Das Netz existiert hierzulande als Politik, nicht in der Politik

Abschließende Betrachtungen des Kongresses "Internet & Politik"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die FAZ machte sich am Montag, den 24.2., aggressiv und umfänglich lustig über den Kongress "Internet und Politik", den die Burda-Akademie des 3. Jahrtausends letzte Woche durchführte. Genauer: über die "Apologeten der elektronischen Demokratie", die "E-Demokraten", denen es nicht um Demokratie, sondern darum gehe, als neue Netz-Elite die alten Eliten zu entmachten. Die E-Demokraten interessierten sich nicht für die wirkliche Gesellschaft und dafür, wer den Unterprivilegierten eine neue Rolle in der E-Demokratie beibringen könne. Mit den "grossen internationalen Konzernen" - fast lese ich "Monopole"- hätten sich die E-Demos schon gar nicht befasst. Den E-Demokraten schreibt der Autor mit ach so hartem weltlichen Realismus ins Stammbuch: "Das Internet ist dabei, seine endgültige Form anzunehmen, nicht als Utopie direkter Demokratie, nicht als rechtsstaatlich organisierte Gemeinde, sondern als Spiegel der Verhältnisse, wie die Welt sie ausserhalb des Internets kennt."

Die Polemik der ye`olde FAZ zeigt: das Blatt ist manchmal rechts von Stoiber. Schon dem blossen Reden von elektronischer Demokratie begegnet sie mit Hohn und Spott. Vielleicht ist es das, was Verleger Burda im Anfangswort des Kongresses ansprach: dass das Netz hierzulande etwas anderes sein könne als in den USA: Stoibers Polizeipatrouille auf dem Netz, das ist die wirkliche Welt der FAZ.

Der Kongress war politisch interessant, wissenschaftlich kaum; Meinungen, nicht Präsentationen von Forschungsergebnissen waren angesagt. Was war das politisch Interessante an der Veranstaltung?

Interessant war erstens die Resonanz. Burdas Stiftung und ihre Berater hatten einen guten Richer mit dem Thema, denn die Resonanz war gross: ein paar Hundert Leute interessierten sich für Internet und Politik, einige Hundert hätten nicht mehr reingekonnt (war zu erfahren). Und das waren kaum Grassroot`s und Aktivisten, Linke und Netzmenschen - wer will schon 390.- DM löhnen. Das so normalisierte Publikum: viele aus dem mittleren und unteren Verwaltungs-, Politik-, Organisations- und Medienbereich, 3 Ossis, fast niemand aus dem Ex-Sowjetreich, ein paar Frauen (nach 8 1/2 Tagungsstunden - um 17.35 Uhr am ersten Tag - war die erste Frau zu hören - aus dem Publikum), und nicht wenige, die etwas zu sagen haben in der schönen neuen Welt der Netzpolitik.

Dass das deutsche und europäische Netz etwas anderes sein könne, als das US-Netz, war Thema für Burda, aber sonst fast nie (nur in einem kurzen Encounter zur EG-Politik). Weder beim Content, noch bei der Hardware, nur in Sachen Netzpolizei. Konkurrenzentwicklung auf dem Weltmarkt mit eigenen Produkten (Mangold`s Rede als Repräsentant von Debris folgte frei der Lenin`schen Maxime: Internet plus Dienstleistungsgesellschaft = Kapitalmacht) und Absahnen beim Schlankmachen des Staats (Siemens: hat eben auf dem Düsseldorfer Kongress zu diesem Thema ein Konzept zur kooperativen Übernahme der Verarbeitung der Personaldaten der deutschen Staatsdiener vorgelegt) sind nichts besonderes, sondern üblicher Kapitalismus. Dies von Burda Angesprochene ist also - wenn überhaupt - ein Langzeitprojekt.

Interessant war daher zweitens die evidente, aber unausgesprochene Absicht: es ging bei diesem Kongress darum, dass die 60 % US-Redner (!!!) dem deutschen Publikum entschieden das Netz nahelegen, mit vielen Mitteln: realistisch (Miller oder Graham (UK)), vorwiegend enthusiastisch (Schuler, Grossman, Clift, Blau usw.) auch kritisch (Barber und vor allem der beeindruckende Herbert Schiller), libertär-brutal -sozialreaktionär (Dyson). Das Netz existiert hierzulande als Politik, nicht aber in der Politik - was schon an der Politik auf dem Netz unschwer zu erkennen ist. Deutsche Netzpolitiker waren kaum (natürlich, Jörg Tauss! Wenn sein Daddy die deutschen Autobahnen gebaut hätte, müsste ich mir meinen PC für die Uniarbeit nicht selbst mitbringen) präsent und, was den Amerikahype mancher deutscher Kongressberater anzeigt, jene wenigen, die sich hierzulande mit dem "deutschen" Internet und der "deutschen Politik" befassen, kamen nicht zu Wort.

Der Zweck dieses Vorhabens war somit, die neue sich abzeichnende technische Integration der Gesellschaft für politische Integration zu instrumentalisieren. Ein Kongress, der von Stoibers Lob der Jagd auf digitale Fingerabdrücke durch seine tolle Netzderricks bis zu Schillers kompromißlosem Angriff auf die Industriemacht über die neuen wie alten Kommunikationsmedien dieses Integrationsprojekt angeht, ist gelungen - und die Rede des bayerischen Ministerpräsidenten durchaus auf der Höhe der Zeit: nicht bloss Netzpatrouille auf Kinderpornographen und die Anrufung von Brauchtum und Kultur im ländlichen Raum als Schutzwall gegen Extremismus, sondern auch seine die Äußerungen des Zukunftsministers Rüttgers durchaus hinter sich lassenden (selbstverstädlich skeptischen) Ausführungen in Sachen direkte / indirekte Demokratie stehen dafür. Und erst Recht eine "Münchner Erklärung", deren Tonart zuweilen kräftig linksliberaldemokratisch und deren Inhalt streckenweise wertvoll konkret ist. Wie gesagt: Integration wagen.

Es hatte natürlich Grenzen: Gewerkschaften und Radikale, Linke und allelei Maulwürfe, die es so gibt, mussten leider draussen bleiben (halt: Geert Lovink hatte einen feinen Auftritt!). Kurz: kein läppischer Vorgang. Und: tags zuvor sind sich einige Menschen, die am IMD-Kongress letztes Jahr gearbeitet haben, sich einig geworden, dass wir für 98 wieder einen grösseren Kongress vorschlagen wollen. Er wird ganz anders werden, wenn die 230 Leute, die an dieser Liste hängen, es wollen.

Rainer Rilling: Cyberdemokratie