Vom Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden

EPIC und Privacy International haben den Bericht "Privatheit und Menschenrechte 2000" veröffentlicht, in dem sie vor allem die US-Regierung an den Pranger stellen, weil sie weltweit einen Druck auf die anderen Staaten ausgeübt haben soll, um die Grundlagen für eine umfassende Überwachung im digitalen Zeitalter zu schaffen

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Das Electronic Privacy Information Center (EPIC) und Privacy International haben in ihrem Bericht "Privacy and Human Rights 2000" eigentlich anfangs Positives zu melden. Wie es mit dem Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre steht, wurde in über 50 Staaten überprüft. In fast allen Staaten werde mittlerweile wie in den internationalen Abkommen das Recht auf Schutz der Privatsphäre als grundlegendes Menschenrecht anerkannt. Datenschutzrechte wurden und werden verbessert, auch das Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen durch ein Informationsfreiheitsgesetz wird in immer mehr Staaten eingeführt.

Die Kehrseite all dessen jedoch ist, dass neue Technologien nicht nur immer schneller neue Löcher in die Privatsphäre schlagen und der Gesetzgebungsprozess in aller Regel erst langsam nachkommt, sondern dass die Vielzahl der neuen Möglichkeiten technischer Überwachung auch permanent missbraucht wird und neue Begehrlichkeiten weckt.

Der Bericht versucht zunächst einmal zu klären, was Privacy eigentlich ist. Und man sieht ja auch gleich, dass es einen entsprechenden Begriff im Deutschen nicht wirklich gibt. Umständlich müssen wir vom Schutz der Privatsphäre sprechen, worunter dann einzelne Themen wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht zählen, das aus dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Achtung der Menschenwürde abgeleitet ist und einen unantastbaren Bereich des Lebens gewährt oder schützt, aus dem die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Dazu gehören auch einzelne explizite Rechte wie das Brief- oder Fernmeldegeheimnis oder auch die Unverletzlichkeit der Wohnung. Dazu gehört auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, worunter man das Recht des Einzelnen versteht, über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen, soweit nicht stärkere Interessen des Allgemeinwohls dieses Recht einschränken.

Obgleich in den Verfassungen der meisten Staaten wie in den internationalen Abkommen in irgendeiner Form die der Schutz der Privatsphäre ein grundlegendes Menschenrecht ist, gibt es doch keine universelle Definition von "Privacy". Der Bericht betont, dass das Fehlen einer solchen Definition aber auf keinen Fall bedeutet, dass das Thema unwichtig sei, schließlich seien alle Menschenrechte nur Aspekte des Rechts auf eine Privatsphäre.

Eine einprägsame und einfache Definition hat 1890 ein amerikanischer Richter formuliert, nämlich es sei das Recht des Einzelnen, "in Ruhe gelassen zu werden". Das scheint zwar einigen in der panoptischen BigBrother-Gesellschaft nicht mehr besonders am Herzen zu liegen, die freiwillig eine Zeitlang ihre Privatsphäre der Öffentlichkeit im Austausch für den Erwerb von Aufmerksamkeit und von Prominenz anbieten, macht aber jedenfalls deutlich, dass diese Grenze natürlich immer heiß umstritten und abhängig von Kontexten sein wird.

Der Bericht unterscheidet ganz hilfreich vier grundsätzliche Bereiche der Privatsphäre:

  1. Datenschutz
  2. Privacy des Körpers, d.h. der "Schutz des körperlichen Selbst gegen invasive Verfahren wie Gentests, Drogentests und Durchsuchung der Körperöffnungen;
  3. Kommunikationsgeheimnis, d.h. Wahrung der Privatheit jeder Form von Kommunikation wie Telefongesprächen, Mails, Briefen etc.
  4. Unverletzlichkeit des Territoriums, d.h. bestimmte Grenzen für das Eindringen in Aufenthaltsorte wie den Arbeitsplatz oder den öffentlichen Raum, wozu Durchsuchungen, Videoüberwachung oder Identitätskontrollen gehören.

Der Zusammenhang von Technik und Datenschutz trat vehement in den 60er und 70er Jahren mit der Ausbreitung der Informationstechnologien auf. Jetzt ging es nicht mehr darum, einzelne Methoden der Überwachung und der Sammlung von Informationen zu regulieren, sondern die Gefahr wurde erkannt, dass die Computertechnologie das Sammeln, Zusammenführen und Verarbeiten von Daten auf bislang ungeahnte Weise vereinfacht. Das erste Datenschutzgesetz auf der Welt ist nach dem Bericht 1970 in Hessen verabschiedet worden, als entscheidend aber wird das vom Europäischen Rat 1981 unterzeichnete Abkommen zum Datenschutz unter Berücksichtung der automatischen Verarbeitung von Daten bezeichnet. Dieses habe, ebenso wie die spätere Europäische Datenschutzrichtlinie, eine Vorbildfunktion gespielt und regelt die Grundlagen der informationellen Selbstbestimmung. Gegenüber den Regelungen in den USA ist für die Autoren des Berichts die europäische Gesetzgebung hier im Vorteil, weil das Datenschutzrecht umfassend ist und nicht nur bezogen ist auf einzelne Techniken.

Doch auch wenn aus unterschiedlichen Gründen in vielen Ländern Gesetze zum Schutz der Privatsphäre oder der persönlichen Daten verabschiedet wurden, so würden diese oft nicht wirklich um- und durchgesetzt. Manchmal gibt es gar kein Organ, das den Datenschutz überwacht und Verletzungen nachgeht, manchmal sind die Datenschützer nicht unabhängig oder haben ein zu geringes Budget. Was den Export von persönlichen Daten angeht, so kritisiert der Bericht vornehmlich das Abkommen zwischen der EU und der USA, weil das Prinzip der Selbstregulation der Wirtschaft und des "Sicheren Hafens" nicht ausreichend sei. Unternehmen müssten lediglich versprechen, vergleichbare Datenschutzregeln wie die der EU einzuhalten, aber dies werde nicht systematisch überprüft, bei Verstößen gäbe es kein Recht für den Einzelnen, eine Anklage zu erheben oder Schadensersatz zu verlangen, und auch keine Gewähr, dass sie zu einer Bestrafung führen.

"Die Schaffung eines unterbrechungslosen internationalen Überwachungssystems für Geheimdienste und Sicherheitskräfte hat zum Potential eines riesigen internationalen Überwachungssystems geführt, mit dem sich in der Praxis bestehende Gesetz und Regelungen umgehen lassen, die die Überwachung der Kommunikation im eigenen Land durch nationale Geheimdienste verbieten."

Die Kernaussage des Berichts ist jedoch, dass trotz aller gesetzlichen Regelungen, die meist überdies hinter den technischen Entwicklungen hinterher hinken, das Eindringen in die Privatsphäre seitens staatlicher Organe, aber auch seitens der Wirtschaft ein großes Problem geblieben ist - "selbst in den demokratischsten Ländern". So habe der Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen der US-Regierung festgestellt, dass in über 90 Staaten die Kommunikation von Oppositionellen, Mitarbeitern von Menschenrechtsorganisationen, Journalisten und Gewerkschaftern illegal überwacht werde. In Japan wurden illegal Mitglieder der Kommunistischen Partei abgehört, in Großbritannien wird die Kommunikation von und nach Irland überwacht, Geheimdienste stehen immer mal wieder im Verdacht, illegale Überwachungen auszuführen, ja und dann gibt es noch Echelon, Carnivore oder Enfopol.

Der Trend ist für den Bericht ganz klar: "Es ist jetzt Allgemeinwissen, dass die Macht, die Kapazität und die Geschwindigkeit der Informationstechnologie schnell zunimmt. Das Ausmaß des Eindringens in die Privatsphäre - oder zumindest der Möglichkeiten, dies zu tun - nimmt entsprechend zu." In vielen Bereichen wie dem Gesundheitswesen, dem Transportsektor oder bei Finanztransaktionen werden immer mehr Daten erhoben, wobei die Vernetzung die Schaffung von umfassenden Dossiers über einzelne Menschen ermöglicht. Vorangetrieben wird die Durchlöcherung des Privaten durch die Globalisierung, also durch den Datenfluss über die Grenzen hinweg, durch die Konvergenz der Technologien, also die Integration der Systeme, und durch Multimedia, d.h. die Verbindung vieler Übertragungs- und Darstellungsformen, wodurch eine Informationsart leichter in eine andere überführt werden kann.

Die Überwachungs-, Zensur- und Datenerhebungstechnologien, die vornehmlich in den zumeist demokratischen Industrieländern entwickelt werden, in denen sie noch durch den Rechtsstaat gebändigt werden können, gelangen jedoch auch in die armen Länder und stellen bereits ein "lukratives Nebengeschäft der Waffenindustrie" dar. Diese Technologien werden dann eingesetzt, um Regimegegner zu überwachen und abzuschrecken.

Smartcards aller Art, Personalausweise oder biometrische Identifikationssysteme ermöglichen es, immer weitere Informationen über die Menschen zu erheben und zusammenzuführen. Der Bericht konzentriert sich vorwiegend auf die Überwachung der Kommunikation - und stellt dabei vor allem die USA an den Pranger, die versucht haben sollen, weltweit einen Druck auf die anderen Staaten auszuüben, um die Grundlagen für eine umfassende Überwachung im digitalen Zeitalter zu schaffen:

Die US-Regierung hat sich weltweit darum bemüht, die Privatsphäre des Einzelnen zu beschränken und die Möglichkeiten ihrer Polizei und Geheimdienste zu vermehren, persönliche Gespräche abzuhören. Die Kampagne verfolgte zwei Strategien. Die erste sollte zu Gesetzen führen, die es für alle Unternehmen, die digitale Schaltsysteme für Telefone, Mobil- und Satellitentelefone sowie Kommunikationstechnologien entwickeln, obligatorisch machen, Überwachungsmöglichkeiten einzubauen. Die zweite Strategie suchte die Herstellung und Verbreitung von Hardware- und Softwareprodukten zu beschränken, die Kryptographie ermöglichen, die es den Menschen erlaubt, ihre Kommunikation und ihre Dateien zu verschlüsseln, damit sie andere nicht lesen können."

Überdies hätten die USA direkt oder über Organisationen wie die OECD, die G-8 oder den Europäischen Rat für einen größeren Einsatz der elektronischen Überwachung geworben. So sei FBI-Direktor Louis Freeh umhergereist und habe Ländern wie Ungarn oder der Tschechei die Überwachung nahegelegt, ebenso wie die USA Länder wie Japan dazu gebracht habe, die ersten Gesetze zu verabschieden, die Abhören erlauben (Salami Tactics, FBI to open an office in Hungary).

Im Zuge der Verabschiedung des Communications Assistance for Law Enforcement Act (CALEA), der Telefongesellschaften und Herstellern von Telefongeräten den Einbau von Lauschmöglichkeiten vorschreibt, habe auch die Zusammenarbeit mit den Justiz- und Innenministern der EU begonnen, um internationale Standards für die Überwachung zu schaffen. An diesen ILETS-Treffen nahmen Vertreter von Kanada, Hong Kong, Australien und der EU teil. Die neuen Standards, die Eingang in ein Abkommen fanden, wurden schließlich in einem Dokument präzisiert, das den Namen Enfopol 98) trägt und von Telepolis 1998 veröffentlicht wurde. Aufgrund der daraufhin aufkommenden Proteste habe man die umstrittensten Maßnahmen aus dem Dokument entfernt und in geheimen Ausführungsvorschriften versteckt (Enfopol-Pläne in Europäisches Rechtshilfeabkommen integriert). Das Europaparlament hatte zwar die überarbeitete Enfopol-Regelung verabschiedet, der Ministerrat aber legte aber Widerspruch ein, da nur 20 Prozent der Abgeordneten bei der Abstimmung anwesend waren (Europäisches Rechtshilfeabkommen verabschiedet).

Natürlich geht der Bericht auch auf das umstrittene FBI-Schnüffelsystem Carnivore ein, mit dem sich Emails an oder von einem Verdächtigen aus dem Internetverkehr, der über die Server eines Providers läuft, herausfischen lassen. Die Generalstaatsanwältin will das System von einer unabhängigen Expertengruppe auf Rechtmäßigkeit überprüfen lassen, EPIC hat eine Klage auf Veröffentlichung aller wichtigen Informationen über das System gestellt, weil nicht klar sei, wieweit es tatsächlich nicht missbräuchlich eingesetzt werden könne. Ein ähnliches System will auch der russische Geheimdienst auf der Grundlage des SORM-Gesetzes bei allen Internetprovidern auf deren Kosten anbringen, um in Echtzeit und direkt den Internetverkehr überwachen zu können (Das russische Lauschsystem für das Internet wird eingerichtet). In Russland hat übrigens das FBI ebenso wie in Ungarn ein Büro eröffnet, und man habe die Russen auch beraten, solch ein System einzuführen.

Auch in Holland (Digitale Detektive in Holland) und in Großbritannien (UK-RIP-Gesetz über Ermittlungsbefugnisse verabschiedet) wurden 1998 bzw. 2000 neue Gesetze geschaffen, die das Abhören erleichtern. Aber der Bericht meint, das habe der amerikanischen Regierung noch nicht gereicht: "Unzufrieden mit den nationalen Bemühungen, neue Gesetze einzuführen, haben Regierungen begonnen dafür zu sorgen, dass Computer- und Netzwerkunternehmen diese Möglichkeiten einbauen. 1999 hat sich das FBI an die Internet Engineering Task Force gewandt und darum gebeten, dass man die Internetüberwachung durch die Ausarbeitung von Kommunikationsprotokollen erleichtert." Im April 2000 hat die IETF dieses Ansinnen nach einer langen Diskussion allerdings abgelehnt (Standardisierungsgremium für das Internet sagt Nein zu Abhörprotokollen).

Bei dem Versuch, die Überwachungsmöglichkeiten weltweit zu vergrößern, habe die US-Regierung auch das Thema der Bekämpfung der Cyberkriminalität, des Infowar oder des Schutzes der Infrastruktur benutzt, was mittlerweile dazu geführt habe, nach Wegen zu suchen, um die Möglichkeiten der Anonymität im Netz einzuschränken (Der Europarat bläst zur Attacke auf Cyberkriminelle, Europäische Minister holen zum Schlag gegen Cyberkriminalität aus).

"Die führenden internationalen Organisationen sind die EU, der Europäische Rat und die G-8 ... Die USA waren hinter der Bühne aktiv, um diese Vorhaben auszuarbeiten und durchzusetzen. Nachdem man sich jahrelang geheim getroffen hatte, veröffentlichten die Organisationen kürzlich Vorschläge, die die Online-Privatheit, die Anonymität und die Verschlüsselung im Namen der Cyberkriminalität einschränken würden."

Natürlich nimmt Echelon eine großen Platz ein, bei dem noch einmal die bekannten Erkenntnisse dargestellt werden (Inside Echelon). Gewarnt wird aber auch vor der zunehmenden Überwachung der Unternehmen, da das Wachstum des Internet und des ECommerce zu einer gewaltigen Zunahme an persönlichen Daten geführt hat, die sich sammeln und auswerten lassen. Gleiches gilt für das digitale Fernsehen, das genauso wie das Internet dazu dienen wird, jede Aktivität der Kunden zu überwachen. Da der Anschluss normalerweise über einen Decoder erfolgt, der eine "black box" ist, gleicht das digitale Fernsehen in seinen Lauschmöglichkeiten dem Carnivore-System, nur dass es dauerhaft bei jedem Benutzer installiert ist.

Wir werden durch es (das digitale Fernsehen) nicht nur erfahren, wer unsere Kinder sind, sondern auch was sie kaufen, was sie sich ansehen, was sie lesen und was sie sich wünschen." - Rupert Murdoch

Schließlich werden die Trends bei der Zunahme der Videoüberwachung, der Überwachung der Angestellten am Arbeitsplatz und am Arbeitsgerät, Drogentests und Gentests als Entwicklungen ausgeführt, die bedenklich in die Privatsphäre der Menschen eindringen und dringend stärker kontrolliert werden müssten.