Nach Fukushima: Atompolitik in Japan

Radioaktivitätsmessung mit Drohnen in Reaktor 1 und 2. Bild: Tepco

Die Japaner wissen, dass es keine Atombomben geben kann ohne den Stoff, den ein AKW produziert

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Ein sonniger Herbsttag im Land der aufgehenden Sonne. Der Shinkansen, der japanische ICE, war mit 370 Stundenkilometern von Tokio nach Fukushima gerast. Vorbei an vielfarbigen Wäldern in gelb, dunkelbraun, orange und grün. Indian Summer mitten in Japan. Am Bahnhof in Fukushima, der Stadt der großen Katastrophe des Jahres 2011, sehe ich als erstes eine Fotoausstellung über erneuerbare Energien: Sonne, Wind, Wasserkraft, Erdwärme und Bioenergie. Bis 2050 will das Land komplett erneuerbar sein. Von hier aus, sagt mir später der Bürgermeister von Fukushima, Kaoru Kobayashi, soll die Erneuerung ausgehen.

Fukushima-City ist mit 300.000 Einwohnern scheinbar eine ganz normale Großstadt in Japan. 62 Kilometer von hier entfernt tobte am 13. März 2011 die Dreifach-Katastrophe: Tsunami, Erdbeben und Atomreaktor-Gau. "Das Ende des Atomzeitalters" hatte der "Spiegel" damals getitelt.

"Warum immer wieder Japan?", frage ich mich. 1945 waren die ersten Atombomben der Geschichte auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen worden – 140.000 Soforttote und nochmal mehr als 200.000 Folgetote. Und noch heute bis zu 3.000 Tote durch atomare Verstrahlung jedes Jahr als Folge der Atombomben des Jahres 1945, hatte mir der Bürgermeister von Nagasaki schon früher einmal gesagt. Und nun Fukushima.

Der GAU von 2011 hat Fukushima einen dunklen Ruf beschert. Verdient haben diesen Ruf aber eher der Atomkraftbetreiber Tepco und die japanische Atomlobby – hier in Japan "Nuclear Village" genannt.

Japan hatte 2011 Glück im Unglück, weil der Wind vom havarierten AKW aus nicht Richtung Fukushima-City und auch nicht in Richtung Tokio wehte, wo über 20 Millionen Menschen wohnen, sondern ins Meer hinaus. Spätestens jetzt hätte die Welt lernen können, dass Atomkraft russisches Roulette bedeutet. Jedes Atomkraftwerk ist ein Anschlag auf die Schöpfung.

Als Folge der Nuklearkatstrophe von 2011 mussten damals 180.000 Menschen, die im 20-Kilometer-Umkreis der Fukushima-Blöcke lebten, umgesiedelt werden. Nur wenige konnten bis heute zurückkehren. Viele Junge sind für immer weggezogen. Bei einer Anti-Atomveranstaltung in Fukushima-City sagt mir der Bürgermeister der Stadt: "Als ich am fünften Jahrestag der Katastrophe am Reaktor war, wurde dort nukleare Strahlenwerte gemessen, die 10.000 mal über den gesetzlichen Grenzwerten liegen." Im Sarkophag von Fukushima schlummert noch eine Radioaktivität von etwa 10.000 Hiroshima-Bomben.

Das Desaster in Japan im Jahr 2011 führte zu einer weltweiten Atomangst und in Deutschland zum zweiten Atom-Ausstieg – diesmal von einer konservativen Regierung.

Die Fukushima-Schäden werden auf bisher über 100 Milliarden Dollar geschätzt. 120.000 Gebäude wurden zerstört. 15% der Umgesiedelten sind krank, berichten von Angstzuständen, Schuldgefühlen und Depressionen. Das Schlimmste sind die psychischen Folgen. Die radioaktive Verseuchung breitet sich noch weiter aus. So sieht die strahlende Zukunft der Atomenergie wirklich aus.

Doch Japans Ministerpräsident Ade sagt: "Die Lage ist unter Kontrolle." Anderes kann er kaum sagen, denn er will die 48 stillgelegten AKW wieder ans Netz bringen. Aber zwischen 70% und 80% der Japaner sind heute gegen Atomkraft. Selbst unter den Anhängern der Regierungspartei des Ministerpräsidenten sind mehr gegen Atomkraft als dafür. Das könnte Ministerpräsident Abe bei den Wahlen 2017 den Sieg kosten, vermutet in diesen Tagen die angesehene Zeitung "Japan Times". Dass die Atomenergie auch in Japan problemlos zu ersetzen ist, zeigt ein Blick auf die derzeitige Stromerzeugung: Nur noch 0.9 Prozent des japanischen Stroms werden zurzeit aus zwei Atomkraftwerken erzeugt.

Bei der "1st World Community Power Conference" spreche ich am Abend nach dem Bürgermeister und stelle den Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Atomnutzung her, den Zusammenhang zwischen Hiroshima, Nagasaki und Fukushima. Gerade die Japaner wissen, dass es keine Atombomben geben kann ohne den Stoff, den ein AKW produziert.

Viel Zustimmung bekomme ich für diesen Satz: "Ohne AKW keine Atombombe. Und solange es Atombomben gibt, besteht die Gefahr von Atomkriegen. Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Geschichte der Menschheit. Denn danach gäbe es keine Menschen mehr, die noch Kriege führen könnten." In Japan wird dieser Zusammenhang besser verstanden als sonst wo auf der Welt.

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