Piraten

Vom Gold der Inkas bis zum geistigen Eigentum. Die Geschichte einer verwegenen Metapher

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Sie sind unsichtbar. Sie sind überall. Sie verändern die Welt.

So klängen die Werbeslogans, wäre die folgende Piraten-Geschichte für das Kinopublikum produziert worden. Aber das Einzige, was sich die Traumfabrikanten an dieser Geschichte ausgesucht haben, ist der Titel: "Piraterie", ein verstaubtes Zauberwort aus Hollywoods Klamottenkiste, soll einem ungleichen Duell zu etwas mehr Anschaulichkeit verhelfen. In der Rolle der Guten sehen sich in dieser Geschichte die Vorstandsvorsitzenden, Pressesprecherinnen und Rechtsanwälte der "Copyright Industries" - allen voran Plattenlabels, Filmstudios und Softwareschmieden. Die Rolle der Bösen - mit dieser Besetzung hatten selbst die erfahrenen Studiobosse nicht gerechnet - geht an das Publikum. Und der Plot scheint für die Unterhaltungsindustrie ein ziemlicher Horrortrip zu sein.

Francis Drake gegen die spanische Flotte

Für den Kampf gegen die eigene Zielgruppe haben sich die Copyright Industries auf die "Verteufelung der Piraten" eingeschossen. Bis auf weiteres scheint diese Medienstrategie gut zu funktionieren; vom Feuilleton bis zum Tabloid finden sich mit der größten Selbstverständlichkeit Schlagzeilen a la "Record Moguls Take On Pirates"1 oder "Wie der Geist zur Beute wird".2 Doch ein etwas genauerer Blick in das eigene Filmarchiv hätte die Copyright-Industrie davor warnen sollen, ausgerechnet die Helden der ehemaligen Kassenschlager zum Feindbild zu erklären.

Die Rebellen der Leinwand

Von den Anfängen des Kinos bis in die 1950er Jahre war der Piratenfilm eines der präsentesten Genres. Die segelnden Outlaws gehörten jahrzehntelang zu den größten Sympathieträgern und "Quotenbringern" der Filmindustrie. Sea Hawk, der Herr der Sieben Meere, der Rote Korsar, Captain Blood, die Piratenkönigin und wie sie alle hießen, trafen mit ihren Piratengeschichten verlässlich den Nerv des Publikums. Als Schreckbild funktionierten Piraten allerdings eher im Kinderprogramm - und nicht einmal dort wirklich: Der schneidige Kapitän Hook, der im Disney-Zeichentrickfilm Peter Pan von 1951 so gerne Cembalo spielt, ist zur Dämonisierung kaum geeignet. Noch knapp fünfzig Jahre später wird er sich viel besser gehalten haben als Peter Pan selbst. Denn der Junge, der nicht erwachsen werden wollte, ist in der Steven-Spielberg-Verfilmung mit Dustin Hoffman und Robin Williams (1991) zum alternden Rechtsanwalt mit Magenkrämpfen aufgestiegen und gewinnt seinen letzten Kampf gegen den Titelhelden Hook nur mit Hilfe von vielen Special effects. Das Piratenlied aus der Disney-Verfilmung bringt die anziehende Ambivalenz des Piratenbildes auf den Punkt:

A pirate's life is a wonderful life
You'll find adventure and sport
But live every minute
For all that is in it
The life of a pirate is short.

Im Abendprogramm standen Hollywoods Piraten dann mit aller Deutlichkeit auf der richtigen Seite: Wagemutige Freibeuter nehmen korrupten Spaniern im 15. und 16. Jahrhundert die Piaster und Dublonen ab, die diese den Indios abgepresst haben; edelmütige Korsaren bringen der unmenschlichen Navy der Engländer im 18. und frühen 19. Jahrhundert bessere Umgangsformen bei; tollkühne Volkshelden verpassen der Festung des habgierigen Unterdrückers endlich die verdiente Breitseite. Das Schema des klassischen Piratenfilms ist klar: Die Identifikationsfiguren sind Erroll Flynn und Burt Lancaster im Kampf gegen die Mächtigen - und keinesfalls die spanischen Kapitäne, Gouverneure und Kerkerwachen.

Helden im Ruhestand

Es lohnt sich, einen Blick auf das Ende der Piratenfilm-Ära zu werfen. In den späten 1950er Jahren schien das Genre allmählich überholt zu sein - Piraten landeten neben den Musketieren der Mantel-und-Degen-Filme im Archiv der Filmgeschichte; die Cowboys ritten noch eine Weile weiter, und Geheimdienstagenten, Marsmännchen & Co. übernahmen allmählich die Leinwand. Das ist kein Zufall. Es war eine wirkliche Ausnahme, dass 1958 eine Horde Piraten mit dem Überfall auf eine amerikanische Luxusyacht für Schlagzeilen sorgte (ironischerweise verdiente der Besitzer der vor den Galapagosinseln geenterten Yacht sein Geld ausgerechnet als Rechtsanwalt der Filmindustrie). Doch ansonsten schaute die Welt nach oben: Die Boeing 707 hatte ihre ersten Flüge absolviert und degradierte die mächtigen Ozeane zum schrumpfenden Zwischenraum zwischen den Kontinenten. Vor allem aber war soeben der Sputnik über New York geflogen. Auch das UNO-Abkommen über die Hohe See - ebenfalls 1958 - musste, um Up-to-date zu sein, Piraterie bereits auf Flugzeuge ausdehnen. Dort heißt es:

Piraterie ist jeder ungesetzliche Akt der Gewalttätigkeit, Freiheitsberaubung oder Plünderung, der zu privaten Zwecken von der Besatzung oder den Fahrgästen eines privaten Schiffes oder privaten Flugzeuges gegen ein anderes Schiff oder Flugzeug oder dort an Bord befindliche Personen oder Güter begangen wird: a) auf offenem Meere, b) an einem außerhalb der Hoheitsgewalt eines Staates gelegenen Orte.

Der letzte Satz wirkt geradezu prophetisch. Zumal der Sputnik bekanntlich ein Nachspiel hatte: Als der erste Schreck der Amerikaner verflogen war, wurde entschlossen an Plänen zur Errichtung eines neuartigen militärischen Kommunikationsnetzes gefeilt. In der Kategorie "außerhalb staatlicher Hoheitsgewalt" bahnte sich für Weltmeere, Luftraum und Weltraum folgerichtig jener Mitbewerber an, der heute für Piratenromantik zuständig ist: Das Internet.

Vom Kassenmagnet zum Feindbild

Statt Werbetexten für das spektakuläre Comeback der Rebellen im "anarchischen" Internet sind von den Rechteinhabern drastische Warnungen zu vernehmen. "Piraterie" ist das marketingstrategische Schlüsselwort, mit dem die Copyright-Industrie die Leichtigkeit, mit dem im Internet digital kopiert, verbreitet und getauscht werden kann, als Gefährdung für Fortschritt und Kultur brandmarkt. Dabei ist zwar nicht direkt von der "Gewalttätigkeit, Freiheitsberaubung oder Plünderung" aus der UNO-Definition die Rede, aber ansonsten wird nicht eben dünn aufgetragen. Schließlich gehört sich das nicht für ordentliche Piratengeschichten. Schon um 1700 spritzte bei Reinhard Keisers Seeräuberoper Störtebecker das Blut aus prall gefüllten Schweinsblasen auf die Bretter der Hamburger Bühnen.3 Und was altdeutsche Opernkomponisten können, kann die heutige Unterhaltungsindustrie erst recht.

Professionelle, weltweit operierende Lobbying-Verbände wie die Motion Picture Association (MPA), die Recording Industry Association of America (RIAA), die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI), die Business Software Alliance (BSA) und etliche mehr haben sich explizit dem "Kampf gegen die Piraterie" verschrieben. Eine Leseprobe von der Homepage der RIAA, der Interessensvertretung der amerikanischen Tonträgerindustrie, zeigt, mit welcher Eindeutigkeit dem Piratentum inzwischen allein dämonisierende Assoziationen beigemessen werden - keine Spur mehr vom schwungvollen Rebellentum der alten Seeräuberfilme:

Keine schwarzen Flaggen mit Totenkopf und gekreuzten Knochen, keine Entermesser, Kanonen oder Dolche kennzeichnen die Piraten von heute. Man sieht sie nicht kommen; es gibt keine Warnschüsse vor den Bug. Aber seien Sie versichert, dass die Piraten da sind - weil es heute jede Menge Gold zu holen gibt (und Platin und Diamant). Die Piraten von heute operieren nicht auf hoher See, sondern im Internet, in illegalen CD-Presswerken, in Vertriebszentren und auf der Straße. Das Credo der Piraten ist noch immer dasselbe: Warum bezahlen, wenn man so einfach stehlen kann? Das Credo ist so falsch wie es schon immer gewesen ist. Diebstahl ist ungesetzlich, unethisch, und im heutigen digitalen Zeitalter leider nur allzu verbreitet. Und deswegen kämpft die RIAA weiter gegen Musik-Piraterie.

Ein wenig nüchterner erklärt die International Federation of the Phonographic Industry, kurz: IFPI, was Piraterie für sie bedeutet:

Der Ausdruck Piraterie bezeichnet im allgemeinen eine absichtliche Verletzung des Urheberrechts in kommerziellem Ausmaß. Mit Bezug auf die Musikindustrie bezieht er sich auf unerlaubtes Kopieren.

Gegen das Kopieren rückt die Unterhaltungsindustrie, deren Geschäftsmodell auf dem Kopieren basiert, sehr entschieden zu Felde. Schon zu Zeiten der MusiCassette war die Weltuntergangsstimmung in der Plattenindustrie nicht zu überhören. Im Kampf gegen das Kopieren ist bis heute in alter Hollywood-Manier die Rede vom Kampf der Guten gegen die Bösen. Jay Berman, Chairman der IFPI, ist da wenig zimperlich:

Den Diebstahl geistigen Eigentums unterstützen Verbrecherorganisationen. Er nährt den Drogenhandel und andere Schwerverbrechen.

Nur damit jetzt keine Verwechslung aufkommt: Die Internet-Adressen von Napster, MP3.com und sonstigen von der Musikindustrie verklagten Firmen enden mit .com für "Commercial" - und nicht mit .co für Kolumbien. Aber weiter im Text des Vorsitzenden der International Federation of the Phonographic Industry:

Der heutige Kampf gegen Musikpiraterie ist ein Kampf gegen ein riesiges, organisiertes, illegales internationales Geschäft. Unsere Industrie widmet diesem Kampf große Ressourcen, aber wir brauchen, dringender als alles andere, die Unterstützung von Regierungen. Wir brauchen strengere Gesetze und deren effektive Durchsetzung. Auf dem heutigen globalen Markt kann es sich keine Regierung leisten, einfach zuzuschauen, wie Piraterie ihre Wirtschaft untergräbt, ihre Kultur ausplündert und ihrem internationalen Ansehen schadet.

Jay Berman

Edgar Bronfman, der oberste Manager von Universal und damit Herr über eines der größten Copyright-Imperien der Welt, erklärt den Gesetzgebern dieselbe Gefahr auf seine Art:

Im Unterschied zu den Geschenken Gottes und der Natur ist das, was frei ist, nur deswegen frei, weil jemand anders dafür bezahlt hat. Fairness und Gerechtigkeit haben es unserer zivilisierten Gesellschaft ermöglicht, zu überleben und zu gedeihen; während die unseres Alliierten, der Sowjetunion, zersprungen, zerrissen und zerstört ist, weil sie versucht hat, eine Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, die zutiefst ungerecht und unfair war.

Die Geschichte der Public Enemies

Skrupellosigkeit und Goldgier sind klassische Bestandteile des Schwarz-Weiß-Bildes von Piraterie. Beide beschreiben zu Zeiten der historischen Seeräuber aber zunächst einmal die Vorgehensweise der offiziellen Machthaber. "Gold ist etwas Hervorragendes. Mit Gold macht man alles, was man auf dieser Welt wünscht. Mit Gold bringt man sogar die Seelen ins Paradies"4 - so schreibt kein geringerer als Christoph Columbus in einem Brief an seine spanischen Herrscher. Mit anderen Worten: Wäre es nur um Geld gegangen, hätte man sich wohl ganz gut auch andere Titelhelden als Piraten suchen können. Aber der Vergleich der Seeräuber mit den Mächtigen führt geradewegs in die Ursprünge der Piraterie.

Die Weltmeere wurden zunächst als exklusives Eigentum der mächtigsten Staaten genutzt. Als bekannt wurde, dass Columbus 1492 Land im Westen des Atlantiks ausfindig gemacht hatte, einigten sich die beiden großen Seemächte der damaligen Zeit - unter Vermittlung des Papstes - rasch auf eine Aufteilung: Die nicht-christlichen Länder westlich einer Demarkationslinie im Atlantik (ca. 311° Längengrad) sollten Spanien gehören, östlich davon Portugal. Diesem Vertrag von Tordesillas (1494) folgte 1529 in Saragossa die entsprechende Aufteilung des Pazifischen Ozeans - wiederum als Eigentum von Spanien und Portugal. Beide Staaten bauten zügig ihre Handelsmacht aus: Portugal monopolisierte den Handel zwischen Indien und Europa; die spanischen Conquistadoren fielen brutal in Mittel- und großteils auch Südamerika ein und machten die dortigen Goldbestände zum Motor der spanischen Wirtschaft.

Alle anderen Regierungen ließen das Monopoly-Spiel der beiden römisch-katholischen Weltmächte zunächst unangetastet. Der erste, der aufhörte, die Monopolisierung einfach staunend hinzunehmen, war ein privater Unternehmer: Der französische Kaufmann und Reedereibesitzer Jean Ango schickte mehrere Segler auf die Suche nach den legendären Goldtransportschiffen; der Pirat Jean Fleury schaffte es daraufhin, Kaiser Karl V. ein paar spanische Goldschiffe abzujagen und den Schatz der Azteken 1522 nach Dieppe umzuleiten. Die Freude in Frankreich war groß, und allmählich regte sich auch auf Ebene der europäischen Regierungen Widerstand gegen die spanisch-portugiesische Weltaufteilung. Der französische König brüskierte schon bald nach Angos Privatinitiative höchst offiziell einen spanischen Gesandten:

Die Sonne scheint für mich genauso wie für alle anderen. Ich würde gerne die Klausel im Testament Adams sehen, nach der ich von der Teilung der Welt ausgeschlossen bin.

50 Jahre später. Halb privat, halb mit dem Segen seiner Königin überfällt der britische Seefahrer Francis Drake das von den Spaniern besetzte Panama. Ein Freibeuter aus dem eher unbedeutenden Inselreich wird 1572 und 1573 zum Schreckgespenst für die spanische Regierung - und zum Nationalhelden für das aufstrebende England. Mit zwei kleinen Segelschiffen und rund 70 Männern macht Drake die Küsten der dominierenden Großmacht seiner Zeit monatelang unsicher. Zum Vergleich: Als 15 Jahre darauf Spanien gegen das immer lästiger werdende England vorrückt, geschieht das mit 130 Schiffen und 30.000 Mann. Die Spanier haben ihre ehrfurchtgebietende Armada: riesige Kähne mit hohen Aufbauten, hunderte Tonnen schwer, so imposant wie schwerfällig. Die Engländer haben schnelle Segler, die sich leicht steuern lassen und mit weit reichenden Kanonen bestückt sind.

Lope de Vega, als junger Dichter Augenzeuge der Vernichtung der Armada durch die englische Flotte (1588), schildert Drake aus spanischer Perspektive als den Drachen der Apokalypse. Zeitgenössische englische Berichte haben dagegen mit Drakes Kampf gegen die mächtigen Staaten keine Probleme, ganz im Gegenteil:

Wie es eine Rachegöttin gibt, die insgeheim die Übeltäter verfolgt und dafür sorgt, dass diese, obwohl von niemandem unter Anklage gestellt, ihrer gerechten Strafe nicht entgehen, so gibt es eine Art Empörung, die tief in der Brust all derer sitzt, denen Unrecht widerfahren ist; und diese werden mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, das erlittene Unrecht zu rächen. Insofern scheinen all die großen und mächtigen Leute, die durch außerordentlichen Besitz zur Selbstanmaßung verführt, ihren Untergebenen Unrecht tun und sie deshalb auch noch verachten, einen sehr gefährlichen Kurs für ihre Sicherheit und ihre Ruhe zu steuern.

Auf der Seite der Macht

Zur Erinnerung: Aus ökonomischer Sicht ist gerade die heutige Musikindustrie ein Musterbeispiel für Macht. Zumal die Tonträgerbranche mit mehreren spektakulären Musterprozessen innerhalb der Copyright Industries im Internet die Rolle des Pfadfinders übernommen hat, konzentriert sich die folgende Betrachtung auf diesen Bereich. Ökonomisches Kennzeichen Nummer eins: eine ungewöhnliche oligopolistische Marktkonzentration. Gerade einmal fünf Unternehmen - die seit längerem verhandeln, um sich per Merger auf vier zu reduzieren - beherrschen rund 80% des Weltmarktes für Tonträger. Kennzeichen zwei: eine sehr hohe "vertikale Integration". Vom vertraglich lizenzierten Copyright über die Aufnahmestudios, die Presswerke, die Marketingabteilungen und die Vertriebsnetze bis zu den CD-Megastores landet im Extremfall die gesamte Wertschöpfung - die Differenz zwischen den wenigen Pfennig Materialkosten plus den ein bis zwei DM für die Musiker und dem Ladenverkaufspreis der CD abzüglich der Mehrwertsteuer - in den Kassen eines einzigen Unternehmens. Eine ehrfurchtgebietende Wertschöpfungskette. Riesige Kähne mit hohen Aufbauten, hunderte Tonnen schwer, so imposant wie schwerfällig. Die Newcomer dagegen haben schnelle Segler, die sich leicht steuern lassen und mit weit reichenden Kanonen bestückt sind. Und die Unterhaltungsindustrie schildert aus ihrer Perspektive das Internet als den Drachen der Apokalypse.

Die Musikindustrie reagiert auf die neue Herausforderung

Von der solide gefügten Festung der auf Copyright basierenden Industrien aus werden Angriffe aller Art seit langem gut beobachtet. "Produktpiraterie", das Nachmachen marken-, patent- oder urheberrechtlich geschützter Handelswaren, ist eine altbekannte Straftat. Das Spektrum reicht von rührend falsch geschriebenen Markennamen auf spottbilligen chinesischen Jogginganzügen bis zur beschlagnahmten Wagenladung gefälschter Rolex-Uhren, die unter einer von Pressefotografen umringten Schweizer Dampfwalze demonstrativ plattgewalzt wird.

Auch "Piratensender" sind ein alter Kampfbegriff im Wortschatz von Rechteinhabern. In diesem Fall sind auf Seite der "Piraten" deutlich (positiv interpretierte) Motive der "klassischen" Piraterie abzulesen - wie die Nichtakzeptanz bestehender Machtverhältnisse oder die Versorgung mit Gütern oder Leistungen unabhängig von der bisher üblichen Kontrolle. Die "Piratenhymne" der britischen Piratensenderszene der 1980er Jahre drückt die Überzeugung und Ausdauer aus, mit der die Betreiber von Piratensendern es teilweise bis zum lizensierten freien Radio brachten. Verdeutlicht wird auch jenes Merkmal der "Piraten-Szene", dass dafür verantwortlich war, dass viele UKW-Piraten schnell auf das Internet umschwenkten und zu den Pionieren der digitalen Verbreitung von Musik wurden: die Schnelligkeit, mit der sie Lücken im Angebot der bestehenden Distributoren - "trying their best to keep the music down" - erkannten und einen Markt für die entsprechende Musik erreichten, "just because we play what the people want". Ein paar Ausschnitte; man denke sich dazu einen relaxten Jamaica-Sound:

Them a call us pirates.
Them a call us illegal broadcasters
Just because we play what the people want.
So them a call us pirates.
Them a call us illegal broadcasters.
DTI try stop us, but they can't.
[...] If they brought down one we build five more strong.
They're passing laws,
They're planning legislation,
Trying their best to keep the music down.
DTI why don't you leave us alone,
We only play the music others want.
One station, it couldn't run England.
Two station, they couldn't run England.
Three station, they could not please the nation.
Everybody want to listen to the free station.

"Musikpiraterie" wurde auch schon vor den Zeiten des Internet verfolgt und bezog sich auf das illegale Kopieren von urheberrechtlich geschützter Musik in unterschiedlichen Größenordnungen - von der "Schulhofpiraterie" - ein Ausdruck für das Austauschen von individuell bespielten MusiCassetten unter Klassenkameraden - über eine Hand voll zusammengeschalteter Tapedecks in einem winzigen Studio bis hin zum zwar großindustriellen, jedoch nicht vertraglich lizenzierten CD-Presswerk in einem der "Piratennester" in Fernost. Die aktuelle Medienberühmtheit der alten Seeräuber-Metapher kam trotz dieser Übung im Umgang mit Piraterie aller Arten jedoch unerwartet.

Das Internet wurde bis in die Mitte der 1990er Jahre als Nischenmedium für Freaks abgetan beziehungsweise ignoriert. Für selbstsichere Einschätzungen seitens der Musikbranche sorgten unter anderem die langsamen Dial-up-Verbindungen der frühen Jahre und die so gar nicht mit der bunten Marketingwelt der großen Labels in Einklang zu bringende Nüchternheit von Song-Listen auf ftp-Servern und sonstigen "Piraten-Sites". Als das Interesse für Musik im Internet unübersehbar wurde, zahlten die Rechteinhaber zunächst einiges Lehrgeld beim Versuch, Musik im Internet kurz und bündig zu verbieten.

In Folge wurde daraus das erklärte Ziel, die Arbeit der Piraten technisch und rechtlich bedeutend zu erschweren. Mit Suchmaschinen - etwa der eher unbescheiden "MP3-Wolf" benannten Software in Verwendung der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA5 - sollten die Rechtsverletzungen ausfindig gemacht und anschließend rechtlich verfolgt werden. Der nächste Schritt - wir befinden uns ungefähr im Winter 1998/1999 - war die Einsicht, dass es ohne ein eigenes, legitimes Angebot von Musik im Internet nicht gehen würde. Auf Anfang 2000 datierte der Versuch, unter dem wohlklingenden Titel "Rights Protection System" einen Internetfilter um ganz Deutschland zu legen; nach Vorstellungen der deutschen IFPI sollte eine von der Zollbehörde verwaltete Datenbank bestimmen, welche Internetadressen von Deutschland aus abrufbar wären.

Zusätzlich folgten PR-Offensiven, die auf das Schuld- oder Problembewusstsein der Musikhörer abzielten. Zeitgleich warb die Initiative "Copy Kills Music" der deutschen IFPI mit dem keinen Analysen standhaltenden Spruch "10.000 kopierte CDs vernichten eine Nachwuchsband". Nach wenigen Monaten war die bespöttelte Internetseite dazu wieder offline. Die sogenannten Konsumenten redeten offensichtlich lieber über Musik und zeigten nicht besonders viel Verständnis für die Schwierigkeiten der Konzerne. Deren nächster Ansprechpartner war der Gesetzgeber. Insbesondere rund um die Entstehung des Digital Millennium Copyright Act (DMCA) in den USA und der "Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft" der Europäischen Union (1997-2001) wurde erheblicher Lobbying-Aufwand betrieben, um die Perspektiven der betroffenen Industriezweige möglichst weitgehend in die neue Gesetzgebung einfließen zu lassen. 1999/2000 begann eine neue Größenordnung einschlägiger Gerichtsprozesse in den USA; mehrere Unternehmen der Musikindustrie forderten spektakuläre Summen von den neuen "Music Service Providern" MP3.com und Napster.

Es waren letztlich erst diese Musterprozesse, die den Fall "Musikindustrie versus Piraten" zu einem Dauerthema der Schlagzeilen werden ließen. Im Frühjahr 2001 ist die mediale Übersensibilisierung so weit fortgeschritten, dass selbst die routinemäßige Bekanntgabe relativ normaler Jahresergebnisse der Tonträgerbranche zu hunderten von Schlagzeilen a la "Napster drückt CD-Verkäufe" führt. Als Anfang 1999 die CD-Verkäufe um 8% nach oben gegangen waren, hatten sich die Sprecher von RIAA und IFPI noch beeilt, die Aussagekraft von Zahlen im allgemeinen zu relativieren.6

Ein anderes Beispiel für die überhitzte Poker-Atmosphäre des Jahres 2001: Mobilfunk ist einer der wenigen Bereiche der neuen Kommunikationsnetze, in dem immer noch optimistische Umsatzerwartungen formuliert werden - doch statt attraktiven Musik-Angeboten für Handy-Kunden werden weitere Milchmädchenrechungen bekannt gegeben:

Handy-Klingeltöne kosten Musikindustrie 1 Million Dollar pro Tag.

Weitere Elemente der üblichen Anti-Piraten-Rhetorik: Das komplexe Ineinandergreifen sämtlicher Interessen im Umfeld des Urheberrechts wird schematisch auf den Showdown zweier Gegner reduziert. Die kleine, schwache Copyright-Industrie auf der einen Seite, die große und gefräßige Telekom-Industrie auf der Gegenseite. Einerseits gibt es zum Verhältnis dieser beiden Marktteilnehmer allerdings bereits weniger reißerische Analysen a la "Content is not king"7, andererseits gilt die 38,5 Milliarden Dollar pro Jahr umsetzende Tonträgerbranche nicht gerade als Waisenkind. Um so mehr Energie verwendet die Unterhaltungsindustrie daher auf die Darstellung der eigenen Uneigennützigkeit. Eine typische Formulierung dieser Argumentationsstrategie aus dem Mund von Thomas Stein als Manager der Bertelsmann Music Group:

Man kann ja leicht sagen, so große Firmen können schon mal auf ein paar Mark verzichten, weit gefehlt! Der Punkt ist, dass der Künstler letzten Endes am schlimmsten dran ist, weil er kein Geld verdient.

Unter den Künstlern, die sich gegen die Vereinnahmung als Feigenblatt wehren, befinden sich immerhin Prince und Courtney Love. Es gibt jedoch durchaus Stars, die das Internet genauso sehen wie ihre Labels das tun; die Petitionen unterzeichnen oder gar Rechtsanwälte im Internet auf die Suche nach Piraten schicken - beispielsweise Jean-Michel Jarre, Smudo von den Fantastischen Vier, die Hardrockband Metallica und die Wiener Philharmoniker. Bemerkenswert ist dabei, warum gerade Stars sich für eine starke Kontrolle des Internets einsetzen - anders ausgedrückt, für welch geringen Prozentsatz der Künstler die aus dem Urheberrecht resultierenden Einnahmen überhaupt eine nennenswerte Größenordnung erreichen. Die "Hit-Lotterie" der Musikindustrie hat kaum mehr als zwei bis drei Prozent Gewinner. Die meisten veröffentlichten Alben machen Verlust (beziehungsweise dienen als Visitenkarte), der Rest wird zunächst einmal dazu verwendet, die enormen Marketingkosten einzuspielen. Den Künstlern bleibt infolge der in der Regel ungünstigen Verträge sehr wenig; finanzielle Gewinne aus dem Tonträgergeschäft sind für den Großteil der Musiker vollkommen unrealistisch; viele zahlen drauf. Die von der Industrie verteidigten Gewinne aus dem Urheberrecht sind für die meisten Urheber daher genauso unerheblich wie es den Inkas egal sein konnte, ob der Ihnen von den Spaniern abgenommene Schatz in Madrid, in Dieppe oder auf dem Meeresboden landete.

Die Copyright-Industrie unter Beschuss

"Piraterie ist, wenn man das Werk eines Künstlers stiehlt ohne die Absicht, dafür zu bezahlen. Ich spreche hier nicht über irgendeine Software a la Napster. Ich spreche über die Plattenverträge von Major Labels."8 Die Sängerin Courtney Love gehört keineswegs zu denjenigen, die das Urheberrecht für überflüssig halten würden. Sie rechnet vielmehr detailliert vor, wie weit die selbststilisierten Piratenjäger und Wächter des Urheberrechts von einer fairen Entlohnung der Urheber entfernt sind.

Künstler schließen sich zur Recording Artists Coalition zusammen, um endlich bessere Vertragsbedingungen zu erhalten. 28 Bundesstaaten der USA reichen eine Klage gegen die Musikindustrie wegen illegaler Preisabsprachen bei überteuerten CDs ein. Die EU-Kommission setzt erste Schritte in Richtung eines Kartellverfahrens gegen die Musikindustrie. Die Familien mehrerer Opfer des Columbine-Massakers reichen gegen 25 Firmen der Unterhaltungsindustrie (darunter Nintendo, Sega, Sony und Time Warner) eine Klage über 5 Milliarden Dollar ein; der Vorwurf lautet, dass ohne die Geschäftemacherei mit Gewalt und Sex der Amoklauf der beiden Videogamer nicht stattgefunden hätte9. Fast zeitgleich rügt eine von der US-Regierung beauftragte Studie die Plattenlabels für Geschäftemacherei mit Gewalt in Lyrics. Wie gesagt, klassische Bestandteile des Schwarz-Weiß-Bildes von Piraterie sind Goldgier und Skrupellosigkeit. Und beide werden zu einem recht dauerhaften Teil des Images der heutigen Piratenjäger.

Die Fortschrittlichkeit der historischen Piraten

Vom Piratenkapitän Hovell Davies ist aus dem frühen 18. Jahrhundert überliefert, dass er seine Mannschaft nach einer Streiterei zur Vernunft ruft: Sie seien nicht aus Rauflust Piraten geworden, sondern um sich an blutsaugerischen Kaufleuten und an grausamen Schiffsführern zu rächen.10 Kapitän Samuel Bellamy (mit dem Beinamen "der Redner") versucht 1716 den Kapitän eines geenterten Handelsschiffes zur Mitarbeit auf Seite der Piraten zu überreden. Es kommt zu keiner Einigung, und Bellamy hält eine Rede:

Ich bedaure, dass sie Euch Eure Schaluppe nicht wiedergeben wollen; ich halte nichts davon, irgend jemandem Schaden zuzufügen, wenn ich davon keinen Vorteil haben kann; zum Teufel mit der Schaluppe, wir müssen sie versenken, und sie hätte Euch nützlich sein können. Trotzdem: Ihr seid ein schleicherischer Hund, und ebenso alle, die es hinnehmen, von Gesetzen regiert zu werden, die reiche Männer zu ihrem eigenen Schutz gemacht haben - weil diese feigen Hunde nicht den Mut haben, auf andere Weise zu verteidigen, was sie in ihrer Unehrlichkeit zusammengetragen haben; aber sie seien alle miteinander verflucht: Meinen Fluch über dieses Pack verschlagener Luder, und über Euch, die Ihr Ihnen als ein Posten hühnerherziger Dummköpfe zu Diensten steht. Sie machen uns schlecht, ohne die geringste Zurückhaltung, und dabei ist der einzige Unterschied: Sie berauben die Armen unter dem Mantel des Gesetzes, so, und wir nehmen's von den Reichen unter dem Schutz unserer eigenen Courage. Ist es nicht besser, Ihr seid einer von uns, anstatt diesen Betrügern für eine Anstellung hinterherzulaufen?

Als der Kapitän darauf antwortet, sein Gewissen erlaube ihm nicht, die Gesetze Gottes und der Menschen zu brechen, setzt Bellamy fort:

Ihr seid ein verfluchtes Gewissens-Luder, ich bin ein freier Prinz, und es steht mir genauso zu, der ganzen Welt den Krieg zu erklären, wie es irgend jemandem zusteht, der hundert Schiffe auf See und hunderttausend Männer auf dem Feld hat; und das sagt mir mein Gewissen; ach, was gibt es zu diskutieren mit so weinerlichen Hündchen, die es irgendwelchen Vorgesetzten erlauben, sie nach Belieben übers Deck zu scheuchen.

Die "Piratenrepubliken" als Vorläufer des Sozialstaats

Mitte des 17. Jahrhunderts. Die staatlichen Justizsysteme basierten auf Folter und Todesstrafe. Die Ordnung im Militär, in Staaten und in Unternehmen war extrem hierarchisch, bei Bestrafungen wurde wenig zimperlich verfahren. Kriege waren an der Tagesordnung.

Zur gleichen Zeit gab es bei den Piraten in Westindien - auf Haiti und Tortuga - geregelte Versicherungsansprüche, ein ausgeprägtes Rechtssystem und eine Herrschaftsform, die um vieles demokratischer aufgebaut war als die der damaligen Regierungen. Es gab eine gemeinsame Kasse für Krankenversicherung und Sozialversicherung. Die Beute wurde unter allen (einschließlich Kapitän) gerecht aufgeteilt.

Zum Vergleich: Die staatliche Navy requirierte ihr Personal nicht selten per Kidnapping und zahlte einfachen Matrosen meistens nichts. Auf Fluchtversuche folgten unmenschliche Strafen. Auch auf Handelsschiffen war die Heuer immer noch verschwindend gering und die Disziplin unerbittlich. Bei den Korsaren, die sich im Unterschied zu eindeutigen Piratenschiffen immerhin durch einen Kaperbrief als politisch legitimierte Eingreiftruppe ausweisen konnten, behielt der Kapitän von der Beute den vierzigfachen Anteil seiner Mannschaftsmitglieder. Die unabhängigen Piraten schließlich hatten zur gleichen Zeit ein deutlich anderes Geschäftsmodell. Der Kapitän eines Flibustierschiffes erhielt höchstens zweimal so viel wie seine Kampfgefährten. Die Rechte und Pflichten aller waren durch Verträge geregelt.11

Der Historiker Clive Senior resümiert: "Im Vergleich zum Dogmatismus ihrer Zeit muss man den Pragmatismus der Piraten einfach begrüßen."12 Also noch einmal: Was macht Piraten zu Sympathieträgern? In die Metapher von der Piraterie hat sich durch verschiedene Jahrhunderte eine Idee davon eingeprägt, dass ein menschliches Gemeinwesen nicht immer auf die bestmögliche Art funktioniert - und dass man dem etwas entgegensetzen kann.

Von welcher Position aus operieren "Piraten" heute?

Die Versuche von IFPI, RIAA etc., die "Piraten" begrifflich in der Nähe organisierter Kriminalität dingfest zu machen, haben einen Haken. Sie halten den Eindruck aufrecht, die Industrie habe das Internet noch immer nicht begriffen. Das Internet, das Silicon Valley und die New Economy als untergehendes Sowjetimperium? Die zig Millionen Napster-User als Drogenmafia? Es fällt schwer, über den dramatischen Vergleichen von Jay Berman und Kollegen (s. o.) den entscheidenden Qualitätssprung hin zur heutigen "Piraterie" als Massenphänomen zu vergessen. Nicht, dass es keine industrielle "Piraterie" im großen Stil gäbe; die seit langem von der Industrie bekämpften illegalen CD-Presswerke sind keineswegs aus der Welt.

Aber die heutige Ausgangslage von "Internet-Piraterie" ist doch wohl eher umgekehrt: Der ernüchternde Eindruck, dass es im klassischen Musikgeschäft nur noch um Geld geht,13 wird für eine kritische Masse von Musikfans zum Auslöser für "Piraterie im kleinen Stil". Die Triumphe der Copyright-Industrie im Gerichtssaal haben ihre Kehrseite im Reißen des Fadens zwischen den Rechteverwertern und ihren Kunden. Welcher Musikfan hat Verständnis dafür, dass das Major Label Universal für jede einzelne CD, die auf der my.MP3.com Website zugänglich war, 25.000,- Dollar Schadenersatz von MP3.com erhalten soll - zumal, wenn Peter Gabriel auf die Frage, wie viel von der Millionensumme denn an ihn als Musiker gegangen sei, nur antworten kann: "Mir ist bislang kein Künstler begegnet, der davon etwas bekommen hätte. Solange Künstler nicht klug genug sind, um sich zusammenzutun und gemeinsam zu handeln, steigen sie nur wieder schlecht aus."14

Die von Napster den Labels zur Versöhnung angebotene Dollarmilliarde wird - mit dem Verweis auf den Branchenumsatz von 38,5 Milliarden Dollar pro Jahr - von der Copyright-Industrie als Scherz abgetan. Kurz: der "legale" Teil des Musikgeschäfts scheint sich nur noch um Kommerz zu drehen - und zugleich wird durch eine hemmungslose Schlammschlacht mit Rechtsansprüchen, Millionenforderungen und Milchmädchenrechnungen Geld zu Spielgeld abgewertet. Für viele Fans eine willkommene Gelegenheit, es einmal ohne Geld zu versuchen.

Die Entwicklung von "Musikpiraterie" im Internet

Noch scheint "Filmpiraterie" im Internet aufgrund der großen Datenmengen unrealistisch zu sein. Heiß umkämpft wird der Bereich jedoch spätestens, seit 1999 eine Hand voll Hacker die CSS-Verschlüsselung der DVD-Filme knackte. Um die digitalen Filmscheiben nicht nur auf den von der Unterhaltungsindustrie unterstützten Apple- und PC-Betriebssystemen, sondern auch auf der Open Source Plattform Linux abspielen zu können, wurde der industrieeigene Kopierschutz außer Kraft gesetzt. Seitdem tobt ein erbitterter Streit - unter anderem darüber, wie weit es hier um (in vielen Staaten zulässiges) Reverse Engineering oder um schlichte Urheberrechtsverletzung ging.15

Eine etwas längere Tradition hat der Kampf gegen "Softwarepiraterie". Die Business Software Alliance (BSA) gibt auf ihrer österreichischen Homepage 1996 als Beginn des Kampfs gegen die Piraten an, die deutsche BSA konstatiert trotz ihrer Angst-Kampagne ("Sie haben allen Grund, nervös zu sein") 2001 einen Boom der Internet-Piraterie und verzeichnet 533 stillgelegte Sites. Die über weite Strecken nicht von Kommerz, sondern von Leidenschaft getriebene Warez-Szene verweist auf jenen Bereich, der die Internet-Piraten zu Medienstars gemacht hat und gegen den Film- und Softwarepiraterie geradezu wie Bagatellen wirken: Die Musikfans im Internet.

Mit Beginn der 1980er Jahre stellte die Musikindustrie in einer groß angelegten Aktion das Konsumentengeschäft auf digitale Formate um. Die CD (Compact Disc) als Nachfolger der LP war immer noch an physische Datenträger gebunden und ebenso wenig kopiergeschützt wie die analogen Vinylscheiben. Zeitgleich entwickelten Wissenschaftler an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, ab 1987 dann am dortigen Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS-A) die Komprimierung digitalisierter Klänge. Das Erlanger Team wurde innerhalb der Moving Pictures Expert Group (MPEG) federführend für die Entwicklung des "MPEG Audio Layer-3", kurz: MP3, in internationalen Standardisierungsgremien. Der ursprüngliche Encoder war klein und wenig benutzerfreundlich - und verbreitete sich explosionsartig. Weitere Programme, die sehr bald als Shareware kursierten, waren CD-Ripper, die Audiodaten vom Tonträger auf die Festplatte kopierten.

Als nächstes entfiel mit der billigen Verfügbarkeit von CD-Brennern und beschreibbaren CD-Rs die technische Barriere, die das identische Vervielfältigen digitaler Tonträger ohne Qualitätsverlust als Breitenphänomen verhindert hatte. Vor allem aber ermöglichte das Internet, die so entstehenden Sammlungen von Files aller Art auch ohne den Transport physischer Daten- respektive Tonträger zusammenzuschließen. Es gibt immer mehr Programme, die es Musikfans ermöglichen, via Internet an Musik zu kommen.

Eine gigantische Community, die nicht länger auf den Schulhof angewiesen war, um Kassetten zu tauschen, begann im Internet eine lebhafte Diskussion über Musik. Bald stellten lokale UKW-Piratensender auf Real Audio Stream um. Seit spätestens 1996 gab es Internet Relay Chat Groups (IRC), die sich der Verbreitung von MP3-Files verschrieben. Die Musik fand rasch den Weg vom Usenet zum WWW, vom Textbefehl zur graphischen Benutzeroberfläche, vom Spezialwissen zum Massenphänomen. Immer mehr Browser-ähnliche Programme boten Zugriff auf Musik; inspiriert von IRC und MP3-Suchmaschinen brachte der junge Student Shawn Fanning im Januar 1999 eine wirkliche "Killer Application" ins Spiel. Als die Betaversion seiner Software Napster auf Download.com sofort durchstartete, gründete er im Mai 1999 Napster.com und gibt den Anstoß zur steilen Karriere von Peer-to-peer (P2P) Filesharing.

Die Musikindustrie brauchte Monate, um die Neuerung auch nur zu bemerken. Um so schneller reagierten die Hörer: Nach einer Studie der Firma PC Pitstop war im Herbst 2000 die (nicht übermäßig ausgereifte) Software bereits auf fast jedem dritten ans Internet angeschlossenen PC installiert. Laut Firmenangaben greifen auf Napster bis zu einer Million User gleichzeitig zu. Zum Vergleich: Auch AOL als größter Internet Service Provider der Welt hat in Spitzenzeiten kaum mehr als 1,5 Millionen User gleichzeitig im Netz. [35] vgl. Vor dem Hintergrund der stark zentralisierten, objektorierten Tonträgerbranche und des immer noch überaus mäßigen legalen Musikangebots im Netz schossen weitere P2P-Plattformen wie die Pilze aus dem Boden - Gnutella, Scour, Mojo Nation & Co. Und die nächste Überraschung kommt bestimmt.

If you can't beat them ...

Das Internet verändert unser Leben, verändert Ladenschlusszeiten, verändert alles. Für die Musikindustrie hat Internet Vorteile und Nachteile zugleich, einerseits ist die Musik das einzige Medium, neben Bildern, das man sofort konsumieren kann über Internet. Damit ist ein Vorteil und Nachteil gleichermaßen verbunden. MP3 wird für die Musikindustrie ein sehr, sehr angenehmes, wahrscheinlich sehr zukunftsweisendes Instrument werden, unsere Produkte in den Markt zu bringen.

Noch einmal Thomas Stein von der Bertelsmann Music Group, aus der Frühzeit der positiven im Frühjahr 2000. Ein halbes Jahr später wird bereits ein Schuh daraus. 31. Oktober 2000. Es ist die Zeit der schwebenden Verfahren der Musikindustrie gegen Napster, MP3.com und gegen andere Abkürzungen der alten Vertriebswege. Die Bertelsmann AG, einer der größten Rechteinhaber der Welt, gibt eine Pressekonferenz. Neben den Managern von Bertelsmann sitzen - die Vertreter des Erzfeindes. Shawn Fanning und Hank Berry, der Gründer und der Geschäftsführer von Napster. Man habe sich auf eine strategische Allianz geeinigt, und Bertelsmann wolle größere Anteile an Napster übernehmen:

Das Austauschen von Dateien von Person zu Person hat die Vorstellungskraft von Millionen Menschen beflügelt durch seine Einfachkeit, die weltweite Auswahlmöglichkeit von Content und durch die ganzen Aspekte einer Community. Napster hat einer neuen Art der Musikdistribution den Weg gewiesen, und wir sehen darin die Grundlage eines wichtigen und aufregenden Geschäftsmodells für die Musikindustrie. Wir laden andere Plattenfirmen und Verlage, Künstler und andere Industrieteilnehmer ein, an der Entwicklung eines sicheren und auf Mitgliedschaft basierenden Services mitzuarbeiten.

Keine einfache Angelegenheit, die Musikindustrie auf gemeinsamen (Piraten-)Kurs zu bringen, wie die nächsten Monate zeigen sollten. Und wie vertragen sich die Profitinteressen der Industrie und die Wendigkeit der Piraten?

Piraterie als Geschäft

1547. Heinrich der Achte, König von England, erhält vom Bankhaus Fugger einen Kredit: 400.000,- Carolusgulden - ein Vermögen -, verzinst zu 12%. Andere Bankhäuser beschweren sich. Für diese unglaublichen 48.000,- Gulden an Zinsen pro Jahr wäre es schließlich ein leichtes gewesen, Piratenschiffe auszurüsten, die die Kreditsumme für den König schon bald im Ärmelkanal aufgetrieben hätten. Es ist nicht mehr zu übersehen: Die eigentlichen Piraten sind die großen Handelshäuser. Bankkaufleute im Hintergrund, die noch nie eine Schiffsplanke betreten haben, arbeiten mit dem kalkulierbaren Gewinn, den die Seeräuberei ihnen als Investoren bringt. Zugleich verdienen natürlich die Versicherungsunternehmen an den enormen Prämien, und die Speditionen an den hohen Frachtsätzen.

In Frankreich funktioniert die Aufteilung der piratischen Gewinnmargen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein meist ähnlich. Konsortien von Reedern und Investoren, die die Seeräuberei als lohnendes Geschäft entdeckt haben, zahlen dem König ein paar Prozent Steuern, erhalten dafür einen Kaperbrief, der sie ermächtigt, Schiffe aus verfeindeten Ländern zu plündern, und beauftragen dann Piraten, die zusätzlich zur politischen Rückendeckung auch einen kleinen Anteil von der Beute behalten dürfen. Bei Heinrich VIII. resultiert aus dieser Entwicklung das erste Gesetz gegen Piraterie; zusätzlich wird ein verantwortlicher Vizeadmiral zur Eindämmung des Geschäfts mit der Piraterie beauftragt.16

Die Nebenwirkungen des Kampfs gegen Piraterie

Zahlreiche Firmen stehen bereit, um an den Forderungen nach Sicherheit, Kopierschutz und Überwachung viel Geld zu verdienen. Die "technischen Maßnahmen" und "Informationen für die Wahrnehmung der Rechte", die die 2001 verabschiedete EU-Richtlinie inzwischen dezidiert unter rechtlichen Schutz stellt, werden den gewohnten Umgang mit urheberrechtlich geschützten Files - Texten, Tonträgern, Videos - auf neue Beine stellen. Digital Rights Management (DRM) bietet die Möglichkeit, aus dem von der Copyright-Industrie in den schrecklichsten Farben geschilderten Piratenparadies Internet ein Medium der totalen Kontrolle werden zu lassen. Der US-amerikanische Internet- und Verfassungsrechtsexperte Lawrence Lessig warnt vor dem gerade unter den Apologeten des Internet verbreiteten Glauben an die "Natur" der Information oder der Informationstechnologien. Den statischen Optimismus legendärer Sätze wie "Information wants to be free"17 oder "The net interprets censorship as damage and routes around it"18 stuft er als naiven "Is-Ism" ein. Es sei riskant, davon auszugehen, dass das Internet "sei, wie es ist" - denn das Internet sei schließlich nichts als eine Hand voll Protokolle, von Menschen geschaffener Code - der zur Zeit massive Veränderungen erfahre.19

Sicher, auch die Gesetzgeber sind sich bewusst, dass die Welt nicht nur aus Rechteinhabern besteht. Und es klingt auch nicht besonders wahrscheinlich, dass die Kunden der Unterhaltungsindustrie massenweise bereit sein werden, zum Hören von Musik einen digitalen Waffenschein und einen Dongle vorzuzeigen. Aber wie tiefgreifend der Umbau der digitalen Welt im Zuge des "Kampfs gegen die Piraten" ausfallen könnte, deuten die 2001 durchgesickerten Überlegungen von Intel, IBM, Toshiba und Matsushita, den Kopierschutz gleich auf Ebene der generischen Hardware einzubauen.20 Um von Festplatte C auf Festplatte D zu kopieren, zeigen Sie bitte Ihren Legitimationsausweis. Noch bevor sich der Rauch der auf die vermeintlichen Piraten gerichteten Kanonen verzogen hat, ist die Welt zur Goldkammer der Conquistadoren geworden.

Für "Konsumenten" wie für die Copyright-Industrie kann übrigens ein Blick auf die Musik Anregungen für originelle Auswege aus der verfahrenen Situation bieten. Die Erfolgsgeschichte der Band Grateful Dead begann zum Beispiel, als die Musiker aufhörten, ihren Fans das urheberrechtlich "verbotene" Mitschneiden von Konzerten zu verbieten. Deren Texter John Perry Barlow weiß im übrigen, dass es zumindest im Bereich künstlerischen Schaffens ohnehin unmöglich ist, kein "Pirat" zu sein: "How many musicians can honestly say they've never used something that was there before?"21

Wie angebracht diese Frage ist, bekommen auch die professionellen Gegner des Kopierens zu spüren; der DRM-Anbieter InterTrust verklagte im Frühjahr 2001 die Kollegen von Microsoft wegen Patentverletzung durch die im Windows Media Player eingebaute Kopierschutztechnik.22 Eine aus Piraten-Perspektive gesehen vielversprechende Rückkoppelung - doch auch angesichts des immer öfter unter Hard- und Softwareentwicklern ausgetragenen Spiels der gegenseitigen Patentklagen ist es verfrüht, zu hoffen, dass die diversen Auswüchse des Urheberrechtsschutzes einander soweit lähmen werden, dass dazwischen noch Luft für ganz normalen Fortschritt bleibt. Auf jeden Fall scheint es dem Grundgedanken des Urheberrechts - der Belohnung und Förderung von Kreativität - fundamental zu widersprechen, wenn Entwicklung und Fortschritt als Aufgabe allein den Piraten überlassen werden.

Ein letzter Blick in die Vergangenheit - verbunden mit der Hoffnung, dass die plumpe Anti-Piraten-Propaganda wieder der erstaunlichen Vielschichtigkeit Platz macht, die mit "Piraterie" vor Jahrtausenden in Europa verbunden war. Das Schlusswort gehört dem Griechisch-Wörterbuch:

peirates: Seeräuber; von peiráomai: versuchen, sich daranmachen, sich bemühen, streben, unternehmen, wagen; etwas versuchen oder erproben, prüfen, untersuchen oder ausforschen; sich oder sein Glück in etwas versuchen; einen Angriff wagen; den Kampf mit jemandem aufnehmen; in Versuchung führen; sich um die Gunst von jemandem bemühen; um eine Geliebte werben; aus Erfahrung lernen."