Polizistenmord von Heilbronn: Bundeskanzleramt erschwert Vernehmung von Zeugen

Gedenktafel für die Opfer der neonazistischen Tätergruppe am Tatort in Heilbronn. Bild: Peter Schmezle/CC BY-SA-3.0

NSU-Ausschuss Baden-Württemberg beschäftigt sich mit der Frage, ob FBI-Agenten im April 2007 am Tatort waren und Zeugen der Tat wurden

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Weiterhin ist ungeklärt, ob der Anschlag auf die zwei Polizisten in Heilbronn am 25. April 2007, bei dem Michèle Kieswetter starb und ihr Kollege Martin Arnold lebensgefährlich verletzt wurde, Teil einer wie auch immer gearteten größeren Aktion war. Und ob vielleicht zufälligerweise zeitgleich zum Mord eine FBI-Überwachungsoperation am Tatort Theresienwiese stattfand. Und wem sie möglicherweise galt. Ein Mord, der auch Sicherheitsbehörden berührt - in einer solch sensiblen Situation sind die Umstände, unter denen Zeugen befragt werden, bedeutend.

Also: Sagen sie in einem Untersuchungsausschuss anders aus, wenn keine Regierungsvertreter dabeisitzen? Vor allem Zeugen, die Beamte, Polizisten, Staatsanwälte oder Mitarbeiter von Nachrichtendiensten sind? Auch, wenn diese Zeugen in nicht-öffentlichen Sitzungen aussagen dürfen? Fragen, die bei der letzten Sitzung des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses (UA) von Baden-Württemberg eine Rolle spielten.

Eine solche Zeugin ist die Regierungsdirektorin im Bundesnachrichtendienst (BND) mit dem mutmaßlichen Decknamen "Ingrid Corell". Die Frau war in einen Schriftwechsel zwischen BND, MAD (Militärischer Abschirmdienst) und Bundesanwaltschaft (BAW) involviert, der sich im Dezember 2011 abgespielt hatte. Anlass war die Veröffentlichung eines Artikels des Magazins Stern vom 30. November 2011 über eine mutmaßliche US-Geheimdienstoperation in Heilbronn am Tag des Polizistenmordes von 2007. Inhalt des Schriftwechsels war die Mitteilung eines Verbindungsbeamten des US-Militärs, zwei FBI-Agenten seien am Tattag in Heilbronn gewesen, Zeugen des "Vorfalls", sprich den Schüssen auf die zwei Polizisten, geworden und abgereist. Die US-Seite biete der deutschen Seite an, darüber zu sprechen (Telepolis hat die Dokumente zum Mordanschlag auf Michèle Kiesewetter und Martin Arnold veröffentlicht).

"Ingrid Corell", die BND-Verbindungsreferentin zu ausländischen Nachrichtendiensten für Bayern und Baden-Württemberg, übermittelte einmal den Sachverhalt dem MAD und entwarf das spätere Behördenschreiben des BND- Präsidenten Ernst Uhrlau an Generalbundesanwalt Harald Range. Darin formulierte der BND, er habe kein Interesse, auf das "Gesprächsangebot des Mitarbeiters des US-Dienstes" einzugehen. Innerhalb des Dienstes wurde aber gleichzeitig überlegt, ob auch das Bundeskriminalamt (BKA) eingeschaltet werden sollte. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auf eine "gerichtliche Verwertbarkeit verzichtet" wird.

Der Ausschuss von BaWü wollte von dieser Zeugin unter anderem wissen, ob der überlieferte Schriftwechsel, der auch dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages vorgelegt worden war, so stattgefunden hatte. Doch selbst die einfache Darstellung, wer wann warum mit wem kommunizierte, sollte nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt werden. Das habe nicht nur der BND zur Bedingung gemacht, sondern sogar das Bundeskanzleramt, wie der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) gegenüber der Presse erklärte. Wenn es nach ihm ginge, so Drexler, wäre die Vernehmung öffentlich.

Gleichzeitig stellte sich die Frage, ob bei der Vernehmung der BND-Zeugin die Regierungsvertreter des Landes Baden-Württemberg anwesend sein dürfen oder ob es nicht dienlicher ist, sie auszuschließen. Denn: Sagen Zeugen der Exekutive anders aus, konformer, wenn Aufpasser im Raum sind?

Dem Gesetzgeber von Baden-Württemberg schien das Problem bewusst gewesen zu sein, als er 1976 das Untersuchungsausschuss-Gesetz (UAG) beschloss. Darin steht, dass ein UA "Mitglieder der Regierung und ihre Beauftragten von den Beweiserhebungen ausschließen" kann, wenn "überwiegende Interessen eines Zeugen dies gebieten" oder dies "zur Erlangung einer wahrheitsgemäßen Aussage erforderlich" erscheint. Im Klartext: Sogar aus öffentlichen Sitzungen können Regierungsvertreter rausgeworfen werden. Und zu den internen Beratungssitzungen haben "Mitglieder der Regierung nur Zutritt, wenn der Ausschuss dies beschließt" (§ 10 Teilnahme von Mitgliedern der Regierung).

In dem Paragraf kommt eine Prioritätensetzung zum Ausdruck. Ein Untersuchungsausschuss als Organ der Legislative ist souverän und als staatliche Gewalt unabhängig von der exekutiven Gewalt der Ministerien. Das Parlament entscheidet, ob und wann es Regierungsvertreter zu seinen Veranstaltungen zulässt.

Den Abgeordneten in Stuttgart sollte dieser Gesetzesparagraf eigentlich in guter Erinnerung sein, denn erst vor kurzem wurde das UAG novelliert. Doch sie scheren sich nicht darum. Bei Tätigkeitsbeginn des NSU-Ausschusses haben seine Mitglieder kurzerhand beschlossen, den Vorgang einfach umzudrehen. Danach bekommen Regierungsvertreter vorab eine Art Blankoerlaubnis, auch an nicht-öffentlichen und internen Beratungssitzungen teilzunehmen. Wenn sie nicht dabei sein dürfen, muss der U-Ausschuss das extra beschließen.

Das ist aber etwas anderes als der Gesetzestext und vor allem als die Intention des Gesetzgebers. Der Ausschuss meint, einfach ein eigenes Gesetz beschließen zu können. Motto: "Was schert mich mein Gesetz von gestern" - frei nach der schwäbischen Maxime "Was schert mich mein Geschwätz von gestern". In diesem Verhalten des Ausschusses drückt sich vor allem eine Haltung aus, nämlich die der Unterordnung unter die Exekutive.

In Nordrhein-Westfalen, das ein vergleichbares UA-Gesetz besitzt, wird es anders gehandhabt, nämlich gesetzestreu. Dort bleiben die Regierungsvertreter bei internen und nicht-öffentlichen Sitzungen wie selbstverständlich draußen. Sie dürfen nur teilnehmen, wenn zwei Drittel der Ausschussmitglieder es befürworten.

In Stuttgart konnten die Ministerialen bei der nicht-öffentlichen Befragung der BND-Regierungsdirektorin, die als Rechtbeistand übrigens den Berliner Rechtsanwalt Johannes Eisenberg dabei hatte, wie selbstverständlich im Saal Platz nehmen. Als Ergebnis vermeldete der Ausschussvorsitzende Drexler hinterher, der Ausschuss sei nicht weitergekommen und müsse weitere Zeugen hören.