Spiegelkometen und -meteoriten stürzen auf die Erde

Ein australischer Physiker sieht in Spiegelmaterie-Körpern eine Erklärung für mysteriöse Feuerbälle und den angeblichen Kometeneinschlag in Sibirien im Jahr 1908, bei dem keine Spuren eines außerirdischen Körpers gefunden wurden

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Irgendetwas ist 1908 in Sibirien geschehen. 2100 Quadratkilometer Wald wurden in der Tunguska-Region durch eine Explosion, die in einigen Kilometern Höhe erfolgte, durch eine Druckwelle von oben umgeknickt. Teile des Waldes verbrannten durch große Hitze, einige Tage lang müssen die Nächte in Europa heller als snst üblich gewesen sein, die Erschütterung war weithin zu spüren und zu messen. Die Explosion war so stark wie 1.000 Hiroshima-Bomben. Augenzeugen wollen ein längliches Objekt gesehen haben, das in einem bläulich-weißem Licht leuchtete. Die erste Expedition fand erst nach 20 Jahren statt. Die vorerst letzte unternahmen Wissenschaftler der Universität Bologna im Jahr 1999. Bislang wurden auch von allen nachfolgenden Expeditionen keine Hinweise auf einen Meteor oder Kometen entdeckt, was als wahrscheinlichste Ursache gilt.

Umgestürzte Bäume vom Tunguska-Ereignis, Foto: 1928

Ein unerklärtes Ereignis zieht Deutungen auf sich. Einige hundert Hypothesen sollen bereits aufgestellt worden. Natürlich sind auch die UFO-Anhänger dabei. Andere glauben, es habe sich um eine nukleare Explosion gehandelt, Grund sei vulkanische Aktivität oder aber ein plötzliches Auftreten von Spiegelmaterie. Dass bislang keine Spuren von der Ursache gefunden wurden, es auch keinen durch die Explosion geschaffenen Krater gibt, macht den Vorgang geheimnisvoll. Für den Physiker Robert Foot von der University of Melbourne spricht dies dafür, dass die Explosion von Spiegelmaterie verursacht wurde.

In "The mirror world interpretation of the 1908 Tunguska event and other more recent events" (High Energy Physics - Phenomenology vom 16. Juli 2001) legt Foot dar, dass sich über die Annahme der Spiegelmaterie zahlreiche Fragen auflösen ließen, darunter eben auch die nach der Ursache des Tunguska-Ereignisses. Beim Urknall, so die auch in New Scientist vorgestellte These, wird Materie und Antimaterie in gleicher Menge erzeugt. Fallen Materie und Antimaterie zusammen, so lösen sie sich in reiner Energie auf. Die Ladung von Teilchen und Antiteilchen ist gleich groß, aber ihr Spin ist gegensätzlich. Durch eine anfänglich bestehende Asymmetrie, die sogenannte CP-Verletzung, konnte sich die Materie durchsetzen, aus der sich das Universum bildete. Ob und wo es Antimaterie gibt, lässt sich bislang nicht nachweisen, allerdings lassen sich Antiteilchen erzeugen, indem man Teilchen mit sehr hohen Geschwindigkeiten aufeinander stoßen lässt. Schon 1930 sagte Paul Dirac, dass es zu allen Teilchen auch Antiteilchen geben müsse. Mit den großen Teilchenbeschleunigerns konnten die Antiteilchen nachgewiesen werden. 1995 gelang es Physikern am CERN auch erstmals künstliche Antiwasserstoffatome zu erzeugen, wodurch deutlich wurde, dass sich auch Antimaterie herstellen lässt.

Im Unterschied zu Antimetarie unterscheidet sich Spiegelmaterie von normaler Materie durch die Parität. Theoretisch möglich ist, dass es zu unserem gesamten Universum ein Spiegeluniversum geben könnte. Bislang allerdings konnte solche Spiegelmaterie nicht beobachtet werden. Foot geht jedenfalls davon aus, dass eine Spiegelsymmetrie von Ladung, Parität und Zeitrichtung nicht ausgeschlossen werden kann, es also für alle Teilchen ein ebenso stabiles Spiegelteilchen gibt. Diese Teilchen würde man nur deswegen nicht in Experimenten mit Teilchenbeschleunigern finden, weil sie sich nur schwach mit normalen Teilchen verbinden, während sie mit anderen Spiegelteilchen wechselwirken und sich im Wesentlichen nur durch die Gravitation beeinflussen. Ausnahmen bestehen höchstens in Interaktionen zwischen Higgs- und Anti-Higgs-Teilchen, Photonen und Antiphotonen oder einer Vermischung der Masse von Neutrinos und Antineutrinos, falls diese überhaupt eine Masse haben.

Auch jetzt kann man noch umgestürzte Baumstämme sehen, Foto: TUNGUSKA99 Expedition

Spiegelmaterie ist für Foot ein Kandidat für die vorhergesagte schwarze Materie und bildet ebenso wie die uns bekannte Materie Galaxien, Sterne und Planeten, aber auch eine großen Menge von Raumkörpern aus Spiegelmaterie, die den Kometen und Asteroiden gleichen. Möglicherweise befinden sich diese ebenso wie die Kometen in einer Anti-Oortschen Wolke und können so die Erde streifen. Foot fragt, was dabei geschehen würde, falls eine solche Begegnung stattfinden sollte. Wenn nur die Gravitation eine Rolle spielen sollte, würde der Spiegelkörper einfach durch die Erde sausen. Eine Wirkung würde nur bemerkt werden, wenn dessen Masse sehr groß ist. Bei einer Wechselwirkung von Photonen und Antiphotonen hingegen würde sich eine elektrische Entladung ereignen.

Nach einigen kürzlich durchgeführten Experimenten kann es zwischen Spiegelelektronen und Protonen eine schwache elektromagnetische Wechselwirkung geben. Nach den Berechnungen von Foot würden diese winzigen Interaktionen ausreichen, um den Körper aus Spiegelmaterie wie einen Körper aus normaler Materie aufzuheizen, wenn er in die Erdatmosphäre eindringt. Aufgrund der Hitze könnte dann der Spiegelkörper noch über Erdoberfläche explodieren und just die Phänomene bewirken, die man beim Tunguska-Ereignis beobachten konnte - einschließlich der erstaunlichen Tatsache, bislang weder Krater noch Bruchstücke außerirdischer Körper gefunden zu haben. Möglicherweise aber ließen sich noch Überreste der Spiegelmaterie im Boden entdecken. Die Spiegelmaterie, die beim Aufprall auf die Erde schmilzt, könnte mit der Materie teilweise eine Verbindung eingehen und durch Abgabe einer elektrostatischen Abstoßung sich der Gravitation widersetzen, was bedeutet, so Foot, dass "die Spiegelmaterie schließlich gebremst wird (falls sie sich verdichtet)".

Brandstelle beim Feuerballereignis in Jordanien

Ereignisse wie der Vorfall in Sibirien könnten, wie Foot vermutet, relativ häufig vorkommen. Spiegelmaterie könnte bei den Vorfällen im Spiel sein, wenn "Feuerbälle" nahe an der Erdoberfläche beobachtet werden, die auch im Boden einschlagen können. Bei normalen Körpern, die in die Atmosphäre eindringen, müsste man große und extrem helle Feuerbälle viel weiter oben am Himmel sehen. Bislang hat man die exotischen Feuerbälle eher aus einem Zusammenwirken von tektonischen und atmosphärischen Phänomen zu erklären versucht. So habe man auch 1997 eine Explosion über Grönland mit Satelliten und einer Videokamera auf dem Boden beobachten können. Obgleich der Körper ein Gewicht von 36.000 Kg hätte haben müssen, habe man keinerlei Fragmente oder Staub von Meteoriten gefunden.

Foot schlägt vor, dass beispielsweise bei einem anderen ähnlichen Vorfall, der sich am 18. April 2001 um 19 Uhr abends in Jordanien ereignet hat, nach Spuren von Spiegelmaterie suchen könnte. Der von 100 Menschen in einem Trauermarsch beobachete Feuerball ist in zwei Teile auseinandergebrochen. Die beiden Teile haben einen Baum und einen Felsen halb verbrennen lassen. Foot schlägt vor, Proben zu nehmen und sie in eine Zentrifuge zu stecken, wodurch Materie und Spiegelmaterie sich trennen könnten. Die Suche nach Spiegelmaterie hätte aber nicht nur wissenschaftliche Bedeutung, versichert der Physiker, sondern diese könne auch im Unterschied zu Quarks oder Higgs-Teilchen zahlreiche industrielle Anwendungen ermöglichen. Worin diese Anwendungen bestehen könnten, verrät uns der Wissenschaftler aber leider nicht.

Montag, 30.7.: Danke den aufmerksamen Lesern im Forum. In der Tat habe ich bedauerlicheweise Antimaterie und Spiegelmaterie bei der ersten Fassung nicht unterschieden. Ich hoffe, dass der Artikel jetzt korrekt den Sachverhalt wiedergibt.