8 Bit-Musik wird in 24 Bit-Studios hergestellt, in MP3-Qualtität verkauft und 6-kanalig konsumiert

Überlegungen eines Musikers zu MP3 als musikalische Norm und zum Urheberrecht

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Seitdem auch die Phonoindustrie über einen Internetanschluss verfügt und den Funktionsumfang eines CD-Brenners begriffen hat, behelligt sie uns in Monopolisten-Rhetorik mit geheimnisvollen Statistiken und obszönen Kampagnen: so geistern zum Beispiel auf Initiative des Bundesverband der deutschen Phonoindustrie Flugblätter durch die Redaktionen und Parlamente, in denen prominente Musikliebhaber wie H. Kunze, M. Westernhagen und K. Riemann "entsetzt" über massenhaftes illegales Kopieren im Internet sind und dadurch ihre "Existenz gefährdet" sehen. Oder der Nachwuchsverbraucher lernt bei zielgruppenorientierten Maßnahmen wie den "Phononauten" ("junge Leute erleben die Musikindustrie von innen") den Umgang mit Handel und Produkten.

Endlich hat man sich nun dazu entschlossen, das, was einen so existentiell bedroht, einfach zu kaufen, denn "Musik und Internet passen ideal zusammen", erkennt der Phono-Vorstand. Der ganze Coup war weder gedanklich noch technisch vorbereitet, doch man hatte nach einigen gerichtlichen Niederlagen der "Musikdiebe" Oberwasser und wollte dieses Mal wohl nicht wieder irgendetwas verschlafen. Bei der Gelegenheit kündigte man an, man wolle "die Produkte künftig mit geeigneten Maßnahmen schützen" und forderte en passant eine "umfassende Kontrolle aller Inhalte" (Rights Protection Systm), denn der Einsatz ist nichts Geringeres als "der Untergang der gesamten Musikkultur". Dabei geht es nur um eines: Umsatzeinbußen. Eine Mehrfachverwertungsmaschinerie wie die Plattenbranche sollte allerdings eher ihre eigene strukturellen Proportionen überdenken, als uns mit Horrorszenarien zu belästigen.

Interessant, wie misstrauisch die bisherigen Nutzer diverser Tauschbörsen und Musikportale auf diese Übernahme reagiert haben. Alle kommerziellen Modelle sind bis jetzt auf Ablehnung gestoßen oder auf Grund von eiligen Marktforschungsanalysen und verbandsfinanzierten Umfragen doch erst gar nicht installiert worden, so dass die gesamte MP3-Bewegung vorerst ins Stocken geraten ist. Doch das ist wenig überraschend: nun verfügt die Phonoindustrie über Logistik und gekaufte Rechtssicherheit - und weiß wieder einmal nichts Rechtes damit anzufangen. Anstatt jetzt ein künstlerisch wertvolles Angebot vorzulegen und die funktionierende Struktur im Internet zu nutzen, laboriert man ohne jegliches ästhetisches Anliegen und frei von künstlerischer Vorstellungskraft an diversen Kopierschutzmaßnahmen und lernt das Internet dadurch erst so richtig kennen.

Natürlich bleibt die Frage nach Verantwortung gegenüber Autoren und eventuell damit verbundene Zahlungsmodi nicht nur im Internet weiter unbeantwortet. Das Problem ist auch weder neu noch an irgendeine technologische Erfindung gekoppelt. Der historisch gewachsene gesellschaftliche Umgang mit Musik und seinen Schöpfern hat von je her zu Ungerechtigkeit und Ausbeutung geführt, und keineswegs hat die Konsumgesellschaft jetzt in der digitalen Umgebung ihre Bereitschaft zum Umdenken signalisiert. Im Gegenteil, man tut überrascht ob soviel Geschrei, reagiert genervt angesichts dilettantischer Kontrollversuche und bemüht sich weiterhin, Musik als bloßes Endprodukt und nicht als Ergebnis eines schöpferischen Prozesses zu sehen. Hier wäre Aufklärung über das Wesen von Musikschaffen und Musikproduktion dringend notwendig: auf den Schulhöfen und in Supermärkten, auf Tanzveranstaltungen wie in Konzerten, im Wohnzimmer und in Fahrstühlen.

Es ist immer wieder erschreckend, wie wenig der Hörer und Konsument über das Entstehen von Musik weiß und tatsächlich glaubt, die Musik gehöre der Plattenfirma, dem Fernsehen, dem Radio, zumindest aber nicht dem Komponisten. Die ganze Diskussion um geistige Rechteinhaberei wäre ein guter Anlass, das System grundsätzlich zu überdenken und das Verhältnis zur Musik und ihren Autoren neu zu klären. Doch das ist natürlich nicht im Sinne der Industrie. Die Unwissenheit des Musikkonsumenten ist das Kapital der Branche und birgt genügend Potenzial, die Urheber weiter aus der Vergütungskette zu verdrängen.

Der datenkomprimierende MP3-Algorithmus ist die logische Konsequenz auf eine allgemeine reduzierte Wahrnehmung von Musik

Was anfangs als Kompromiss und Zugeständnis an die mangelhafte Übertragungsgeschwindigkeit im Internet gedacht war, etabliert sich nun mehr als musikalische Norm; und das nicht nur auf Seiten von Vertrieb und Handel. MP3 ist für viele Musiker und Musikproduzenten zu einer künstlerischen und produktionstechnischen Referenz geworden. Mit der wachsenden Erkenntnis, dass sowieso für die meiste Musik unserer Tage 8 Bit völlig ausreichend sind, stellt das MP3-Format mit seinen klanglichen Unzulänglichkeiten nur für wenige einen künstlerischen Verlust dar. Immer wieder hat die Fachpresse in unzähligen und meist fragwürdigen Testberichten in direkten A-B-Vergleichen beweisen wollen, dass der klangliche Unterschied zwischen MP3 und CD gering bzw. gar nicht zu hören ist und verkündete stolz, dass selbst die meisten Künstler bei ihren eigenen Werken den Unterschied nicht wahrgenommen hätten.

Das verwundert nicht. Fast alle herangezogenen Musikbeispiele wurden ja von vornherein mehrfachauswertungsorientiert "komponiert" und tontechnisch industrialisiert, so dass eine erneute Komprimierung durch MP3 einer Produktion von solcher Qualität nun auch nichts mehr anhaben konnte. Dass das MP3 Format in kurzer Zeit sich so erfolgreich verbreiten konnte, hat nichts mit der ursprünglichen Idee zu tun, Musikdateien so zu reduzieren, dass man sie bequem bei geringer Bandbreite im Internet verschicken kann, sondern damit, dass der datenkomprimierende MP3-Algorithmus die logische Konsequenz auf eine allgemeine reduzierte Wahrnehmung von Musik ist.

In Zeiten, in denen die entscheidenden kulturellen Impulse von der Standardmaschine Pop ausgehen und ein unablässig tönender Datenstrom unsere Mitwelt terrorisiert, ist es nicht verwunderlich, wenn Musik nur noch als Dauerkaraoke für ein universales Lebensgefühl benutzt wird. Da ist es zugegeben ziemlich egal, auf welchem klanglichen und ästhetischen Niveau sich der globale Soundtrack ereignet. MP3 ist längst vom Internet-Dateiformat zur klanglichen Norm mutiert.

In diesem Licht erscheint die ganze Frage des Urheberrechts wie ein historisches Apercu, welches Amüsiergerätehersteller und Verbraucher wenig beeindruckt. Ich bin erschrocken darüber, dass mehr und mehr Musiker und Musikproduzenten ihre Musik von Anfang an im Hinblick auf das MP3-Format konstruieren und sowohl der Industriepolitik wie auch einer erneuten minderwertigen Standardisierung völlig kritiklos gegenüberstehen. Und das alles ohne Not: das Internet-Geschäft mit Musik liegt brach und, viel entscheidender, das Internet ist weiter denn je davon entfernt, ein Massenmedium zu werden. Es gibt diverse Möglichkeiten der nicht-datenreduzierten Archivierung (Speicher war noch nie so günstig), und die handelsübliche CD wird ohne Frage noch lange Zeit das Medium für Musik bleiben.

Aber der springende Punkt liegt natürlich nicht bei MP3. Dass Musik inzwischen schon in ihrer schöpferischen Phase datenreduziert erdacht und erstellt wird, ist das Ergebnis einer phantasiereduzierten und positionskomprimierten Haltung zum Werk an sich und macht den Weg erst frei für den genormten Klangbrei unserer Tage. Solange Komponisten und Produzenten sich weiter vom Wesen der Musik abwenden und das schöpferische Moment zu Gunsten einer verbraucherorientierten Fabrikation aufgeben, ist der Regression und Verflachung in der Musik weiter Tür und Tor geöffnet.

All das steht zudem im grotesken Widerspruch zu den Bemühungen der Musikalien - und Unterhaltungselektronikhersteller sowohl dem Musiker wie dem Hörer die hochauflösende DVD-Technologie in 24 Bit und 96KHz aufzuschwatzen. Mittlerweile ist jeder Aldi-PC mit 24Bit-Wandler ausgestattet und die zahllosen Sampler in den Kinderzimmern der westlichen Welt verarbeiten ihre Audioschnipsel in DVD-Qualität. Die Hersteller versprechen den Musikproduzenten das tontechnische Paradies und dem Musikkonsumenten bewusstseinserweiternde Klangerlebnisse vor dem Fernseher. Auf der einen Seite ist es eher unangenehm mit anzusehen, wie man seit Jahren diverse DVD-Standards versucht zu definieren, und wieder einmal einzig und allein wirtschaftspolitische Rituale diese oder jene Technik favorisieren, auf der anderen Seite ist es eine trübselige Freude zu erleben, wie die Reklame doch auf einmal Klang und Tiefe als höchstes Qualitätsmerkmal in der Musik entdeckt. Doch was für Werke sollen das denn sein? Die Hitparade in 24 Bit und 6-kanalig zum Frühstücksfernsehen?

Ich bezweifle, dass sich die Vorteile von DVD und sonstigen neuartigen Tonträgern dem Musikverbraucher vermitteln lassen. Den Zugang hat sich das System selbst verbaut - und das Traurige daran ist, dass die, die es eigentlich am meisten betrifft, die Musiker, Komponisten und Interpreten, mit ihrer Demutshaltung den Phonofirmen gegenüber selbst daran mitgearbeitet haben.

MP3 hätte eine politische Aktion sein können

Dass die Hersteller von Produktionsequipment und Heimelektronik dennoch auf ihre Kosten kommen, ist dem McLuhanschen Phänomen "the medium is the message" zuzuschreiben: 8 Bit-Musik wird in 24 Bit-Studios hergestellt, in MP3-Qualtität verkauft und 6-kanalig konsumiert. Als die Bewegung vor wenigen Jahren in Gang kam, hatte ich mich nach einigem Zögern auch dazu entschlossen, zwei meiner Werke als MP3-Download auf meine Homepage zu stellen. Immer noch berauscht von der utopischen Idee der digitalen Demokratie und begeistert darüber, mit den technischen Möglichkeiten über alternative Publikations- und Vertriebwege zu verfügen, dachte ich, das sei ein künstlerisch adäquater Weg meiner Musik einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen.

Ungeachtet der wenig befriedigenden klanglichen Ergebnissen bei der MP3-Kodierung meiner Stücke und immer in der Hoffnung, es handele sich bei diesem Algorithmus lediglich um ein Übergangsformat, welches bald schon durch eine akzeptable Weiterentwicklung abgelöst wird, war es für mich auch wichtig, Teil dieser Bewegung zu sein und eine Position gegen das Phonoimperium zu beziehen. Doch das hat die allerwenigsten interessiert und die mindere Audioqualität genügte rasch den Ansprüchen der Produzenten wie den der Konsumenten.

Dabei gehen bei der Kodierung immens wichtige musikalische Auskünfte verloren: die in informationstechnischen Verfahren angewandten Kriterien zur Datenverringerung, Redundanz und Irrelevanz, kommen in der MP3-Technologie beide zur Anwendung. Bei der verlustbehafteten Kodierung von Audiomaterial werden die Effekte der frequenzmäßigen Verdeckung und zeitlichen Verdeckung genutzt und bilden die Grundlage dafür, dass Tiefenwirkung, Dynamik und Räumlichkeit auf ein Minimum reduziert werden oder gleich vollständig ausgelöscht werden. Das sind aber wesentliche Parameter, die der Verdeutlichung von Musik und der Koordination vielschichtiger Wahrnehmung zur musikalischer Vertiefung dienen.

Dass daran nur wenigen Musiker gelegen ist und nur wenige Hörer dies wahrnehmen können und wollen, ist traurig genug, aber zu behaupten, das seien keine relevanten musikalischen Informationen, ist einfach nur dummdreist. Dass man auf diese künstlerischen Äußerungen verzichten will, passt nur all zu gut in das eindimensionale Denken und Fühlen unserer Tage. Wenn Musik von vornherein nach der neuen Industrienorm produziert wird, so sagt das sehr wohl auch etwas über die Qualität des schöpferischen Prozesses aus. Wenn bei kodiertem Audio-Material der Komponist keine Verluste wahrnehmen kann oder will, so sagt dies etwas über seine Empfindungsfähigkeit aus: Wer so mit Musik umgeht, der sollte keine machen.

Ich habe mich nun entschlossen keine weiteren MP3-Kodierungen meiner Musik vorzunehmen und bei den beiden Werken "are there two? are there more than two" und "vme" ausdrücklich auf meiner Homepage darauf hinzuweisen, dass die Aufnahmen, ähnlich dem von mir auch angebotenen Streaming-Format Real, lediglich einen Verweis auf die Studioproduktion darstellen, für die es einen angemessenen Tonträger bedarf. Ich hege übrigens beim Download eines meiner MP3-kodierten Stücke längst keine urheberrechtlichen Bedenken mehr, denn es handelt sich dabei um keine digitale Kopie des Werkes, sondern nur um einen unvollständigen Hinweis darauf. MP3 hätte eine politische Aktion sein können. Komponisten und Interpreten hätten ein hohes Maß an Verantwortung und Selbstbestimmung übernehmen können. Doch stattdessen zog man es wieder einmal vor, die ästhetischen und ökonomischen Geschicke weiterhin von der Industrie regeln zu lassen.