Erdogan: In der Türkei kann jeder frei seine Meinung äußern

MHP-Wahlveranstaltung mit dem Vorsitzenden Devlet Bahceli im Oktober 2015. Bild: Yıldız Yazıcıoğlu (VOA)/gemeinfrei

Türkische Regierung will mit Hilfe der rechtsnationalistischen MHP das Präsidialsystem einführen, Festnahmen und Verbote gehen weiter

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"Gemeinsam mit der MHP werden wir die Verfassungsänderung realisieren und ein Präsidialsystem einrichten, so Gott will", sagte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim heute bei einer Rede in Trabzon.

Das Ziel des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist es, die Macht im Staat ganz zu übernehmen. Zwar ist er es längst, der im Land das Sagen hat, aber dabei begeht er einen permanenten Verfassungsbruch, auch im Ausnahmezustand: Denn eigentlich hat der Präsident nur repräsentative Befugnisse, ähnlich wie der deutsche Bundespräsident.

Für die notwendige Verfassungsänderung fehlen der AKP im Parlament vierzehn Stimmen. Diese werden nun wohl von der rechtsnationalistischen MHP kommen. Yildirim hatte sich gestern mit MHP-Chef Devlet Bahceli getroffen um über das Thema zu sprechen. CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu war pro forma ebenfalls eingeladen worden, nahm aber nicht teil. Erst vor wenigen Tagen hatte Erdogan persönlich ihn und alle 133 Abgeordneten der CHP wegen Beleidigung angezeigt. Kilicdaroglu bekräftigte daraufhin seinen Vorwurf, die AKP führe einen zivilen Putsch durch.

Bahceli nannte die Pläne zur Verfassungsänderung "gut und begründet" und sprach von einem "produktiven Treffen". Bereits in der vergangenen Woche hatte Bahceli seine Zustimmung signalisiert. Zu den Vorwürfen, er errichte eine Diktatur, sagte Erdogan im Gespräch mit Al Jazeera, "in der Türkei könne jeder seine Meinung frei äußern, sich nach Belieben anziehen, trinken und essen was man wolle, es gäbe keinerlei Verbote, die Türkei habe noch nie zuvor eine so freie, friedliche und angenehme Ära erlebt wie die letzten 14 Jahre". So zumindest gibt es der türkische Staatssender TRT wieder.

Die Realität sieht anders aus. Am Freitagmorgen wurde Akin Atalay, Herausgebe der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet, bei seiner Ankunft am Istanbuler Atatürk-Flughafen festgenommen. Er hatte sich während der Razzien bei Cumhuriyet-Mitarbeitern vor knapp zehn Tagen in Köln aufgehalten und war nun zurückgereist.

Auch die Festnahmen von kurdischen Politikern gehen weiter. Über vierhundert wurden seit vergangener Woche festgenommen, gewählte Ortsvorsteher im türkischen Südosten werden durch Zwangsverwalter aus Ankara ersetzt - gegen einige von ihnen verübte die PKK in den letzten Tagen Anschläge.

Am Freitag wurden außerdem landesweit 370 Vereine und Stiftungen verboten. Das türkische Innenministerium wirft ihnen Unterstützung der PKK (190), Gülen (153), der linksradikalen DHKP-C (19) und des IS (8) vor. Beobachter vor Ort sprachen von einem Krieg gegen zivilgesellschaftliche Einrichtungen.

Am Wochenende beginnt die Istanbuler Buchmesse mit Deutschland als Gastland. Deutsche Verleger und Schriftsteller wollen am Montag vor der Frauengefängnis Bakirköy gegen die Inhaftierung von Asli Erdogan und Necmiye Alpay demonstrieren.