Frank, Folter, Steinmeier

Der Ex-Guantánamo-Gefangene Murat Kurnaz kann für seine Haftzeit im US-Folterlager keine Entschuldigung aus dem Außenamt erwarten

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Der amtierende Außenminister Frank-Walter Steinmeier muss sich angesichts seiner wahrscheinlichen Nominierung für das Amt des Bundespräsidenten unangenehme Fragen stellen lassen, nachdem der ehemalige Gefangene des US-Folterlagers Guantánamo, Murat Kurnaz, von dem Sozialdemokraten eine Entschuldigung gefordert hat. "Bis heute hat er sich nicht entschuldigt", sagte der in Bremen lebende Kurnaz der Internetredaktion der in Berlin erscheinenden "tageszeitung". Steinmeier solle sein Sündenregister bereinigen, bevor er Bundespräsident werde, fügte der inzwischen 34-jährige Kurnaz in einer Nachricht an, die sein Anwalt der Zeitung übermittelte. In dem Bericht heißt es weiter:

"Für mich ist es eine offene Wunde, eine maßlose Enttäuschung, von Deutschland in der Not im Stich gelassen worden zu sein. Herr Steinmeier als Kanzleramtschef war der Hauptverantwortliche."

Der Anwalt des in Bremen geborene Deutsch-Türken, Bernhard Docke, sprach mit Bezug auf Steinmeier von einem "dunklen Fleck in seiner politischen Biografie". "Diesen Makel sollte er bereinigen, bevor er das höchste Staatsamt übernimmt", sagte Docke.

Kurnaz war Ende 2001 in Pakistan verschleppt und von Januar 2002 bis August 2006 ohne Anklage im US-Folterlager Guantánamo festgehalten worden. Kurnaz und sein Anwalt werfen Steinmeier vor, sich als damaliger Kanzleramtschef einer Auslieferung des Inhaftierten in den Weg gestellt zu haben (Strafanzeige gegen Steinmeier). Zudem ließ Steinmeier Kurnaz in dem Folterlager in einer Geheimaktion verhören, setzte sich offenbar aber – anders als sein Amtsvorgänger Joseph "Joschka" Fischer – nicht für Kurnaz’ Freilassung ein. Der BND-Untersuchungsausschuss und der Verteidigungsausschuss des Bundestags entlasteten Steinmeier später.

Alles ist gesagt geworden

Darauf berief sich in der Bundespressekonferenz nun auch der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, der auf Nachfrage eine Entschuldigung Steinmeiers ablehnte. "Die Geschehnisse um Herrn Kurnaz liegen viele Jahre zurück", sagte Schäfer am Mittwoch in Berlin. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags seien "buchstäblich alle denkbaren Fragen gestellt und alle Antworten gegeben worden". Dazu sei "nichts mehr hinzuzufügen". Der SPD-Mann Steinmeier plane auch nicht, zu Kurnaz anderweitig Kontakt aufzunehmen.

Auch wenn der BND-Untersuchungsausschuss und der Verteidigungsausschuss Steinmeier entlastet haben, belastet der Fall Kurnaz seine politische Vita. Zumal der SPD-Politiker in einem anderen dunklen Kapitel der bundesdeutschen Außenpolitik in Lateinamerika neue menschenrechtspolitische Standards durchzusetzen vorgibt: Ende April hatte er eine teilweise Öffnung der Archive zur Rolle der westdeutschen Diplomatie bei den Verbrechen in der Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile angeordnet. Normalerweise betrage die Sperrfrist für Dokumente 30 Jahre, sagte Steinmeier. Er habe unter dem Eindruck der aktuellen Debatte aber entschieden, diese Frist um zehn Jahre zu verkürzen.

Bei seiner Ansprache hatte Steinmeier zuvor erstmals deutliche Worte zum Terrorregime der Colonia Dignidad gefunden und dabei auch die Unterstützung durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland offen kritisiert. Die Art und die Präsentation dieser Abrechnung war nach übereinstimmender Meinung der Anwesenden ein Novum in der Haltung des Außenamtes zu dem Thema. Im Fall Kurnaz zeigen sich der Außenminister und sein Ministerium deutlich zurückhaltender.