Kalter Krieg in Valley

Streit um den Elektrosmog, der für die Anwohner vom Senderareal Holzkirchen der US-Kurzwellenprogramme "Radio Liberty" und "Radio Free Europe" ausgehen soll

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Die oberbayerische Gemeinde Valley kämpft gegen ein Erbe des kalten Krieges. Das Senderareal Holzkirchen für die US-Kurzwellenprogramme "Radio Liberty" und "Radio Free Europe" (RFERL) grenzt direkt an private Gartenzäune. 50 Jahre Elektrosmog für Frieden und Gerechtigkeit. Die 2.700 Bewohner sind sich sicher, dass sie einen hohen Preis für die Freiheit des Wortes bezahlen: 33 Krebsfälle in 15 Jahren, da glaubt weder der Bürgermeister noch die Bürgerinitiative an einen Zufall. Sie fordern mit allen Mitteln die Stilllegung des Senders.

Tatsächlich sind diese US-Radioprogramme eine verblichene Waffe im einstigen Krieg der Ätherwellen zwischen Ost und West. 1995 keimte erstmals Hoffnung auf eine baldige Beendigung des unfreiwilligen Feldversuchs an den Bürgern der Gemeinden Valley, Weyarn, Schmidham und Holzkirchen. Nachdem der US-Kongress die Finanzierung der Programme "Radio Liberty" und "Radio Free Europe" in Frage gestellt hat und die beiden Sender fusionieren musste, glaubte man an eine politische Lösung des Problems.

Die für den 30. Juni 1995 ins Auge gefasste Schließung des Senders Holzkirchen wurde jedoch verworfen. Der Zerfall Jugoslawiens machte die Balkanregion zum neuen Zielgebiet von "Radio Free Europe" und Holzkirchen zum idealen Senderstandort für die Programmversorgung über Mittelwelle. Deshalb wollte der US-Betreiber, das "International Broadcasting Bureau", 1996 einen zweiten Mittelwellensender errichten. Die Gemeinde zog vor Gericht und erwirkte mit Erfolg eine Veränderungssperre. Das Urteil führte zu einem diplomatischen Nachspiel. Die amerikanische Botschaft erklärte das Urteil unter Berufung auf die so genannten ARBIE-Verträge für unzulässig.

Diese Verträge wurden 1953 über den Betrieb amerikanischer Rundfunkstationen in Europa geschlossen. Das Senderareal ist, ähnlich einer Botschaft, ein Gelände auf dem deutsches Recht nicht zu Anwendung kommen kann. Um weitere außenpolitische Irritationen zu verhindern, bestätigte sowohl der ehemalige Außenminister Kinkel (FDP) 1996, als auch der heutige Amtsinhaber Fischer (B90/Die Grünen) diese US-Einschätzung. Die genaue Prüfung des ARBIE-Abkommens bringt jedoch ans Licht, dass ein Senderstandort Holzkirchen nicht im Vertragsanhang aufgeführt ist.

Die Bürgerinitiative Sender-Freies-Oberland mit ihrem Vorsitzenden Georg Paul und der Bürgermeister der Gemeinde Valley, Josef Huber (CSU), haben sich für ihren Kampf um die Abschaltung der Sender gut gerüstet. Professor Günter Käs, ehemaliger Leiter des Fachbereichs Radar und Elektronik der Bundeswehruniversität München, beschäftigt sich seit 1980 mit den biologischen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlen auf lebende Organismen und erfasst, misst und dokumentiert nunmehr seit 10 Jahren die Strahlenbelastung in Valley. Seine Erkenntnisse mündeten in eine gutachterliche Stellungnahme. Gegenüber Telepolis fasst Käs die Aussage seines Gutachtens wie folgt zusammen:

"Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Strahlenexposition und vermehrten Krebserkrankungen in Valley ist nicht auszuschließen. Immerhin liegen die höchsten Emissionswerte auf dem Niveau des Sicherheitsgrenzwertes für Schrittmacherpatienten. Das der gesetzliche Strahlengrenzwert für gesunde Menschen nicht erreicht wird, bedeutet nicht, dass die Strahlung deshalb ungefährlich ist."

Es war nicht die einzige Messung an der Sendeanlage Holzkirchen. Im Rahmen eines Senderstandort-Bescheinigungsverfahren hat die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation zweimal nachgemessen und dabei sehr wohl festgestellt, dass der Grenzwert für Träger von Herzschrittmachern überschritten wird. Auch das bayerische Umweltministerium hat gemessen und ausgewertet, doch selbst die Feststellung, dass die Krebssterblichkeit in Valley - der Hauptstrahlrichtung der Sender- 40% über dem Landesdurchschnitt liegt, hatte keinen politischen Effekt. Um dem Vorwurf der statistischen Ergebnisbeliebigkeit zu entgehen, wären allerdings direkte Vergleichszahlen aus den Orten außerhalb der Strahlungsrichtung der Sendeantennen von besonderem Wert gewesen. "Diese Zahlen sollten laut Ausarbeitung der Studie ebenfalls erhoben werden.", erklärt Georg Paul, Triebfeder der Bürgerinitiative. "In der Beauftragung hat das Umweltministerium aber darauf verzichtet."

Krebserkrankungen sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Kaum ein Senderanwohner der nicht wenigstens über Schlafstörungen, Gliederschmerzen, Ohrgeräusche, Nervosität, Muskelzucken oder auffällige Infektanfälligkeit zu berichten weiß.

Doch gelten pathologische Effekte elektromagnetischer Strahlung als bewiesen? Der Streit um den Aussagegehalt derartiger Studien beherrscht die Diskussion. Stets ist entweder die exponierte Personengruppe zu klein oder die Abweichungen zu Durchschnittswerten der Gesamtbevölkerung liegen im Zufallsbereich. Doch das alle Untersuchungen zu möglichen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung letztlich zum Ergebnis eines höheren Krebsrisikos kommen, wird gerne verdrängt. "Wissen Sie,", erläutert Professor Käs, "es fehlt auch ein wissenschaftlicher Beweis dafür, dass fettes Essen dick macht. Und dennoch gehen wir von der Richtigkeit dieser Annahme aus."

Die Nachbarn der Sendeanlage Holzkirchen schöpfen alle Rechtsmittel aus. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stellte 1999 zu Gunsten der Kläger fest, dass Holzkirchen nicht unter die ARBIE-Verträge fällt, das Landgericht München II ist mit einer Zivilklage einiger "Senderopfer" auf Schadensersatz befasst, beim Verwaltungsgericht wird gegen die Standortbescheinigung und in einem weiteren Verfahren auf Nutzungsuntersagung der Sendeanlage geklagt.

Am 8. April 2001 gab "Radio Free Europe" den Betrieb der Mittelwellensender in Holzkirchen auf und senkte die Sendeleistung der Kurzwellenprogramme für die GUS-Staaten. Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf begrüßte diese Entscheidung, die aber weder von den Bürgerprotesten und erst recht nicht von politischer Verhandlung beeindruckt war. Durch die Inbetriebnahme von Mittelwellenstationen in Ungarn und im serbischen Sombor war Holzkirchen einfach strategisch verzichtbar.

Eine freiwillige Einstellung der Kurzwellensendungen aus Holzkirchen dürfte sicher nicht ohne politische Einflussnahme möglich sein, hat doch der Sendebetreiber "IBB" erst Ende Mai 2001 die wichtige europäische Kurzwellenstation Playa de Pals an der spanischen Costa Brava geschlossen und damit die Kurzwellenstation Holzkirchen strategisch aufgewertet.

Im Augenblick prüft der Petitionsausschuss des Bundestages die Klagen der Anwohner. Mit den Auskünften des Bundesumwelt- und Gesundheitsministeriums sowie des Auswärtigen Amtes war der Ausschuss unzufrieden. Deshalb hat man den Abschluss der Petition vertagt. Anfang September müssen die Ministerien erneut Rede und Antwort stehen. Ausschussmitglied Klaus Barthel (SPD) glaubt, dass damit der Druck auf die Bundesregierung wächst. Das Ziel der betroffenen Anwohner ist klar: Die Bundesregierung soll den bis 2005 laufenden Pachtvertrag mit den USA unbedingt fristgerecht aufkündigen, andernfalls verlängert sich die Zwangsbestrahlung automatisch um weitere 10 Jahre.