Krisentreffen der obersten Militärs der USA und der Türkei zur Deeskalisierung

Die von den syrischen Kurden gestartete und von den USA unterstützte Offensive auf Raqqa stellt Ankara auf die Probe

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Es dürfte ein Krisentreffen gewesen sein, als sich am Sonntag der höchste US-Kommandeur General Joseph Dunford überraschend mit dem türkischen Generalstabschef Hulusi Akar getroffen hat. Vorgeblich ging es um gemeinsame Strategie gegen den Islamischen Staat, vor allem aber wohl um die zunehmenden konfligierenden Interessen. Die Konflikte spitzen sich derzeit vor dem Wechsel der Präsidentschaft zwischen allen kriegführenden Parteien im Irak und in Syrien zu. Alle versuchen, das Zeitfenster zu nutzen, um Fakten zu schaffen.

Angeblich war das Treffen auf Wunsch von Dunford zustande gekommen. Das klingt durchaus wahrscheinlich, denn die von den USA unterstützen Einheiten der SDF, die vorwiegend aus syrischen Kurden bestehen und auf Drängen der USA mit Einschluss einiger Kämpfer arabischer Stämme gebildet wurden, hatten kurz zuvor die Offensive auf Raqqa (Rakka) verkündet und auch schon begonnen.

Die Türkei bekämpft seit Beginn des Einmarsches in Syrien im August unter dem Vorwand eines Vorgehens gegen den IS die SDF direkt, die zwischen den kurdisch kontrollierten Gebieten den zuvor vom IS und "Rebellen" besetzten Korridor Richtung Aleppo einnehmen wollten. Damals wurde zwischen den USA und der türkischen Führung vereinbart, dass die SDF sich aus der eroberten Stadt Manbij zurückziehen sollten, was aber nicht geschehen ist. Derzeit rücken türkische Truppen und die mit ihnen verbündeten "Rebellen", die von Ankara "Freie Syrische Armee" getauft wurden, um vorzugeben, es handele sich um die bekannten gemäßigten Rebellen, Richtung al-Bab vor, um den SDF zuvorzukommen. Die Absicht dürfte bestehen, nach der endgültigen Sicherung des Korridors, was die Türkei offenbar mit Akzeptanz von Russland macht, während Ankara sich aus den Kämpfen in Aleppo heraushält, die SDF bzw. die YPG aus dem dann isolierten Afrin zu vertreiben.

Ulusi Akar und Joe Dunford beim Krisentreffen in Ankara. Bild: jcs.mil

Präsident Erdogan hatte erst unlängst bekannt gemacht, dass er im Irak, was Tal Afar und vor allem Mosul, aber auch Kirkuk betrifft, mitreden will, weil die Türkei hier Ansprüche habe und die Turkmenen schützen müsse. Er droht auch eine militärische Invasion an, wozu auch schon Panzer an die Grenzstadt Silopi verlegt wurden, sollten schiitische Milizen Tal Afar einnehmen oder nach Mosul eindringen. Zudem soll verhindert werden, dass die PKK sich in Sindschar festsetzt, wo sie praktisch alleine gegen den IS vorgegangen ist und die Bevölkerung vor diesem schützte. Vereinbart wurde auch mit den USA, dass die kurdischen Milizen nur Mosul einschließen, aber nicht in die Stadt eindringen sollen. In der Nähe von Mosul, in Bashiqa, das gerade von den Peschmerga vollends eingenommen wurde, sind bereits türkische Soldaten mit schweren Waffen stationiert, die einige tausend arabische und turkmenische Männer zu Kämpfern ausgebildet haben und schnell in den Kampf eingreifen könnten.

Ankara will in Syrien verhindern, dass die Kurden Raqqa einnehmen, und hat deswegen erklärt, die Offensive auf die IS-Stadt führen zu wollen, aber unter Ausschluss der Kurden. Nun haben die Kurden vermutlich im Verein mit Washington beschlossen, den Türken zuvorzukommen und den Angriff zu beginnen, womit die Türkei aber düpiert würde. Was die Militärs genauer besprochen haben, bleibt unter Verschluss, man darf davon ausgehen, dass nur eine prekäre Einigung stattgefunden hat. Nach außen hin wird zumindest von Seiten des Pentagon Einvernehmen erklärt.

SDF-Einheiten auf dem Weg nach Raqqa. Bild: SDF

Man arbeite weiter eng mit der Türkei zusammen, die SDF würden auch nur Raqqa im Süden isolieren, um den Landweg in den Irak und nach Mosul oder umgekehrt abzuschneiden. Überdies solle verhindert werden, dass aus Raqqa Angriffe auf die Türkei, Europa und die USA ausgeführt werden. Dunford erklärte, man sei sich immer klar darüber gewesen, dass die SDF "nicht die Lösung zum Halten und Regieren von Raqqa sind". Man suche jetzt "für die Operation den richtigen Mix an Streitkräften" zu finden, das seien lokale Stämme und andere Menschen aus der Nähe von Raqqa.

Die syrischen Kurden wollen den Türken zuvorkommen

Die Operation benötige Streitkräfte, die vorwiegend aus Arabern und sunnitischen Arabern bestehen. Die gebe es, das ist wohl der Schwenk zu Ankara: "Es gibt die gemäßigte syrische Opposition, die sicherheitsüberprüften syrischen Milizen und die Einheiten der Freien Syrischen Armee." Das wären also die Milizen, die Ankara in Syrien unterstützt und die eng verflochten mit den islamistischen Milizen sind. Aber Dunford betonte auch, dass die USA eben die SDF als Joker haben. Letztes Jahr habe es erst wenige hundert arabische Kämpfer gegeben, jetzt seien aber schon mehr als 12.000 dabei - und wenn die SDF weiter vorrücken, würden sich noch mehr lokale Kämpfer anschließen. Das ist wohl auch ein Wink an die Türkei, lieber schon jetzt zu kooperieren. Bislang ist die türkische Seite eher stumm geblieben. In den türkischen Medien wird die Aussage von Dunford zitiert, dass die USA und die Türkei zusammen einen langfristigen Plan für die Einnahme, die Sicherung und die Verwaltung von Raqqa ausarbeiten würden. Vize-Regierungschef Numan Kurtulmus machte am Montag noch einmal deutlich, dass die Türkei weder mit der Eroberung noch mit der Sicherung von Raqqa durch "Nicht-Araber" einverstanden sei.

Propaganda der YPG

Die SDF haben ihre Offensive provokativ ähnlich wie die türkische benannt: statt "Operation Euphrat Shield (Euphrat-Schild) " Operation Wrath of Euphrates" (Wut des Euphrat). Und sie machen eine ähnliche Propaganda wie die Türken. Beklagt wird, dass die türkische Armee weiter mit schweren Waffen Stellungen der Kurden in der Region West-Kobane beschießt, während diese die Offensive von Raqqa begonnen haben. Die Kurden machen klar, dass sie zusammen mit Arabern und Turkmenen "unter der Flagge der SDF und unter der Teilnahme von YPG und YPJ, aber in Kooperation mit der internationalen Koalition" Raqqa befreien werden.

Ausdrücklich werden von sympathisierenden kurdischen Medien neben den SDF auch Einheiten von YPG- und YPJ-Kämpferinnen und -Kämpfern genannt. Bei den SDF würden auch arabische und turkmenische Kämpfer sein, während viele kurdische Kämpferinnen und Kämpfer der YPJ und YPG mit dabei seien. Angeblich seien schon mehrere Dörfer erobert worden. Kommandeurin der Verbände sei Rojda Felat, sie hat schon beim Angriff auf Manbij eine führende Rolle innegehabt. Eine symbolische Geste nicht nur gegenüber dem IS, sondern auch gegenüber der islamistischen Führung der Türkei.