Nach der Kalaschnikow kommt der Klon

Gaddafis revolutionäre Einladung des Klon-Hexenmeisters Severini Antinori nach Tripolis

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Wenn es um die tatkräftige Umsetzung der Revolution geht, ist der libysche Revolutionsführer Muammar el Gaddafi Traditionalist. Die "Kalaschnikow" hält er für "eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts" - und wer wollte ihm für die Branche, die dem Volksrevolutionär bisher so angelegen war, nicht vorbehaltlos zustimmen. Aber inzwischen zeigt er auch ein offenes Herz für eine andere wichtige "Erfindung", die weit in das 21. Jahrhundert weisen könnte. Gaddafi soll den italienischen Klonvisionär Severini Antinori nach Tripolis eingeladen haben, um dessen kürzlich von westlichen Spezialisten verspottete Vorhaben umzusetzen, den ersten Menschen zu klonen.

Längst ist das mit vielen praktischen Schwierigkeiten behaftete Klonen aus dem engeren Zirkel einer gefährlichen Wissenschaft herausgetreten, um zum Emblem einer hoffenden, bangenden und verunsicherten Welt zu avancieren. Der Klon ist aber nicht nur eine Projektionsfigur, sondern es geht bereits jetzt um Geld und politisch-publizistischen Einfluss. Damit sich Antinori beeilt und ihm nicht etwa die Raelianer mit dem ersten Hitler-Klon-Baby zuvorkommen (Ansichten eines Clowns), soll es auch eine saftige Erfolgsprämie von mehreren Millionen Dollar geben, wenn das künstliche Menschwerdungsprojekt gelingt. Schon seit Beginn der 90er-Jahre bemüht sich Antinori redlich um die Vermehrung der Weltbevölkerung. Dank der künstliche Befruchtung von Frauen nach der Menopause brachte eine 63jährige Italienerin einen gesunden Jungen zur Welt, was den Vatikan veranlasste, von einem "schrecklichen Werk" zu reden, das Waisenkinder produziere.

Antinori würde nach dem Bericht des "Sunday Express" einen ganzen Flügel in der besten Klinik von Tripolis als Experimentierfeld erhalten. Gaddafi weiß, dass der Prophet Mohammed die Wissenschaft so hoch schätzte, dass er es sogar ausdrücklich erlaubte, sie von den Lippen eines Ungläubigen zu empfangen. Antinori hatte sich vielleicht schon in weiser Voraussicht auf Libyen eingestellt, als er verkündete, er wolle sein Klon-Experiment "in einem Mittelmeerland, dessen Name geheim bleiben muss", ausführen. Zwischenzeitlich war zwar auch von schwimmenden Laboren auf den Weltmeeren die Rede, aber das schwankende Projekt, das im November diesen Jahres in die heiße Phase treten soll, könnte ein bisschen mehr festen Boden unter den Füßen vertragen.

Gaddafi hat das Projekt wohl zur Chefsache erkoren. Er höchst selbst soll das Angebot einem Mitstreiter Antinoris telefonisch unterbreitet haben. Sollte es sich dabei nicht nur um einen Sommerlochklon halten, hätte Gaddafi damit nicht nur passgenau auf Bushs Klonverbot reagiert (Bush hat eine Entscheidung zur Forschung mit embryonalen Stammzellen getroffen). Sollte gar der Stellvertreterkrieg auf dem explosiven Feld die amerikanische Friedenshoffnung endgültig begraben, dass die Feinde der Pax Americana, vulgo: Schurken, nie aussterben werden? Eine frische Armee von Revolutionsführern auf dem Weg zum panarabischen Klonstaat?

Gaddafi dürfte näher liegende Ziele verfolgen. Seit er den islamistischen Abu Sayyad-Terroristen auf der philippinischen Insel Jolo die Geiseln abkaufte und selbst Fischer dem Sohn des kapriziösen Potentaten die Hand drückte, arbeitet er an seiner internationalen Reputation, die nicht mehr auf die Rolle des Herbergsvater ungezählter Terroristen beschränkt sein soll. Tripolis könnte jetzt zum Klonparadies aller Selbstreproduktionsbedürftigen dieser Erde werden – eine Touristenanwerbungsmaßnahme, die Gaddafis bisherigen, bedingt zugkräftigen Bemühungen, sein Land wieder international gesellschaftsfähig zu machen, gewaltigen Auftrieb verleihen könnte.

Inzwischen scheint er in das altersgemäßere Charakterfach des Menschenfreunds gewechselt zu haben. Neben seiner Unterstützung von terroristischen Gruppen aller couleur machte er zuvor vor allem durch provokative Clownerien auf seine panarabische Geltungssucht in der Nachfolge Nassers aufmerksam. So forderte er etwa, alle Straßenschilder im Westen doppelt zu beschriften – nicht nur in lateinischer, sondern auch in arabischer Sprache, um auf der Gleichberechtigung der arabischen Kultur zu insistieren. Gaddafi setzt sich nun auf den Schnellzug der Zeit. Mag der panarabische Traum warten, wenn die Brüder ihren Nationalstolz nicht zurückdrängen können. Und was haben schon die Unterstützungen der Terrororganisationen mehr gebracht, als westliche Ermächtigungsgrundlagen für radikale Gegenmaßnahmen? Der Anschlag auf die Berliner Diskothek "La Belle" führte fast zu Gaddafis Tod, als US-Präsidenten Ronald Reagan Libyen bombardierte.

Mit besonderer Genugtuung dürfte es aber den libyschen Revolutionär erfüllen, dass Antinori aus dem verhassten Land der früheren Kolonialherren kommt. Gaddafis Großvater wurde 1911 beim Widerstand der Senussi gegen die Italiener, die zu diesem Zeitpunkt mit der Eroberung Libyens begannen, getötet. Dem Wüstensohn werden Minderwertigkeitskomplexe gegenüber dem Abendland nachgesagt, die seine Operettenauftritte in Fantasieuniform und wedelndem Malacca-Stöckchen eher belegten als dementierten. Mag also sein, dass er diesmal den Westen mit seinen eigenen "Waffen" schlagen will, anstatt wie 1986 Scud-Raketen Richtung Italien zu senden.

Der Berufsverband italienischer Ärzte, dem das angeblich vom israelischen Geheimdienst Mossad abgehörte Telefonat hintertragen wurde, reagierte kritisch. Zwar könne man Antinori nicht verbieten, in Libyen zu praktizieren, aber der italienische Klondoktor muss mit Berufsverbot rechnen. Antinori mag also nachdenken, ob das ausgelobten Preisgeld ausreichend ist und er dem Herrscher mehr versprechen kann, als aus Blech Gold zu zaubern.

Größeres Kopfzerbrechen als die Gefahr des Scheiterns sollte dem Verfasser des "Grünen Buchs" aber der Umstand bereiten, dass der Islam dem Klonen von Menschen kritisch bis fundamental ablehnend gegenüber steht. Zwar gibt es der (Un)Natur der Sache nach keine expliziten Aussagen des Korans zum Klonen, aber die analoge Anwendung des moslemischen Weisheitsschatzes spricht eher gegen die Zulässigkeit des revolutionären Projekts.

Wenn das Klonen so praktiziert wird, dass entweder kein Vater zuzuordnen ist oder die Frau nur "Gefäß" ist, steht das im Widerspruch zur Aussage Allahs: "O ihr Menschen, wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen" (al-Hugurat (49), Aya: 13). Schwer wiegend ist auch der Einwand, dass die Abstammungskenntnis nicht gewährleistet ist, während der Islam gerade die Abstammung unter besonderen Schutz gestellt hat. Zahlreiche islamische Regeln über Abstammung, Fürsorge, Eltern- und Kindschaft, Erbschaft geraten mit dem Klonen von Menschen in Konflikt. Das Klonieren gilt insbesondere als ein Prozess, der im Widerspruch zu der von Allah bestimmten natürlichen Zeugung steht. Daher ist nach wohl vorherrschender Auffassung der Vorgang des menschlichen Klonens durch das islamische Recht verboten. Allein aus Gründen der Artverbesserung, der Produktionssteigerung oder der Erzeugung von Medikamenten kann das Klonen von Tieren und Pflanzen nach islamischen Regeln für zulässig erachtet werden.

Gaddafi, der in seiner vor Jahrzehnten verfassten Universaltheorie des dritten Weges die Rückkehr zum Koran verfassungsrechtlich absicherte, scheint da im neuen nationalen Interesse erheblich flexibler zu sein. Vielleicht erkennt er aber auch in Antinori einen Seelenverwandten, seitdem der skrupellose "Hexenmeister" genauso zur Unperson erklärt wird, wie das Altdiktator Gaddafi für den Westen bereits seit Jahrzehnten ist. Gaddafi gilt ebenso als Grenzverletzer wie Antinori, der seit seinen großspurig verkündeten Absichten bezichtigt wird, die moralischen Grenzen einer menschenwürdigen Gesellschaft längst verlassen zu haben. Als er unfertige Spermien in den Leihhoden einer Ratte heranreifen ließ, um zeugungsunfähige Männer zu Vätern zu machen, riefen seine Gegner "Abartig". Antinori reagiert auf die Anwürfe einer aufgebrachten Gesellschaft betont karitativ: "Ich werde überall da hingehen, wo Menschen Kinder wollen, aber nicht haben können", Und um seine guten Absichten vollends zu besiegeln, fügt er hinzu: "Gott hat mir diese Gabe gegeben."

Ob Gott Antinori auch die Gabe gegeben hat, gesunde Klone zu schöpfen, ist nach den gesammelten Zweifeln der Experten offen, aber mit Gaddafis großzügiger Hilfe könnte die interreligiöse Nachschöpfung ja gelingen.