Der Knick im Supraleiter

Neue Analysen des photoelektronischen Spektrums von Kupferoxid-Supraleitern haben gezeigt, dass Hochtemperatur-Supraleiter sich ähnlich verhalten wie konventionelle Supraleiter

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In der neuesten Ausgabe von Nature berichten Physiker aus den USA und Japan über ihre Erkenntnisse bezüglich der Elektronen-Dynamik bei Hochtemperatur-Supraleitern. A. Lanzara vom Department of Physics der Stanford University und seine Kollegen nutzten die winkelauflösende Photoemissions-Spektroskopie (angle-resolved photoemission spectroscopy ARPES), um die Geschwindigkeit und die Streuungs-Rate in drei verschiedenen Arten von Kupferoxid-Supraleitern zu beobachten.

Der Meißner-Ochsenfeld-Effekt: durch die elektrischen Abschirmströme schwebt ein Stück über dem Supraleiter in einem äußeren Magnetfeld, weil Magnetfelder nicht in ein Metall eindringen können, wenn es im supraleitenden Zustand ist. (MPI für Festkörperforschung, Stuttgart)

Bei hinreichend tiefer Temperatur verlieren manche Metalle ihren elektrischen Widerstand, Strom kann dann verlustfrei fließen, deshalb werden sie Supraleiter genannt. Das funktioniert durch die Kopplung zwischen Elektronen und Gitterschwingungen (Phononen), die zur Paarung der Elektronen führt. Vereinfacht kann man sagen, dass ein Elektron mit dem Gitter in Wechselwirkung tritt und es deformiert. Ein zweites Elektron "bemerkt" den "Knick" im Gitter und nutzt diese Deformation aus, um seine Energie zu erniedrigen. Der Gitterzustand ist eine Überlagerung von Eigenschwingungen. Die zwei Elektronen haben also ihre gegenseitige Abstoßung überwunden und sind über den virtuellen Austausch von Phononen gekoppelt. Das Material verliert seinen elektrischen Widerstand vollständig und wird zum Supraleiter.

Die entscheidende Erklärung der konventionellen Supraleitung lieferte die Theorie von Bardeen, Cooper und Schrieffer (BCS), die beschreibt wie sich Leitungselektronen zu supraleitenden Elektronen mit verschwindendem Gesamtimpuls und Gesamtspin (Cooper-Paaren) zusammenschließen. Dieses Modell gilt aber nur als gesichert so weit es sich um konventionelle Supraleiter handelt, deren Sprungtemperatur sehr niedrig ist. Bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (0Kelvin also -273 Grad Celsius) ist Supraleitung in gewöhnlichen Metallen wie - z.B. Quecksilber - den Physikern seit langem bekannt. Durch Legierungen konnten die Temperaturen etwas gesteigert werden, aber immer noch ist aufwändige Kühlung notwendig. Erst kürzlich machte die Entdeckung der supraleitenden Eigenschaften von Magnesiumdiborid, das bei 39K (-234,15 °C)supraleitend ist Schlagzeilen. Überall auf der Welt beschäftigen sich jetzt Physiker mit den Eigenschaften und Möglichkeiten dieses billigen Ausgangsstoffes (Die Mechanismen der Supraleitung bei Magnesiumdiborid).

1986 fanden J.G. Bednorz und K.A.Müller eine Verbindung aus Lanthan, Strontium, Kupfer und Sauerstoff, die bei einer wesentlich höheren Sprungtemperatur supraleitend wird. Damit war der Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL) entdeckt. Intensiv wurde geforscht und weitere HTSLs wurden gefunden: 1987 Yttriumkuprat, eine Verbindung aus Yttrium, Barium, Kupfer und Sauerstoff, mit einer Sprungtemperatur von 90 Kelvin (-183 °C) gefunden, 1988 die Wismutkuprate, Verbindungen aus Wismut, Strontium, Kalzium, Kupfer und Sauerstoff mit Sprungtemperaturen um 125 K (-148 °C), 1993 Quecksilberkuprat mit 155 K (-118 °C) und 1996 der keramische Hochtemperatursupraleiter YBa2Cu3O7, kurz: Y-123 genannt, mit 92K (-181 °C).

Durch die hohen Sprungtemperaturen (heute bis 138 K bzw. -135 °C) können HTSLs durch Kühlung mit flüssigem Stickstoff (Siedepunkt bei Normaldruck: 77K oder -196 °C) supraleitend gemacht werden. Das ist in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit ein großer Vorteil.

Bisher war aber der Mechanismus der Supraleitung bei HTSLs noch unklar, da der direkte Beweis für die Elektron-Phonon-Kopplung nicht erbracht werden konnte. Physiker haben verschiedene Modelle entworfen, um den totalen Verlust des Widerstands in den Materialien zu erklären.

A. Lanzara und seine Kollegen haben nun versucht, die Elektron-Phonon-Kopplung indirekt nachzuweisen und es ist ihnen gelungen. Die Kopplung müsste zu einer abrupten Veränderung der Schnelligkeit und der Streuungsrate der Elektronen nahe der Phonon-Energie führen. Mit der von ihnen durchgeführten winkelauflösenden Photoemissions-Spektroskopie haben sie eine solche abrupte Veränderung der Elektron-Geschwindigkeit bei 50-80 Millielektronenvolt (meV) beobachtet, die sie nicht anders erklären können, als dass eine Kopplung mit dem Phonon in Verbindung mit dem Oxid-Atom stattgefunden hat. Sie gehen nach diesen Beobachtungen davon aus, dass das Phänomen der Supraleitung in Hochtemperatur-Supraleitern ähnlichen Mechanismen unterworfen ist wie in konventionellen.

Ihr Fazit:

Das [die abrupte Veränderung im Elektronen-Bewegungsmuster] lässt vermuten, dass Elektron-Phonon-Kopplung die Elektronen-Dynamik in Hochtemperatur-Supraleitern stark beeinflusst und deshalb in jede mikroskopische Theorie der Supraleitung miteinbezogen werden muss.

Diese These wird viel Widerspruch heraus fordern, stellt Philip Allen von der State University of New York in Stony Brook fest. Aber Kontroversen sind in der Wissenschaft immer wieder förderlich und auch Lanzara und Co. ist klar, dass nur weitere Untersuchungen und folgende Theorie-Bildungen mehr Gewissheit bringen werden.

Allen freut sich schon auf das Kommende:

Es wird interessant werden, die Argumente in der Diskussion zu hören, die auf das Erscheinen dieses Papiers folgen wird. Diese Argumente werden vielleicht nicht zur Identifikation des Interaktions-Mechanismus von Hochtemperatur-Supraleitung führen, aber sicher werden sie den wissenschaftlichen Dialog wieder beleben.