Blaues Licht steuert den Körperrhythmus

US-Forscher haben Hinweise auf einen neuen Photorezeptor im Auge gefunden, der die Melatoninproduktion kontrolliert

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Es ist schon länger bekannt, dass Licht unser Befinden beeinflusst und den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Bekannt ist auch, dass dabei das in der Zirbeldrüse, evolutionsgeschichtlich einst ein zusätzliches Stirn- oder Scheitelauge, erzeugte Melatonin eine entscheidende Rolle spielt. Wenn es dunkler wird, steigt der Melatoninausstoß, der dann im Laufe der Nacht kontinuierlich wieder absinkt. Jetzt haben Wissenschaftler ein neues Photopigment im Auge entdeckt, das nicht dem Sehen dient, sondern direkt die Melatoninproduktion zu regeln scheint.

Für Descartes war die Zirbeldrüse das zentrale Organ des gesamten Gehirns

Neurowissenschaftler des Jefferson Medical College sind, wie sie im Journal of Neuroscience (15. August 2001, 21(16):6405-6412) berichten, einem fünften "Photorezeptor" im menschlichen Auge auf die Spur gekommen, der die Melatoninproduktion steuert. Bekannt sind bislang vier verschiedene Sinneszellen in der Netzhaut. Die 6 Millionen Stäbchen befinden sich am Rand der Netzhaut und sind für das Dämmerungssehen und bei Helligkeit für die Wahrnehmung von Bewegungen in der Peripherie verantwortlich. Die 120 Millionen Zapfen sind in der Mitte der Netzhaut und dienen dem Sehen bei Tage und dem Farbsehen. Es gibt drei Arten von Zapfen, die jeweils ein anderes Spektrum des Lichts (blau, rot, grün) erfassen. Die Farben werden aus diesen Grundfarben zunächst durch Neuronen gemischt, die antagonistische Felder haben: hell-dunkel, rot-grün, gelb-blau.

Nachdem die Forscher zunächst zeigen konnten, dass dieses System aus Stäbchen und den drei Zapfenarten keine Auswirkungen auf die Körperuhr besitzen, kamen sie dem potenziellen neuen Rezeptor auf die Spur. Aus Experimenten ergab sich, nachdem der Einfluss der bekannten Rezeptoren ausgeschlossen werden konnte, dass eine bestimmte Wellenlänge des Lichts einen Einfluss auf die Zirbeldrüse ausübt, so dass man theoretisch eine andere Rezeptorart zugrunde legen kann: "Wir haben starke Belege für einen neuartigen fünften Photorezeptor, der von dem klassischen Photorezeptor für das Sehen unabhängig zu sein scheint", erklärt der Neurologe George Brainard, der die Forschungsarbeit leitete. "Er beeinflusst die biologischen Auswirkungen des Lichts. Er regelt die Tag-Nacht-Rhythmen und die Hormone des Körpers."

Bei den Experimenten wurden die Versuchspersonen (37 Männer, 35 Frauen im Alter von 25 Jahren) um Mitternacht in das Labor geholt, da zu dieser Zeit die Melatoninausgabe am höchsten ist. Dann wurden die Pupillen vergrößert und schließlich die Augen für zwei Stunden abgedeckt sowie Blutproben entnommen. Dann wurden die Versuchspersonen um 2 Uhr in der Nacht 90 Minuten lang Licht einer bestimmten Wellenlänge ausgesetzt (im Abstand von jeweils einer Woche wurde eine Versuchsperson monochromatischem Licht in mindestens sieben verschiedenen Wellenlängen ausgesetzt). Nach diesem Vorgang wurde noch einmal eine Blutprobe entnommen. Die Wellenlänge von blauem Licht (446-477 nm) veränderte dabei den Melatoningehalt im Blut am stärksten, indem sie die Produktion des Hormons unterbricht. Der Anstieg des Melatonins am Abend bewirkt Müdigkeit.

Die Forscher denken, dass schon diese Erkenntnis über die Melatoninausgabe durch Licht in einer bestimmten Wellenlänge direkt in therapeutische Anendungen fließen kann, beispielsweise zur Behandlung der sogenannten Winterdepression oder von Kreislaufstörungen: "Langfristig, so glauben wir, wird dies in jeder Form der künstlichen Beleuchtung eine Rolle spielen", sagte Brainard, "unabhängig davon, ob sie therapeutischen Zwecken oder der normalen Beleuchtung von Arbeitsplätzen, Krankenhäusern oder Wohnungen dient."

Über die künstliche Beleuchtung ließe sich, wenn sich die Ergebnisse bestätigen sollten, der Aufenthalt in Innenräumen nach Belieben regeln. Sollen die Menschen wach bleiben, um besser oder vielleicht auch länger zu arbeiten, setzt man sie Licht mit einem höheren Anteil an blauem Licht aus, sollen sie schlafen und nicht biologisch stimuliert werden, mischt man stärker Licht mit Wellenlängen im roten Bereich bei. Vielleicht ließe sich so auch der Körperrhythmus, zumindest in geschlossenen Räumen, auch über längere Zeit künstlich steuern, um die Auswirkungen von Nachtarbeit oder des Jetlag zu verhindern (schließlich könnten die in einem, vom natürlichen 24-Stunden-Tag abgelösten Menschen auch eine Brille aufsetzen, wenn sie ins Tageslicht kommen, um das blaue Licht auszufiltern ....).

Bevor man jedoch die Menschen mit Licht gezielt stimuliert, seien noch weitere klinische Versuche nötig. Als nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler untersuchen, ob und wie Licht nicht nur die Melatoninproduktion steuert, sondern die gesamtem Tag-Nach-Rhythmen wie die Körpertemperatur, den Leistungsrhythmus oder den Kortisolspiegel.

Melatonin, ein Abkömmling des Neurotransmitters Serotonin, wird auch zur Behandlungen von Schlafstörungen eingesetzt. Schon eine geringe Einnahme führt zur Entspannung und fördert so das Einschlafen. Empfohlen wird die Einnahme von Melatonin etwa bei Blinden, die häufig unter schweren Schlafstörungen leiden, weil sie kein Licht wahrnehmen können und daher nicht mit dem 24-Stunden-Tag synchron sind, oder bei älteren Menschen, bei denen die Melatoninproduktion zurückgeht. Überdies wird es auch als eine Art Wundermittel gehandelt, um das Altern hinauszuzögern. An Mäusen hat man nachweisen können, dass erhöhte Melatonineinnahme lebensverlängernd wirkt (manchmal aber auch zu einer erhöhten Krebsgefahr führt). Jugendliches Aussehen bis ins hohe Alter, Stärkung des Immunsystems, Schutz vor Krebs und Beseitigung von Sexual- und Schlafstörungen soll die regelmäßige Einnahme bewirken. Allerdings könnte auch die gefahr bestehen, dass die Einnahme großer Mengen an Melatonin die Rezeptoren so beeinflusst, dass sie wie bei einer Sucht immer benötigen. Lichtstimulation könnte das möglicherweise verhindern.