Stoppt Lufthansa Abschiebungen?

Die Kampagne "Deportation Class" gegen Abschiebungen hinterließ einen starken Eindruck auf der Lufthansa-Hauptversammlung.

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In den 90er Jahren schlossen sich Fluggesellschaften zu weltumspannenden Airline-Allianzen zusammen. Mit ihren zwölf Partnern in der kartellrechtlich nicht unumstrittenen "Star Alliance" kann Lufthansa mehr als 760 Destinationen in 112 Ländern anbieten. Ein Verbund internationaler Menschenrechtsgruppen im Umfeld von "kein mensch ist illegal" bezeichnet das Abschiebegeschäft auf Linienflügen als "Deportation Class" (Abschiebe-Klasse) und greift die "Deportation Alliance" der Fluggesellschaften Lufthansa, KLM, Austrian Airlines, Air France, Eurowings, Air Holland, Tarom und SAS mit imageschädigenden Aktionen an. Die am 15. Juni 2000 im Berliner Kongreßzentrum abgehaltene Lufthansa-Hauptversammlung stand ganz im Zeichen der Auseinandersetzung um die "Deportation Class".

Interventionen der Deportation-Class-Kampagne überschatten die Lufthansa-Hauptversammlung, Foto: Christian Ditsch

Zahlen zufolge, die taz berlin veröffentlichte, mussten 34.756 von 38.479 im Jahre 1998 abgeschobenen Personen Deutschland auf dem Luftweg verlassen. Bis November 1999, neuere Zahlen liegen nicht vor, waren es 27.025 ausgeflogene Personen - Schüblinge, wie das Amtsdeutsch sie nennt. Gut die Hälfte fliegt mit Lufthansa, meist ohne Begleitung. Begleitung durch Beamte des Bundesgrenzschutzes ist wahrscheinlich ein guter Indikator für den Übergang von einer zwangsweisen zu einer gewaltförmigen "Ausschaffung". Kaum jemand dürfte sich beim Anblick des in der hintersten Reihe der Economy Class zwischen Beamten eingeklemmten, medikamentös stillgestellten, mit Helm, Knebel und Klettband fixierten Bündels Mensch von Gefühlsregungen freihalten können. Eine Stewardess, die solche Flüge nach Nigeria begleitet hat, erzählte mir, die Nerven der Crew seien dabei zum Zerreißen gespannt. Ein Geschäft wäre das alles nicht, flögen die Beamten nicht First Class zurück.

Es ist genau diese Reduktion auf die Kreatürlichkeit des Schüblings - zwei davon ließen auf Lufthansamaschinen das Leben - die die Deportation-Class-Kampagne als neuralgischen Punkt des von (auch anders interpretierbaren) nationalstaatlichen Interessen geprägten Abschieberegimes ausgemacht hat. Im normalen Leben sind wir ja immer beides, Staatsbürger und Allgemeinmenschen, und müssen die daraus erwachsenden doppelten Rechtsbindungen abwägen - der Grundrechtskatalog hilft uns dabei. Im Schubfall wird die Vermittlung beider Positionen auseinander gerissen und an unterschiedliche Personen verteilt. Der Beamte verkörpert die Staatsgewalt, der Schübling die Nurmenschlichkeit. Und um die ohnehin schon extreme Situation noch ins Absurde zu verkehren, verwandeln sich Beamter und Schübling im Augenblick des Schließens der Kabinentüren in normale Passagiere, die nach dem Tokyoter Abkommen von 1963 einzig der Bordhoheit des Piloten unterliegen, Gleicher neben Gleichem sozusagen. Nicht abzusehen zudem, ob sich nicht, bei fortschreitender Evolution der Menschenrechte, so mancher Teilnehmer des Abschieberegimes in vierzig oder zwanzig Jahren vor den Schranken entsprechender Gerichte wird verantworten müssen.

Jeder weiß das, und dass es jeder weiß, weiß die Deportation-Class-Kampagne. Sie weiß freilich auch, dass das schlechte Gewissen der Beteiligten von seiner aktuellen sozialen Einbettung neutralisiert wird und politisch nichts bewirkt. Deshalb setzt die Kampagne am Image der ausschaffenden Fluggesellschaften an, dessen Leitimpuls das Zusammenbringen vieler Menschen über Staats- und Kulturgrenzen hinweg kommuniziert. Eine Deportation Class passt nicht in dieses Bild. Je öffentlicher und je komplexer das Thema "Zwangsabschiebungen auf Linienflügen" behandelt wird, um so größer - so das Kalkül - der Imageschaden für die Fluggesellschaften und damit der Anreiz, aus dem ökonomisch wenig ergiebigen Geschäftsfeld auszusteigen. Denn rechtlich ginge das. Die "allgemeine Beförderungspflicht" ist dem Rechtssinn nach ein Konsumentenschutzrecht, das dem willkürlichen Ausschluß einzelner Personen von der Beförderung durch ein Beförderungsunternehmen einen Riegel vorschiebt. Zwangsweise Beförderungen können sich nicht auf die allgemeine Beförderungspflicht berufen. Zudem kann sich ein Luftfahrtunternehmen nach deutschem Recht von der Beförderungspflicht entbinden lassen, wenn eine Beförderung aus ethischen oder wirtschaftlichen Gründen unzumutbar ist. Dass Lufthansa keine tropischen Ziervögel transportiert, geht auf eine solche Befreiung zurück.

Erfolgsfaktoren von Kampagnen sind 1) Ansatz am schwächsten Glied, 2) Schadenspotential, 3) Ausspielen von Multilogiken und 4) Besetzung von Managementzeit. Die beiden ersten Faktoren haben wir schon abgehandelt. Punkt 1) entspricht der "Abschiebepraxis auf Linienflügen", Punkt 2) dem sich in Erlös- und/oder Börsenwertverluste übersetzenden Imageschaden. Mit Faktor 3) "Ausspielen von Multilogiken" ist gemeint, dass Körperschaften, zumindest solange sie in legalem Rahmen operieren, einen schweren Stand gegen einen ständig Gesicht, Richtung und Angriffspunkt wechselnden Gegner haben. Faktor 4) "Besetzung von Managementzeit" ist der eigentliche Matchwinner. Besetzt eine Kampagne 1-2 % des knappsten Guts des Managements, nämlich der diesem zur Verfügung stehenden Zeit, dürfte das negativ auf die Bilanzen durchschlagen. 2-3 % sind ein klarer Wettbewerbsvorteil für die Konkurrenz. Ab 4 % verliert das Management sämtliche Zeit, die ihm, Statistiken zufolge, als Lernzeit zur Verfügung steht. Ein solches Unternehmen wird in sehr schweres Fahrwasser geraten.

Nähme man die am 15. Juni im Berliner Kongreßzentrum abgehaltene Lufthansa-Hauptversammlung als Indikator für die Faktoren 3) und 4), stünde es schlecht um das Unternehmen, war doch die Deportation Class ein beherrschendes Thema. Über 400.000 Aktionäre erhielten mit der Einladung zur Hauptversamlung einen Gegenantrag der "Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre", der mit Hinweis auf das von Abschiebungen verursachte "geschäftsschädigende Imageproblem" dazu aufforderte, Vorstand und Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern.

Bereits vor dem Tagungsgebäude wurden die Aktionäre mit der Kampagne konfrontiert, Foto: Christian Ditsch

Vor dem Tagungsgebäude wurden die Besucher einerseits von einer ein Investor-Info mit dem Titel "Image ist alles" verteilenden Gruppe von Stewardessen und Stewards begrüßt, und andererseits mit nachgespielten drastischen Darstellungen der Abschiebepraxis auf Linienflügen konfrontiert. Sowohl der die Sitzung umsichtig leitende Aufsichtsratsvorsitzende Klaus G. Schlede als auch der in sechseinhalb Stunden über 180 Fragen beantwortende und jeden Respekt verdienende Vorstandsvorsitzende Jürgen Weber wurden in ihren Reden durch jeweils zwei Gruppen in den ersten Reihen platzierter Transparententräger unterbrochen. Mehrere Redebeiträge von Kampagnenteilnehmern nahmen sich des Themas aus unterschiedlichen Blickwinkeln an, und, wenn die Argumente so klar vorgetragen wurden wie von der Ausländerrechtsexpertin Gisela Seidler, dann hörte sowohl der lange Vorstandstisch, an dem die zwanzig alphabetisch aufgereihten Aufsichtsräte, darunter Graf Lambsdorff, die drei Vorstände in ihre Mitte genommen hatten, als auch der mit bis zu 2000 Personen gefüllte Saal sehr aufmerksam zu. Ähnlich erging es dem nicht zur Kampagne gehörigen Autor dieser Zeilen, als er den der Etoy-Kampagne geschuldeten Börsenwertverlust von eToys in Höhe von $ 5 Mrd. in Beziehung zu den DM 7,2 Mrd. Eigenkapital der Lufthansa setzte. Sowohl Schlede und Weber als auch eine Reihe weiterer Redner äußerten sich kenntnisreich, differenziert und kritisch zu zahlreichen Einzelaspekten.

Auch scheint Bewegung in die Position der Lufthansa gekommen zu sein. Hieß es bisher in einer für die Öffentlichkeit bestimmten und nicht in Dienstanweisungen umgesetzten Form, "Lufthansa lehnt Abschiebungen gegen den erkennbaren Widerstand der Betroffenen grundsätzlich ab und befördert diese nicht", so erklärte Weber gegen Ende der Veranstaltung, Lufthansa verhandle auf Expertenebene mit dem Innen- und dem Verkehrsministerium über eine Entbindung von der Beförderungspflicht für zwangsweise Abschiebungen. Sollte Lufthansa tatsächlich das Geschäftsfeld Deportation Class aufgeben, wird sich die Kampagne den weniger seriösen kleineren Carriern zuwenden, die weniger um ihr Image bangen müssen. Aber vielleicht, dem Optimisten gehört die Welt, sind Green-Card-Initiative und Deportation-Class-Kampagne Anzeichen dafür, dass die deutsche Gesellschaft gerade einen Evolutionsschritt in Richtung Weltoffenheit vollzieht. Das wäre der richtige Auftrieb für den Kranich, der 75 % aller operativen Einkaufsvorgänge über globale B2B-Plattformen vornimmt, 40 % des Buchungsgeschäfts bis 2005 online abwickeln will und im Umbau zum E-Viation-Konzern gerade damit beginnt, jeden Flugsitz ans Internet anzuschließen.