Terroranschläge als größtes Kunstwerk bezeichnet

Komponist Karlheinz Stockhausen versagt bei der geforderten deutschen Trauerarbeit

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Nicht nur der Tod ist ein Meister aus Deutschland, sondern die Deutschen sind auch die Erfinder der Trauerarbeit - und was würde auch besser zusammen passen? Da macht uns keiner etwas vor und wenn die Welt auch auseinander bricht, die Vorherrschaft im Tränenreich "Betroffenheit" bleibt fest in deutscher Hand.

Das hat ein anderer Meister aus Deutschland, Komponist Karlheinz Stockhausen, wohl vergessen. Seine disharmonische Bemerkung zu den Terroranschlägen auf das WTC:

"Was da geschehen ist, ist - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, das es je gegeben hat. Dass Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nicht träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben. Das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Da sind also Leute, die sind so konzentriert auf eine Aufführung, und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt, in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, als Komponisten. Stellen Sie sich vor, ich könnte jetzt ein Kunstwerk schaffen und Sie wären alle nicht nur erstaunt, sondern Sie würden auf der Stelle umfallen, Sie wären tot und würden wiedergeboren, weil es einfach zu wahnsinnig ist. Manche Künstler versuchen doch auch über die Grenze des überhaupt Denkbaren und Möglichen zu gehen, damit wir wach werden, damit wir uns für eine andere Welt öffnen."

Stockhausens kosmische Erhabenheit ist so bekannt wie der moralisch erschütternde Umstand, dass Künstler der pure Neid ergreift, wenn dämonische Akteure über Mittel verfügen, die kein Kunstwerk je besitzt - nicht erst seit David Bowies Feststellung, Hitler sei der größte Rockstar aller Zeiten gewesen.

Gegenüber der grassierenden Verlogenheit, die im alltäglichen Kategorienschwindel das WTC-Ereignis als Nachricht zelebriert, die es bei der tausendsten Wiederholung längst nicht mehr ist und noch im Abspann die tödlichen Projektile katastrophensüchtig in die Endlosschleife schickt, hat der Künstler Stockhausen seine Wahrnehmung zur Unzeit mitgeteilt. Die Faszination durch die Ästhetik des Schrecklichen haben Künstler in unzähligen Pandämonien der Menschheitsgeschichte zum Anlass genommen, das Grauen, "Los Desastres de la Guerra" (Goya) und andere Apokalypsen anklagend, aber auch sinnlich lüstern in Farbe und Ton zu bannen. Und was früher die künstlerischen Berichterstatter des Schreckens erledigten, gibt heute Informationsherrschern Sensationsstoff, ohne jede moralische Charaktermaske deswegen schon mit heiligem Ernst zu verwechseln.

Aber wollte Stockhausen etwa Kunst und Verbrechen gleichsetzen? Die Frage seiner Kritiker ist so durchschaubar vordergründig, dass man mit Adorno antworten möchte: "Jedes Kunstwerk ist eine abgedungene Untat". Aber gegenüber Trauer-Vorarbeitern kommt jede Dialektik zu spät. Die Hamburger Kulturbehörde und der Chefsponsor des Musikfests, die "Zeit"-Stiftung, forderten als Strafe für Stockhausens unsittliche Wahrnehmung, seine vier, für die nächsten Tage vorgesehenen Konzerte von der Liste zu streichen. "Angesichts des Leids und der Trauer in Amerika hat in diesen Tagen keiner Verständnis für verbale unbedachte Entgleisungen", meint Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss.

Stockhausen konnte sein Versagen in Sachen "Trauerarbeit" auch nicht mehr nachharmonisieren: "

"Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das 'Konzert' gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, Ihr könntet dabei draufgehen. Was da geistig geschehen ist, dieser Sprung aus der Sicherheit, aus dem Selbstverständlichen, aus dem Leben, das passiert ja manchmal auch poco a poco in der Kunst. Oder sie ist nichts."

Das reicht den Sachwaltern emotionaler Korrektheit längst nicht, es den Konzertbesuchern selbst zu überlassen, ob sie des Meisters Werke jetzt noch hören wollen. "Sätze wie die gesagten sind durch ein Dementi nicht aus der Welt zu schaffen," meint Weiss.

Also geht es inzwischen nicht mehr nur um "Life Imitating Art" (Tom Clancy), sondern auch um "Life Intimidating Art". Vom Künstler erwarten wir in den Zeiten der Katastrophe Erbauliches, Seelenstärkung und moralische Eindeutigkeit - mit anderen Worten: das Programm, gegen das sich die künstlerische Moderne mit allen Mitteln und noch besseren Gründen seit Anbeginn erfolgreich zur Wehr setzte. Schluss damit. Hollywood bzw. Produzent Ed Gernon bringt es auf den Kontrapunkt, der Stockhausens kosmischen Partituren noch fehlt:

"Wir müssen jetzt wertorientierte Familienfilme zeigen - und mehr Patriotismus."

Klar, hinter dem "Requiem", das der Tonsetzer nun mindestens als Abbitte zu komponieren hat, kommen dann gleich Beethoven-Variationen über "Wellingtons Sieg am Hindukusch".

Noch unbegreiflicher als die Kulturverwaltung, der ja keine Nachempfindung von unbotmäßigen Künstlerseelen abzuverlangen ist, ist indes die Reaktion von Komponistenkollegen György Ligeti:

"Stockhausen hat sich auf die Seite der Terroristen gestellt. Wenn er diesen niederträchtigen Massenmord als Kunstwerk auffasst, muss ich leider sagen, gehört er in eine psychiatrische Klinik gesperrt."

Das ist sicher der Ort, wo die neuen Leiden an unmoralischen Wahrnehmungen am Besten kuriert werden können, wenn auch die Ermächtigungsgrundlagen für die Einweisung derzeit in der neuen Antiterror-Gesetzgebung noch nicht vorgesehen sind.

Der Komponist soll sehr betrübt abgereist sein, nicht ohne tief zerknirscht dem korrekten Zeitgeist der Trauer-Vorarbeiter Abbitte zu leisten:

"Wenn sich irgendjemand verletzt fühlt durch meine Äußerungen bei der Pressekonferenz, dann bitte ich um Verzeihung, denn ich habe nie gefühlt oder gedacht, was in meine Worte hineingelegt worden ist."

Aber wir wissen ja, dass die Trauerarbeit einer medialen Dramaturgie beschränktester Halbwertszeit folgt und daher demnächst wieder fröhlich gilt: "Verzagte Dinge schreibt man nicht, die Front erwartet Zuversicht."

PS: Auf Stockhausens Website findet sich - Danke sosumi! - eine andere Version der Äußerung von Stockhausen während der Pressekonferenz. Nach Kathinka Pasveer soll er gesagt haben:

"Being asked by journalist, if MICHAEL, EVE and LUCIFER were historical figures of the past, he answered that they were existing now.

For example, LUCIFER in the attack of New York.

After more questions about this he said "that for a musician it seems like rehearsing ten years for one concert and then killing oneself and 5000 people. The whole planning looked like the greatest piece of art of LUCIFER."