Rockende Inquisitoren

Heavy Metal zwischen den Mühlsteinen der Nächstenliebe und des Jugendschutzes

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In seinem Buch "Verteufelter Heavy Metal" widmet sich der Schweizer Psychologe Reto Wehrli oft dem Bösen. Etwa da, wo er das "Erlauschen von 'Backward Maskings'" dem "bösen Willen" derer zuordnet, die beim Rückwärtsabspielen von Musik subliminale Botschaften hören. Das sei - er zitiert J.B. Russell - "ein unnötiges Spielchen, da die Vorwärtstexte oft schon diabolisch genug sind." Bedenklich findet das der 1973 geborene Metalfan aber nicht, denn Menschen, die im Heavyrock die Propagandatruppe des Satans sehen, mag er nicht.

Marylin Manson

In seiner wissenschaftlichen Arbeit - 400 eng bedruckte Seiten, Untertitel: "Forderungen nach Musikzensur zwischen christlichem Fundamentalismus und staatlichem Jugendschutz" - widmet der Autor sich zwar größtenteils dem Heavy Metal. Er erläutert aber auch anhand der Beatles, Rolling Stones oder Eagles, dass verbohrte Moralisten überall in der Rock- und Popmusik eine vom Satan angezettelte Religionsverschwörung befürchten. Via Musik will der gefallene Engel demnach die Jugend offen oder versteckt in die Irre leiten. Schon die Nazis wussten, die Macht hat, wer die Jugend hinter sich weiß. Damals sorgten noch "Niggertänze" für die "Entartung" der Gesellschaft, bevor die, die das propagierten, sich zum industriellen Massenmord berufen sahen.

Christliche Gruppierungen, gerade in Amerika, glauben seit Mitte der 60er Jahre, dass Pop- und Rock-Musik böse ist. Wehrli blickt in seiner Studie aber zurück bis 1910, wo sich "moralistische Sittenhistoriker" über so genannte Tanzschöpfungen ausließen, die eine "kupplerische Wirkung" (Eduard Fuchs) hatten und die Moral untergruben. Seitdem werten die heute relaxteren Amtskirchen, puristische Moralisten und prüde Christen die Musik als Übel. Im Kampf gegen (die) Spaß(kultur) fehlt ihnen zudem jedes Verständnis für Ironie. Suchte man den Beelzebub ehedem krampfhaft per Stöbern nach subliminalen Botschaften in der Rockmusik, änderte sich das, nachdem die ersten Bands echte Rückwertstexte auf ihren Platten zwecks Verballhornung der Kritikaster aufnahmen und diese ihre Vorwürfe bestätigt sahen. Als schließlich die britische Band Venom grotesk übertriebene Texte über Satan zu ihrem Bolzrock grunzte, waren die Moralisten erschüttert über die Offenheit der Satanspropaganda. Das Genre des Black und Death Metal war eingeläutet.

In den USA, wo Glaubens- und Religionsgemeinschaften großen Einfluss auf die Politik nehmen, gingen deren Initiativen gegen Satansrock so weit, dass im US-Kongress darüber debattiert wurde. In einzelnen Bundesstaaten waren und sind Gesetze in Kraft, die den Verkauf von Rock-, Popmusik und Gangsta-Rap stark reglementieren - siehe "Parental Advisory: Explicit Lyrics"-Pins (vgl. Der musikalische Sell-Out bei Wal-Mart). Eine gewisse Tipper Gore engagiert sich landesweit bei den Zensurbefürwortern "Parents' Music Ressource Center" (PMRC). Frau Gore war 1985 - wie zahlreiche andere Mitbegründerinnen der "Jugendschützer" - die Gattin eines Senators, in diesem Falle des von Tennessee. Später wurde jener, Al Gore, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Von Hunderttausenden verstehen zwei die Botschaft falsch

Wehrli widmet sich in seiner umfassenden Betrachtung dank unzähliger Fallbeispiele der Frage, wer die Fans von Heavy Metal und dessen Variationen sind. Er stellt fest, Konsum respektive Genuss von Heavy Metal führen nicht zu Persönlichkeitsstörungen, Amokläufen und Selbstmorden. Dafür exemplarisch steht der Trubel um Judas Priest, die sich 1990 in Nevada vor Gericht verantworten mussten. Grund dafür waren zwei deprimierte und desillusionierte Jugendliche, die sich 1985 nach dem exzessiven Anhören des Priest-Albums "Stained Class" gegenseitig per gemeinschaftlichem Suizid umbringen wollten. Ihre Eltern zogen später vor Gericht, unterstützt von Rockmusik-Gegnern. Entdeckt hatten diese, beim rückwärtigen Abspielen des Songs "Better by You, Better then Me" erklang: "Do it! Do it!" Ein andermal wollte man "Try Suicide!" vernommen haben.

Judas Priest zogen sich zwischen den Verhandlungstagen mit ihrem Album ins Studio zurück. Nach einem "Backward Maskings"-Studium der Songs präsentierten sie dem Gericht, was sie entdeckt hatten. Verschiedene Botschaften, eine davon: "ItŽs so fishy, personally I'll owe it." Obwohl das Plattenlabel 40.000 $ Geldstrafe zahlen musste - es "hatte sich geweigert, die Mastertapes zu Händen der Anklage herauszugeben" (Wehrli) -, stellte der Richter fest, die Kläger hätten nicht darlegen können, dass die Schuld am Suizid der Jugendlichen bei den Musikern lag. Zudem weist Wehrli darauf hin, anhand der familiären Situation zwischen Alkoholismus, Depressionen u.ä. sei für einen Psychologen ein Selbstmord eine der denkbaren Folgen im Lebenslauf der Jugendlichen - auch ohne Musik!

Wehrlis Buch befasst sich sehr, sehr umfangreich mit Hintergründen des Musikgenre, Argumenten der Gegner (etwa Werner Glogauer; vgl: Eine Zensur findet schlicht statt) und den Musikgruppen. Bei den Bands finden sich nahezu alle Größen des Genre, die des Satanismus verdächtigt wurden. Angefangen bei Beatles, AC/DC, KISS, Iron Maiden reicht das Spektrum bis Slayer und Marilyn Manson. Weiterhin befasst sich der Autor mit Zensur-/Boykottaktionen in Deutschland rund um Bands wie Ärzte, Böhse Onkelz, Rammstein, die Pornorockerinnen Rockbitch sowie Liedermacher wie Udo Jürgens oder Georg Kreisler. Namensregister und ein Buchaufbau ähnlich eines Katalogs macht es möglich, eigene Schwerpunkte zu wählen, denn eine komplette Lektüre erscheint fast zu umfangreich. Manchmal entgleitet Wehrli eben auch die Vielfalt seines Themas, was Lesern bei dem unschlagbar günstigen Preis freilich egal sein dürfte.

Nicht immer ist Satan drin, wo Satan drauf steht

Wehrli verweist übrigens wiederholt auf eine Schieflage in der medialen Berichterstattung. Etwa jene über den Black Metal in Skandinavien und einer speziell in Norwegen anzutreffenden militanten Heidenszene, deren "Religion" eine Mischung von germanischer Mythologie, Heidentum Rechtsradikalismus und Okkultismus darstellt. Das von den Medien transportierte Bild der dortigen "Satansjünger" bietet indes in der breiten Öffentlichkeit weiterhin der Mär Vorschub, dass das, was Moralisten im Heavy Metal sehen, nun in Schwarzen Messen und Ritualmorden mündet. So liefert das publizierte Echt (für eine Auswahl an Medienberichten siehe Satanshimmel oder Pressespiegel einer Solidaritätswebseite) den gläubigen Kritikern das Alibi für ihre jahrelange Inquisition frei Haus.

Wehrli verweist hier speziell auf den Medien-Aktionismus 1993 nach dem Mord im thüringischen Sondershausen an Sandro Beyer, begangen von drei jugendlichen Black Metalern. Noch heute ist wiederholt von "Satanskindern" die Rede, obwohl die Täter Anhänger eines okkulten Patchworks aus klischeehaftem Satanismus und Norwegens "finsteren Zirkeln" um Varg Vikernes und dessen Band Burzum waren. Dadurch, dass von dieser Szene in Skandinavien christliche und jüdische Friedhöfe geschändet und Brandanschläge auf Kirchen durchgeführt wurden sowie sich gelegentlich führende Köpfe klischeehaft als Satansjünger darstellten, wird diese Szene oft als Satanismus dargestellt.

Einer der drei Mörder aus Thüringen, Hendrik Möbus, gilt heute übrigens als Märtyrer, aus seinem Umfeld wird eine Art Aufklärungsportal betrieben. Möbus ist nach seinen anfänglichen Wirrungen zum stramm-heidnischen Rechtsextremisten mutiert, der sich am germanischen Okkultismus des SS-Ordens von Adolf Hitler orientiert. Nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen des Mords flüchtete er in die USA und beantragte dort Asyl. Er sah sich in Deutschland als "politischer Gefangener" - innerhalb der Bewährungsstrafe war er wegen des Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (nämlich Beyer) aufgefallen und erneut zur Fahndung ausgeschrieben.

Sahnehäubchen für die Antimetalfront hingegen war die Tatsache, dass Möbus und die beiden anderen Mörder gemeinsam in dem Black Metal-Projekt Absurd rockten. Die Band war zu der Zeit aber dank ihres Sounds und ihrer Texte so extrem (schlecht), dass sie wohl nie über ihre Orts- und Szenegrenzen bekannt geworden wäre, wäre nicht der Mord passiert. Deswegen dürfte es auch in diesem Fall fraglich sein, ob die Musik überhaupt Einfluss auf die Straftat hatte.

Reto Wehrli: Verteufelter Heavy Metal, Telos Verlag, Münster 2001, 400 Seiten, 40,- DM