Mit 60.000 Kilometer in der Stunde durch den Kometenschweif

Riskanter Vorbeiflug am Kometen Borrelly beschert Deep Space 1 geniales Bildmaterial

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Mittlerweile werden wissenschaftliche "kleinere" Sensationen von der Presse und Öffentlichkeit nur noch am Rande wahrgenommen. Auch in der Nacht zum Sonntag, als die NASA-Sonde Deep Space 1 in einer Distanz von nur 2.200 Kilometer am Kometen Borrelly vorbeiflog und dabei sensationelle Schwarzweiß- und Infrarotbilder zur Erde funkte, nahmen die Medien von dem Ereignis herzlich wenig Notiz. Dabei ist das, was sich jüngst fernab unseres Heimatplaneten zugetragen hat, in der Tat eine technische Leistung und astronomische Attraktion der Extraklasse. Vor allem eine der ästhetischen Art - wie die von Deep Space 1 aufgenommenen Bilder zeigen.

Der Komet Borrelly

"DS1 tauchte ins Herz des Kometen ein und berichtete dabei über jede Sekunde seines Abenteuers". Marc Rayman vom Jet Propulsion Laboratory sieht als verantwortlicher Projektleiter der Deep-Space-1-Mission keinerlei Veranlassung, sich in Bescheidenheit zu üben. "Diese Bilder sind sogar besser als die eindrucksvollen Fotos, die 1986 vom Kometen Halley geschossen wurden".

Kern des Kometen komplexer als angenommen

Als in der Nacht auf letzten Sonntag die Raumsonde Deep Space 1 sich dem Kometen Borrelly näherte und die ersten Daten aus der unmittelbaren Umgebung des Kometenkerns Richtung Erde funkte, löste sich bei Rayman und seinem Team sichtlich die Anspannung. Und als kurz darauf die erste Aufnahme, die 160 Sekunden vor dem Erreichen der größten Annäherung der Sonde zum Kometen entstanden war, erstmals den acht Kilometer langen Kern des Kometen aus einer Entfernung von 3417 Kilometern in voller Größe offenbarte, und als unmittelbar danach das Raumschiff dem Kometen sogar bis auf etwa 2200 Kilometer nahekam, dabei sogar rund 50 Messungen durchführte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. "Es ist überraschend und erstaunlich, denn diese Bilder erzählen uns, dass der Kern des Kometen viel komplexer ist, als wir uns das jemals vorgestellt haben", freut sich auch Laurence Soderblom, der Leiter des DS Imaging Teams, das großen Anteil an dem Zustandekommen der bislang detailliertesten Aufnahmen eines Kometen hat.

Die nunmehr vorliegenden Fotos lassen kaum erahnen, dass sie in einer Entfernung von 220 Millionen Kilometern zur Erde "geschossen" wurden. Dem Betrachter zeigt sich ein bizarres Gebilde, auf dessen Oberfläche ein raues, felsiges Terrain und unterschiedliche Landschaftsformen wie Hügel, Falten und Risse das Bild bestimmen. Da der Schweifstern, der gerade mal vier Prozent der Sonnenstrahlung reflektiert, von "unten" von der Sonne beleuchtet wird, wechseln vor allem in seiner Mitte sanfte hellere Strukturen mit tiefen Brüchen und sehr dunklem Material ab. Aus den verschiedenen Helligkeitswerten können die Forscher aber die unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Kometenoberfläche ablesen.

Logenplatz hart erarbeitet

Als die DS1-Sonde den Kometenkern anflog, fokussierte sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf die so genannten Jets des Schweifsterns. Diese entstehen, wenn die Sonne den Kern erwmt und das Kometen-Eis direkt in Dampf verwandelt. Dabei reißen die gebündelten Fontänen den Staub aus dem Kern mit sich, der wiederum das Sonnenlicht reflektiert.

Allerdings musste sich DS1 den Logenplatz mit erstklassigem Blick auf das bizarre Gebilde mühsam erarbeiten. Bei einem riskanten Flug musste das Raumfahrzeug durch die eisige Staubwolke (Koma) fliegen, die den Kern des Kometen umgibt. Bei diesem Manöver konnte die Sonde aber zeitgleich wertvolle Daten über die verschiedenen Gase sammeln, die Aufschluss darüber geben, wie diese mit dem Sonnenwind interagieren. Ferner übertrug der irdische Vagabund im All Informationen über die gemessenen Infrarotwellen um den Kometen herum. Dabei konnten die Wissenschaftler feststellen, dass die Sonnenpartikel nicht etwa symmetrisch um die Wolke herumfliegen. Vielmehr wurde DS1 Zeuge, wie sich der Kern mit einem Ende aus der Wolke herausschob und einen gewaltigen Strahl aus Materie abschoss. Diese Materiepartikel "füttern" die Gaswolke, was den Kometen überhaupt erst von der Erde aus sichtbar macht.

"Der Prozess der Koma-Zusammensetzung ist offensichtlich nicht so simpel, wie wir dachten", sagte David Young von der University of Michigan in Ann Arbor, Leiter des Datenauswertungsteams.

Keine Ruhepause für den Veteranen

Ursprünglich wurde im Rahmen der DS1-Mission, die am 24. Oktober 1998 in Cape Canaveral/Florida ihren Anfang nahm, der bordinterne neuartige revolutionäre Ionen-Antrieb getestet. Darüber hinaus wurden noch elf weitere Tests mit hochtechnischen Geräten, darunter ein neues Navigationssystemen und einer Reihe empfindlicher Messinstrumente durchgeführt. Doch nach getaner Arbeit wurde der kosmische Veteran gleich wieder in die Pflicht genommen. Obwohl nur für eine Betriebszeit von 200 Stunden ausgelegt, wurde die Sonde wie dereinst die Near-Raumsonde umprogrammiert - und buchstäblich auf ein Himmelfahrtkommando ohne Wiederkehr geschickt.

Inzwischen ist die Sonde bereits drei Mal so lange im All wie ursprünglich geplant. "Mittlerweile wird die Sonde hauptsächlich durch Isolierband und gute Wünsche zusammengehalten", beschreibt DS1-Projektmanager Rayman den kritischen Zustand des irdischen Abgesandten.

Komet Halley, Giotto-Mission

Raumfahrthistorisch gesehen war es erst das zweite Mal überhaupt, dass ein Komet irdischen Besuch erhielt. 1986 war es die Sonde Giotto, die dem Kometen Halley die Aufwartung machte. Und die Anfang dieses Jahres auf dem Asteroiden Eros erfolgreich gelandete Near-Sonde übertraf schließlich alle Erwartungen, weil sie trotz ihrer Zweckentfremdung - ebenso wie DS1 war sie für eine solche Mission ursprünglich nicht vorgesehen - so erfolgreich agierte (Eros ist überraschend attraktiv).

Gleichwohl verzichtete die NASA dieses Mal auf eine Landung. Dies vor allem deshalb, weil dann das Raumschiff mit einer Geschwindigkeit von 16,5 Kilometern pro Sekunde durch eine Wolke aus Gas, Staub und Kometenbrocken hätte rasen müssen, obwohl es über keinerlei Schutzschild verfügt. "Bei solchen Geschwindigkeiten könnte schon der Einschlag kleinster Partikel fatal sein", erklärt Rayman.

Dass übrigens die aktuelle Mission reibungslos über die Bühne ging, ist einem Fehlschlag zu verdanken. Denn bereits im Juli 1999 sollte sich Deep Space 1 an den Asteroiden "9969 Braille" heranarbeiten. Dabei jedoch kam es zu einer Fehlfunktion. Das Navigationssystem signalisierte: "Kein Asteroid in Sicht!" - und die Sonde raste in viel zu großem Abstand an dem Planetoiden vorbei.

Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Europäische Raumfahrtagentur ESA planen gemeinsam mit anderen Einrichtungen eine spektakuläre Mission in die Tiefen des Alls, bei der ein Raumfahrzeug auf einem Kometen landen soll. ROSETTA, so der Name dieser Mission, wird 2011 den Kometen Wirtanen erreichen. Die ROSETTA-Sonde setzt dort ein Landegerät ab, das im Jahre 2012 auf der Oberfläche des Kometen niedergehen soll. Das Strukturmodell dieses Landers, der unter Federführung des DLR von einem europäischen Konsortium gebaut wird, wurde bereits im März 1999 im Kölner DLR-Institut für Raumsimulation vorgestellt. Der Gesamtbetrag für den Lander liegt bei etwa 120 Millionen Mark. Deutschland trägt rund 51 Millionen Mark bei. ROSETTA soll 2003 auf einer ARIANE-5-Rakete starten.