Filtern oder nicht filtern, das ist hier die Frage

Anhörung im Prozess gegen französische Internetprovider, die den Zugang zu einem US-Nazi-Portal sperren sollen

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Der dritte und der vierte Akt in der Sache französische Anti-Rassismus-Organisationen gegen diejenigen Internetprovider, die sich geweigert hatten, das US-Nazi-Portal Front14 für französische Bürger unzugänglich zu machen, sind in den letzten Tagen über die juristische Bühne gegangen. Richter Jean-Jacques Gomez hat in zwei Anhörungen Experten und Persönlichkeiten aus beiden Lagern zu Wort kommen lassen.

Richter Jean-Jacques Gomez - seit seinem Urteilsspruch gegen yahoo.fr hinlänglich bekannt - eröffnete die Debatte mit einem seltsamen Vergleich: er setzte das Internet einem Kernkraftwerk gleich, das gebaut worden wäre, ehe man sich über dessen schädliche Konsequenzen klar gewesen sei. Man sei nun gezwungen, die rechtlichen Rahmenbedingungen im nachhinein zu schaffen. Am Dienstag letzter Woche wurden die technischen Experten und Persönlichkeiten gehört, die von der Anti-Rassismus-Bewegung J'accuse sozusagen in den "Zeugenstand" berufen wurden (Nachdenkpause über Filtermaßnahmen gegen US-Nazi-Portal in Frankreich).

J'accuse hatte eine gerichtliche Vorladung für den Verband der französischer Internetprovider AFA erwirkt, als die gegen Front14.org geforderten Filtermaßnahmen nicht umgesetzt wurden (Klage gegen französische Internetprovider). Jetzt stellt sich die Frage, ob ein Richter französischen Internetprovidern Filtermaßnahmen gegen ein US-Portal auferlegen kann, das französisches, jedoch nicht amerikanisches Recht verletzt hat. Das geplante Gesetz für die Informationsgesellschaft (LSI), dass erst 2002 in Kraft treten soll, würde ihm dieses Instrument in die Hand geben (Frankreich verpasst sich ein Internetgesetz). Doch noch ist es nicht soweit. Diese Woche kamen die Experten der Gegenseite, sprich der Internetprovider, zu Wort. Die abschließenden Plädoyers der Anwälte sind für den 2.Oktober vorgesehen.

"Das Internet darf sich nicht als Ausnahmeerscheinung im öffentlichen Raum etablieren", erhitzte der Philosoph Alain Finkielkraut, der kürzlich ein Buch mit dem klingenden Titel "Internet, die beunruhigende Ekstase" (Internet, l'inquiêtante extase) veröffentlicht hat, die Gemüter während der ersten Anhörung. "Es ist höchst an der Zeit, dass der lange Arm Justitias auch bis ins Internet reicht. Wenn man heutzutage versucht, rechtliche Grenzen zu setzen, werden sofort die Menschenrechte ins Spiel gebracht, um eine Logik, die verkündet, dass alles möglich ist, zu rechtfertigen."

Wesentlich bodenständiger fielen freilich die Aussagen der von J'accuse zitierten technischen Experten aus: Grundsätzlich seien Filtermaßnahmen zwar kompliziert und kostenaufwendig, aber möglich. Das Beispiel aus der Schweiz beweise es schon seit Monaten. Dort hatten sich im Februar drei der größten Internetprovider freiwillig dazu entschlossen, den Zugang zum Hass-Portal Front14 zu blockieren (Schweizer Provider sperren Zugang zu amerikanischer Website). Es sei allerdings fraglich, ob der technische Aufwand, der betrieben werden muss, um eine URL oder IP-Adresse für die Bürger eines Landes unzugänglich zu machen, auch wirklich lohne, wandte einer der Experten ein. Denn es gebe zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten, wie das Peer-to-peer-System, Programme, die das Surfen anonymisieren - oder noch einfacher: die Änderung der URL. Seit die Schweizer Internetprovider sich zu Filtermaßnahmen entschlossen haben, ist Front14 allerdings nicht an eine andere Adresse verzogen.

Auch wenn die Anwendung von Umgehungstechnologien nur Sache von einigen wenigen, eingeweihten Internetusern sei, eine absolut wasserdichte Filtermaßnahme existiere zur Zeit nicht, erklärte man Richter Gomez. Denn die technischen Strukturen der Internetprovider seien zu verschieden, um eine homogene Lösung anbieten zu können. Eine doppelte Blockierung, also der URL und der IP-Adresse, sei daher wahrscheinlich am wirksamsten.

Verlagerung der Verantwortung?

Im zweiten Durchgang Dienstag dieser Woche waren die Experten, die sich grundsätzlich gegen Filtermaßnahmen aussprechen, am Wort. An vorderster Front die Vertreter der französischen Internetprovider (AFA), die vor allem mit einem erhöhten Kostenaufwand argumentierten, denn sie dann selbstverständlich an ihre Kunden weitergeben müssten. Außerdem befürchtete man, dass man bei eventuell eingeleiteten Filtermaßnahmen, dem Vorwurf ausgesetzt sein könnte, die Surfgewohnheiten seiner Abonnenten zu kontrollieren. Im Kampf gegen illegale Inhalte am Internet solle man sich lieber darauf konzentrieren, die eigentlichen Urheber rassistischer oder antisemitischer Äußerungen ausfindig zu machen, erklärte der Präsident der AFA, Jean-Christophe Le Touquin.

Der selben Meinung war auch die Präsidentin der Bewegung für ein solidarisches Internet (IRIS): "Internetprovider öffnen nur die Türen zum Internet. Und diese müssen weit geöffnet bleiben", warnte Meryem Marzouki vor einer Verschiebung der Verantwortung von den eigentlichen Autoren illegaler Inhalte auf Provider, die nur Inhalte durchleiten. Filtermaßnahmen seien ein schwerer Angriff auf die Basisprinzipien der Demokratie und würden die Bewegungsfreiheit der Bürger im Netz einschränken. IRIS habe sich daher strikt gegen die vom LSI vorgesehene Ausweitung der richterlichen Kompetenzen ausgesprochen.

Der Generalsekretär der französischen Informatikkommission Cnil, Joël Boyer - der hier nicht im Namen der Kommission erscheinen wollte -, griff das Argument auf, das von Anfang an von den Internetprovidern ins Treffen geführt wurde: es sei angesichts des technischen Aufwandes, den Filtermaßnahmen bedeuten würden und ihrer schlussendlichen Ineffizienz, unangemessen, solche von Internetprovidern zu verlangen.

Beide Experten bestanden darauf, die Anwendung von Filtermaßnahmen würde juristisch gesehen bedeuten, dass schuldhaftes Verhalten schon beim Abrufen illegaler Sites vorliegen würde. So wie es bereits im Fall yahoo.fr geschehen war (Französisches Recht soll weltweit für Franzosen gelten). Die Suchmaschine sah sich nach Richter Gomez' Urteil dazu angehalten, User darauf hinzuweisen, dass das Abrufen der Online-Versteigerung von US-Nazi-Andenken illegal sei. Was kurze Zeit darauf dazu geführt hatte, dass das Portal die inkriminierte Online-Versteigerung ganz von seinem französischen Server zurückgezogen hatte.

Für die prinzipiellen Gegner von Filtermaßnahmen können solche auf keinen Fall auf einfachen richterlichen Beschluss hin erlassen werden. Auch nicht, wenn eine Privatorganisation wie J'accuse aus durchaus verständlichen Gründen eine Blockierung verlange. Das sei ausschließlich Aufgabe des Gesetzgebers. Der Anwalt der Anti-Rassismusbewegung, Stéphane Lilti, hofft hingegen, mit dem Fall Front14 einen Präzedenzfall zu schaffen, der es in Zukunft ermöglichen soll, schneller gegen diskriminierende und zu Hass anstiftenden Aussagen am Netz vorgehen zu können. Denn die Autoren sind in den seltensten Fällen greifbar. J'accuse hatte ja von Richter Gomez bei der letzten Anhörung im Juli den Auftrag bekommen, so viele Front14-Autoren wie möglich zu identifizieren. Bei gerade einem war dies gelungen, der auch prompt angeklagt wurde.

Schutz der Grundfreiheiten am Internet versus Kampf dem Rassismus und der Intoleranz? Am 2.Oktober gehen die Plädoyers der gegnerischen Anwälte über die Bühne. Auf Richter Jean-Jacques Gomez Entscheidung darf man gespannt sein.