Andy Müller-Maguhn ist Sieger bei ICANN

Auch in Nordamerika setzte sich der von den Internetnutzern nominierte Kandidat durch

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Der Pressesprecher des CCC konnte seine Mitbewerber im europäischen Sektor bei den @large-Wahlen zum Direktorium der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers klar distanzieren. Von 11.309 in Europa abgegebenen Stimmen entfielen 5948 auf Müller-Maguhn. Einen sehr respektablen zweiten Platz erreichte die Berliner Politikwissenschaftlerin Jeanette Hofmann mit 2295 Stimmen. Der nächste Kandidat, Winfried Schüller von der Telekom AG, konnte nur 990 Stimmen auf sich vereinigen. Die anderen Kandidaten landeten weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen, wohl aufgrund der Tatsache, dass es nur in Deutschland eine konzertierte Medienkampagne gegeben hat, in der auf die ICANN-Wahlen aufmerksam gemacht worden war. Das zeigt die Rolle - und auch einen Teil der Wirkung - der Massenmedien bei Wahlen in modernen Gesellschaften wohl mehr als deutlich auf. Was nicht im Medium ist, existiert nicht.

Für die europ"ische Netzgemeinde ist das Abschneiden von Müller-Maguhn und Hofmann eine gute Nachricht, denn ihre Kandidaten, die sich erfolgreich in der wie ein Pferderennen anmutenden Nominierungsrunde durchgesetzt haben, sind auf den vorderen Plätzen gelandet und haben ihre von der ICANN zusätzlich nominierten Gegenspieler locker distanziert. Die Netizens haben den in einem demokratischen Prozess nominierten Kandidaten ihr Vertrauen ausgesprochen und damit ein klares Signal an die ICANN geschickt: No more messing around, dear friends!

Auch in Nordamerika gewann mit Karl Auerbach ein ICANN-kritischer Kandidat, der aus dem Nominierungsprozess hervorgegangen ist, wenn auch nicht so deutlich wie in Europa. Nur in Nordamerika hatte der Sieger nicht gleich die notwendige 50%-Marke (als "initial quota" in der rechten oberen Ecke der jeweiligen Ergebnistabellen bei election.com) übersprungen und es war nötig geworden, den in den ICANN-Wahlregeln beschriebenen Eliminationsprozess des Single-Transferable-Vote-Systems in Gang zu setzen. Karl Auerbach arbeitet bei Cisco Systems, dem de-facto-Monopolisten im Router-Geschäft. Er konnte in der ersten Runde 1074 von 3449 Erststimmen auf sich vereinigen. Nach den Eliminierungsrunden brachte er es auf 1738 Stimmen.

Der afrikanische Sieger heisst Nii Quaynor (67 Stimmen) aus Accra in Ghana, der schon im Vorfeld in der ICANN tätig war. Der @large-Kandidat Calvin Browne vom südafrikanischen NIC holte hier nur 30 von 130 Stimmen. Masanobu Katoh, Angestellter bei Fujitsu, dem Eigentümer des grössten japanischen Internet-Providers, ist mit 13.913 von 17.745 Stimmen der überwältigende Sieger im pazifischen Raum und distanzierte den aus den @large-Nominierungen hervorgegangenen Hongjie Li aus Peking (nur 749 Stimmen) überdeutlich. Katoh lebt und arbeitet in Potomac, das in der urjapanischen Provinz Maryland liegt. Auch in der Region Südamerika/Karibik gewann der Kandidat der ICANN Ivan Moura Campos, ein Ingenieur, der an der UCLA studiert hat, bei einem grossen brasilianischen Provider arbeitet und auch mit dem brasilianischen NIC verbunden ist, mit 946 von 1402 Stimmen. Die @large-Kandidaten Menezes und Nunes konnten nur 157 respektive 79 Stimmen holen. Quaynor und Katoh sind bereits Mitglieder im DNSO Name Council der ICANN.

Wie schon Monika Ermert in ihrer Meldung für den Heise-Newsticker feststellte, ist das ICANN-Direktorium nun rein männlich besetzt. Von den 76.183 bis zum 8. September aktivierten @large-Mitgliedern haben nur 35.205 an der finalen Abstimmung teilgenommen. Ursprünglich hatten 158.593 Netizens bei der ICANN die Aufnahme in das @-large-Programm beantragt. 421 TeilnehmerInnen hatten bei ihrer Anmeldung entweder ungültige E-Mail-Accounts angegeben oder darum gebeten, ihren Antrag zu löschen. ICANN veröffentlicht auf ihrer Site leider keine Statistik dazu, wie viele Antragsteller ihren Account nicht aktivieren hatten können, weil sie den Brief mit der PIN nicht erhalten hatten. Somit haben nur etwa 22,2% der ursprünglich "Wahlwilligen" zuletzt ihre Stimme abgeben können. In Europa haben sich, laut Alexander Svenssons icannchannel.de, 48,2% der aktivierten W"hlerInnen an der Wahl beteiligt. Damit liegt Europa leicht über dem internationalen Durchschnitt von 45%.

Die ICANN-Wahlen waren also mehrfach gefiltert: Durch die schlechte Organisation und Bekanntmachungspolitik im Vorfeld konnten sich nicht alle Interessenten an den Wahlen beteiligen. Dazu kam noch der undemokratische Wahlprozess und schliesslich die Tatsache, dass nur 5 der 19 Direktoren überhaupt gewählt werden konnten. Das ICANN-Direktorium kann also nicht als demokratisch legitimiert angesehen werden. Wenn überhaupt, so sind nur Karl Auerbach und Andy Müller-Maguhn demokratisch legitimiert, da nur sie sich allen Stufen des Wahlverfahrens ausgesetzt und dort gewonnen haben. Beide stehen der ICANN in ihrer bisherigen Form eher kritisch gegenüber. Die anderen Direktoriumsmitglieder werden vom Internet-industriellen Komplex gestellt.

Um die Satzung der ICANN ändern zu können, ist eine Zweidrittelmehrheit unter den Direktoren notwendig. Die gestern gewählten @large-Direktoren werden bis zur ICANN-Jahrenskonferenz im Jahr 2002 amtieren.

Wie geht es weiter?

In der vom Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft FITUG aufgesetzten Mailingliste ICANN-Europe, an der auch zahlreiche europäische Kandidaten aus der Nominierungsrunde teilnehmen, wird schon intensiv über die Folgen der Wahl diskutiert. Die europäischen @large-Mitglieder sollen sich organisieren. Die Mailingliste verfügt auch über ein HTML-Archiv, in dem die vergangenen Diskussionen eingesehen werden können. Ein sehr guter Ort, an dem man sich über die aktuellen europäischen Diskussionen zu ICANN-relevanten Themen informieren kann.

Auch Andy-Müller-Maguhn selbst hat sich soeben in der Liste zu Wort gemeldet. Auf die Frage "what's next?" antwortete er, es würde zunächst darum gehen, Mailinglisten zur Strukturierung der weiteren Diskussion einzurichten und die Interessen der europäischen Netz-Organisationen und -Institutionen festzustellen, um gut vorbereitet in das ICANN-Treffen am 13.-16. November in Marina del Rey gehen zu können. Müller-Maguhn will nun mit verschiedenen europäischen User-Gruppen in Kontakt treten und auch seinen Terminkalender online stellen, um informelle Treffen mit ihm zu ermöglichen. Einer der zentralen Punkte auf Müller-Maguhns Agenda ist nun, von der ICANN klären zu lassen, in welchen Namensräumen nun Copyright-Gesetze gelten sollen und in welchen quasi "Free Speech" angewendet werden darf. ICANN hätte bisher diesen "öffentlichen" Namensraum vernachlässigt.

Was aus der ICANN in der Zukunft wird, ist schwer zu sagen. Viele ihrer Schwierigkeiten resultieren aus ihrer schwachen personellen Besetzung und momentanen Unterfinanzierung. Die interessierten Internetnutzer sollten von der Gelegenheit Gebrauch machen, sich stärker für ihr Medium einzusetzen und sich in die Diskussionen um die ICANN einmischen. Nur so kann die ICANN von einer US-dominierten Interessenvertretung der Internet-Industrie in ein Gremium gewandelt werden, von dem sich auch die einzelnen Netizens repräsentiert fühlen können.