"Ich vertrete die Generation @"

Interview mit dem Internetk@nzler Tim Peters

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Bei der virtuellen Politikgemeinschaft "Democracy Online Today" (dol2day), einem Projekt von fünf Aachener Informatikstudenten zur Wiederbelebung der Demokratie aus dem Geiste des Internets, herrscht permanent Wahlkampf: Alle zwei Monate wird der heiß begehrte Posten des "Internetkanzlers" momentan neu besetzt. Da haben die derzeit rund 5000 Mitglieder der Community alle Hände voll zu tun, sich als geeignete Kandidaten ihrem Wahlvolk gegenüber zu präsentieren, Stimmen in Form von "Bimbes" und "dol-Points" durch das Anregen von und die Teilnahme an schnellen Chats, aufreibenden Diskussionen ("Was hältst Du von Horst Mahler?") oder relevanten Umfragen - im Angebot beispielsweise: "Freust Du Dich auf die Wiesn (Oktoberfest)?" - zu sammeln.

Ohne Parteiunterstützung läuft dabei auch im Cyberspace nichts. Die Auswahl ist bisher auf das Spektrum der großen Parteien im RL (Real Life) beschränkt, die allerdings alle noch durch das Wörtchen "Internet" verziert wurden: Die meisten Anhänger hat momentan die Christdemokratische Internet Partei (CIP), was der rot-grünen Koalition zu denken geben sollte. Auf dem zweiten Platz sind nämlich die Netzliberalen, die das "Internet den Liberalen" (IDL) einverleiben wollen. Es folgen die Grünen im Internet (GIL) sowie erst an vierter Stelle die anscheinend noch reichlich unorganisierte Sozialdemokratische Internet Partei (SID), der die "Sozialisten Ins Internet" (SII) eng auf den Fersen sind.

Als erster in Amt und Würde geschafft hat es Tim Peters, der für die CIP antrat und seit Anfang Juli seinen Pflichten als Repräsentant der Community nachkommt. Vergangene Woche war er beispielsweise virtueller Gast bei Sabine Christiansen, wo er nach der Sendung im Chat zum Thema "Politik - nein danke?" die "Jugend auf neue Wege" führen durfte.

Doch die Zeit des Jurastudenten an der Humboldt-Uni in Berlin als Internetkanzler ist fast schon wieder abgelaufen - am 1. September steht bei dol2day die nächste Wahl ins Online-Haus. Stefan Krempl traf den 26-Jährigen beim vorzeitigen Lustwandeln und Networking auf dem Dach des Reichstags, wo die Startup-Vernetzer von First Tuesday kürzlich ihr Summer-Meeting auf Betreiben der FDP abhielten. Im Interview zieht der in dol2day nur als "General T" bekannte Internetkanzler ein erstes Resümee seiner zunächst zweimonatigen Amtsperiode.

Was macht ein "Internetkanzler" eigentlich so den lieben langen Tag?

Tim Peters: Der Internetkanzler surft, mailt und telefoniert. Dazu gibt er Interviews - online und persönlich. Und nebenbei studiert und arbeitet der Kanzler auch noch.

Der Begriff klingt etwas nach einer Marketing-Masche. Wer hat Sie gewählt und wen vertreten Sie?

Tim Peters: Gewählt wurde ich von den Teilnehmern der virtuellen Politik-Plattform "Democracy Online Today". Dort diskutieren inzwischen über 5000 User über verschiedenste politische und gesellschaftliche Fragen. Die Teilnehmer sind zwar nicht repräsentativ, aber sie sind eine sehr interessante Trendgruppe: jung, überdurchschnittlich gebildet, sehr aktiv im Internet, sehr politisch. Diese Generation @ vertrete ich.

Wie schafft man es, auf den Posten zu kommen?

Tim Peters: Wie im RL (Real Life): Erst muss man von seiner virtuellen Partei als Kandidat aufgestellt werden und anschließend gibt es einen Wahlkampf gegen die anderen Parteien.

Welche Wahlziele haben Sie vertreten - und welche davon haben Sie in den knapp zwei Monaten verwirklicht?

Tim Peters: "Verwirklichen" kann man als Internetkanzler ohne reale Macht nichts. Aber ich kann auf die Interessen der jungen Generation aufmerksam machen: niedrigere Online-Kosten, bessere Medienausbildung in den Schulen, weniger Regulierung, damit Internet-Startups erfolgreich arbeiten können und die Gründerszene der New Economy nicht ins Ausland abwandert.

Reicht ein Chat hier und eine Umfrage da aus, um (Netz-)Politik zu machen?

Tim Peters: Ausreichen tut das nicht, aber es ist ein wichtiger Teil der Netzpolitik. Im Übrigen ist dol2day ja auch nur eine politische Plattform und soll die RL-Politik ergänzen, aber nicht ersetzen.

Wie fanden Sie den Vorstoß ihrer "Mutterpartei" CDU, ein "Netz gegen Gewalt" auszurufen? Mit der Initiative sollte ja nicht nur allgemein der Extremismus bekämpft, sondern sehr konkret auch ein Filtersystem mit einer "Schwarzen Liste" von Websites aufgebaut werden, was Kritiker als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit im Netz und ein Herumdoktoren an Symptomen bezeichnet haben.

Tim Peters: Im Internet sollte dasselbe wie in anderen Bereichen der Gesellschaft gelten. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Wie anderswo gilt im Internet selbstverständlich die Meinungsfreiheit. Aber strafrechtlich relevante Inhalte sind auch im Internet verboten. Und in einer wehrhaften Demokratie wie der unsrigen sollen die demokratischen Freiheiten nicht dazu missbraucht werden, um das freiheitliche und demokratische System zu bekämpfen.

Auch in dol2day scheinen Neonazis an der "Machtübernahme" zu arbeiten.

Tim Peters: Extremisten und Radikale sind überall ein Problem. Mit radikalen Meinungen muss die Demokratie fertig werden. Im Internet genauso wie im RL. Demokraten müssen eben zeigen, dass sie bessere Politik machen und besser die Probleme der Bürger lösen. Wichtig ist auch, dass alle Demokraten gemeinsam gegen Extremisten von rechts wie von links zusammenhalten.

Bei dol2day hat es Infiltrationsversuche gegeben. Es gibt aber auch Maßnahmen dagegen, wie zum Beispiel, dass man sich nicht mehr ganz anonym anmelden kann, um Mehrfach-Accounts zu verhindern.

Der Cyberspace böte eigentlich die beste Gelegenheit, die traditionellen Parteiengefüge aufzubrechen. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass die "CIP", die "GII", die "IDL" und die "SIP" nur ein "Abklatsch" ihrer großen Brüder und Schwestern außerhalb des Internets sind?

Tim Peters: Das liegt einfach daran, dass die Erfinder von dol2day diese Parteistrukturen am Anfang so zur Verfügung gestellt haben. Jetzt gibt es auch die Chance zu Neugründungen. Im Übrigen sind die "Internetparteien" aber kein Abklatsch der RL-Parteien. Sie haben eine vollkommen eigene Organisationsentwicklung und einen anderen politischen Stil.

Aber dass sie sich an den großen Strömungen der RL-Politik orientieren, finde ich nicht verwunderlich. Wieso sollten im Medium Internet plötzlich ganz neue politische Strömungen aufkommen? Die alten Strömungen müssen sich einfach den Herausforderungen der digitalen Gesellschaft anpassen. Aber die politischen Grundideale werden durch das Internet nicht neu definiert.

Besonders die Punkte rund um die New Economy aus dem "Papier" Ihres "K@nzleramts" hören sich an, als wären sie aus dem Wahlprogramm der FDP abgekupfert. Wie differenzieren sich die virtuellen von den "Real-Life"-Parteien?

Tim Peters: Zur Beruhigung: Bei der FDP haben wir nichts abgekupfert. Wenn, dann haben wir uns grob an der CDU/CSU orientiert. In den Fragen zur allgemeinen Politik kann es durchaus zu Übereinstimmungen mit RL-Parteien kommen. Warum sollte man sich künstlich abgrenzen? Das hielte ich für falsch. Ideen, die richtig sind, werden sich durchsetzen - im RL wie auch in der Netzpolitik.

Haben Sie dem echten Kanzler schon die Hand geschüttelt?

Tim Peters: Nein, nur seinem Vorgänger.

Was würden Sie ihm bei einem Treffen gern mit auf den Weg geben?

Tim Peters: Alle Parteien in Deutschland müssen noch viel im Bereich "Internet" tun, damit in Deutschland eine wettbewerbsfähige Konkurrenz zum Silicon Valley entsteht. Da sollten sich alle Parteien einig sein und in wichtigen Grundsatzfragen auch zusammenarbeiten.

Wie könnte die Zukunft der Demokratie im Internet aussehen? Werden wir bald alle nur noch online wählen und "Bimbes" sammeln?

Tim Peters: Die Politik im Internet wird zu neuen Kommunikationsformen führen, welche die herkömmliche Politik ergänzen, aber nicht ersetzen. Online-Wahlen wird es früher oder später sicherlich geben. Parteiintern wird das Internet auch mobilen Menschen neue Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen. Da ist die FDP mit ihrem virtuellen Landesverband einen guten Schritt gegangen.

Im Moment läuft mit der Wahl zur "Netz-Verwaltungsbehörde" ICANN bereits ein Testversuch im Bereich der globalen Internet-Demokratie. Was halten Sie von der Direktorenwahl durch die ICANN-Mitglieder?

Tim Peters: Grundsätzlich finde ich die demokratische Beteiligung gut. Organisatorisch gibt es sicherlich noch einiges zu verbessern. Angefangen bei der Kommunikation des Wahlablaufes bis hin zur Regelung der genauen Kompetenzen der Direktoren.

Welchen der zahlreichen europäischen Kandidaten würden Sie am liebsten auf dem Siegertreppchen sehen?

IA: ch weiß noch nicht, wen ich wähle. Ich werde mir alle Kandidaten noch mal genauer anschauen müssen.

Was würden Sie nach der Beendigung ihres Studiums am liebsten machen?

Tim Peters: Zuerst möchte ich einen modernen, herausfordernden und internationalen Job. Und später kann ich mir mit der erforderlichen Berufs- und Lebenserfahrung gut vorstellen, in die RL-Politik einzusteigen.