Wirtschaftsministerium gibt Gas bei der Lauschverordnung

Laut Version 3.0 der heftig umstrittenen TKÜV sollen Provider von der Überwachung der Einwahlknoten im Ortsnetzbereich freigestellt werden

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Nach den andauernden und lautstarken Protesten der Wirtschaft an der geplanten Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) und der ablehnenden Haltung der Medienpolitiker aller Parteien hat das federführende Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) die Pläne für den lückenlosen Lauschangriff auf die gesamte öffentliche Telekommunikation noch einmal gründlich überarbeitet.

Version 3.0 des umstrittenen Papiers, die Telepolis vorliegt und in den nächsten Tagen auf der Homepage des BMWi veröffentlicht werden soll, grenzt den Kreis der zur Vorhaltung teurer Abhörboxen Verpflichteten gegenüber dem im Februar herausgegebenen zweiten Referentenentwurf (Rot-Grün will Telekommunikation lückenlos überwachen) sowie einer im Frühsommer erstellten Zwischenfassung (Kosmetik an der Lauschverordnung) weiter ein und soll vor allem die Zugangsprovider entlasten. Technische Detailfragen bleiben allerdings weiterhin genauso ungeklärt wie grundsätzliche Aspekte der Verhältnismäßigkeit der Telekommunikationsüberwachung.

Beim Grundsatz, dass Betreiber von durch die Öffentlichkeit benutzten Telekommunikationsanlagen vollständige Kopien der darüber geführten Gespräche oder der ausgetauschten Daten den Ermittlern auf Anordnung bereitzustellen haben, bleibt auch im jüngsten Referentenentwurf für eine TKÜV alles beim Alten. Schon im Paragraph 2 wird die Reihe der Verpflichteten allerdings erstmals deutlich eingeschränkt. So sollen Anbieter, die reine Übertragungswege oder so genannte Backbones anbieten, zu denen die Telekommunikationsteilnehmer keinen direkten Zugang haben, nicht mehr Abhörschnittstellen parat halten müssen. Dieselbe Bestimmung gilt für die Betreiber von Anlagen, die reine "Netzknoten" darstellen und nur der "Zusammenschaltung mit dem Internet dienen."

Geht es nach den Verfassern des Entwurfs, fallen unter diese etwas kryptische Formulierung Internet-Zugangsprovider, bei denen sich die Kunden über Dial-up-Verbindungen in POPs (Points of Presences) einwählen. Das geht zumindest aus der Begründung des Verordnungstexts hervor. Die Abhörspezialisten folgen dabei zumindest teilweise einem Vorschlag des Verbands der deutschen Internet-Wirtschaft eco. Die Lobbyorganisation der Provider hatte im Mai gefordert, den staatlichen Lauschangriff direkt an den Ortsvermittlungsstellen der eigentlichen Carrier und nicht an den schwerer zu fassenden Einwahlknoten ins Internet anzusetzen (Provider entwickeln Alternative zur geplanten Netz-Überwachung).

Die dahinter stehende Logik, eine Doppelüberwachung der Nutzer zu vermeiden, scheint der mit der TKÜV beauftragten Abteilung im Wirtschaftsministerium eingeleuchtet zu haben. "Wenn die zu überwachende Telekommunikation über ein Zugangsnetz" wie den heimischen Anschluss an die Netzknoten gelange, heißt es zur Begründung der Freistellung, "kann sie grundsätzlich" bereits dort "erfasst werden".

Kontrolle des gesamten Internetnutzungsverhaltens?

In einem nicht-öffentlichen Vermerk, von dem Telepolis Kenntnis hat, versichern die Autoren des Entwurfs den Strafverfolgern, dass bei diesem Verfahren "vollumfänglich die Überwachung des gesamten Internetnutzungsverhaltens" der Dial-up-Surfer möglich sei. Dass Kriminelle genauso wie alle anderen Anwender mit Hilfe von Anonymisierungstechniken, deren Entwicklung das Wirtschaftsministerium sogar selbst fördert oder durch Verschlüsselungsverfahren ihre Spuren verwischen können, scheint ihnen nicht in den Sinn gekommen zu sein. Weiter ist der inoffiziellen Note zu entnehmen, dass auch das Bundesjustiz- und das Bundesinnenministerium die neue, "im Schwerpunkt anschlussbezogene" Gestaltung des Überwachungsvorgangs mittragen.

Unter den Begriff des "Anschlusses" fasst das für die TKÜV zuständige Referat "Sicherheit in der Telekommunikation" des BMWi im Prinzip einen "Netzzugang" mit einem entsprechenden Endgerät, der durch ein "eindeutiges, technisch auswertbares Identifikationsmerkmal gekennzeichnet" ist. Im Bereich der Sprachübermittlung gehören dazu laut Begründung beispielsweise die Rufnummern von Festnetz- oder Mobilfunkanschlüssen. Letztlich wird der Begriff also identisch mit dem der "Kennung" verwendet. Dabei kann es sich auch um eine Email-Adresse oder andere Anschlüsse mit vergleichbar "modernen Bezeichnungen" handeln, wie die ursprünglich aus dem alten Postministerium stammenden Abhörspezialisten schreiben.

Email muss weiterhin überwacht werden

Die Netzzugangsanbieter müssen daher – wie letztlich auch schon heute – auf Geheiß der von einem Staatsanwalt ermächtigten Strafverfolgungsbehörden die Posteingangs-Boxen von E-Mail-Servern überwachen. Der für diese Maßnahme zu treffende Aufwand ist allerdings geringer als für die bisher verlangte Bespitzelung des Nutzers vom Zeitpunkt der Einwahl ins Netz bis zum Abbruch der Verbindung anhand dynamischer IP-Adressen. Die Gefahr unkontrollierter Grundrechtseingriffe – jede Abhörmaßnahme verletzt vor allem das Fernmeldegeheimnis sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Bürgers – scheint so zumindest verringert.

Ganz sind die Provider, die sich aufgrund dieses Zugeständnisses zumindest den Kauf Tausender Boxen zur Abhörkontrolle der Dial-Router und damit Millioneninvestitionen ersparen, aber generell nicht aus dem Schneider. Bei Übertragungswegen, die dem "unmittelbaren Zugang" zum Internet dienen, sollen die Ermittler in Zukunft unmittelbar – beziehungsweise "unverzüglich", wie es in Version 3.0 nun heißt – lauschen können. Darunter fallen letztlich alle Anbieter von Festverbindungen, die Nutzern eine "Umgehung der Vermittlungsfunktionen des Zugangsnetzes" ermöglichen.

Unter die abstrakte Formulierung fassen die Autoren beispielsweise Provider, die ihren Kunden einen Hochgeschwindigkeitszugang über DSL anbieten. Im Visier haben die Ermittler aber auch die Powerline-Technik oder Kabelnetzbetreiber. Mit dem geforderten Einbau von Techniken zur Überwachung der Internet-Leitungen sollen "Überwachungslücken vermieden werden", geht aus einem Kommentar des "Sicherheitsreferats" hervor. Ausnahmen gelten nach wie vor für firmeninterne Standleitungen, da Betreiber von Nebenstellenanlagen, Telekommunikationsanlagen innerhalb Unternehmen und Corporate Networks schon seit dem zweiten TKÜV-Entwurf nicht mit der Installation von Abhörgerätschaften in Vorleistung treten müssen.

Kein weiterer Aufschub mehr

Nach dem Einbau der Änderungen scheinen die Experten für den Lauschangriff im Wirtschaftsministerium nun davon auszugehen, den massiven Einsprüche der Verbände und der Parlamentarier Genüge getan zu haben. "Das Infrakttreten der TKÜV duldet keinen Aufschub", mahnen sie im Begründungstext an. Ein letztes "Informationsgespräch" über den Entwurf mit der Wirtschaft ist zwar für Ende September anberaumt, doch danach sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden. Dem neuen Leiter des Referats "Sicherheit in der Telekommunikation", der eigentlich schon Anfang des Monats seinen Dienst antreten sollte, wurde denn auch bereits versprochen, dass er sich nicht mehr mit dem gerade in Wahlkampfzeiten nicht gerade für Pluspunkte sorgenden Thema befassen müsse.

Doch auch nach der teilweisen Freistellung der Provider ist der Entwurf in vielen strittigen Punkten nahezu unverändert. Die heftig kritisierte Verpflichtung der Anbieter, Anordnungen für den Einsatz der Bespitzelungstechnik selbst auf formale Richtigkeit zu prüfen, taucht zwar nicht mehr auf. Nach wie vor dürften sich die unfreiwilligen Hilfssheriffs allerdings potenziellen Schadenersatzforderungen aussetzen, wenn sie eine Dringlichkeitsanfrage per Telefax oder "auf gesichertem elektronischen Wege" erhalten, darauf hin laut Verordnung mit dem Mitschneiden der Kommunikation beginnen – nur um dann nach drei Tagen die Geräte wieder abstellen zu dürfen, da das Original der Anordnung nicht vorgelegt wurde.

Providern werden Zukunftsmärkte verbaut

Weiterhin wird den TK-Anbietern und Providern der Eintritt in zukunfts- und gewinnträchtige neue Märkte erschwert. Sobald sie Breitband-Dienste über gesonderte Leitungen anbieten, schwebt über ihnen wie bisher der dicke Kostenhammer. Sie müssen dann in zusätzliche Hardware für die Überwachungsboxen investieren, die schnell Millionenkosten verursacht.

Zudem enthält auch der neueste Entwurf nach wie vor eine Klausel in Paragraph 8, wonach die verpflichteten Betreiber "netzseitig", also quasi "eigenhändig" verschlüsselte Daten den Ermittlern im Klartext zur Verfügung stellen müssen. Experten der Deutschen Telekom kritisierten diese Forderung jüngst als "indirekte Kryptoregulierung", die mit einem "Imageverlust" deutscher Unternehmen verbunden sei. Aufgrund dieser Forderung wird es den Anbietern kaum noch möglich, auf kryptographischen Techniken beruhende Services wie Virtual Private Networks (VPNs) zu verkaufen.

Schon die Grundlagen der Netzüberwachung sind umstritten

Nicht berücksichtigt hat das Bundeswirtschaftsministerium zudem die Forderungen von Verbänden wie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und von den Medienexperten aller Bundestagsfraktionen, denen zufolge zunächst die Grundlagen der TKÜV auf den Prüfstand gehören. Denn nach wie vor ist die Effizienz der in Deutschland ständig steigenden Zahl von Überwachungsmaßnahmen im Telekommunikationsbereich nicht nachgewiesen. Zwar hat das Bundesjustizministerium bereits vor Jahren beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht ein entsprechendes Gutachten in Auftrag gegeben. Die Fertigstellung der Studie hat sich allerdings immens verzögert; die Ergebnisse werden nun frühestens im Frühjahr 2002 erwartet.

An den Telekommunikationsunternehmen bleiben so auch nach wie vor die Kosten für die Durchführung der staatlichen Überwachungsaufträge hängen, da dies im Telekommunikationsgesetz (TKG) entsprechend geregelt ist. Nach der Anhörung zur Cybercrime-Bekämpfung im Bundestag (Fingerlecken für die Stasi?), während der die Schwächen der TKÜV aufgedeckt wurden, war sich eine überparteiliche Riege von "Netzpolitikern" prinzipiell einig, das TKG in diesem Punkte entschärfen zu wollen. Ohne den entsprechenden Druck aus der Wirtschaft dürfte allerdings auch in dieser Legislaturperiode alles beim Alten bleiben.