Europa-Parlament verabschiedet Echelon-Bericht

USA verfolgen neue Geheimdienstpolitik

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Am heutigen Mittwoch, den 5. September, hat das Europa-Parlament mit großer Mehrheit den Bericht des Echelon-Untersuchungsausschusses verabschiedet. Sozialisten, Konservative und Liberale nahmen mit etwa 367 Stimmen den Bericht des Ausschusses an, ein Teil der Linken, Grünen sowie die Splittergruppen und die ganz Rechten votierten mit 159 Stimmen dagegen. 34 Abgeordnete enthielten sich. Zwei kleine Änderungsanträge wurde noch verabschiedet, die die Berücksichtigung der Menschenrechtskonvention anmahnen.

1996 hatte der neuseeländische Journalist Nicky Hager das Echelon-System in seinem Buch "Secret Power" enthüllt, das auf ein immer noch geheim gehaltenes Abkommen aus dem Jahre 1948 zurückgeht: Australien, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und die USA profitieren seither von einem gemeinsam betriebenen Abhörnetzwerk. Zunächst sorgte die Buchveröffentlichung in Neuseeland für großen Wirbel, aber für keine politischen Konsequenzen.

Das Thema drohte unterzugehen, als ein Artikel von Hager in dem inzwischen eingestellten Magazin CAQ doch noch für internationales Aufsehen sorgt und 1997 zu einer Erwähnung des Echelon-Netzwerkes in einem Bericht an das EU-Parlament führt. Einige Zeit und einige Expertenberichte später (siehe TP-Berichte Abhören im Jahr 2000 und Echelon vor dem Europaparlament) wird der Untersuchungsausschuss im Frühjahr 2000 eingesetzt - mit positivem Ergebnis: Fünf Jahre nach der Buchveröffentlichung wird die Existenz von Echelon nicht mehr geleugnet, sondern von der Europäischen Union bestätigt und verurteilt.

Ein Jahr lang hatte der Ausschuss gearbeitet und im Juli seinen Abschlussbericht vorgestellt. Er kam zu dem Schluss: Echelon existiert, aber es gibt nicht viel, was man dagegen tun kann. Die Abgeordneten empfehlen diplomatische Verhandlungen mit den USA, mehr Rechtssicherheit für europäische Bürger - und Selbstschutz durch Verschlüsselung. Sanktionen gegen Echelon-Staat Großbritannien wird es nicht geben.

Im Hinblick auf eine Zusammenarbeit der europäischen Geheimdienste unter dem Primat der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" der Union wünscht sich der Ausschluss eine weitere "Effektivierung". Zuvor müssten die Mitgliedstaaten jedoch Maßnahmen ergreifen, um die europäischen Bürger zu schützen. Dabei sollten sie sich an dem Staat orientieren, der das höchste Schutzniveau hat. Falls es zu einer Kooperation der Geheimdienste kommt, müsste das Europäische Parlament Überwachungs- und Kontrollfunktionen übernehmen.

Da es in den Echelon-Staaten wenig Eingeständnisse gab, könnte dieser Bericht nun auch dort innenpolitisch einiges in Gang bringen - Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Europäische Union nun auch wirklich tatkräftig zur Durchsetzung der verabschiedeten Maßnahmen schreitet. In Großbritannien wird am Freitag ein Bürgerkommitee, das Menwith Hill Forum, in Begleitung der BBC vor den Toren der Abhörstation Menwith Hill die Schließung der Anlage fordern. Anders als die Deutschen haben die Briten jedoch wenig Aussicht auf Erfolg. Denn sie sind immerhin sicherheitspolitischer Prime Partner der USA.

Die Station in Bad Aibling hingegen wird schon im Herbst 2002 ihren Betrieb einstellen. Für den Berichterstatter des Ausschusses, Gerhard Schmid (SPD), ist dies ein Indiz dafür, dass Bad Aibling gar nicht Teil von Echelon sein konnte, sondern wohl ausschließlich militärischen Zwecken diente. Der britische Journalist Duncan Campbell hingegen vermutet, dass sich hinter der Schließung der noch erst im letzten Jahr zum weiteren Ausbau empfohlenen Bad-Aibling-Station eine neue sicherheitspolitische Konstellation verbirgt.

Die Bush-Regierung käme mit der spanischen Regierung besser als mit der deutschen Regierung zurecht. Hintergrund ist wohl ein Misstrauen gegen die geheimdienstliche Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs in der Europäischen Union. Getrübt wurde das jahrzehntelange Einvernehmen zudem durch die liberale Kryptopolitik der Bundesregierung sowie deren ausgesprochenes Misstrauen gegenüber dem Microsoft-Betriebssystem Windows.

Deutlich wird die Kursänderung daran, dass in den letzten Monaten die Spanier wichtige Rüstungsaufträge gewinnen konnten und auch neuerdings die heißbegehrte US-amerikanische Aufklärungstechnik für den Kampf gegen die baskische Terrororganisation ETA benutzen dürfen. Für Campbell verweist dies auf längerfristige bilaterale Ambitionen der US-Regierung.

Auch Italien und Griecheland bot die Bush-Regierung geheimdienstliche Unterstützung im Kampf gegen Terroristen an. Die geheimdienstliche Zusammenarbeit wurde zudem auch mit Norwegen, Dänemark und der Schweiz intensiviert. Großbritanniens derzeitige Isolation wird dies langfristig beenden. Letztlich will Washington damit aber vor allem die europäischen Pläne von einer gemeinsamen Geheimdienstpolitik, wie sie auch im Bericht des Echelonausschusses deutlich wird, torpedieren.

Christiane Schulzki-Haddouti veröffentlichte am 3. September im Heise-Verlag die zweite, aktualisierte Auflage ihres Buchs "Vom Ende der Anonymität. Die Globalisierung der Überwachung". Am 17. September erscheint ihr neues Buch im Rotbuch-Verlag "Datenjagd im Internet. Eine Anleitung zur Selbstverteidigung.". Ihre Homepage