"Die NATO ist ein Angriffsbündnis"

Ein B-2 Spirit Bomber während der Operation Allied Force. Bild: USAF

Der Schweizer Historiker Daniele Ganser im Gespräch zu illegalen Kriegen, doppelten Standards in den Medien und Diffamierungen seiner Person

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Herr Ganser, Ihr gerade erschienenes Buch trägt den Titel "Illegale Kriege" und schildert insgesamt 13 Kriege und Staatsstreiche der jüngeren Geschichte, angefangen mit dem Putsch gegen die demokratische Regierung im Iran 1953, über die Angriffe auf Kuba und Vietnam in den 1960er Jahren, bis hin zu den Kriegen gegen Serbien, Afghanistan, den Irak, Libyen und schließlich Syrien in der Gegenwart. Warum sind all diese Kriege "illegal"?

Daniele Ganser: Weil sie alle kein Mandat des UNO-Sicherheitsrates hatten und auch keine Verteidigungskriege waren. Es sind alles illegale Angriffskriege, welche nur stattfinden konnten, weil die Bevölkerung in den NATO-Ländern durch Lügen und Feindbilder getäuscht und verwirrt wurde. Ich habe mich in meinem neuen Buch auf illegale Kriege beschränkt, an denen NATO-Länder wie die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland beteiligt waren. Wenn man die lange Liste der Angriffskriege durchgeht, ist es schon erschreckend. Die historischen Fakten zeigen klar: Die NATO ist kein Verteidigungs-, sondern ein Angriffsbündnis.

Aber ist nicht der UNO-Sicherheitsrat selbst ein Problem? In der UN-Charta heißt es ja, die UNO beruhe "auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder". Doch schon das stimmt ja nicht. Der Sicherheitsrat mit seinem Vetorecht für die fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich widerspricht offenkundig der "Gleichheit aller Mitglieder". Mit welchem Recht darf dieser kleine Club, im Grunde ja die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, eigentlich für alle Zeit darüber entscheiden, welche Kriege "legal" sind und welche nicht?

Daniele Ganser: Da legen Sie den Finger auf den wunden Punkt. Von einer souveränen Gleichheit aller 193 UNO-Mitglieder kann leider nicht die Rede sein. Die fünf ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat besitzen das Vetorecht und sind daher klar im Vorteil gegenüber den restlichen 188 UNO-Mitgliedern. Konkret bedeutet das, wenn eines der 188 weniger mächtigen UNO-Länder einen illegalen Angriffskrieg führt, wie zum Beispiel der Angriff des Iraks auf Kuwait 1990, dann wird das vom Sicherheitsrat verurteilt. Der Irak kann sich dann gegen die Verurteilung nicht wehren, weil er ja kein Veto im Sicherheitsrat hat.

Wenn aber ein Mitglied des Sicherheitsrates einen illegalen Angriffskrieg führt, wie zum Beispiel die USA gegen Panama 1989 oder die Briten und die USA 2003 gegen den Irak, dann werden diese Angreifer im Sicherheitsrat nicht verurteilt, weil sie sich mit einem Veto vor einer entsprechenden Resolution schützen. Die UNO ist ganz klar eine Zweiklassengesellschaft. Die fünf Sieger des zweiten Weltkrieges mit ständigem Sitz im Sicherheitsrat bilden die Oberschicht, die anderen 188 UNO-Mitgliedsstaaten die Unterschicht.

Sie schildern in Ihrem Buch lediglich Aggressionen von NATO-Staaten. Warum diese Beschränkung?

Daniele Ganser: Weil die NATO-Länder seit 1945 am meisten illegale Kriege geführt haben. Prominent zum Beispiel die illegale Bombardierung von Serbien 1999 ohne UNO-Mandat, an der sich auch Deutschland beteiligte. Oder der illegale Angriff der USA auf Vietnam 1964, wobei die Tonkin-Lüge das amerikanische Volk verwirrte. Oder der illegale Angriff der Briten und Franzosen zusammen mit den Israelis auf Ägypten 1956.

Weil aber gleichzeitig drei NATO-Staaten, also die USA, Frankreich und Großbritannien, im UNO-Sicherheitsrat einen ständigen Sitz mit Vetorecht haben, wurden sie praktisch nie verurteilt. Nur einmal, nämlich 1986, wurde das mächtigste NATO-Mitglied USA wegen des illegalen Krieges gegen Nicaragua vom Internationalen Gerichtshof der UNO in Den Haag verurteilt, aber ich zeige im Buch auch, wie Präsident Ronald Reagan sich nicht um das Urteil kümmerte, es ignorierte, und wie machtlos die UNO war, ihren Schuldspruch oder gar Reparationszahlungen durchzusetzen.

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