Armutsgefährdet mit Job

Studie der Bertelsmann-Stiftung zur sozialen Gerechtigkeit: Mehr Armut in der EU und die Zahl der "Working Poor" steigt

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Von den "Abgehängten" war zwar schon vor dem großen Trump-Wahlsieg-Donner die Rede, seither wird das Phänomen aber mit neuen Augen betrachtet. Von einer Studie, wie sie die Bertelsmann-Stiftung am heutigen Montag veröffentlicht, ist dazu kein wirklich scharfes, konkretes Wirklichkeits-Relief zu erwarten, aber ein paar große Linien werden schon gezogen.

Es geht dem "Index-Report" immerhin um "Soziale Gerechtigkeit in der EU" - auf 12 Seiten in der Zusammenfassung, auf 196 Seiten im englischsprachigen Volltext. Der positive Gegenwartsbefund im Gesamtüberblick - dass es an Europas Arbeitsmärkten "etwas bergauf geht" -, ist in schwierige, anscheinend längerfristige Konstellationen eingebettet. Dazu gehört die Feststellung, dass die soziale Kluft zwischen Nord-und Südeuropa immens bleibt. Die Armutszahlen in Griechenland und Spanien werden als "erschreckend" gewertet.

Weniger Beschäftigte als vor der Finanz-und Wirtschaftskrise

Als Vergleichsfeld für Kern-Aussagen der Studie, deren Zahlen aus Eurostat-Daten bis zum 27. Oktober 2016 ermittelt wurden, wird die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 herangezogen. Als deren Höhepunkt wird das Jahr 2013 ausgemacht. So kommt es zu Aussagen, wonach im Vergleich zu 2013 wieder mehr Menschen in der EU erwerbstätig sind, dass aber die Arbeitslosenquote weiter über dem Vorkrisenniveau, also der Jahre vor 2008 liegt.

Als Problem wird dabei ein Phänomen herausgestellt, das in den USA mit "working poor" umschrieben wird: Obwohl erwerbstätig, reicht der Verdienst nicht oder nur spärlich zum Auskommen. In der Studie heißt dies: "trotz eines festen Jobs armutsgefährdet".

Wie solide der "Aufwärtstrend" auf dem Arbeitsmarkt ist, darüber wagt die Studie keine Aussage zu treffen. Sie stellt dem Lichtschimmer ein paar Phänomene gegenüber, die die Ausblicke ziemlich trüben. Zum Beispiel den anderen Trend, "dass eine wachsende Zahl von Menschen in Vollzeitbeschäftigung von Armut bedroht ist". EU-weit sei die Quote von 7,0 Prozent im Jahr 2009 auf 7,8 Prozent im Jahr 2015 gestiegen.

Niedriglöhne und Aufspaltung der Arbeitsmärkte

Auch auf das "Jobwunder"-Land treffe dieser Trend zu - trotz wachsender Beschäftigung. Ausgewiesen wird gleichwohl mit 7,1 Prozent armutsgefährdeter Menschen mit einem Vollzeitjob ein deutlich niedriger Wert im Vergleich zum EU-Durchschnitt.

Dass der Anteil der working poor in Deutschland zugenommen habe, wird mit dem "wachsenden Niedriglohnsektor und einer Dualisierung des Arbeitsmarktes erklärt". Mit Dualisierung ist eine Aufspaltung der Arbeitsmärkte in reguläre und "atypische Beschäftigungsformen" gemeint. Genannt werden dazu: "Teilzeit, Leiharbeit sowie befristete Jobs und geringfügig entlohnte Stellen".

Der working-poor-Trend sei in vielen EU-Staaten zu beobachten, wird ergänzt - und die Hoffnung, dass möglicherweise die Einführung des Mindestlohns in Deutschland den Trend auf Dauer wenn nicht stoppen, so doch mildern könne.

Problem Jugendarbeitslosigkeit

Die Situation der Jugend wird finster gezeichnet. Derzeit hätten 20,4 Prozent der jungen Europäer keine Arbeit (2008: 15,6 Prozent). Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und in Spanien liegt bekanntlich noch weit über diesen Werten. Die Studie ergänzt dies mit Zahlen zur Armutsgefährdung.

Noch immer sind zwischen Athen und Helsinki 118 Millionen Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Das ist jeder vierte EU-Bürger. Besonders betroffen sind Teile Süd- und Südosteuropas: In Griechenland leben etwa 36 Prozent der Bevölkerung an der Armutsgrenze, in Rumänien um die 37 Prozent und in Bulgarien gar rund 41 Prozent. Außerdem stehen europaweit rund 25 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren davor, ein Leben in Armut führen zu müssen. In Griechenland, Italien, Spanien und Portugal trifft das aktuell sogar jeden dritten jungen Bürger - rund 1 Million mehr als noch 2008.

Bertelsmann-Studie zur sozialen Gerechtigkeit in der EU

An der soziale Kluft zwischen Nord-und Südeuropa ändert sich wenig, sie bleibt, stellt die Studie fest. Der Anteil der von Armut und sozialer Exklusion Bedrohten liege in Spanien bei 28,6 Prozent und in Griechenland bei 35,7 Prozent. Bei Kindern und Jugendlichen sei die Situation noch schlimmer ( Spanien 34,4 Prozent, Griechenland 37,8 Prozent). Auch hierzu wird erwähnt, dass sich die hohe Armutsgefährdung über die Jahre festgesetzt hat.

Sowohl in Spanien wie in Griechenland konnte der Anteil der von Armut oder sozialer Exklusion Bedrohten im Vergleich zum Vorjahr kaum reduziert werden.

Registriert wird auch, dass rund 11 Millionen in der EU seit "mehr als einem Jahr arbeitslos" sind. Damit zählen sie statistisch zu den Langzeitarbeitslosen. Deren Zahl haben sich zwischen 2007 und 2015 verdoppelt und entspreche nun rund der Hälfte der arbeitslosen Menschen insgesamt (48,1 %).

Was die Teilhabechancen in der EU betrifft, so bleibt laut der Studie noch viel zu tun:

Lediglich fünf der 28 EU-Länder- die Tschechische Republik, Deutschland, Luxemburg, das Vereinigte Königreich und Polen- verzeichnen moderate Zugewinne in Sachen Teilhabechancen im Vergleich zur Situation vor der Wirtschafts-und Finanzkrise.

Bertelsmann-Studie zur sozialen Gerechtigkeit in der EU

In allen 28 EU-Ländern sind die Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen noch immer deutlich schlechter ausgeprägt als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise.