Pentagon bestätigt nach Pressebericht Forschung an biologischen Kampfstoffen

Erstes Todesopfer dürfte die Biowaffenkonvention sein

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Die Bestätigung, dass Wissenschaftler im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums an biologischen Kampfstoffen forschen, ist weltweit auf Unverständnis gestoßen. Ein Sprecherin des Pentagon hatte am Dienstag (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz in Washington erklärt, dass auf Initiative des Pentagon seit vier Jahren neue Arten des Milzbranderregers (Anthrax) entwickelt würden. Beobachter hatten schon seit längerem vermutet, dass auf Initiative von US-Militärs derartige Projekte lanciert werden. Tatsächlich konnte man in den letzten Monaten immer mehr Indizien ausmachen.

Bereits im Dezember vergangenen Jahres erklärte ein hochrangiger US-Militär die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit, die Konvention zum Schutz vor biologischen Waffen zu verändern, damit Material zerstörende Mikroorganismen eingesetzt werden könnten. Mitte des Jahres, am 25. Juli, ließen US-Delegierte dann auf der "Überprüfungskonferenz zur Stärkung der Konvention zum Schutz vor Biowaffen" in Genf im die Bombe platzen: Die USA, so wurde erklärt, würden sich aus den Verhandlungen zurückziehen.

Nun treten die Hintergründe dieser Strategie zutage. Nach einem Bericht der New York Times von Dienstag laufen die Forschungen der US-Militärs bereits seit mehreren Jahren. Soweit bestätigte das auch die Sprecherin des Pentagon. 1997 sei das Programm noch unter William Clinton initiiert worden, als in einer Wissenschaftszeitschrift ein Bericht erschienen ist, nach dem russische Militärs neue Arten des Erregers entwickelt haben. Nachdem man erfolglos versucht hätte, an diese neue Art des Milzbrandbakteriums zu kommen, sei das Programm zu dessen "Nachbau" gestartet worden. Mit dem Verweis auf die vermeintliche Gefahr aus Russland erklärt das Pentagon die Forschung als defensiv - und somit mit der Biowaffenkonvention zu vereinbaren dar. Wie bei jeglicher Biowaffenforschung muss aber zunächst der Erreger (neu)entwickelt werden, um aus ihm nach der Abtötung einen Impfstoff zu entwickeln. Die USA verfügen schon jetzt über wirksame Impfstoffe gegen die verbreitetsten Arten von Milzbrand. Man wolle aber für alle Fälle gerüstet sein, hieß es am Dienstag.

Die Erklärung mutet vor allem deshalb seltsam an, weil der Rückzug aus den Verhandlungen zur Stärkung der Biowaffenkonvention im Juli damit begründet wurde, dass die vorgesehenen Kontrollen ineffektiv und lückenhaft seien. Nach dem Bericht der New York Times aber wollte die US-Regierung selber unbequeme Kontrollen der militärischen Forschungsanlagen vermeiden. Die nämlich wären nach der Biowaffenkonvention von 1972 auf sie zugekommen. "Jetzt zeigt sich", sagt Jan van Aken vom Sunshine-Project, "aus welch niederen Beweggründen die USA das Biowaffen-Protokoll torpediert haben". Die Vereinigten Staaten seien offenbar Teil des Problems und nicht der Lösung. Für die Bundesregierung ist es jedenfalls eine äußerst peinliche Lage, da sie mit Rücksicht auf ihren NATO-Partner die Verabschiedung eines Protokolls ohne die USA in Genf verhindert habe. "Joschka Fischer und sein Ministerium haben sich - unwissentlich - in erster Linie die geheime Biowaffen-Forschung der USA geschützt", so van Aken. Dabei war die Linie des Militärs mehr als deutlich, nachdem der Einsatz von material zerstörenden Mikroben vermehrt von US-Militärs gefordert wurde.

Dabei wurden markige Worte gewählt. "Es gibt fast nicht, was diese Viecher (bugs) nicht fressen", habe ein ehemaliger Wissenschaftler des US-Marine-Cops vor dem Verteidigungsministerium geprahlt. Damit dürfte er recht haben, denn Forscher der US-Navy haben ein genetisch verändertes Bakterium entwickelt, das Plastik angreift. Andere Berichte sprechen von Organismen, die auf Erdöl oder sogar Stahl angesetzt werden können. Auf einer dritten Strecke, dem herbiziden Einsatz, gehören biologische Stoffe indes schon fast zum militärischen Alltag. Im Rahmen des militärischen Teils des umstrittenen Kolumbienplanes wurde lange Zeit der speziell zum Einsatz gegen Coca-Pflanzen gezüchtete Pilz "Fusarium Oxysporum" eingesetzt. Die in Kolumbien gegen den Einsatz bestehenden Bedenken und Forderungen, dem Einsatz eine Studie über die Auswirkungen auf Flora und Fauna voranzustellen, wurden damit zerstreut, von der Zustimmung zum Einsatz bilaterale Hilfsgelder abhängig zu machen. Dabei gab es durchaus glaubwürdige kritische Stimmen. In dem Protokoll einer Sitzung französischer und internationaler Nichtregierungsorganisationen, darunter Ecociencia und Fundación Natura, und dem Amerikabeauftragten des französischen Außenministeriums vom 14. Juni vergangenen Jahres wird unmissverständlich erklärt, dass "der Einsatz des Pilzes nicht nur die Coca-Pflanzen angreifen, sondern auch die übrige Flora, wobei Schäden auf Bananen, Kaffee, Kakao, Kartoffeln, Vanille, Sonnenblumen, Spargel, Nelken, Palmen, Mais, Bohnen, Gummi- und Nussbäumen und Tabakpflanzen nachgewiesen wurden." Auch könne der Pilz über alle für den menschlichen Verzehr bestimmten Agrarprodukte in die Nahrungskette gelangen.

"Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Hype um genetisch veränderte Kampfstoffe die tatsächlich bestehenden Möglichkeiten übersteigt", beschreibt die Wissenschaftsjournalistin Carina Dennis in dem Magazin Nature den Missstand. Während von weiten Teilen der Wissenschaft die Fokussierung herkömmlicher Kampfstoffe gefordert werde, finanzierten Regierungen schon seit längerem Programme zur Abwehr genetisch manipulierter Waffen. An anderer Stelle werden die Zeichen der Zeit erkannt. Auf einem Gipfeltreffen afrikanischer Staats- und Regierungschefs im Juli in Zambia wurde der Weg freigemacht, genetische Manipulation "zum Schaden der menschlichen Gesundheit, Biodiversität, Umwelt oder Eigentum" härter zu ahnden. Auf dem Treffen, bei dem aus der "Organisation Afrikanischer Staaten" (OAS) die "Afrikanische Union" (AU) gegründet wurde, verabschiedeten die Delegationen ein Modellgesetz für die 53 Mitgliedsstaaten, das sich maßgeblich an dem UN-Protokoll zur Biosicherheit orientiert. In dem Gesetzesentwurf werden höhere und klar definiertere Strafen für "genetische Manipulation aus feinseligen Absichten" (genetic engeneering for hostile purposes) festgelegt. Nach der Verabschiedung des Modellgesetzes auf nationaler Ebene müssten Individuen, Organisationen und Unternehmen, die sich dem Straftatbestand schuldig machen, Geld- und Haftstrafen fürchten. Im Falle von Unternehmen wird der Geschäftsführer vor Ort persönlich haftbar gemacht. Von der UN-Richtlinie werden die Grundsätze übernommen, die nationale Definierung von Höhe und Länge der Strafen obliegt der nationalen Gesetzgebung.

Die Initiative ist Ausdruck steigender Bedenken in den Ländern der sogenannten Dritten Welt. Die Vorsicht wird nicht nur aus dem Wachstum von "Biopiraterie" genährt, auch wird der militärische Einsatz von organischen Stoffen offenbar als realistische Gefahr betrachtet. Insofern greift das Modellgesetz präventiv und wird nicht erst nach dem Schaden eingerichtet. Einmal in nationales Recht übernommen wäre es ein wirksames Instrument, biologische Waffen ausfindig zu machen, ihre Entwicklung zu verhüten und Verstöße zu ahnden. Entgegen der Taktik der USA ist es ein aktiver Schritt, die Biowaffenkonvention zu stärken. Sie nämlich schließt in der bestehenden Form nur "herkömmliche" Kampfstoffe ein.

Auch der russische Waffenexperte Alexander Gorbowski von der staatlichen Rüstungsbehörde ging Mitte der Woche auf Distanz.

Es ist nicht verboten, Impfstoffe gegen biologische Waffen zu entwickeln. Aber einen neun Milzbrand-Stamm zu züchten, wäre eine Verletzung des Verbots (biologischer Waffen), auch wenn dies defensiven Zwecken dient,

zitierte die britische Nachrichtenagentur AP den Experten.

Der Bericht über das Forschungsvorhaben sei daher Anlass zur Sorge. Die mag dadurch verstärkt werden, dass zeitgleich zur Bestätigung biologischer Waffenforschung in Washington angekündigt wurde, das Atomwaffenarsenal unter Umständen auch ohne Abstimmung mit Russland zu reduzieren. Aber auch in Deutschland mehrt sich die Kritik. Das Sunshine-Project verfasste am Donnerstag in Zusammenarbeit mit der Dortmunder "Naturwissenschaftler-Initiative für Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit" einen offenen Brief, der an die Büros von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Fischer ging. Darin heißt es u.a.:

Die Tatsache, dass ausgerechnet ein NATO-Staat erstmals seit Verabschiedung der Biowaffen-Konvention in aller Öffentlichkeit eine rundum offensiv nutzbare Biowaffen-Forschung betreibt, gefährdet massiv den internationalen Konsens gegen biologische Waffen. Es liegt jetzt an den europäischen Staaten, sich deutlich gegen diese Projekte auszusprechen und den Vorstößen der Vereinigten Staaten klare Grenzen zu setzen, um die Biowaffen-Konvention zu verteidigen und zu stärken. Andernfalls droht das globale B-Waffen-Verbot zu erodieren und zu einem Spielball nationaler Interessen zu verkommen. Momentan torpedieren die USA nicht nur die Biowaffen-Konvention, sondern stellen das gesamte Rüstungskontrollsystem der 1970er Jahre in Frage und wirken damit weltweit destabilisierend und friedensgefährdend.

Von der Bundesregierung war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten, man werde die jüngste Entwicklung "kritisch prüfen", so erste Reaktionen aus mehreren Bundestagsbüros. Die sicherheitspolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Bundestag Heidi Lippmann erklärte im Gespräch mit Telepolis am Donnerstag ihre volle Unterstützung für die Initiative von Sunshine-Project und der Naturwissenschaftler-Initiative.

Die USA müssen verstärkt unter Beobachtung der europäischen Staaten genommen werden,

so die Abgeordnete. Nach Beratungen mit der Arbeitsgruppe Internationale Politik der Bundestagsfraktion werde man mögliche Konsequenzen spätestens Ende September in den Ausschüssen für Auswärtiges und Verteidigung zu Sprache bringen. Rechtzeitig von der Überprüfungskonferenz der Biowaffenkonfention in Genf, die voraussichtlich einen Monat später einberufen wird, um über das Schicksal des Abkommens zu entscheiden.