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In der Freihandelszone Amerika (FTAA) sollen Antikopierschutz-Programme ausnahmslos verboten werden

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Dmitry Sklyarov kann nach dem umstrittenen "Digital Millennium Copyright Act" (DMCA) von 1998 mit einer Höchststrafe von fünf Jahren Gefängnis rechnen, weil er versucht hat, einen Kuchen zu essen, der ihm zwar gehört, den er aber nicht essen darf. Der russische Programmierer wird bezichtigt, ein Programm hergestellt bzw. verteilt zu haben, mit dem der technische Copyright-Schutz von elektronischen Büchern geknackt werden kann.

Die gesetzliche Grundlage für die Verfolgung von Sklyarov lässt sich aus psychiatrischer Sicht gleichsam als digitales Double bind beschreiben: Zwar ist es erlaubt zum persönlichen Gebrauch Kopien digitaler Medien anzufertigen, verboten ist es aber, den Kopierschutz in das Datennirvana zu versenken. Diese Schizophrenie bringt inzwischen Bürgerrechtsorganisationen, Anwälte und selbst Bibliothekare, die befürchten, sich strafbar zu machen, wenn sie Medien weiterreichen, immer lautstärker auf die Barrikaden. Die Kritiker verweisen auf die historische Idee des amerikanischen Urheberrechts, das ursprünglich die Kreativität fördern sollte, inzwischen aber zum reinen Machtinstrument von Filmstudios, Musik- und Softwareunternehmen pervertiert. Aber damit nicht genug: Die 1990 gegründete Bürgerrechtsbewegung "Electronic Frontier Foundation" (EFF) ruft jetzt die Öffentlichkeit auf, gegen den fortschreitenden Einigungsprozess zu protestieren, den die "Free Trade Area of the Americas (FTAA)" auch auf diesem Sektor anstrebt. Die FTAA ist ein Zusammenschluss von 34 Staaten aus Nord-, Zentral- und Lateinamerika sowie der Karibik, der bis Ende 2005 die größte Freihandelszone der Welt mit 800 Millionen Menschen bilden will.

Noch weiterreichender als es bereits der Copyright-Act regelt (Vgl. Update: Anhörung über die Zukunft des US-Copyright), sollen nun die 34 Signatarstaaten ein Abkommen unterzeichnen, das vorsieht, in ihren nationalen Gesetzgebungen Kopierschutzverletzungen der genannten Art rücksichtslos zu ahnden. Die EFF verweist auf die schlechten Erfahrungen, die mit dem DMCA gemacht wurden. Viele amerikanische Erziehungseinrichtungen haben sich bereits beklagt, dass weder für Zwecke der Erziehung noch solche Harmlosigkeiten wie Parodien oder Schülerzeitungen der Kopierschutz umgangen werden darf. Die Freiheit der Rede, aber auch die UN-Deklaration der Menschenrechte würden durch solche Restriktionen verletzt. Alle bisher gesetzmäßigen Formen des Gebrauchs von Kopiertechnologien, einschließlich ihres Einsatzes für Forschung, Wissenschaft, reverse engineering oder Computersicherheit würden mit dem nun geplanten Vertragswerk ausnahmslos vereitelt. Während der DMCA wenigstens noch einige, bisher allerdings in der gesetzlichen Anwendung folgenlos gebliebene Ausnahmen kennt, wurden in der jetzt vorliegenden Initiative der FTAA auch diese gestrichen.

Die digitale Bürgerrechtsbewegung sieht vor allem die Gefahr, dass dieser neueste Vorstoß den freien Austausch und die persönlich sinnvolle Nutzung geistiger Produkte noch weiter reduziert. Im Gegensatz zu weltweiten Regelungen, die Herausgeber daran hindern, eine vollständige Kontrolle über die Art und Weise des öffentlichen Umgangs mit ihren Publikationen zu erlangen, würden die großen Unternehmen nun umfassend ermächtigt, Individualrechte zu Produkteigenschaften zu deformieren. So wäre bereits der Digital Millennium Copyright Act in der Vergangenheit über den Gesetzeszweck hinaus instrumentalisiert worden, um etwa die Berichterstattung über ein Softwareprogramm zu zensieren. Nicht anders sei es einem Princeton-Wissenschafter ergangen, dessen Untersuchungen unterdrückt wurden, weil sie die Schwächen einer von der Musikindustrie verwendeten Software aufzeigten. Nach der EFF handelt es sich um eine der schlimmsten Formen des US-Imperialismus, der nun auch die FTAA infiziere. Dahinter stehe nichts anderes als der systematische Versuch von gigantischen US-Unternehmen, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch im Ausland der FTAA-Staaten die schwächere Konkurrenz auszubooten. Eine kleine Gruppe von Unternehmen strebe die totale Kontrolle über den Film-, Musik-, und Buchmarkt an, in dem sie Wettbewerber, die userfreundlichere Konditionen für die Öffentlichkeit anzubieten haben, kurzerhand zu Gesetzlosen abstempelt.

Die Inkriminierung von Umgehungen technischer Kopierbarrieren wird nun zu einem weiteren Schreckgespenst der digitalen Öffentlichkeit. Die soll nun mit dem Paradox leben, zwar über die rasantesten Konnektierungsmöglichkeiten für Meinungen, Forschungsergebnisse und schöpferische Erzeugnisse jedweder Art weltweit zu verfügen, zugleich aber mitansehen zu müssen, wie diese mit Hilfe eines antiquierten Eigentumsbegriffs bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt werden.

Dabei hatte der kanadische Premierminister Jean Chrétien noch zum Abschluss der Konstitution der FTAA salvatorisch erklärt, dass nicht nur Menschenrechte, Demokratie und Freiheit, sondern insbesondere auch die Stellung von gesellschaftlich benachteiligten Gruppen gestärkt werden sollen. Mit den neuesten Bestrebungen scheint sich dagegen die frühe Kritik des People's Summit (Volksgipfel) weiter zu erhärten, dass der wirtschaftliche Panamerikanismus auch nur zu einer weiteren Unterabteilung des antikreativen Wirtschaftsglobalismus verkommt. Von Hollywood zu Globalwood entlarven sich die anmaßenden Contentherrscher als Eigentümer, die von der Sozialbindung des Eigentums nichts mehr wissen wollen, wenn es um die exklusive "Preisbindung" des Kunden an ihre Unternehmen geht.