Das Ende der "unmoralischen Zone Internet"

In Frankreich ist ein politisch-ökonomischer Werte-Streit im Gange. Bei der Debatte über das Internet-Sperren-Gesetz und Urheberrechtsverstöße geht es längst um mehr: Kontrolle, Filtermaßnahmen, Politik und massive Geschäftsinteressen

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Pädagogik? Die Strafen sind drastisch: Bis zu einem Jahr wird der Internetzugang gesperrt und der mehrfach des nicht lizenzierten Kopierens überführte Anschlussinhaber darf außerdem tief in die Tasche greifen. Ihm drohen Geldstrafen bis hin zu mehreren Hundertausend Euro – die französischen Gesetzgeber haben bewusst darauf geachtet, dass das neue Internetgesetz die juristische Möglichkeit offen hält, den User wegen „Fälschung“ anzuklagen, ein Tatbestand der das Sanktionsspektrum wesentlich erweitert. Frankreichs Regierung feierte gestern einen Teilerfolg: Das „Gesetz zum Schutz kreativer Inhalte im Internet“ passierte gestern mit klarer Mehrheit die Nationalversammlung. Der Streit darüber ist damit aber noch lange nicht zuende. Im Gegenteil. Mit der gestrigen Abstimmung steht das umstrittene Gesetz wieder im Mittelpunkt der Debatte. Dass sich diese schon längst zu einem politisch-ökonomischen Werte-Streit entwickelt hat, zeigt nicht zuletzt der Appell des Kulturministers Frédéric Mitterand, der die Abgeordneten dazu aufrief, das Hadopi-Gesetz als Maßnahme zu verstehen, um „das Recht gegenüber jenen zu verteidigen, die aus dem Netz das Terrain für ihre libertären Utopien machen wollen“.

Noch ist das Gesetz, das von der Regierung als „pädagogische Maßnahme“ gegen Filesharer gehandelt wird, nicht am Ende des langen institutionellen Weges. Ein Teil des Hadopi-Gesetzes - benannt nach der Kontrollbehörde, die es geschaffen hat: Haute autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur Internet) - ist seit Juni in Kraft, allerdings amputiert, gekürzt um den Passus, der die Strafen regelt. Der Verfassungsrat hatte Einwände. Ein Richter nur, keine Behörde, könne Strafen aussprechen, die im Konflikt mit dem von der Verfassung garantierten Recht auf freie Informationsbeschaffung stehen. Sarkozy drängte seine Regierung darauf, den fehlenden Sanktionsteil rasch zu verbessern und schnell neu zur Vorlage zu bringen. Der Senat stimmte im Juli einer neuen Version zu, die zweite Kammer, die Nationalversammlung, debattierte länger als gewünscht und nahm Änderungen vor. Der Text, über den gestern abgestimmt wurde, ist ein anderer als jener, der dem Senat vorlag. Also muss der Text noch einmal beiden Kammern vorgelegt werden. Das soll nach Medienberichten am 22.September der Fall sein.

Passiert das Gesetz die letzte entscheidende Abstimmung, dann taucht das nächste Hindernis auf: der Verfassungsrat. Den haben Abgeordnete der Oppositionspartei Parti Socialiste angerufen. Die Aussichten, dass Hadopi 2 diese Hürde schafft, sind nicht so rosig, wie die Regierung tut. Kritiker des Gesetzes bauen darauf, dass ein entscheidendes Argument, das die Verfassungsweisen bei ihrer Entscheidung im Juni gegen den Hadopi-Entwurf ins Feld führten, auch diesmal in Anschlag gebracht werden kann: die Umkehr der Unschuldsvermutung.

In der vorliegenden Form muss der Anschlussinhaber vor Gericht den Beweis führen, dass nicht er, sondern ein anderer über seinen Internetzugang gegen das Urheberrecht verstoßen hat. Juristisch sei das nicht einwandfrei, so Kritiker. Sie weisen zudem darauf hin, dass es technisch ohne großen Aufwand sehr leicht möglich ist, in einen anderen Anschluss einzudringen.

Den Einwand der Nichtachtung der Unschuldsvermutung versucht der Gesetzgeber nun mit einem bemerkenswerten Manöver zu umgehen – das noch ungleich größere Befürchtungen bei den Kritikern weckt: Er verlangt vom User, dass er eine Filtersoftware besitzt. Hat er diese nicht installiert, so kann ihn der Kadi wegen "Nachlässigkeit" (im Orginal "négligence caractérisée") verurteilen. Die Geldstrafe ist bei diesem Vergehen etwas milder, gesperrt werden kann trotzdem. Der Nachlässigkeitsparagraf und die damit verbundene Anschaffung einer Sicherheitssoftware ist der zentrale heikle Punkt im Gesetz, der vermutlich in den nächsten Zeit noch für einige Diskussion sorgen wird. Mit ihm steht - und fällt - ein wesentlicher Teil der Architektur des Hadopi-Gesetzes. Und mit ihm verbinden sich vor allem Fragen, z.B. die nach der Verfassungsmäßigkeit der Forderung, dass jeder Internetnutzer eine solche Software haben müsste. Und selbst wenn: Schreibt der Gesetzgeber dann vor, welche es zu sein hat, Hersteller und Produkt? Und schließlich: Wie wirksam wäre denn eine solche Filtersoftware?

An dieser Stelle docken sich auch jene Zweifel und Verdachtsmomente an, die nicht mehr nur das „Gesetz zum Schutz kreativer Inhalte im Netz“ selbst im Auge haben, sondern eine größere Internetstrategie, die sich hinter dem Gesetz auftut. Die politisch brisanten Punkte, die damit ins Spiel kommen, kennt man auch aus Diskussionen hierzulande, ins öffentliche Bewusstsein gelangen sie leider noch immer zu wenig. Es geht um massive Lobbyarbeit und um großangelegte Konzepte, dem Internet jene Regeln beizubringen, die für politische und wirtschaftliche Vorteile auf Seiten etablierter Unternehmen und politischer Lager sorgen.

Wer hierzulande hinter der Stoppt-die-Kinderpornographie-im-Netz-Kampagne beunruhigende Zensurmöglichkeiten entdeckt, der muss keine aufwändigen Analogschlüsse machen, um die beunruhigenden Möglichkeiten hinter der Hadopi-Gesetzgebung, die den Filter im Haushalts-PC vorschreibt, zu erkennen. Eine längere Analyse, die im Internet-Magazin Numerama nachzulesen ist, weist plausibel nach, inwiefern sich Lobby-Interessen und Regierungsarbeit unter der Präsidentschaft Sarkozys in einem gemeinsamen Interess an der Regulierung des Internet treffen. Über den Verlauf der politischen Karriere Sarkozys, seine engen, langjährigen Verbindungen zur großen Medienhäusern, die Art seiner Pläne, die das Internet betreffen, und vor allem anhand seiner Personalpolitik wird deutlich, dass ihm, um es harmlos zu sagen, an der Stützung etablierter Medienkonzerne viel liegt und dass „Regelungen“, wenn es ums Internet geht, besser gleich als „Kontrolle“ verstanden werden.

Ein kleiner Vorfall, der aber für große Wellen in Frankreich gesorgt hat, mag vor Augen halten, was Parteifreunde und engste Berater des Präsidenten tatsächlich meinen, wenn es ihnen um das „ungeregelte Netz“ geht. Der französische Innenminister wurde neulich gefilmt, als er verbal entgleiste und über einen Franzosen arabischer Herkunft, der bei einer Art Fototermin bzw. öffentlichen Händeschüttelauftritt neben ihm stand, in launig-witzelnder Absicht sagte, dass es kein Problem sei, wenn es nur einen gebe. Wenn es aber mehrere von ihnen wären, dann gebe es sehr wohl Probleme. Der Ausspruch – im Orginal: "Il en faut toujours un. Quand il y en a un, ça va. C'est quand il y en a beaucoup qu'il y a des problèmes" – hat in Frankreich wegen seines rassistischen Gehalts für große Aufregung gesorgt, die seit Tagen kaum nachlassen will.

Für den Berater des Präsidenten, Henry Gaino, und für den Fraktionschef der Regierungspartei UMP, Jean-Francois Copé, lag der Skandal aber weniger in den Äußerungen des Innenministers, sondern darin dass sie im Internet für jeden sichtbar veröffentlicht waren. Das, so kann man ihren Statements zu Freiheit und Internet deutlichst entnehmen, sollte nicht unbedingt vorkommen, ein Filter wäre da schon nicht schlecht, am besten, versteht sich, von denen, die das Mediengeschäft traditionell beherrschen (zuvor hatte schon der Minister für Einwanderung das Internet für den Skandal verantwortlich gemacht).

Copé forderte eine öffentliche Debatte über das Internet und die Freiheit, in der es darum gehe, das Internet, wo man jedes Bild veröffentlichen und in alle Richtungen verbrämen und verbreiten könne, zu regeln. Dazu lieferte er einen nostalgischen Rückblick:

Ich gestehe, ich habe an jene gedacht, die als Kameramann, Tonmann und Reporter gearbeitet haben (...) die die wahren Reportagen gemacht haben (...) Ja, damals hat man man auf einer anderen Ebene gearbeitet.

Auch Henri Gaino findet das Internet in der jetztigen Form nicht anständig gegenüber den guten alten Werten:

Im Augenblick haben wir es als Gemeinschaft noch nicht verstanden, uns der neuen Kommunikationstechnologien in der besten Weise zu bedienen. Das Internet darf nicht die einzige gesellschaftliche Zone sein, die weder Gesetz noch Moral kennt, wo keine der gewöhnlichen Werte, die uns das Zusammenleben ermöglichen, akzeptiert wird.