Wie lebt sichs eigentlich als Big Brother?

Letztjährige Preisträger der Schweizer Big Brother Awards werden nur ungern an die widerfahrene Ehre erinnert

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Ende Oktober ist es wieder soweit. Zum zweiten Mal werden in der Schweiz die sogenannten Big Brother Awards verliehen. Ausgezeichnet werden besonders emsige Datensammler sowie Personen oder Institutionen, die sich gegen solcherlei Sammelwut wehren. Was machen eigentlich die letztjährigen Preisträger?

Es soll ihnen nicht besser ergehen als anderen Preisträgern auf dieser Welt. Was macht Miss Sowieso, wie fühlt man sich als Ausgezeichneter, wo steht der Pokal, rechnen sie mit einem weiteren Titel? Solche Neugier mussten auch die Preisträger der letztjährigen Schweizer Big Brother Awards über sich ergehen lassen. Telepolis hat nachgefragt und ist dabei auf die ganze Palette von gelassenen, abweisenden und verärgerten Reaktionen gestoßen.

Der für sein Lebenswerk ausgezeichnete Urs von Daeniken, Chef des Dienstes für Analyse und Prävention beim Bundesamt für Polizei wollte partout nicht Stellung nehmen zu der Ehre, die ihm vor Jahresfrist zuteil wurde. "Urs von Daeniken möchte sich zu der Angelegenheit nicht äußern. Mit bestem Dank für Ihr Verständnis", teilt die Sekretärin des obersten Staatsschützers per Mail mit.

Gar nicht erst zu erinnern an die Auszeichnung in der Kategorie "Staat" vermochte sich das Verteidigungsministerium, das den Preis für das von ihm betriebene Satellitenabhörsystem Satos 3/Onyx erhalten hat. Mediensprecher Oswald Sigg lässt erst mal abklären. Und siehe da. "Man hat das zur Kenntnis genommen mit einem ..., mit einem ..." Sigg ringt nach Worten. "Ja, man hat das zur Kenntnis genommen. Und wir warten immer noch auf das hohe Presigeld." Daraus wird leider nichts und bei den hohen und intransparenten Kosten der helvetischen Weltalllauscher ist eine finanzielle Zuwendung alles andere als nötig.

Beim größten Telecom-Provider, der ehemaligen Monopolistin Swisscom, war die Verärgerung am größten. Mediensprecher Sepp Huber hat es offenbar noch immer nicht verdaut, dass sein Unternehmen den Big Brother Award in der Kategorie "Telecom" wegen der systematischen Standortüberwachung seiner Handy-Kunden erhalten hat. Inzwischen wird die Möglichkeit des Standorttrackings kommerziell genutzt: Mittels SMS oder WAP können sich Mobiltelefonierer den aktuellen Standort von ihren handybenutzenden Freunden anzeigen lassen.

Ebenfalls munter weiter überwacht und kontrolliert wird beim Basler Chemieriesen Hoffmann-La Roche. Den Preis in der Kategorie "Business" gabs für die zur Dorgenprävention systematisch durchgeführten Urintests bei Auszubildenden. Obwohl der Datenschutzbeauftragte in einer Stellungnahme den Abbruch der Tests empfohlen hatte, macht Roche weiter, "zumal sich die Eltern der Lehrlinge bei einer kürzlich durchgeführten Befragung mit grosser Mehrheit für die Weiterführung ausgesprochen haben." Der Big Brother Award war also mehr als verdient. Und wo ist die Urkunde? Pressesprecherin Jacqueline Wallach kann sich nicht so recht erinnern und weiss auch nicht wo das gerahmte Dokument gelandet ist. Ob es denn in der Gemäldegalerie hängen könnte? "Das ist gut möglich, denn wir haben viele Gemälde."

...and the winner is...?

Sämtliche letztjährigen Preisträger könnten also durchaus ein weiteres Mal nominiert werden. Doch da warten schon weitere aussichtsreiche Kandidaten. Da wäre zum Beispiel der kommunistische Abgeordnete Joseph Zisyadis, der mit einem noch unerledigten parlamentarischen Vorstoß verlangt, die Telecom-Provider zur unentgeltlichen Telefonüberwachung im Rahmen von Strafverfolgungen zu verpflichten. So als ob ein Hauseigentümer die Fahrtspesen für Schlapphüte bezahlen müsste, wenn einer seiner Mieter observiert wird.

Die Regierung beantragt, dem Parlament den Antrag auf Gratisüberwachung abzulehnen. Ebenfalls in der Kategorie "Staat" wären verschieden Kommunalpolitiker preisverdächtig, weil sie Pläne zur Videoüberwachung von "neuralgischen Punkten" forcieren. Dasselbe gilt für all jene Polizeistellen, die in Sportstadien mit DV-Kameras Hooligans und alles was sonst noch vor die Linse kommt digital verewigen.

Oder da wäre der Eliteclub World Economic Forum mit Sitz in Genf. Wenn es so etwas wie einen speziellen Preis für Informatik-Dilettanten gäbe, müsste er unbedingt dem Systemadministrator des WEF verliehen werden. Ein sauberer Hack Anfang Jahr zeigte, wie abertausende von vertraulichen Personendaten - darunter von Persönlichkeiten wie Bill Clinton, Yassir Arafat oder Shimon Peres - ungeschützt auf einem WEF-Server lagerten. Ähnliche Schlampigkeit muss sich auch der Access Provider Swissonline vorwerfen lassen. Hier konnte im Juli ein gravierendes Sicherheitsleck nachgewiesen werden, das zur Offenlegung von 250'000 Mailaccounts führte.

Nach Angaben der Organisatoren der Big Brother Awards sind bereits über fünfzig Nominierungen eingegangen, darunter auch Preisträger des letztjährigen Bewerbs. Noch bis zum 30.September können weitere Kandidaten vorgeschlagen werden. Feststehen werden die Superschnüffler und -sammler am 26. Oktober, wenn zeitgleich in der Schweiz, Deutschland und Österreich die Awards übergeben werden.