Das große brennende Ich

Der Sexualmagier, heroinsüchtige Dichter, Alpinist und bekannteste Satanist des 20. Jahrhunderts: Aleister Crowley

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What Thou Wilt Shall Be The Whole Of The Law
Love Is The Law, Love Under Will
Every Man And Every Woman Is A Star

Das sind die drei Gesetze Aleister Crowleys, genannt Mega To Therion, The Great Beast, 666 nach der Apokalypse des Johannes, The Magick, Ipissimus - manchmal auch Gerard Aumont oder Frater Perdurabo, der diesen Herbst 125 Jahre geworden wäre. Wer heute nach Satan sucht, im WWW oder anderswo, stößt sofort auf den "most wicked man of the world", wie Crowley von der Presse genannt wurde, oder er kann ihn als Ausgangspunkt nehmen für den okkulten Untergrund, der überall seine Spuren hinterlassen hat, von Malewitsch über Heinrich Himmler oder Led Zeppelin bis hin zur Anthroposophie und Scientology.

Suchmaschinen wie googl.com werden vierundzwanzigtausend Mal fündig. Kein Wunder, ist der schwarzmagische Underground mit seinen tausend Verbindungen, Wichtigtuern und Aposteln dem absoluten Freiheitsbegriff der Netzkultur doch sehr ähnlich. Allerdings, und hier sei der Leser gewarnt, ist das alles nicht ganz harmlos. Empfindliche Gemüter sollten sich abwenden.

Crowleys Religion war eine antichristliche, libertinistische, irreguläre Freimaurerei mit ägyptischen, hinduistischen, tantrischen, rosenkreuzlerischen, alchimistischen, theosophischen und kabbalistischen Einflüssen oder, kurz: Die Gnosis des Bösen.

"Mit meinem Falkenkopf pick ich nach Jesu Augen, während er am Kreuz hängt. Ich klatsche meine Augen in Mohameds Gesicht und blende ihn. Mit meinen Klauen reiss ich das Fleisch des Inders und des Buddhisten, Mongolen und Din heraus. Bahlasti! Ompheda!"

Der schwarze Romantiker liebte starke Worte, die heute noch unheimlich klingen, auch eine Crowley CD The Great Beast Speaks kann man sich bestellen. Crowley würde diesen Herbst, am 12. Oktober, 125 Jahre alt werden, wenn er nicht, zum Glück!, schon 1947 verstorben wäre. Als er beerdigt wurde, feierten seine Anhänger ein schwarzmagisches Ritual auf dem Friedhof von Brighton und sangen das Lied des Pan. Crowley hatte die "Io Pan"-Hymne von Sophokles folgendermaßen umgedichtet:

"Ich bin Pan. Ich bin deine Gattin, ich bin dein Mann, Ziege deiner Herde, Ich bin Gold, Ich bin Gott, Fleisch auf dein Bein, Blume auf deiner Rute."

Letzteres ist natürlich unanständig gemeint, so wie man bei Crowleys Aussagen wann immer möglich an Sex denken sollte. Der Brightoner Stadtrat war damals jedenfalls zutiefst schockiert.

Als kleiner, Edward Alexander getaufter Junge aus einer streng religiösen und reichen Familie quälte Crowley Katzen, um den Satz, dass die Katze sieben Leben hat, zu beweisen. Oder zu widerlegen. Mit vierzehn verlor er seine Unschuld, zu einer Zeit, als Klavierbeine mit Strümpfen bedeckt wurden, um nicht anstößig zu wirken. Drei Jahre später holte er sich von einem Straßenvagabunden Gonorrhöe.

Am feinen Trinity College von Cambridge genoss der Student das Leben, schrieb Gedichte, hatte Sex mit Frauen und Männern, arbeitete kurzfristig für das Auswärtige Amt. Aber da er man als Diplomat nicht berühmt werden konnte, suchte er sich ein vielversprechenderes Betätigungsfeld: die Magie.

Am Ende des 19. Jahrhunderts fühlten sich viele Menschen von einem schmerzhaften Wundbrand an der Seele erfasst, suchten Heil in Freimaurerlogen, indischen Weisheiten und okkulten Gegenwelten. Seancen wurden zum Gesellschaftsspiel, die Begründerin der Theosophie, Helena Balavatsky, trieb ihre Jünger in immer seltsamere Theorien, die dann über verschlungene Wege in der Abstrakten Malerei eines Malewitsch oder in den Lehren Rudolf Steiners mündeten. Letzerer hatte wie Crowley einen Ordensrang im noch immer präsenten Ordo Templi Orientis inne, was den Anthroposophen, z.B. Innenminister Otto Schily, heute eher peinlich sein dürfte.

The Great Beast

Aus seinem ersten Orden "Golden Dawn" wurde Crowley auf Betreiben William Butler Yeats herausgeworfen, wohl auch wegen seiner homosexuellen Umtriebe. Er reiste nach Mexiko, Frankreich, Indien und Ceylon und heiratete Rose Kelly, "The scarlett woman", d.h. seine tantrische Sexualpartnerin. Die beiden reisten nach Kairo. In einem ägyptischen Museum erkannte sie eine Horusfigur als den Boten aus dem Jenseits. Die Horus-Stele hatte die Nummer 666 im Museumskatalog: die Zahl des Teufels!

Vom achten April 1904 an rief Crowley nach einem alten Zauber die Geister der anderen Welt an, am dritten Tag endlich erlebte er seine Epiphanie. Aiwass erschien. Sein schwarzer Schutzengel. Satan. Diese schattenhafte Existenz in seinem Rücken diktierte ihm die Verse des" Liber Al vel Legis", des Buchs der Gesetze: "Tu was Du willst, sei das ganze Gesetz."

Aber dazu muss man wissen, was man will. Und nur Eingeweihte haben teil am höheren Willen So bestärkt kam er nach Europa zurück und konnte sich in den okkulten Machtkämpfen der einzelnen Logen durchsetzen. Nun war er unabhängig von Beförderungen anderer Ordensmitglieder und Das Große Tier beförderte sich selbst zum Gesandten. Zum schwarzen Propheten, der die Last der Welt trägt. Dem Auserwählten. Dem Magick. Daran erkennt man den Crowleyianer, am K in Magick. Was das K bedeutet, ist nicht ganz klar. Einige sagen es komme von ktais, dem griechischen Wort für das weibliche Geschlechtsteil, andere meinen, es hätte numerologische Gründe.

In Indien nahm er an einer Himalaya-Expedition teil, bei der einige Mitglieder starben. Manche gaben Crowley die Schuld daran. Theodor Reuss, Wagnersänger, Polizeispitzel und einflussreicher Freimaurer von der schwarzen Seite in Deutschland, nahm ihn in seinem Ordo Templi Orientis auf, wobei Reuss dem Briten bald vorwarf, Geheimnisse zu verraten, in die dieser noch gar nicht eingeweiht war, stand doch im Buch der Gesetze: "Bewaffnet den Schüler mit der magischen Rute und führt ihn zur mystischen Rose."

Da war Crowley klar: O.T.O arbeitete mit Sexualmagie. Nach einem Schlaganfall von Reuss übernahm Crowley den Orden und führte weitere interessante Praktiken ein, vor allem den homosexuellen Akt als höchste Stufe, der verkehrte, satanische Koitus. Das gab wieder Ärger, und heute gibt es Crowleyianer, die glauben, Crowley habe da etwas missverstanden und der höchste Akt, dem Mond geweiht, sei der mit einer Menstruierenden.

1916 beförderte sich Crowley zu einem höheren magischen Grad, in dem er Gott in Form einer Kröte tötete. Er fing ein Tier, sperrte es in eine Schachtel, auf der stand: "Du hast dich nicht vor dem Schoß der Jungfrau geekelt", taufte die Kröte auf den Namen Jesus von Nazareth, kreuzigte das Amphibium unter blasphemischen Flüchen und aß die gebrannten Schenkel des Tieres. Damit hatte er das Christentum abgeschafft.

Crowley hielt sich zu dieser Zeit in den USA auf, ein Science Fiction Autor geriet in seinem Umkreis, Ron Hubbard, der Gründer der Scientologen. Eine andere Spur führt dann über eine kalifornische Satanskirche zu Charles Manson. Während des Ersten Weltkrieges machte der Böse Mann Propaganda für die Deutschen, gegen seine Heimat. Später behauptete er: "Bevor Hitler war, war ich." Ich war sowieso sein wichtigstes Wort.

Crowley wechselte Theorien und Praktiken, entwarf ein noch heute sehr beliebtes Tarot-Set, das es bei amazon und in jedem Esoterikladen gibt, gründete ständig neue Orden und 1920 ein Kloster in Sizilien: "Thelema" - griechisch für der Wille. Dort kam es zu Skandalen und eigenartigen Satansdiensten, wie das Anrufen der Engel im VIII Grad Ritual: Heilige Masturbation, mit sexualmagnetischer Emanation, was auch immer das ist, sowie Drogenexzesse und Katzenbluttrinkerei. Der Magick kostümierte sich in Sizilien als Asiate, rauchte in Rum getränkten Tabak, inhalierte Äther und nahm Heroin und Meskalin, alles für die höhere, die grausame Erkenntnis. Nun hielt er sich selbst für den Teufel. Crowleys Tochter Poupée starb in Thelama. Kenneth Anger hat über die drei Jahre dieser sagenumwobenen Abtei, dem Höhepunkt von Crowleys Macht, einen Film gemacht.

Riten

Was ist es, das Crowley und so viele, die ihn förmlich anbeten, so fasziniert an den ekligen und blasphemischen Ritualen? Der Satanismus ist eine Umkehrung, und zwar oft ganz wörtlich, des Christentums: Zeigen umgedrehter Kruzifixe, schwarze statt weiße Kerzen, Sperma statt Hostien, Blut statt Wein. Mit Ekel soll etwas erreicht werden, was die traditionelle Anbetung des Lieben Gottes, damals als Kind, die einem später so oft heuchlerisch vorkommt, nicht mehr schafft, nämlich das Gotterleben, das große, brennende Ich, eine Epiphanie.

Okay, Gott ist tot, aber wie sieht es mit Satan aus? Kann er mir das verschaffen, wo Jesus versagt hat? Gnostische Erkenntnis, also direkte Gotteserfahrung wie bei den Propheten? Gnostische Richtungen gibt es im Islam bei den Derwischen, im Judentum in der Lurianischen Kabbala, im frühen Urchristentum und eben bei den Satanisten. Yoga, Atemübungen, Tantra, der Schwindel des Ekels, Drogen, all das soll dazu dienen, jenes großartige Gefühl zu erreichen, in dem Welt und Ich deckungsgleich sind, ein größenwahnsinniges Welten-Ich-Erleben, eine Keine-Kompromisse-Lust. Und zwar eine, die möglichst lange andauert.

You can try, but you pay.
There is no free lunch in hell.

Nachdem Mussolini das Große Tier 1923 aus Italien rauswerfen ließ, wurde Crowley zum ruhelosen Wanderer, immer auf der Suche nach Geld, Rauschgift und Anhängern. Im Dezember 1947 starb der Mann, der uns das K in Magick brachte. Der Lehrer von Ron Hubbard , der Guru des Avantgarde Krach-Okkultisten Genesis P. Orrigde, Leitstern von William Burroughs und Vorbild von Charles Manson.

"I am perplexed," sollen seine letzten Worte gewesen sein. Aber da das Große Tier alleine starb, ist das, wie so vieles in seinem Leben, nicht ganz sicher.

Es gibt keinen Gott außer dem Menschen.

Aleister Crowley