Innenminister Schily nimmt italienische Regierung in Schutz und fordert eine europäische Anti-Krawall-Polizei

Urheber rechtsradikaler Websites im Ausland sollen zivilrechtlich auf Schadensersatz verklagt werden

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Die CDU und die CSU haben Bundesinnenminister Schily bereits wegen des von ihm vorgeschlagenen Einwanderungsgesetzes angeboten, die Seiten zu wechseln. Da mögen zwar ideologisch wenig Unterschiede mehr bestehen, aber warum sollte Schily auch in ein marodes Lager wechseln, wenn er auf der rot-grünen Regierungskoalition für Ordnung sorgen kann. Erst vor kurzem ist Schily wegen ungewöhnlicher Überlegungen seines Ministeriums zur Bekämpfung von Neonazi-Websites im Ausland unter Kritik geraten (Und er hat es doch gesagt ...), doch das Thema verfolgt ihn weiter, ebenso wie die Kontrolle der linken militanten Szene.

In einem Gespräch mit der Welt am Sonntag kündigte Schily an, dass er Anfang September mit der US-Regierung sprechen wolle, um gegen rechtsextreme Websites vorgehen zu können, die von amerikanischen Providern gehostet werden. Überprüft werden soll, ob man nicht zivilrechtlich die Urheber rechtsradikaler Websites auf Schadenersatz verklagen könne - wegen ihrer "Wirkung auf Deutschland". Ende des letzten Jahres hatte der Bundesgerichtshof beim Tatbestand der Volksverhetzung festgestellt, dass auch der Urheber von Webseiten im Ausland, auf denen der Holocaust geleugnet wird, nach deutschem Recht bestraft werden kann (Update: Leugnung des Holocaust im Internet nach deutschem Recht strafbar). Die Inhalte, die im zu entscheidenden Fall auf einem Server in Australien lagen, seien weltweit abrufbar und daher geeignet, so das Urteil, den "öffentlichen Frieden" auch hierzulande zu stören. Der "tatsächliche Eintritt einer Friedensstörung" sei dazu nicht notwendig, es genüge ein "abstraktes Gefährdungsdelikt". Offenbar will Schily ähnlich vorgehen, allerdings kann der Autor der vom Bundesgerichtshof inkriminierten Webseiten nur dann belangt werden, wenn er nach Deutschland einreist. Daher will Schily offenbar zivilrechtlich vorgehen und auf Schadensersatz klagen.

Vor dem G8-Gipfel zeigten sich die europäischen Kollegen von Innenminister Schily nicht so begeistert über den Vorschlag, eine europaweite Datei von potenziellen Gewalttätern anzulegen, um die Ausreise wie bei den Hooligans kontrollieren zu können. Allerdings wurde sowohl von Österreich während der Tagung des Weltwirtschaftsforums als auch von Italien während des G8-Gipfels das Schengen-Abkommen aufgehoben und Grenzkontrollen vorgenommen. In Deutschland wurden einige Reiseverbote erlassen, die durchaus Zweifel über ihre Rechtmäßigkeit entstehen lassen - und der Berliner Interims-Innensenator Erhard Körting überbot das Ganze noch, als er betonte: "Es besteht kein generelles Recht auf Ausreise."

Schon der Kriterienkatalog, mit dem das BKA die potenziellen Gewalttäter erfasst und in die Datenbank einträgt, weist die üblichen Ausweitungen auf und lässt zurecht befürchten, dass nicht nur Gewalttäter, sondern auch politisch aktive Bürger zu Störfaktoren abgestempelt werden, denen die Ausübung von Rechten, die von der Verfassung garantiert werden, aufgrund von Unterstellungen verwehrt werden könnte. Zu den bislang aufgeführten 20 Straftatbestände gehören Delikte gegen Leib, Leben oder fremde Sachen, die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Verstöße gegen das Waffengesetz, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Landfriedensbruch, aber etwa auch Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

In einem Gespräch mit der Welt am Sonntag bekräftigte Schily noch einmal seinen Vorschlag, eine europäische Datei von "gewaltbereiten Krawallreisenden" zu erstellen und eine "europäische Anti-Krawall-Polizei" einzurichten. Als Ausbildungsort sei dafür die in Deutschland angesiedelte europäische Polizeiakademie denkbar. Schily hielt sich mit der Kritik an der italienischen Regierung diplomatisch zurück, äußerte "volles Vertrauen", dass mögliche "Fehler" der Polizei rechtsstaatlich und angemessen überprüft werden. Es habe allem Anschein nach "überharte Polizeieinsätze" gegeben, aber man sei ja nicht der "Oberaufseher der italienischen Justiz". Zudem dürfe man nicht Ursache und Wirkung verwechseln: "Tatsache ist, dass Gewalttäter, auch Deutsche, in großer Zahl und wohl organisiert und zum Teil bewaffnet angereist sind." Ganz ähnlich der Wortlaut in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel, bei dem Schily ebenfalls betonte, dass die Gewalt "eindeutig von den Militanten und krawallreisenden ausgegangen" sei, während sich nur "einzelne Polizeibeamte" schuldig gemacht hatten.

So milde der italienischen Regierung gegenüber, die bislang nur drei hohe Polizeioffiziere versetzt hat, zeigt sich diese gleich Schily erkenntlich, indem der so entlastete Innenminister Claudio Scajola Schilys Vorschlag einer "Anti-Krawall-Polizei" begrüßt. Nach Schilys Vorstellung sollen speziell ausgebildete europäische Polizeieinheiten "deeskalierend wirken und wo nötig mit angemessener konsequenter Härte Gewalt bekämpfen". Schily, ganz obrigkeitsstaatlich, verschwendet keinen Gedanken darauf, ob solche Treffen, bei denen mit hohem Aufwand und für Hunderte von Millionen Mark Steuergelder Politiker in Städten sich treffen, deren öffentlicher Raum dann zu einer Hochsicherheitszone umfunktioniert wird, wirklich auf diese stattfinden müssen: "Wir dürfen uns nicht", so Schily, "durch militante Aktionen von Gewalttätern vorschreiben lassen, wo und wie sich die demokratisch gewählten Repräsentanten der Staaten treffen. Hier darf es auf gar keinen Fall ein Zurückweichen des Staates geben." Dabei fällt der deutsche Innenminister just in die Falle, dass sich seine Überlegungen nur noch an der kleinen radikalen Minderheit orientieren, der man nicht nachgeben dürfe. Oder denkt er etwa, dass dann, wenn solche Treffen nicht mehr in großen Städten stattfinden, auch die friedlich Demonstrierenden keinen symbolischen Ort für ihren Protest mehr hätten?

Die italienische Regierung, die beim G8-Treffen keine gute Figur machte, scheint im Gegensatz zu der martialischen Position Schilys eher ans Ausweichen zu denken. Den im November geplanten Welternährungsgipfel würde Ministerpräsident Silvio Berlusconi zumindest gerne in ein anderes Land verlegt und hat deswegen auch schon einmal Gespräche mit der FAO aufgenommen. Vorbild ist vielleicht die Weltbank, die unlängst bereits ein Treffen virtualisiert und in das Internet verlegt hat - angeblich mit Erfolg.