Rechtsextreme Kontinuität

Nutzen Verbote von Nazigruppierungen nur dem ruhigen Gewissen der Behörden?

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Im September 2000 hat Innenminister Otto Schily (SPD) die deutsche Sektion der Naziorganisation Blood & Honour (B&H) und deren Jugendorganisation White Youth verboten. In dem im Frühjahr 2000 erstmals in deutscher Übersetzung erschienenen Buch White Noise - "Einblicke in die internationale Neonazi-Musik-Szene" - wurde die 3. Auflage nun um einen Beitrag zu diesem Verbot erweitert. Fazit der Autoren: die nationalen Struktur wurde nur kurz geschwächt, der Kampf geht weiter.

1998 widmete sich die englische Antifa-Postille Searchlight in White Noise dem Big Business in England, den USA, ehemaligen Ostblockstaaten und Skandinavien mit "Rechts-Rock, Skinhead-Musik, Blood & Honour". Seit Mitte der 80er schon hatten rechtsradikale Gruppen der anfangs eher unpolitischen Skinheadszene mit der National Front und dem Ku Klux Klan paktiert. Etwa unter der Devise Rock Against Communism, ebenso wie die britische B&H-Sektion initiiert von Ian Stuart Donaldson, dem 1993 bei einem Autounfall "gefallenen" Sänger der Nazi-Kultband Skrewdriver. B&H entwickelte sich zum radikalen, internationalen Netzwerk und Musiklabel für rassistische, rechtsextreme Sounds.

Die deutsche Ausgabe von White Noise wurde von den Mitherausgebern Antifaschistisches Infoblatt, Enough is enough und reihe antifaschistischer texte (rat, Schwarzmarkt) um Beiträge ergänzt zur heimischen Szene und B&H-Division. Trotz der nur 300 bis 500 Aktiven hatte diese maßgeblich neben den Jungen Nationaldemokraten, dem Nationalen Widerstand und den nach einer US-Bewegung geprägten Hammerskins Anteil am Aufbau einer Seilschaft aus Musikern, Produzenten, Merchandisern, Zeitschriftenmachern wie Konzertveranstaltern.

Bis zum Verbot war das Netzwerk mit "kämpferisch-aggressiver Haltung gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegenüber dem Gedanken der Völkerverständigung" (Verfassungsschutz) ein fester Bestandteil der Szene. Durch Einnahmen finanzierte man neue Hetze, Parteiarbeit und Musikproduktionen, die wiederum zur Rekrutierung genutzt werden konnten und neue Gewinne abwarfen. Belieferten einst Mail Order aus dem Ausland offen oder mithilfe von Tarnabsendern die "Kameraden im Reich", schuf B&H auch ein nationales Vertriebs-, Konzertveranstalter- und Propagandanetz für solche Waren, wie etwa der Freitag berichtete.

Verlegt wurde White Noise beim Münsteraner Unrast Verlag, dem die rechtsradikalen Die Kommenden vorwerfen, er sei ein "linkslastiger Verein, der sich Verlag nennt und mit Vorliebe gegen Deutsche agiert". Zwar hat die dritte Auflage den Makel, dass die Texte - auch der über Nazis im Internet - kaum aktualisiert wurden. Wohl aber setzt sich ein AutorInnenkollektiv in einem neuen Beitrag kritisch mit dem B&H-Verbot auseinander.

Festgestellt wird, das Verbot sei ausnahmslos begründet durch die Analyse von Materialien, die schon 1994 bei britischen und deutschen B&H-Sektionen beschlagnahmt wurden. So zeigen sich die Autoren denn auch "überrascht" von der langen "Tatenlosigkeit und Verharmlosung" der Behörden. Schon Mitte der 90er, so die harsche Kritik, hätte man B&H verbieten können, das Vorgehen stelle "eine Bankrotterklärung staatlichen Umgangs mit militanten Neonazis dar". Erst deswegen wurde der "Auf- und Ausbau der B&H-Strukturen zugelassen", ergo auch die Bildung eines deutschen Ablegers der in England terroristischen Gruppe Combat 18. Führende B&H-Köpfe sind nach Recherchen der Autoren immer noch aktiv, das Verbot sei deswegen "allenfalls ein Schlag gegen das Label, jedoch keiner gegen die dahinter wirkende Netzwerkstruktur". Diese funktioniere weiter, wenn auch "unter dem Code 28 (als Synonym für die Buchstaben B und H)".

Von dem Code weiß auch der Berliner Verfassungsschutz, wie die taz berichtete. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht hingegen "keine Reststrukturen" mehr, lediglich einzelne B&H-Funktionäre träfen sich gelegentlich. Das sei "nicht als Vernetzung zu interpretieren", es gebe "keine Anhaltspunkte dafür, dass B&H als Organisation im Bundesgebiet fortgesetzt wird", so der Verfassungsschutz gegenüber Telepolis. Laut Jungle World aber kann davon keine Rede sein. Und eine sich als deutsche Division vorstellende Gruppe agiert über eine markige Email-Adresse (terrormachine@blutundehre.com) und Homepage via Auslandserver. Gegrüßt wird mit "Heil Blood and Honour! Sieg Heil!"

Entsprechende Versuche, Reststrukturen fortzusetzen, lassen sich auch beim Verbot der Freiheitlich Deutsche Arbeiterpartei (FAP) mittels Vereinsgesetz im Jahr 1995 feststellen. Schon zuvor hatten vereinzelte Kader der rechtsradikalen Partei regionale Strukturen in Form eines losen Netzwerks gebildet, das beim Verbot einer Einzelorganisation nur noch gering abzuschwächen wäre. Die heute als "Freie Kameradschaften" fungierenden Gliederungen, die sich unter der Losung "Nationaler Widerstand" formieren, gehen zurück auf das FAP-Verbot.

So waren maßgeblich Ex-FAP-Kader an der Gründung von Kameradschaften beteiligt oder prägten deren Konzeption als Randfiguren mit. Genannt seien Friedhelm Busse (ehemaliger FAP-Vorsitzender), Siegfried Borchardt (SS-Sigi, Borussenfront Dortmund), Thorsten Heise (Kameradschaft Northeim), André Goertz (Nationales Infotelefon) oder Christian Malcoci (HNG). Teilweise gehören Kameraden auch Anti-Antifa-Gruppen an, von denen angenommen wird, sie erarbeiten Konzepte für den bewaffneten Kampf als "Wehrwolf-Gruppe". Darüber hinaus bestehen internationale Verflechtungen. Der Neusser Christian Malcoci etwa will 2002 als "Listenanführer" für die rechtsradikale "Nederlandse Volks Unie" (NVU) kandidieren - bei den Kommunalwahlen im niederländischen Grenzstädtchen Kerkrade bei Aachen.

Fraglich also, was nach einem eventuell erfolgreichen NPD-Verbotsantrag durch Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag passiert. Denn auch die NPD diente - spätestens seitdem Udo Voigt 1996 den Parteivorsitz übernahm und "stets Ansprechpartner für die so genannten Freien" war, wie er noch vor der Verbotsdebatte schrieb - zunehmend als Sammelbecken für Rechtsextremisten, militante Neonazis und ehemalige FAP-Kader. Die FAP wiederum hatte nach dem 1983er Verbot der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) deren Mitglieder aufgenommen. Dem Trupp des früheren Neonaziführers Michael Kühnen hatte auch Christian Worch angehört, heute einer der Köpfe "freier" Kameraden und auch Redner auf NPD-Veranstaltungen.

Im NPD-Verbotsantrag der Bundesregierung an das Bundesverfassungsgericht heißt es, Angehörige desSelbstSchutz Sachsen-Anhalt fungierten für die NPD als Ordner. "In Magdeburg rekrutierte sich der 'Ordnerdienst SelbstSchutz Sachsen-Anhalt' teilweise aus Mitgliedern der verbotenen Skinheadbewegung 'Blood & Honour Division Deutschland'," so die Bundesregierung. Und erst am 10. Juli berichtete das ZDF-Magazin Frontal21, dass zahlreiche Aktivisten von "Sachsens größter und militantester Neonazi-Truppe, die 'Skinheads Sächsische Schweiz' (SSS)", auch nach dem Verbot der "rechten Paramilitärs" weiterhin aktiv seien. Auch die SSS hielt enge Kontakte zu B&H. Bleibt also etwas außer einem Fanal? (Vgl. Schily setzt auf das Verbot als Fanal)

WHITE NOISE, 3., erweiterte Auflage; Unrast Verlag, ISBN 3-89771-803-0; Preis 24,80 DM