundfunk- und Fernsehsender in Höhe von 4.600 Tagen Blackout verhängt, an denen nicht gesendet werden durfte. Auf der letzten Sitzung am 16. Mai wurden alleine neun lokale Radiosender und vier Fernsehsender mit insgesamt 392 Tagen Sendeverbot bestraft. Neben Zensur und Verboten enthält das Mediengesetz auch genaue Vorschriften darüber, wie oft Werbung gesendet werden kann, wieviel Kultur im Programm enthalten sein muss oder welchen Anteil die inländischen Sendungen haben müssen.

Die RTÜK wurde seiner Zeit gegründet, nachdem es seit 1993 möglich wurde, private Rundfunk- und Fernsehsender einzurichten, wodurch der Staat die Kontrolle verloren hat, die er bislang über den staatlichen Fernsehsender TRT besaß. Offenbar sieht man jetzt einen ähnlichen Verlust der Kontrolle durch das Internet, weswegen das Gesetz auch auf das Internet erweitert werden soll. Inhaltlich hatte die RTÜK eine große Macht, die ihr auch künftig bleiben soll. Verboten werden können Sendungen, wenn die nationale Einheit des Landes bedrohen oder gegen die Reformen Atatürks gerichtet sind, Unterschiede zwischen Menschen betonen und zu Hass oder Feindschaft führen oder gegen die Moralvorstellungen der türkischen Familie verstoßen. Immer stellte das Mediengesetz natürlich ein wichtiges Mittel dar, missliebige politische Kritik, vor allem wenn sie etwas mit der Kurdenpolitik zu tun hat, zu unterdrücken und die Kurden auch in der Medien auszugrenzen. Auch schon der Sprachregelung für das staatliche Fernsehen gibt es keine Kurden, sondern nur türkische Bürger oder Terroristen, nachdem sie zuvor unter anderem als Bergtürken bezeichnet wurden. Nach dem neuen Gesetz sind weiterhin Sendungen auf kurdisch verboten.

Bislang wurden von den insgesamt neun Mitgliedern des Komitees fünf von den Regierungs- und vier von den Oppositionsparteien vorgeschlagen und dann vom Parlament gewählt. Nach Ministerpräsident Ecevit hatte dieses Organ aber nur selten die wirklichen politischen Machtverhältnisse abgebildet. Das soll offenbar durch die neue Regelung "besser" werden, bei der nur noch 5 Mitglieder vom Parlament bestimmt werden. Zwei weitere werden aus vier vom Hochschulrat vorgeschlagenen Kandidaten vom Ministerrat ausgewählt, der auch über vorgeschlagene Kandidaten des Journalistenbundes und die Presserats sowie des Nationalen Sicherheitsrates befindet. Damit hätte sich die Regierung praktisch das Gremium angeeignet.

Begrüßt wird von den Medienkonzernen das neue Gesetz, weil es die bislang bestehenden, wenn auch bereits umgangenen Beschränkungen aufhebt, die verhindern sollen, dass sich Medienmonopole herausbilden. Zwar sollen die Strafen mit Sendeverboten unterschiedlicher Dauer entfallen, aber sie werden nur durch hohe Geldstrafen ersetzt, so dass die Kontrollbehörde nicht nur der Zensur dient, sondern möglicherweise auch der Geldbeschaffung. Die Vorschriften sind so weit auslegbar, unter anderem sollen Sendungen auch nicht zu Depressionen führen, dass eine Bestrafung wohl fast jederzeit möglich wäre.

Zur Kontrolle des Internet soll das Gesetz auch alle Inhalte einschließen, die im Internet veröffentlicht werden. Websites werden Fernsehsendern oder Zeitungen gleichgestellt und müssen in Zukunft bei staatlichen Behörden angemeldet werden. Das Gesetz ist dabei so vage, dass möglicherweise, wie Kritiker warnen, alle Homepages der Zensur unterworfen und die Internetprovider für den Inhalt der von ihnen gehosteten Seiten verantwortlich gemacht werden könnten. Besonders hier hatte Staatspräsident Sezer Bedenken angemeldet, weil für ihn das Internet eine "Revolution in der Kommunikationstechnologie" darstellt, da es das beste Mittel bietet, "um sich frei auszudrücken, Ideen zu verbreiten und neue Meinungen zu bilden". Das Internet sollte daher nicht vollständig der Zensur einer staatlichen Behörde unterworfen und dem Presserecht untergeordnet werden.

Viele machen sich freilich auch über das Gesetz lustig, weil es die Eigenschaften des Internet nicht beachte und daher die beabsichtigte Kontrolle gar nicht leisten könne. Burak Cedetas, Vorsitzender des Verband der türkischen Internetprovider, meinte gegenüber der Washington Post, dass Gesetz einen Versuch darstellen könne, die Verantwortlichkeit für Inhalte im Netz zu regeln, also dass beispielsweise Richtigstellungen von falschen Meldungen veröffentlicht werden müssen. Das vorliegende Gesetz aber sei zu ungenau und umfassend geworden. Noch zumindest kann der Protest gegen das Gesetz auch im Internet stattfinden.

Eigentlich aber scheint das neue Gesetz auch gar nicht wirklich notwendig zu sein, um unliebsame Inhalte aus dem türkischen Internet zu entfernen. Ende März wurde so Coskun Ak, verantwortlich für die interaktiven Inhalte beim türkischen Internetprovider Superonline, zu einer Haftstrafe von 40 Monaten verurteilt. Er wurde schuldig befunden, "die türkische Republik, das Militär und das Recht verletzt" zu haben, weil er nicht Postings einer unbekannten Person aus einem Forum gelöscht hatte. Superonline selbst wurde nicht zur Verantwortung gezogen. Inhalt der Forumsbeiträge waren Klagen über Menschenrechtsverletzungen.

Auch in Spanien wird über ein neues E-Commerce-Gesetz gestritten, von dem Kritiker befürchten, dass damit auf andere Weise die Meinungsfreiheit im Internet beschnitten und indirekt Zensur ausgeübt werden könnte (Die spanische Regierung legt ein E-Commerce-Gesetz vor).